Matthias Gierth: Herr Schneider, wie bleibend ist Ihre Enttäuschung, dass vom gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst in Erfurt mit dem Papst und aus dessen Ansprache keine Impulse für das ökumenische Miteinander ausgegangen sind?
Nikolaus Schneider: Sie müssen wissen, dass ich eine breitere Erfahrung gemacht habe. Die Begegnung in Erfurt bestand aus zwei Teilen. Teil eins war die Begegnung zwischen den Delegationen. Da hat der Papst geredet, da habe ich geredet. Das war ein sehr freundschaftlicher, brüderlicher Austausch auf Augenhöhe, da gab es Anstöße von beiden Seiten. Wir haben uns im Gespräch mit der Deutschen Bischofskonferenz über diese Anstöße ausgetauscht und werden davon einiges auf den Weg bringen.
Der öffentliche Gottesdienst hatte in der Tat einen anderen Charakter, da wurde mehr die gegenseitige Profilierung deutlich gemacht. Er hatte zwei unglückliche Formulierungen, die uns nun wirklich nicht getroffen haben, ja in unserem Selbstverständnis so völlig an uns vorbei gingen. Das eine war die Frage des Gastgeschenkes. Das hatten wir gar nicht so erwartet. Und das andere war die Frage des Verhandelns über den Glauben. Darum ging es uns nie. Uns so zu verstehen, hat schon auch gekränkt, das muss ich deutlich sagen. Aber da ich das Ganze in einem breiteren Kontext sehe, war das für mich nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist, dass es Anstöße aus dieser Begegnung in Erfurt gibt, die wir nun weiter entwickeln wollen.
Gierth: Sie haben das Stichwort Kränkung genannt. Um die Begegnung mit Benedikt gab es in der Evangelischen Kirche Deutschland anschließend eine durchaus hitzige Auseinandersetzung. Dazu hat auch der katholische Ökumene-Bischof Ludwig Müller beigetragen, der kritisiert hat, die Protestanten hätten sich unqualifiziert und polemisch geäußert. Haben auch Sie sich angesprochen gefühlt?
Schneider: Nein, ich habe mich nicht angesprochen gefühlt. Man muss nach solchen Ereignissen und solchen Erfahrungen auch die Möglichkeit haben, mal emotional zu reagieren. All die Bischöfe etwa, die ihre Enttäuschung und Verletzung deutlich zum Ausdruck gebracht haben, haben auch das Recht, das so zu formulieren. Denn das ist ja schon starker Tobak, wenn ich höre, ich sei darauf aus, mir einen selbst gebastelten Glauben zu machen und darüber auch noch verhandeln zu wollen, wie bei politischen Verhandlungen. Das ist starker Tobak. Ich finde, da haben wir auch das Recht, das so öffentlich zu sagen.
Gierth: Aber warum fixiert sich die evangelische Kirche in ihren ökumenischen Zielen eigentlich so sehr auf den katholischen Partner, der ihr dann immer wieder die kalte Schulter zeigt?
Schneider: Das kann man ja nicht sagen, dass das sozusagen ein einseitiges Liebeswerben wäre. Sondern wir haben doch diese großartige Erfahrung gemacht, dass nach 450 Jahren Feindschaft, üblichem Nachreden, den anderen verunglimpfen und denunzieren oder sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, dass es gelungen ist, ein Miteinander zu finden, indem wir versuchen, den anderen in seinen Gründungen, auch in seiner Theologie, zu verstehen und dann gemeinsame Wege zu gehen. Es ist doch unglaublich viel erreicht worden. Beide Seiten haben voneinander profitiert. Also da kann man nicht davon reden, dass man einander einseitig nachläuft. Mir geht es darum, das Erreichte zu bewahren - in einem freundschaftlichen Geist zu bewahren - und nun mit allem Respekt voreinander die nächsten Wege und Wegmarkierungen abzustecken. In diesem Stadium sind wir.
Gierth: Welche Wege und Wegmarkierungen sind das?
Schneider: Für mich sind die Wegmarkierungen, dass wir uns darauf konzentrieren: Christus steht in der Mitte. Christus ist derjenige, der der Vermittler zu Gott ist und sonst niemand. Ihn so in die Mitte zu stellen, das ist ganz wesentlich.
