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"Das ist keine Ideallösung"

Bundesinnenminister Thomas de Maizière bringt beim Thema Sicherungsverwahrung ein "neues Institut der Sicherheitsunterbringung" ins Spiel. Dies könne für die meisten der Fälle greifen, jedoch nicht für alle. Angesichts des Zeitdrucks könne man jetzt aber nicht lange Grundsatzdebatten führen.

Thomas de Maizière im Gespräch mit Gudula Geuther | 15.08.2010
    Geuther: Herr de Maizière, Ihr Haus ist eines der vier am Afghanistan-Engagement beteiligten Bundesministerien. Im Zuge der WikiLeaks-Veröffentlichungen wurde in den vergangenen Wochen viel gesprochen über das Militär in Afghanistan, wenig über die Bundespolizei, die aber von einer verschärften Gefährdungslage im Norden Afghanistans auch betroffen sein wird. Wie gefährdet sind die Beamten?

    de Maizière: Zunächst will ich dankbar vermerken, dass dort nicht nur Bundespolizisten sind, sondern gerade auch Polizisten der Länder. Sie werden allerdings abgeordnet zur Bundespolizei für den Zeitpunkt, es ist also eine gemeinsame Aktion von Bund und Ländern. Der überwiegende Teil der Ausbildung findet in gesicherten Lagern statt, das ist auch weitgehend unstreitig.

    Die wirkungsvollste Ausbildung findet allerdings nach einer Art Grundausbildung in Distrikten statt, das Projekt heißt "FDD". Dort gehen Polizisten auch raus aus dem Lager mit ausgebildeten Polizisten, um über Monate hinweg die Ausbildungserfolge zu kontrollieren und vieles andere mehr. Dort gehen wir nur in Distrikte, die als gesichert gelten. Und als gesicherter Distrikt gilt ein Distrikt, bei dem es über einige Monate keine sicherheitsrelevanten Vorkommnisse gegeben hat. Und dabei bleibt es.

    Geuther: Wenn man den Sinn dieses Ausbildungseinsatzes beurteilen will, dann wird meist auf die Zahlen geschaut – wie viele afghanische Anwärter haben die Ausbildung durchlaufen und Ähnliches. Aber vielleicht ist die Frage wichtiger: Hat sich in den Distrikten, wo die Bundespolizei tätig ist, die Lage verbessert – die Sicherheitslage, das Problem der Korruption, das Verhältnis zur Bevölkerung? Was sagen Sie, hat es einen Sinn?

    de Maizière: Ja, der ganze Einsatz hat einen Sinn. Allerdings darf man die Erwartungshaltung nicht zu hoch setzen. Der Beruf des Polizisten in Afghanistan ist nicht so verankert wie in Deutschland. Die Grundausbildung ist kurz, die Vorkenntnisse der Polizisten sind unterschiedlich. Das Sozialprestige der Polizisten zu anderen Regeln stammesähnlicher Streitschlichtung ist nicht gesichert. Die Polizisten haben mehr Verluste als die Soldaten, sie werden zum Teil von den Soldaten in Gegenden geschickt, um zu gucken, ob es dort militante Gewalt gibt, sie sind manchmal so eine Art "Kanonenfutter". Deswegen ist es leicht gesagt, die Polizei ist korrupt.

    Ja, es gibt Korruption in der Polizei, es gibt aber auch Korruption in der Verwaltung insgesamt und in der Regierung. Korruption ist sicher das zentrale Problem in Afghanistan. Aber wenn man eine realistische Erwartungshaltung sieht, dann ist das, was deutsche Polizisten dort tun, sinnvoll. Und es ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass man eine Übergabe in Verantwortung in absehbarer Zeit für die Sicherheit in Afghanistan hinbekommt.

    Geuther: Gibt es denn beim Thema Korruption Verbesserungen? Man hört immer noch haarsträubende Geschichten von Ämterkauf, von Polizisten, die Teile ihres Gehaltes an Vorgesetzte abgeben müssen.

    de Maizière: Diese FDD-Projekte, von denen wir gesprochen haben, und anderes dienen übrigens auch dazu, dass das Gehalt wirklich bei den Polizisten ankommt, das würde jetzt zu weit führen, das technisch im Einzelnen zu erklären. Aber meine Antwort auf Ihre Frage ist so: Je mehr deutsche Ausbildung es gibt, umso weniger Korruption gibt es. Das heißt nicht, dass, wenn es deutsche Ausbildung gibt, es gar keine mehr gibt. Aber ohne eine deutsche Ausbildung wäre die Korruption sicher sehr viel höher.

