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"Das jetzige Gesundheitssystem ist so nicht zukunftsfähig"

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hat echte Reformen der großen Koalition gefordert. Beim Gesundheitswesen bringe es nichts, frisches Geld ins alte System zu pumpen. Bei der Föderalismusreform gebe es viele Punkte, die die FDP für nicht sinnvoll halte. Besonders wichtig sei es, die Verflechtung zwischen Bund und Ländern tatsächlich aufzulösen und den Länderfinanzausgleich neu zu gestalten, betonte Niebel.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Der Druck dürfte enorm sein, in diesen heißen Tagen schnell zu Ergebnissen zu kommen, vor der parlamentarischen Sommerpause. Doch die Meinungsunterschiede etwa bei der Renovierung der Krankenversicherungssysteme sind zwischen Union und SPD immer noch groß. Weshalb sich stressen, dachte sich manch einer in der Union und gab Edmund Stoiber Recht, wir könnten das Projekt auch verschieben.

    Stärkste Oppositionspartei im Deutschen Bundestag ist die FDP. Deren Generalsekretär begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen Dirk Niebel!

    Dirk Niebel: Guten Morgen Frau Klein!

    Klein: Nicht nur CSU-Chef Stoiber kann sich die Verschiebung vorstellen. Einträchtig bei ihm ist in dieser Frage auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, der das vor einer Stunde hier im Deutschlandfunk seinerseits angeregt hat. Sind Sie auch seiner Meinung, die Koalition sollte sich mehr Zeit nehmen, als mit heißer Nadel im Schatten der WM womöglich mit Verlaub Murks zu bauen?

    Niebel: Wir brauchen eine echte Reform des Gesundheitssystems und alles was ich bisher von dieser vermeintlich großen Koalition höre ist ein Draufsatteln mit frischem Geld im alten System. Wenn dies das Ziel sein sollte, dann sollte man das tatsächlich nicht nur verschieben, sondern am besten ganz lassen. Das geht in die falsche Richtung. Wer glaubt ein Gesundheitssystem, in dem 90 Prozent der Bevölkerung drin sind und das nicht funktioniert wird besser, indem man 100 Prozent der Bevölkerung reinzwingt, der irrt sich. Deswegen braucht man einen anderen, einen dritten Weg, wie wir ihn vorgeschlagen haben.

    Klein: Aber dass man mehr und mehr zur Steuerfinanzierung kommen sollte, das wünschen Sie sich doch auch oder nicht?

    Niebel: Es ist doch tatsächlich so, dass im System der gesetzlichen Krankenversicherung offenkundig nichts geändert werden soll, außer dass den Bürgerinnen und Bürgern frisches Geld abgenommen wird, das dann in dieses alte System rein kommt. Wir sind der festen Überzeugung, dass das jetzige Gesundheitssystem so nicht zukunftsfähig ist. Deswegen schlagen wir vor, die gesetzlichen Krankenversicherungen in die Freiheit zu entlassen, sie untereinander und mit den Privaten dem Wettbewerb auszusetzen und mit einer Pflicht zur Versicherung für den Bürger, aber auch einer Pflicht für die Versicherung, den Bürger zu einem Regeltarif aufnehmen zu müssen, ein neues System, einen dritten Weg in einem privaten System zu schaffen.

    Klein: Die Rede ist jetzt inzwischen von 45 Milliarden Euro, die die Umstellung des Versicherungssystems kosten würde. Das ist ja nichts, was man einfach mal irgendwo so hernimmt oder irgendwo mal einspart und das wäre doch bei Ihnen auch der Fall?

    Niebel: Nun ist es tatsächlich so, dass allein ein Mehrwertsteuerpunkt ungefähr acht Milliarden Euro bedeutet. Nachdem Herr Struck am Wochenende ja völlig zu Recht festgestellt hat, dass die Mehrwertsteuererhöhung nicht notwendig gewesen wäre, sondern dass man im System hätte reformieren können, frage ich mich, welche Steuererhöhungen auf die Bürgerinnen und Bürger bei diesen Vorschlägen noch zukommen sollen. Nein, es ist tatsächlich so. Wir brauchen ein neues System im Gesundheitswesen, wo wir Regeltarife mit möglichst vielen privatwirtschaftlichen Elementen, einer Pflicht zur Versicherung und einem Kontrahierungszwang für die Versicherungen anbieten.

    Klein: Dazu wird es nach dem, wie es jetzt aussieht, wohl nicht kommen. Die Frage wäre natürlich, ob Sie, in der Regierung handeln könnend, in der Lage gewesen wären, das mit der Union zum Beispiel durchzusetzen. Wie optimistisch sind Sie denn an der Stelle?

    Niebel: Nachdem die Union im Wahlkampf ja ganz anders gesagt hat als das, was sie jetzt macht, gehe ich davon aus, hätten wir mit der Union regiert, hätten wir sie an ihre Wahlversprechen erinnert. Wir hätten diesen Wahlbetrug nicht mitgemacht.

    Klein: Aber ob es dazu gekommen wäre, das ist jetzt sozusagen Ihre Spekulation?

    Niebel: Hätte, wäre, könnte!

