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Das Jahr des Matteo Renzi
Bilanz eines "Verschrotters"

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi sitzt relativ fest im Sattel. Und doch kann er zum Jahresende nicht nur positive Bilanz ziehen. Einst war er angetreten, um als "Verschrotter" die verkrusteten Strukturen im Land zu beseitigen. Mit seinen Reformen kommt er aber nicht ganz so schnell voran, wie er einst angekündigt hatte.

Von Jan-Christoph Kitzler |
    Matteo Renzi, Italiens Ministerpräsident
    Die Wirtschaftszahlen immerhin scheinen für Renzi zu sprechen: erstmals seit 2011 wächst Italiens Wirtschaft wieder, wenn auch nur um magere 0,8 Prozent. (picture alliance / dpa / Sergey Guneev)
    Fast zwei Jahre ist Matteo Renzi nun schon Italiens Ministerpräsident – und noch immer spricht er vom Aufbruch seines Landes. Neulich zum Beispiel bei der sogenannten Leopolda, einem Kongress des Partito Democratico, dessen Chef Renzi ist, in Florenz in einem ehemaligen Bahnhof:
    "Wenn aus Träumen praktisches Handeln wird, dann kommen die Ergebnisse. Das heißt, wenn wir endlich alles geben, kann sich etwas verändern. Das haben wir bei der Wahlrechtsreform gesehen, bei der Verwaltungsreform, wir werden das bei der Verfassungsreform sehen – und bei allem was Vereinfachung in Italien bedeutet."
    Und dann heftete er sich ans Revers, was seine Regierung bisher alles schon geschafft hat. Seiner Meinung nach. Die Wirtschaftszahlen immerhin scheinen für den Regierungschef zu sprechen: erstmals seit 2011 wächst Italiens Wirtschaft wieder, wenn auch nur um magere 0,8 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit drei Jahren nicht, liegt aber immer noch bei 11,5 Prozent – die Jugendarbeitslosigkeit über 40. Matteo Renzi will dennoch Optimismus verbreiten – doch ob die leichte Besserung der Lage zum Beispiel seiner Arbeitsmarktreform geschuldet ist, bei der der Kündigungsschutz gelockert wurde – oder ob das an der weltwirtschaftlichen Lage liegt, ist auch unter Fachleuten umstritten.
    Dabei ist offensichtlich, dass Renzi mit seinen Reformen nicht so schnell vorankommt, wie er einst angekündigt hatte. Die Zeiten, in denen er eine Reform pro Monat angekündigt hat, sind längst vorbei. Aber immerhin: die Wahlrechtsreform ist beschlossen, über die Verfassungsreform soll im Herbst 2016 ein Referendum entscheiden. Renzis Regierung ist Probleme angegangen, über die Jahrzehntelang nur diskutiert wurde, sagen auch Intellektuelle wie der Schriftsteller Umberto Eco:
    "Renzi hat das Verdienst, dass er eine Beschleunigung gebracht hat. Schlecht oder gut – er macht Reformen, die Berlusconi 20 Jahre lang immer nur versprochen aber nicht gemacht hatte. Pessimistisch gesagt: er ist ein notwendiges Übel."
    Und das ist er wohl auch international: mit Matteo Renzi hat Italien in Europa wieder mehr Gewicht bekommen. Er nutzt die europäische Bühne aber vor allem auch, um innenpolitisch Punkte zu sammeln. Gerade, nach dem letzten EU-Gipfel in Brüssel, hat er wieder Breitseiten in Richtung Deutschland abgefeuert. Europa stehe nicht unter dem Kommando von Angela Merkel, hat er gesagt und: man könne von Italien lernen:
    "Italien macht ein ganzes Paket von Reformen. Italien ist dabei, sich zu ändern – und deshalb sagen wir mutig und erhobenen Hauptes, dass die politische Richtung Europas viel mehr in Richtung Wachstum gehen und Arbeitslosigkeit bekämpfen muss. Ein soziales Europa der Werte, und nicht nur eines, dass an technischen, oder bürokratischen Dingen hängt und an automatischer Anwendung von Prinzipien aus einer Zeit, die lange her ist."
    Europa ist für Renzi vor allem dann gut, wenn es darum geht, Solidarität zu fordern – und Verständnis für seine Form der Haushaltsdisziplin, die keine ist. Trotz fast 2,2 Billionen Euro Schulden, einer Quote von über 130 Prozent des Bruttoinlandproduktes, ist mit ihm kein Sparkurs in Sicht: im Gegenteil, gerade hat die Regierung angekündigt, mehr neue Schulden machen zu wollen, als bisher geplant. Mit Investitionen will Matteo Renzi die Wirtschaft ankurbeln – bislang allerdings noch nicht mit durchschlagendem Erfolg.
    Und manches gibt auch seinen Parteifreunden Rätsel auf: so hat seine Regierung vor kurzem die Abschaffung der Grundsteuer auf das erste Haus, die erste Wohnung beschlossen. Auch für Luxusimmobilien. Kosten für den Staat: vier Milliarden Euro. Silvio Berlusconi ließ sich mit den Worten zitieren: er macht mich nach.
    Italiens junger Ministerpräsident muss vor allem noch die dicken Bretter bohren. Bürokratieabbau, Justizreform, Ausbildung von Jugendlichen zum Beispiel. Und dafür braucht selbst Matteo Renzi mehr als eine Legislaturperiode.