    Geuther: Sie haben eben gesagt, die Ausbildung der Polizei ist auch die Voraussetzung dafür, dass man da eines Tages rausgehen kann. Wenn das Militär rausgeht, dann wird ja die zivile Unterstützung in Afghanistan weiterhin nötig sein. Wie lange bleibt die Bundespolizei?

    de Maizière: Das kann man noch nicht abschließend sagen, aber Sie deuten mit Ihrer Frage ja an, ob dann auch noch Polizisten bleiben, wenn die Soldaten der internationalen Völkergemeinschaft gehen. Das kann sein. Wir haben ja Polizeiprojekte in vielen Staaten – ich war in der Polizeiakademie in Kabul erstaunt, dass mir gesagt wurde: Ja, deutsche Ausbilder gibt es seit 50/60 Jahren ...

    Geuther: ... mit Unterbrechung ...

    de Maizière: ... mit Unterbrechungen und mit unterschiedlichen deutschen Uniformen, das ist wahr. Aber wenn wir meinetwegen Polizeioffiziere ausbilden in Kabul, auch wenn die Soldaten weg sind, dann kann es eine höchst sinnvolle Maßnahme sein. Wir würden uns dann allerdings konzentrieren auf Multiplikatoren, etwa auf Offiziere oder andere. Ich kann das jetzt nicht vorhersagen, aber ja, es kann sein, dass es einen qualifizierten Beitrag zur Stabilisierung der afghanischen Polizei auch dann gibt, wenn die Soldaten weg sind, sicher aber nicht mehr in dem Umfang wie jetzt.

    Geuther: Nun hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, die Zahl der Polizeiausbilder zu erhöhen, ebenso die Kapazitäten in den Trainingszentren. Und gleichzeitig sinkt die Zahl der Freiwilligen aus den Reihen der Bundespolizei. Wie es heißt inzwischen sogar so weit, dass rechnerisch nicht mehr jeder, der geht, ersetzt werden kann. Wie gehen Sie damit um?

    de Maizière: Zunächst haben wir unsere Zusage eingehalten – 200 bis zum Sommer ist erreicht, und die These, die Sie in Ihrer Frage aufstellen, dass die Zahl der Freiwilligen erheblich zurückgeht, kann ich nicht bestätigen ...

    Geuther: ...Die Gewerkschaft der Polizei sagt, gerade die Wiederholer würden sehr abnehmen, und insgesamt würde die Zahl der Freiwilligen sinken.

    de Maizière: Die Wiederholer, so willkommen ihre Motivation ist: Dahinter steckt doch ein Problem, denn sie sollen ja auch auf Dauer in den deutschen Dienst wieder eingegliedert werden. Und andere machen ihre Arbeit mit. Ich habe ja deswegen auch die Werthebach-Kommission, die die Sicherheitsarchitektur überprüft und Vorschläge macht, gebeten, speziell den Auslandseinsatz der Polizei zu untersuchen und uns dort einen Ratschlag zu geben, ob die bisherige Konstruktion, dass jemand aus der Linie rausgenommen wird, rausgeht, seine Arbeit von jemand anders gemacht wird – wenn der irgendwo wieder eingefädelt wird, ob das auf Dauer eigentlich zukunftsfähig ist oder ob wir einen anderen systematischen Ansatz brauchen. Die Gewerkschaft der Polizei und andere mögen das behaupten: Ich kann mich über das Ausmaß der Freiwilligkeit von Bundespolizisten, auch aus den Ländern, wirklich nicht beklagen.

