Andreas Kolbe: Ungefähr 31 Euro kostet eine Stunde Arbeit in Deutschland durchschnittlich. Das hat das Statistische Bundesamt errechnet. Und die Tendenz ist steigend: Um 2,8 Prozent gingen die Arbeitskosten im vergangenen Jahr nach oben. Das ist deutlich über dem Durchschnitt der Europäischen Union. Einordnen wollen wir das jetzt mit Professor Gustav Horn, er ist Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Schönen guten Tag!
Gustav Horn: Guten Tag!
Kolbe: Von 2001 bis 2011, Herr Horn, sind die Personalkosten in Deutschland so langsam gestiegen wie in keinem anderen EU-Land. Davon profitieren wir heute, der Wirtschaft geht es verhältnismäßig gut. Dreht sich dieser Effekt nun um?
Horn: Nun, es ist zu hoffen, dass er sich umdreht. Denn diese Entwicklung hatte ja durchaus ihre Probleme. Durch die weit hinter dem Durchschnitt des Euroraums zurückbleibenden Lohnzuwächse in Deutschland hat Deutschland, wie wir Ökonomen sagen, real abgewertet. Das heißt, es hat seine Wettbewerbsfähigkeit ständig verbessert. Das hat zwar bei uns zu Handelsüberschüssen geführt, aber bei anderen eben zu Handelsdefiziten. Und das ist ja eine der Wurzeln für die Schuldenkrise im Euroraum, weil sich manche Länder immer weiter verschuldet haben. Insofern war das, was in Deutschland passiert ist, ein Verstoß gegen Stabilitätskriterien. Denn wir haben uns ja geeinigt eigentlich mit den anderen Ländern, etwa zwei Prozent Inflation zu haben. Weder darüber dürfen wir gehen, noch darunter.
Kolbe: Sie plädieren also dafür, dass die deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßt, jedenfalls relativ zu ihren Europartnern. Warum?
Horn: Nun, damit wir auf einen stabilitätsorientierten Pfad kommen. Denn wenn wir Überschüsse haben, die auf den Schulden der anderen basieren, dann ist das nicht nachhaltig. Das ist geborgter Wohlstand im Grunde genommen. Wir aber brauchen nachhaltigen Wohlstand. Und dazu muss man dann das machen, was auch in den Lehrbüchern steht: Wenn man viel exportiert, wogegen nichts zu sagen ist, muss man eben ebenso viel importieren. Dann ist man in einem Gleichgewicht und das ist auch durchhaltbar und der Volkswirtschaft geht es dauerhaft gut. Hat man Überschüsse, kommt irgendwann die Schuldenkrise. Und diese Überschüsse gehen dann ganz schnell weg, weil es eben der Schuldner nicht mehr bezahlt. Und wenn der Schuldner nicht mehr bezahlt, ist auch der Gläubiger betroffen. Also sind Lohnzuwächse, die mit dem Preisstabilitätsziel von zwei Prozent vereinbar sind, die Marge, die man anstreben muss. Und das wären in Deutschland Lohnsteigerungen von etwa drei bis dreieinhalb Prozent. Da sind wir sogar noch drunter, auch wenn wir jetzt über dem Euroraum-Durchschnitt liegen. Aber wir sind sozusagen auf dem Weg zu einer Anpassung, und das ist gut so.
Kolbe: Schauen wir mal auf die europäische Ebene: Da gibt es Länder, die heute als Krisenländer gelten. Die hatten oft sehr stark steigende Arbeitskosten, haben damit Wettbewerbsfähigkeit verloren, und die haben jetzt neben den hohen Staatsschulden auch noch ein geringes Wachstum. Droht uns das nicht langfristig auch?
Horn: Nein. Solange wir diese Benchmark von zwei Prozent Preissteigerung im Auge behalten, droht uns das nicht, und wie gesagt: Wir sind ja noch nicht einmal auf dieser Benchmark. Das heißt, ich plädiere natürlich nicht für unendlich hohe Lohnsteigerungen, sondern wir müssen das Preisstabilitätsziel im Euroraum im Auge behalten. Dann sind wir wettbewerbsfähig, können viel exportieren und unsere Abnehmerländer können viel importieren. Darauf sind wir ja angewiesen und das ist dann durchhaltbar. Die Krisenländer müssen natürlich, ganz im Gegensatz zu Deutschland, eher geringere Lohnsteigerungen als im Eurodurchschnitt haben. Das haben sie auch, teilweise dramatisch sogar, und das ist deren Weg zur Anpassung.