    Klein: Herr Niebel, ein weiteres Thema ist im Moment noch strittig. Das ist die Föderalismusreform und da gibt es im Moment vor allen Dingen Widerstand von Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion. Am Freitag soll abgestimmt werden. Im Moment sind wohl ungefähr 60 Abgeordnete der Meinung, dass man das Projekt so nicht durchwinken könne. Es geht weiterhin um das so genannte Kooperationsverbot, das auch in anderen Bereichen nach Wunsch der SPD-Abgeordneten fallen sollte. Wie wird eigentlich die FDP in dieser Frage entscheiden?

    Niebel: Die FDP wird morgen in der Fraktionssitzung diese Frage entscheiden. Ich kann Ihnen allerdings versichern: es gibt ein großes Maß an Skepsis bei dieser Föderalismusreform innerhalb der Fraktion. Es gibt viele Punkte, die wir in dem jetzigen Paket für nicht sinnvoll halten, mehrheitlich in der Fraktion, aber für uns ist ganz besonders wichtig das angekündigte Versprechen zu einer Reform der Finanzverfassung. Hier ist für uns bisher nicht erkennbar, dass die finanziellen Verflechtungen zwischen Bund und Ländern tatsächlich aufgedröselt werden sollen. Wir sind der festen Überzeugung, dass man an den Länderfinanzausgleich genauso heran muss wie an die Fragen eines Neuverschuldungsverbotes. An diesen Fragestellungen, wie weit hier auch die Glaubwürdigkeit der Regierung gegeben ist, was ihre Versprechen anbetrifft, wird sich die Entscheidung mit Sicherheit festmachen.

    Darüber hinaus erlaube ich mir ganz deutlich festzustellen: Eine vermeintlich große Koalition, die über 73 Prozent der Mandate im Deutschen Bundestag verfügt, muss eine entsprechende Mehrheit alleine auf die Beine stellen und nicht auf die Opposition hoffen.

    Klein: Dennoch ist es ja auch interessant, wie Sie das Projekt sehen. Was denken Sie denn, woran wird sich die Entscheidung der Abgeordneten dann morgen am Ende festmachen?

    Niebel: Ich denke eine wesentliche Frage wird die Reform des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutschland sein. Das ist ein Punkt, der den Liberalen in der Vergangenheit auch schon immer besonders wichtig gewesen ist. Aber es gibt auch viele Punkte in den Details, wo die Fachpolitiker mit den jetzigen Vorschlägen noch nicht zufrieden sind, und die Diskussion wird ergeben, wie sich die Mehrheit der Fraktion entscheidet.

    Klein: Machen Sie denn Ihre Kritik an den gleichen Punkten fest wie die Kollegen aus der SPD?

    Niebel: Teilweise ja, zum Teil auch an anderen Punkten. Das ist ein sehr komplexes, sehr vielschichtiges Reformpaket, das dort vorgelegt worden ist. Die Notwendigkeit einer Föderalismusreform ist in der FDP eindeutig nicht nur anerkannt, sondern wir waren ja auch durch Otto Graf Lambsdorff mit der Friedrich-Naumann-Stiftung Vorreiter bei einem Konzept für eine Reform des föderalen Systems. Also vom Grundsatz her wollen wir das gerne machen, aber wir wollen eine Reform, die auch wirkt.

    Klein: Wenn Sie sagen, die große Koalition müsste dann bitte schön genug Stimmen aufbringen, um dieses Projekt abzusegnen, wenn sie es denn möchte, und solle doch nicht auf die FDP hoffen, aber wie dramatisch wäre es denn, wenn das jetzt nicht durchkommen würde am Freitag?

    Niebel: Es wäre der neuerliche Beleg, dass eine große Koalition nicht groß wird durch die Anzahl der Mandate, die sie hat, sondern durch die Problemlösungskompetenz, die sie tatsächlich im politischen Geschehen entwickelt.

    Klein: Und inhaltlich? Wäre es für Sie problematisch, wenn man sagt, dieses doch recht umstrittene Reformprojekt wird einfach noch mal verschoben auf den Herbst?

    Niebel: Eine Föderalismusreform, die in sich nicht schlüssig ist, löst die Probleme der Bundesrepublik Deutschland nicht. Eine Föderalismusreform, die tatsächlich Neuerungen in den Aufgabenverteilungen bringt, würde die Probleme lösen. Alles was darunter ist sollte man nicht tun.

    Klein: Also Sie können sich gut vorstellen, dass die FDP-Abgeordneten zu der Auffassung kommen, wir stimmen dagegen und versuchen, das zu verhindern, so weit es in unserer Macht steht?

    Niebel: Ich würde das mit Sicherheit nicht ausschließen. Auf jeden Fall ist völlig klar: wenn eine Regierung mit 73 Prozent der Mandate im Deutschen Bundestag es nicht schafft, ein eigenes Reformkonzept auf den Weg zu bringen, ist das ein klassisches Armutszeugnis.

    Klein: Dirk Niebel war das, Generalsekretär der Freien Demokraten. Danke schön für das Gespräch, Herr Niebel, und auf Wiederhören!

    Niebel: Gerne, Frau Klein!