Das zweite ist, dass wir uns im Wesentlichen an der Schrift orientieren. Dass die Heilige Schrift die Quelle ist, aus der Gott zu uns spricht, und wir Christus als die lebendige Quelle verstehen. Das sind zwei wesentliche Markpunkte. Dass wir Wege finden im ökumenischen Miteinander in den Gemeinden, in denen wir auch Gemeinschaft leben können. Ich denke, dass die Menschen, die in Ehen und Familien aufs Intimste verbunden sind, aber je als Partner entweder der evangelischen oder der katholischen Kirche angehören und die in beiden Gemeinden intensiv leben, die brauchen auch Anteil am heiligen Abendmahl. Das kann gar nicht anders sein. Und hierfür werden wir auch Wege finden müssen.
Gierth: Als wie gravierend werten Sie denn neue Differenzen über ethische und moralische Fragen, die in jüngster Zeit dazu gekommen sind? Stichwort: PID oder Stammzellforschung.
Schneider: Ich denke, das darf man nicht übertreiben. Hier haben wir nach wie vor ein ganz hohes Maß an Übereinstimmung. Wir haben ja im Bereich etwa der Kirchen der Reformation auch innerhalb der Kirchen unterschiedliche Fokussierungen. Es gibt auch ganz starke Kreise in den Kirchen der Reformation, die genau wie die katholische Kirche sagen, hier kann es nur noch ein Nein geben ohne jedes Ja. Und wir haben eine andere Gruppe, die sagt, es ist die Möglichkeit ein Ja zu PID zu finden, wenn es nicht um Selektion lebenswerten Lebens geht, sondern wenn es um die Frage geht, ein Leben zu entdecken, das überhaupt leben kann und das nicht in sich schon den Tod trägt, etwa in den Fällen, wo es dann regelmäßig zu Todgeburten kam. Das ist eine völlig andere Fragestellung, das ist dann die andere Fokussierung. Und das konnten wir gemeinsam tragen, und da sind die Unterschiede zur katholischen Kirche nun wirklich nicht groß.
Gierth: Die Christen beider großen Kirchen an der Basis sind ja oft ökumenisch viel weiter als die Amtskirchen. Sie handeln und warten nicht etwa bei der Teilnahme an der Eucharistie oder am Abendmahl. Erschwert oder erleichtert das die offiziellen Gespräche?
Schneider: Das kommt darauf an, wie man mit dieser Tatsache umgeht. Beide wissen, dass es das gibt. Wenn man jetzt dieses Faktum nutzen will, um Druck auszuüben, dann ist es wenig hilfreich. Wenn man die Situation beschreibt, auch als eine seelsorgerliche Herausforderung, dann kann dies auch Zugänge eröffnen.
Gierth: Die Evangelische Kirche geht auf das große Reformationsjubiläum 2017 zu. Welche ökumenischen Akzente wünschen Sie sich für dieses Datum?
Schneider: Ich wünsche mir, dass es ein Christusfest wird, ein Fest, in dem wir uns darüber freuen, dass die Zentralität unseres Glaubens an Jesus Christus und die Zentralität der Heiligen Schrift wieder neu strahlend wurde, das hat die Reformation ja erreicht, dass das für alle Christen und Christinnen Grund zur Freude ist und dass wir in diesem Geist 1517 auch 2017 feiern können.
Etwas Zweites kommt hinzu. Die Reformatoren wollten keine neue Kirche gründen, sondern wollten ihre Kirche erneuern. Das ist ihnen ja auch durchaus gelungen. Allerdings mit Kollateralschäden. Eine der Kollateralschäden ist, dass sich eben zwei Kirchentümer herausgebildet haben. Hier bleibt noch einiges von den Themen der Reformationszeit zu erledigen, nämlich unser Verständnis des kirchlichen Amtes und unser Verständnis der Kirche. Und jetzt wäre es klug – und dazu habe ich auch in Erfurt den Papst eingeladen – dass wir einmal gemeinsam auf die Reformationsgeschichte schauen und einmal gemeinsam analysieren, wie es zu dieser Auseinanderentwicklung und zu diesem mörderischen Gegeneinander kam. Wo wir da auch Schuld auf uns geladen haben, und zwar beide Seiten, und wo es vielleicht sogar möglich wird, dass wir diese Schuld benennen und eingestehen und um Vergebung bitten. Das wäre für mich auch ein wichtiges ökumenisches Signal, wenn wir zu dieser Form der Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander kommen könnten.