    Geuther: Das heißt, es gibt aus Ihrer Sicht auch keinen Grund, darüber nachzudenken, ob man entweder die Motivation erhöhen kann oder auch, ob man ein Gedankenspiel Ihres Vorgängers Wolfgang Schäuble noch mal aufgreift, es nicht unbedingt nur bei Freiwilligen zu belassen?

    de Maizière: Generell gilt, dass Beamte dahin müssen, wo der Dienstherr sie hinstellt. Das ist eine zentrale Unterscheidung des Beamten- und Angestelltenverhältnisses. Daran möchte ich gerne festhalten, das muss jeder Polizist wissen. Das gilt auch für Versetzungen innerhalb Deutschlands. Aber das ist die Rechtslage. Darüber hinaus möchte ich dabei bleiben, und ich glaube auch, dass das gelingt, dass insbesondere bei Einsätzen in Afghanistan es beim Prinzip der tatsächlichen Freiwilligkeit bleibt.

    Geuther: Im allerweitesten Sinn zu Afghanistan und den Folgen: Deutschland hat sich bereit erklärt, zwei Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen. Da ist einiges noch unklar, insbesondere wie diese beiden Männer in Hamburg und Rheinland-Pfalz leben werden. Wahrscheinlich erst einmal betreut, aber dann - werden sie die Landesgrenzen verlassen dürfen? Wie laufen da die Verhandlungen mit den anderen Bundesländern?

    de Maizière: Ich habe mit den Bundesländern darüber gesprochen, und wir haben Einvernehmen erzielt, dass es zunächst aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen gibt, was es auch in anderen Fällen gibt. Die sind in dem Fall von Rheinland-Pfalz und Hamburg gleich und werden auch im Einvernehmen mit allen anderen Bundesländern getroffen. Das ist auf gutem Weg. Was dann nach ein, zwei, drei Jahren ist, wenn die Betroffenen hier in irgendeiner Art und Weise sozialisiert sind, das müssen wir jetzt nicht besprechen.

    Jetzt geht es erst mal darum, sie aufzunehmen und zu gucken, in welch besonderen schwierigen Erwartungen nach den dortigen Haftbedingungen sie sind. Und das Beste wäre, dass sie ohne öffentliche Beobachtung eine neue Chance bekommen.

    Geuther: Was andere Zuwanderer betrifft, um ein wenig zu springen – im Rahmen der Diskussion um die Anwerbung ausländischer Fachkräfte: Da war über der Zusammenfassung eines Interviews mit Ihnen zu lesen: "Bundesinnenminister warnt vor Zuwanderungswelle". Und FDP-Politiker reagierten empört. Ist es so schlimm mit der Zuwanderungswelle?

    de Maizière: Nein, das ist auch ein völliges Missverständnis. Erstens bin ich natürlich dafür, dass wir den deutschen Arbeitsmarkt ausschöpfen, vorrangig. Zweitens aber bin ich nicht gegen Zuwanderung, ich bin für Zuwanderung – da, wo der deutsche Arbeitsmarkt es nicht möglich macht, dass die erforderlichen Stellen besetzt werden.

    Mein Punkt ist nur der gewesen, und dabei bleibe ich: Das Zuwanderungsrecht bietet viele, und meines Erachtens auch genug Möglichkeiten, Zuwanderung zu organisieren – für Hochqualifizierte, für Ingenieure, für andere Berufsgruppen. Ja, es gibt Zuwanderungshemmnisse bei dem, was ich "Willkommenskultur" nenne, aber das Zuwanderungsrecht ist nicht zuwanderungsfeindlich, sondern zuwanderungsoffen. Das ist der Punkt, auf den ich hinweisen möchte.

    Ein Beispiel dafür: Wir diskutieren über die Gehaltsgrenze bei Hochqualifizierten. Da wird landauf, landab gesagt, die Grenze soll abgesenkt werden, 60.000 sei zu hoch. Darüber kann man reden, aber es geht bei den 60.000 nicht darum, ob jemand kommen darf oder nicht, sondern nur darum, ob er sofort unbegrenzt kommen darf oder für zunächst nur fünf Jahre. Und die meisten Staaten, die als zuwanderungsfreundlich gelten, machen genau eine solche Regelung, dass die erste Zuwanderung zunächst befristet ist. Also, da ist einfach viel Unkenntnis in der Debatte.

    Und mein Punkt ist: Ja, ich bin auch für Zuwanderung, die muss gut organisiert sein, da haben die Firmen viel zu tun, da haben die Kommunen viel zu tun. Da geht es auch um die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und vieles andere mehr. Aber das Zuwanderungsrecht ist nicht die Hürde, als die es von vielen dargestellt wird.