Kolbe: Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, plädieren Sie für höhere Löhne, um die Binnenkonjunktur, die Nachfrage im Land zu steigern, die Exporte vielleicht etwas zurückzufahren. Jetzt schauen wir die deutsche Wirtschaft an: Die ist ja vor allem exportgetrieben: Automobilwirtschaft, Chemie, Maschinenbau. Wie soll denn jetzt ein stärkerer Konsum Arbeitsplätze ausgerechnet in diesen Bereichen halten? Deutsche Verbraucher kaufen eher keine Werkzeugmaschinen.
Horn: Ich plädiere ja auch nicht für eine Rückführung der Exporte, sondern ich plädiere nur für mehr Importe, indem die Exporterlöse, die wir erzielen, auch den Beschäftigten in der Volkswirtschaft zugutekommen, eben durch Lohnsteigerungen. Das heißt, es ist ein Plädoyer für mehr Importe. Wir verlieren ja nicht an Wettbewerbsfähigkeit, solange wir uns an diese Benchmark von zwei Prozent halten. Sondern wir halten sie hoch, wir dehnen sie nur nicht weiter aus. Und dagegen plädiere ich in der Tat. Das wäre auf Dauer destabilisierend für den gesamten Euroraum. Daran würde der Euro auf Dauer auch zerbrechen und daran können wir kein Interesse haben.
Kolbe: In der laufenden Tarifrunde hat es ja schon erste Abschlüsse gegeben: bei der Bahn beispielsweise, in der Stahlindustrie. Da steht eine Drei vor dem Komma. Heißt das, dass die Arbeitskosten bei uns auch in Zukunft weiter überdurchschnittlich steigen werden?
Horn: Wir erwarten schon, dass sie überdurchschnittlich steigen werden. In der Gegend, in der sie auch im vergangenen Jahr gestiegen sind: etwa 2,6 bis drei Prozent. Das heißt, wir nähern uns so langsam dem Pfad an, der stabilitätsgerecht ist. Das bedeutet zwei gute Dinge. Erstens: Die Menschen haben mehr Geld im Portemonnaie und können mehr konsumieren und dadurch wird mehr importiert. Und zweitens: Wir leisten einen Beitrag zur Stabilität des Euroraums.
Kolbe: Professor Gustav Horn war das, der Direktor des IMK in Düsseldorf. Herzlichen Dank für das Gespräch.
Horn: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Gustav Horn: Guten Tag!
Kolbe: Von 2001 bis 2011, Herr Horn, sind die Personalkosten in Deutschland so langsam gestiegen wie in keinem anderen EU-Land. Davon profitieren wir heute, der Wirtschaft geht es verhältnismäßig gut. Dreht sich dieser Effekt nun um?
Horn: Nun, es ist zu hoffen, dass er sich umdreht. Denn diese Entwicklung hatte ja durchaus ihre Probleme. Durch die weit hinter dem Durchschnitt des Euroraums zurückbleibenden Lohnzuwächse in Deutschland hat Deutschland, wie wir Ökonomen sagen, real abgewertet. Das heißt, es hat seine Wettbewerbsfähigkeit ständig verbessert. Das hat zwar bei uns zu Handelsüberschüssen geführt, aber bei anderen eben zu Handelsdefiziten. Und das ist ja eine der Wurzeln für die Schuldenkrise im Euroraum, weil sich manche Länder immer weiter verschuldet haben. Insofern war das, was in Deutschland passiert ist, ein Verstoß gegen Stabilitätskriterien. Denn wir haben uns ja geeinigt eigentlich mit den anderen Ländern, etwa zwei Prozent Inflation zu haben. Weder darüber dürfen wir gehen, noch darunter.
Kolbe: Sie plädieren also dafür, dass die deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßt, jedenfalls relativ zu ihren Europartnern. Warum?