Das vollständige Gespräch mit Nikolaus Schneider können Sie mindestens bis zum 21. Mai 2012 in unserem Audio-on-Demand-Player hören.
Nikolaus Schneider: Sie müssen wissen, dass ich eine breitere Erfahrung gemacht habe. Die Begegnung in Erfurt bestand aus zwei Teilen. Teil eins war die Begegnung zwischen den Delegationen. Da hat der Papst geredet, da habe ich geredet. Das war ein sehr freundschaftlicher, brüderlicher Austausch auf Augenhöhe, da gab es Anstöße von beiden Seiten. Wir haben uns im Gespräch mit der Deutschen Bischofskonferenz über diese Anstöße ausgetauscht und werden davon einiges auf den Weg bringen.
Der öffentliche Gottesdienst hatte in der Tat einen anderen Charakter, da wurde mehr die gegenseitige Profilierung deutlich gemacht. Er hatte zwei unglückliche Formulierungen, die uns nun wirklich nicht getroffen haben, ja in unserem Selbstverständnis so völlig an uns vorbei gingen. Das eine war die Frage des Gastgeschenkes. Das hatten wir gar nicht so erwartet. Und das andere war die Frage des Verhandelns über den Glauben. Darum ging es uns nie. Uns so zu verstehen, hat schon auch gekränkt, das muss ich deutlich sagen. Aber da ich das Ganze in einem breiteren Kontext sehe, war das für mich nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist, dass es Anstöße aus dieser Begegnung in Erfurt gibt, die wir nun weiter entwickeln wollen.
Gierth: Sie haben das Stichwort Kränkung genannt. Um die Begegnung mit Benedikt gab es in der Evangelischen Kirche Deutschland anschließend eine durchaus hitzige Auseinandersetzung. Dazu hat auch der katholische Ökumene-Bischof Ludwig Müller beigetragen, der kritisiert hat, die Protestanten hätten sich unqualifiziert und polemisch geäußert. Haben auch Sie sich angesprochen gefühlt?
Schneider: Nein, ich habe mich nicht angesprochen gefühlt. Man muss nach solchen Ereignissen und solchen Erfahrungen auch die Möglichkeit haben, mal emotional zu reagieren. All die Bischöfe etwa, die ihre Enttäuschung und Verletzung deutlich zum Ausdruck gebracht haben, haben auch das Recht, das so zu formulieren. Denn das ist ja schon starker Tobak, wenn ich höre, ich sei darauf aus, mir einen selbst gebastelten Glauben zu machen und darüber auch noch verhandeln zu wollen, wie bei politischen Verhandlungen. Das ist starker Tobak. Ich finde, da haben wir auch das Recht, das so öffentlich zu sagen.
Gierth: Aber warum fixiert sich die evangelische Kirche in ihren ökumenischen Zielen eigentlich so sehr auf den katholischen Partner, der ihr dann immer wieder die kalte Schulter zeigt?
Schneider: Das kann man ja nicht sagen, dass das sozusagen ein einseitiges Liebeswerben wäre. Sondern wir haben doch diese großartige Erfahrung gemacht, dass nach 450 Jahren Feindschaft, üblichem Nachreden, den anderen verunglimpfen und denunzieren oder sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, dass es gelungen ist, ein Miteinander zu finden, indem wir versuchen, den anderen in seinen Gründungen, auch in seiner Theologie, zu verstehen und dann gemeinsame Wege zu gehen. Es ist doch unglaublich viel erreicht worden. Beide Seiten haben voneinander profitiert. Also da kann man nicht davon reden, dass man einander einseitig nachläuft. Mir geht es darum, das Erreichte zu bewahren - in einem freundschaftlichen Geist zu bewahren - und nun mit allem Respekt voreinander die nächsten Wege und Wegmarkierungen abzustecken. In diesem Stadium sind wir.
Gierth: Welche Wege und Wegmarkierungen sind das?
Schneider: Für mich sind die Wegmarkierungen, dass wir uns darauf konzentrieren: Christus steht in der Mitte. Christus ist derjenige, der der Vermittler zu Gott ist und sonst niemand. Ihn so in die Mitte zu stellen, das ist ganz wesentlich.