    Geuther: Sie haben auch gesagt, dass Sie diejenigen, die hier ausgebildet wurden, besser integriert wissen wollen. Und gerade viele derjenigen Immigranten, die hier Abitur gemacht haben, die studiert haben, gehen danach in ihre Ursprungsländer zurück. Ist das nicht ein Grund, doch noch mal nachzudenken über die doppelte Staatsbürgerschaft?

    de Maizière: Zunächst haben wir ja seit Jahrzehnten Ausländer bei uns deswegen studieren lassen, damit sie mit deutscher Ausbildung in ihren Heimatländern führende Funktionen wahrnehmen, hoffentlich, und Kontakte in der Welt entstehen, die für Deutschland gut sind. Jetzt sagen wir plötzlich: Nein, die sollen alle hier bleiben ...

    Geuther: ... sie könnten Integrationsfiguren für andere sein ...

    de Maizière: ... ich habe auch nichts dagegen, ich will nur einmal darauf hinweisen, dass wir mal ganz stiekum die Argumentationslinie wechseln. Und es gibt viele kluge Leute, die sagen: Das dürfen wir nicht machen, weil wir gerade in Entwicklungsländern die besten Leute wegnehmen – "brain drain" nennt man das, also den Verlust von wichtigen Köpfen. Aber okay, wenn wir diesen Perspektivenwechsel machen, will ich dem nicht entgegenstehen. Deshalb ist auch vorgesehen, dass ausländische Studenten, die hier einen Hochschulabschluss haben, ein Jahr lang einen Aufenthaltsstatus bekommen, um sich hier eine Stelle zu suchen. Das finde ich eine zuwanderungsfreundliche Regelung.

    Geuther: Sie hören das Interview der Woche mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Herr de Maizière, in den vergangenen Wochen hat man Sie vor allem zu einem Thema gehört, das bisher nur am Rand zu Ihrem Ressort gehört – zur Sicherungsverwahrung, und dabei vor allem zum Umgang mit den etwa 80 Männern, die von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betroffen sind, die also teilweise freigelassen wurden, teilweise vermutlich noch werden. Die Union und auch Sie haben eine "Sicherungsunterbringung" ins Spiel gebracht. Warum soll die schaffen, was die Sicherungsverwahrung nicht schafft, nämlich dass die Männer weiter aus dem Verkehr gezogen werden können?

    de Maizière: Zunächst habe ich mich in die Diskussion eingeschaltet, weil es um Sicherheit geht. Und ich bin nun auch der Sicherheitsminister. Zweitens, das ist eine Aufgabe der Justiz und der Justizverwaltung, aber wenn die Justiz das nicht hinbekommt, dann bleibt es eine Aufgabe der Polizei. Das weiß die Polizei, aber es ist nicht nur sehr personalintensiv, sondern das kann nur eine Notlösung sein. Deswegen habe ich mich dort eingeschaltet, aber auch konstruktiv und im Geiste, einen Kompromiss zu finden.

    Ja, es ist so, dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichts die einfache Fortsetzung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, insbesondere der Verlängerung von zehn Jahren auf lebenslänglich, ein Problem darstellt. Das ist so. Da kann man nicht einfach aufstampfen und sagen, das muss so bleiben.

    Umgekehrt müssen wir die Bevölkerung vor gefährlichen Tätern schützen, vor wirklich gefährlichen Tätern. Und wir haben im Bereich der Jugendlichen, wir haben im Bereich der psychisch Kranken Maßregeln der Sicherung und Besserung, die übrigens auch im Justizbereich angesiedelt sind. Und dort sprechen wir von einer Unterbringung. Das ist auch der geeignetere Begriff als Verwahrung. Man verwahrt Bücher und Sachen, aber keine Menschen.

    Der Begriff Sicherungsverwahrung führte schon zu einem Urteil, dass das ein Problem ist, auch die Umstände, in der dann in den Haftanstalten die Menschen dort "verwahrt" wurden und werden. Und dieses Institut, ein neues Rechtsinstitut der Sicherungsunterbringung, kann vielleicht nicht alle Fälle lösen – auch da gibt es ein Rückwirkungsproblem in dem einen oder anderen Fall –, aber es ist eine gute Lösung, die statt der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtsstaatlich und anders als bisher die Öffentlichkeit schützt und den Rechtsstaat bewahrt. Die vorbehaltende Sicherungsverwahrung kann in etwa so durchgeführt werden, wie die Justizministerin das vorschlägt.