Horn: Nun, damit wir auf einen stabilitätsorientierten Pfad kommen. Denn wenn wir Überschüsse haben, die auf den Schulden der anderen basieren, dann ist das nicht nachhaltig. Das ist geborgter Wohlstand im Grunde genommen. Wir aber brauchen nachhaltigen Wohlstand. Und dazu muss man dann das machen, was auch in den Lehrbüchern steht: Wenn man viel exportiert, wogegen nichts zu sagen ist, muss man eben ebenso viel importieren. Dann ist man in einem Gleichgewicht und das ist auch durchhaltbar und der Volkswirtschaft geht es dauerhaft gut. Hat man Überschüsse, kommt irgendwann die Schuldenkrise. Und diese Überschüsse gehen dann ganz schnell weg, weil es eben der Schuldner nicht mehr bezahlt. Und wenn der Schuldner nicht mehr bezahlt, ist auch der Gläubiger betroffen. Also sind Lohnzuwächse, die mit dem Preisstabilitätsziel von zwei Prozent vereinbar sind, die Marge, die man anstreben muss. Und das wären in Deutschland Lohnsteigerungen von etwa drei bis dreieinhalb Prozent. Da sind wir sogar noch drunter, auch wenn wir jetzt über dem Euroraum-Durchschnitt liegen. Aber wir sind sozusagen auf dem Weg zu einer Anpassung, und das ist gut so.
Kolbe: Schauen wir mal auf die europäische Ebene: Da gibt es Länder, die heute als Krisenländer gelten. Die hatten oft sehr stark steigende Arbeitskosten, haben damit Wettbewerbsfähigkeit verloren, und die haben jetzt neben den hohen Staatsschulden auch noch ein geringes Wachstum. Droht uns das nicht langfristig auch?
Horn: Nein. Solange wir diese Benchmark von zwei Prozent Preissteigerung im Auge behalten, droht uns das nicht, und wie gesagt: Wir sind ja noch nicht einmal auf dieser Benchmark. Das heißt, ich plädiere natürlich nicht für unendlich hohe Lohnsteigerungen, sondern wir müssen das Preisstabilitätsziel im Euroraum im Auge behalten. Dann sind wir wettbewerbsfähig, können viel exportieren und unsere Abnehmerländer können viel importieren. Darauf sind wir ja angewiesen und das ist dann durchhaltbar. Die Krisenländer müssen natürlich, ganz im Gegensatz zu Deutschland, eher geringere Lohnsteigerungen als im Eurodurchschnitt haben. Das haben sie auch, teilweise dramatisch sogar, und das ist deren Weg zur Anpassung.
Kolbe: Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, plädieren Sie für höhere Löhne, um die Binnenkonjunktur, die Nachfrage im Land zu steigern, die Exporte vielleicht etwas zurückzufahren. Jetzt schauen wir die deutsche Wirtschaft an: Die ist ja vor allem exportgetrieben: Automobilwirtschaft, Chemie, Maschinenbau. Wie soll denn jetzt ein stärkerer Konsum Arbeitsplätze ausgerechnet in diesen Bereichen halten? Deutsche Verbraucher kaufen eher keine Werkzeugmaschinen.
Horn: Ich plädiere ja auch nicht für eine Rückführung der Exporte, sondern ich plädiere nur für mehr Importe, indem die Exporterlöse, die wir erzielen, auch den Beschäftigten in der Volkswirtschaft zugutekommen, eben durch Lohnsteigerungen. Das heißt, es ist ein Plädoyer für mehr Importe. Wir verlieren ja nicht an Wettbewerbsfähigkeit, solange wir uns an diese Benchmark von zwei Prozent halten. Sondern wir halten sie hoch, wir dehnen sie nur nicht weiter aus. Und dagegen plädiere ich in der Tat. Das wäre auf Dauer destabilisierend für den gesamten Euroraum. Daran würde der Euro auf Dauer auch zerbrechen und daran können wir kein Interesse haben.
Kolbe: In der laufenden Tarifrunde hat es ja schon erste Abschlüsse gegeben: bei der Bahn beispielsweise, in der Stahlindustrie. Da steht eine Drei vor dem Komma. Heißt das, dass die Arbeitskosten bei uns auch in Zukunft weiter überdurchschnittlich steigen werden?
Horn: Wir erwarten schon, dass sie überdurchschnittlich steigen werden. In der Gegend, in der sie auch im vergangenen Jahr gestiegen sind: etwa 2,6 bis drei Prozent. Das heißt, wir nähern uns so langsam dem Pfad an, der stabilitätsgerecht ist. Das bedeutet zwei gute Dinge. Erstens: Die Menschen haben mehr Geld im Portemonnaie und können mehr konsumieren und dadurch wird mehr importiert. Und zweitens: Wir leisten einen Beitrag zur Stabilität des Euroraums.
Kolbe: Professor Gustav Horn war das, der Direktor des IMK in Düsseldorf. Herzlichen Dank für das Gespräch.
Horn: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.