Das zweite ist, dass wir uns im Wesentlichen an der Schrift orientieren. Dass die Heilige Schrift die Quelle ist, aus der Gott zu uns spricht, und wir Christus als die lebendige Quelle verstehen. Das sind zwei wesentliche Markpunkte. Dass wir Wege finden im ökumenischen Miteinander in den Gemeinden, in denen wir auch Gemeinschaft leben können. Ich denke, dass die Menschen, die in Ehen und Familien aufs Intimste verbunden sind, aber je als Partner entweder der evangelischen oder der katholischen Kirche angehören und die in beiden Gemeinden intensiv leben, die brauchen auch Anteil am heiligen Abendmahl. Das kann gar nicht anders sein. Und hierfür werden wir auch Wege finden müssen.
Gierth: Als wie gravierend werten Sie denn neue Differenzen über ethische und moralische Fragen, die in jüngster Zeit dazu gekommen sind? Stichwort: PID oder Stammzellforschung.
Schneider: Ich denke, das darf man nicht übertreiben. Hier haben wir nach wie vor ein ganz hohes Maß an Übereinstimmung. Wir haben ja im Bereich etwa der Kirchen der Reformation auch innerhalb der Kirchen unterschiedliche Fokussierungen. Es gibt auch ganz starke Kreise in den Kirchen der Reformation, die genau wie die katholische Kirche sagen, hier kann es nur noch ein Nein geben ohne jedes Ja. Und wir haben eine andere Gruppe, die sagt, es ist die Möglichkeit ein Ja zu PID zu finden, wenn es nicht um Selektion lebenswerten Lebens geht, sondern wenn es um die Frage geht, ein Leben zu entdecken, das überhaupt leben kann und das nicht in sich schon den Tod trägt, etwa in den Fällen, wo es dann regelmäßig zu Todgeburten kam. Das ist eine völlig andere Fragestellung, das ist dann die andere Fokussierung. Und das konnten wir gemeinsam tragen, und da sind die Unterschiede zur katholischen Kirche nun wirklich nicht groß.
Gierth: Die Christen beider großen Kirchen an der Basis sind ja oft ökumenisch viel weiter als die Amtskirchen. Sie handeln und warten nicht etwa bei der Teilnahme an der Eucharistie oder am Abendmahl. Erschwert oder erleichtert das die offiziellen Gespräche?
Schneider: Das kommt darauf an, wie man mit dieser Tatsache umgeht. Beide wissen, dass es das gibt. Wenn man jetzt dieses Faktum nutzen will, um Druck auszuüben, dann ist es wenig hilfreich. Wenn man die Situation beschreibt, auch als eine seelsorgerliche Herausforderung, dann kann dies auch Zugänge eröffnen.
Gierth: Die Evangelische Kirche geht auf das große Reformationsjubiläum 2017 zu. Welche ökumenischen Akzente wünschen Sie sich für dieses Datum?
Schneider: Ich wünsche mir, dass es ein Christusfest wird, ein Fest, in dem wir uns darüber freuen, dass die Zentralität unseres Glaubens an Jesus Christus und die Zentralität der Heiligen Schrift wieder neu strahlend wurde, das hat die Reformation ja erreicht, dass das für alle Christen und Christinnen Grund zur Freude ist und dass wir in diesem Geist 1517 auch 2017 feiern können.
Etwas Zweites kommt hinzu. Die Reformatoren wollten keine neue Kirche gründen, sondern wollten ihre Kirche erneuern. Das ist ihnen ja auch durchaus gelungen. Allerdings mit Kollateralschäden. Eine der Kollateralschäden ist, dass sich eben zwei Kirchentümer herausgebildet haben. Hier bleibt noch einiges von den Themen der Reformationszeit zu erledigen, nämlich unser Verständnis des kirchlichen Amtes und unser Verständnis der Kirche. Und jetzt wäre es klug – und dazu habe ich auch in Erfurt den Papst eingeladen – dass wir einmal gemeinsam auf die Reformationsgeschichte schauen und einmal gemeinsam analysieren, wie es zu dieser Auseinanderentwicklung und zu diesem mörderischen Gegeneinander kam. Wo wir da auch Schuld auf uns geladen haben, und zwar beide Seiten, und wo es vielleicht sogar möglich wird, dass wir diese Schuld benennen und eingestehen und um Vergebung bitten. Das wäre für mich auch ein wichtiges ökumenisches Signal, wenn wir zu dieser Form der Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander kommen könnten.
Das vollständige Gespräch mit Nikolaus Schneider können Sie mindestens bis zum 21. Mai 2012 in unserem Audio-on-Demand-Player hören.