    Geuther: Was schwierig zu verstehen ist, ist, warum es möglich sein soll. Selbst wenn die Vollzugsbedingungen oder die Unterbringungsbedingungen verändert werden, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordert. Denn er fordert ja noch mehr, er kritisiert unter anderem gerade die Anknüpfung an das Strafurteil oder, besser gesagt, sagt, dadurch wird es auch mit Strafe, und man kann nicht rückwirkend eingreifen, und damit auch nicht mehr für diese 80 Männer.

    de Maizière: In der Tat würde dieses neue Institut der Sicherungsunterbringung in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskommission gelten für psychisch Gestörte, die aber nicht psychisch krank sind, und wenn es um konkrete Androhung von neuen Straftaten in der Haft geht. Das sind die beiden Voraussetzungen, die dort vorgesehen sind.

    Geuther: Das wird sehr wenige Fälle betreffen.

    de Maizière: Das sind eine ganze Reihe von Fällen. Aber es kann sein, dass es Fälle gibt, die auch darunter nicht passen. Und dann allerdings hilft auch dieses neue Institut der Sicherheitsunterbringung nicht. Deswegen sage ich ja, das ist keine Ideallösung, aber es ist deutlich mehr und das, was rechtsstaatlich geht angesichts des Urteils und zum Schutz der Bevölkerung.

    Geuther: Die Bundesjustizministerin sagt, dieses neue Institut geht nicht, geht kaum. Die Union fordert gleichzeitig von ihrem Haus, aus dem Bundesjustizministerium, eine Vorlage für etwas, von dem das Haus aber eigentlich glaubt, das geht nicht so richtig. Das scheint eine Situation, die so schwer aufzulösen ist. Werden Sie einen Entwurf vorlegen?

    de Maizière: Wir haben ja bereits etwas vorgelegt. Wir werden das konkretisieren in Eckpunkten. Und das wird kurzfristig dem Justizministerium vorgelegt.

    Geuther: Aus Ihrem Haus hieß es kürzlich, man sei "nur noch" in der Frage der Sicherungsunterbringung im Dissens mit dem Justizministerium. Nun sollte das Unionskonzept dieser Sicherungsunterbringung ja mal eine vollständige Alternative zur Sicherungsverwahrung sein, also nicht nur eine Übergangslösung darstellen, sondern richtig ein ganzes Zukunftsmodell. Heißt diese Aussage, wir sind nur noch in der Frage der Sicherungsunterbringung im Dissens, dass man davon abgerückt ist?

    de Maizière: Wir stehen ja unter Zeitdruck, weil wir unterschiedliche OLG-Entscheidungen haben. Wir warten jetzt auf eine BGH-Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit der Entscheidung und es drohen Entlassungen. Deswegen kann man jetzt lange Grundsatzdebatten nicht führen.

    Dass wir hier mal ein bisschen streiten, ist allerdings schon geboten, denn es geht hier um extrem schwierige Abwägungen. Einmal das Prinzip, dass niemand ohne Strafe in Haft genommen werden darf. Und das andere Prinzip, dass die Bevölkerung vor gefährlichen Tätern geschützt werden muss. Und dass man darüber ein bisschen ringt, finde ich, ist in einem Rechtsstaat eher ein Kompliment als tadelnswert.

    Aber deswegen - wenn wir die große Grundsatzdebatte über Jahre nicht führen können - dann finde ich es richtig, dass wir die vorbehaltende Sicherungsverwahrung, so wie die Justizministerin es vorschlägt, verändern und für die bestehenden Fälle, soweit es irgend geht und nicht mit dem Rückwirkungsverbot in Kollision stößt, das Institut einer Sicherungsunterbringung einführen. Und ob daraus dann in einigen Jahren eine dauerhafte Lösung werden kann, das können wir sehen. Das kann dann auch dahin überführt werden.

    Aber jetzt ist der Vorschlag vorbehaltende Sicherungsverwahrung wie vorgeschlagen und für einen möglichst großen Anteil der Fälle, die damit nicht erfasst werden, unter einer zu Recht bestehenden Bundeszuständigkeit im Justizbereich, mit einer Prüfung, wo ist wirklich ein Rückwirkungsverbot, einen möglichst großen Teil der Fälle zu erfassen.

    Geuther: Nun sind die Leute ja teilweise schon freigelassen. Bis zum Erlass einer Regelung werden möglicherweise mehr freigelassen werden. Man will an die Verurteilung anknüpfen. Die Leute sind aber erst mal frei. Kommt man rechtlich an die überhaupt noch mal ran?

    de Maizière: Das würde ich gerne dann einem näheren Fachgespräch mit dem Justizministerium überlassen. Das sind sicher die schwierigsten Fälle.

    Geuther: An dieser Stelle hätte noch vor wenigen Wochen die Frage nach dem Zustand der Koalition nahegelegen. In diesen Tagen bietet sich eher die Frage nach dem Zustand der CDU an. In Umfragen rutscht sie gerade in die Nähe der 30-Prozent-Marke. Wie tief sind Sie verunsichert?

    de Maizière: Ach, ich bin nicht so schnell zu verunsichern.

    Geuther: Das heißt, Sie sehen die Entwicklung gelassen?

    de Maizière: Nein, ich sehe sie nicht gelassen, aber verunsichert ist das falsche Wort. Wenn Sie sich mal umgucken in Europa und in der Welt, so sind alle Regierungen im Moment nicht gut in den Umfragen. Wir haben schwierige Entscheidungen zu treffen. Das hat zu tun mit dem Thema Finanzkrise. Aber wahr ist auch, dass über die Frage, wie angesichts Haushaltskonsolidierung, demografische Entwicklung, einer deutlicheren Wahrnehmung von Globalisierung und deren Auswirkungen auf Deutschland eine Volkspartei besonders angefragt ist, weil die klassischen alten Antworten so nicht mehr gelten, die Schwarz-Weiß-Antworten, wo jeder sich zuhause gefühlt hat.

    Die Welt verändert sich um uns herum. Dass das zu Debatten führt, finde ich ganz normal. Mein Punkt ist nur der: Es bringt nicht viel, jetzt laufend über das Profil abstrakt zu reden. Sie können nicht sagen, wir sollten konservativer oder liberaler werden oder wir führen jetzt mal eine Wertedebatte, eine Patriotismusdebatte. Das ist künstlich, das kann man im Politikseminar machen, nicht in der Politik. Was man machen muss, ist handeln und aus dem Handeln ergibt sich Profil. Und nicht darüber reden, dass man etwas machen müsste, sondern etwas tun.

    Geuther: Nun gibt es aber immer noch die Klagen über eine Sozialdemokratisierung der CDU in der großen Koalition. Ist innerhalb der Union die Debatte um das Profil verstummt?

    de Maizière: Ich sage ja gerade, diese Profildebatten – natürlich gibt es die. Aber ich halte sie nicht für besonders sinnvoll. Sie müssten auch einmal mit Beispielen untersetzt werden. Wenn einer fordert, ich möchte gerne CDU pur haben, dann soll er genau sagen, was im konkreten Fall CDU pur ist.

    Geuther: Dann nehmen wir ein Beispiel. Ist die Tatsache, dass gerade der Streit um die Sicherheitsverwahrung das Sommertheater geprägt hat, ein Zeichen von Handeln und Profilsetzen?

    de Maizière: Nein, ich habe an anderer Stelle auch schon gesagt, das Thema Sicherungsverwahrung und Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern eignet sich nicht zur Profilierung, weder in der Koalition, noch in der Union. Und ich rate es auch niemandem. Das ist ein so schwerwiegendes und gewichtiges Thema. Wer glaubt, er könne das instrumentalisieren, in der einen oder anderen Richtung, der leistet keinen Beitrag zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit von Politik. Es muss möglich sein, dass man auch über eine Frage debattiert, die sehr ernst ist, ohne dass das sofort in das Denk- und Diskussionsraster kommt, hier will sich jemand profilieren.

    Geuther: In der Union kommen ja noch andere Schwierigkeiten als die Umfragewerte hinzu: Uneinigkeiten in der Partei, die so weit gehen, dass sie jetzt auch die Bundesregierung erreicht haben in Gestalt von Herrn Pofalla und Herrn Röttgen. Fehlt es da an einer ordnenden Hand?

    de Maizière: Die Frage, die Sie ansprechen, hat ja zu tun mit der Verlängerung der Kernkraftwerke.

    Geuther: Genau.

    de Maizière: Und das ist auch eine natürlich schwierige Frage, die auch vor einigen Jahren die Gesellschaft gespaltet hat. Und da gibt es ja verschiedene Themen. Das eine ist, was auch den Innenminister betrifft als Verfassungsminister, welche Dauer der Verlängerung geht ohne Zustimmung des Bundesrates. Das ist eine verfassungsrechtliche Frage. Die darf nicht verwechselt werden mit der Frage, welche Verlängerung von der Laufzeit von Atomkraftwerken ist denn im Blick auf den Übergang in ein Zeitalter ohne Kernkraftwerke fachlich geboten. Und da sind natürlich die Länder, die Kernkraftwerke betreiben, anders betroffen als die Länder, die keine betreiben oder die ein Endlager vermutlich betreiben werden. Also, das ist mehr ein Bund/Länder-Streit als ein CDU-Streit.

    Geuther: Das heißt, wir sind auch bei den Auseinandersetzungen zwischen Herrn Pofalla und Herrn Röttgen nur bei reinen Sachfragen?

    de Maizière: Ja.

    Geuther: Nun sucht die Union statt Roland Koch, Jürgen Rüttgers und Christian Wulff drei stellvertretende Unionsvorsitzende. Sie haben gesagt, ein Profil wird durch Handeln bestimmt. Es wird auch durch Personen bestimmt. Wäre Volker Bouffier, Hessens neuer Ministerpräsident, gerade eine gute Wahl, weil er als ausgewiesener Konservativer gilt?

    de Maizière: Wenn er das möchte, würde ich seine Kandidatur unterstützen.

    Geuther: Ist gesagt, dass einer der drei aus Nordrhein-Westfalen kommen wird?

    de Maizière: Nichts ist da selbstverständlich. Ich habe den Eindruck, die Nordrhein-Westfalen sind im Moment dabei, sich selber zu sortieren, und das sollte man mal abwarten.

    Geuther: Die Unruhe ist groß, auch weil die Machtkämpfe in Nordrhein-Westfalen, um das Sich-Sortieren anders auszudrücken, möglicherweise sich noch eine Weile hinziehen werden. Haben Sie noch Geduld mit den dortigen Parteifreunden?

    de Maizière: Ja, wieso denn eigentlich Machtkämpfe? Da hat die Union eine Wahlniederlage bekommen, wie auch die Sozialdemokratie. Die hat das nur besser verstanden, das als Wahlsieg darzustellen. Der bisherige Spitzenmann zieht sich zurück. Und jetzt könnte man auch sagen, das ist eine Neusortierung und das ist ein demokratischer Wettbewerb und das ist sehr gut, dass die Parteien eine Auswahl haben und dass es Mitgliederbefragung gibt. Jetzt ist das schon wieder ein Machtkampf.

    Ja, was gilt denn nun? Ich finde, dass jede Partei, die in einer schwierigen Lage ist – eine Landespartei, insbesondere nach einer Wahlniederlage – muss doch das Recht haben, in gründlicher Debatte sich neu zu sortieren. Und das tut die nordrhein-westfälische CDU. Und die ist da auf gutem Wege. Das verdient keineswegs Kritik.

    Geuther: Ihre Prognose, bleiben wir beim Neusortieren, wann wird das beendet sein?

    de Maizière: Ich kenne den Zeitplan nicht genau. Der Landesparteitag wird möglicherweise vom Frühjahr auf den Spätherbst vorgezogen. Und dann wird da die Entscheidung fallen. Es gibt da einen Fraktionsvorsitzenden. Und jetzt gibt es Debatten um einen Landesvorsitzenden. Das ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Denken Sie mal an die Auseinandersetzung zwischen Frau Schavan und Herrn Oettinger vor einigen Jahren. Das wurde allgemein gelobt als großer Wettbewerb um die Führung einer wichtigen Landespartei. Und auch danach gab es Platz für alle und ein gutes Einvernehmen. So kann eine Auswahlentscheidung in einer demokratischen Partei auch stattfinden.

    Geuther: Dann nehmen wir das als ein Schlusswort. Herr de Maizière, vielen Dank für das Gespräch.

    de Maizière: Gerne.