Erstaunlich, wie viele derzeit auf der literarischen Flutwelle zu Karl Marx schwimmen – darunter auch viele Autoren, die sich bislang auf den ersten Blick weder durch einen genuin ökonomischen, noch durch einen politisch-philosophischen Hintergrund ausgezeichnet haben. So auch Terry Eagleton. Ist der Autor des Buches "Warum Marx recht hat" seines Zeichens doch Professor für Englische Literatur und Katholik. Nichts also, was jemanden unbedingt zum Marx-Exegeten prädestinieren würde. Allerdings, so Eagleton:
"Man darf davon ausgehen, dass das kapitalistische System in Schwierigkeiten steckt, wenn selbst wir anfangen, über Kapitalismus zu reden."
Das Interessante an dem Büchlein ist nicht der Inhalt - Neues hat der verschmitzte Brite nicht zu bieten. Die Form, in die der Angelsachse Altbekanntes verpackt, ist zweifelsohne als hervorragend einzustufen: Der Literaturtheoretiker "kann" Sprache; und er versteht sich selbstverständlich auch auf die unterkühlt-bissige Form des britischen Witzes. So beispielsweise, wenn er überlegt, wie ein angemessener Lohn in einer besseren Welt aussähe:
"Es spricht einiges dafür, Menschen, die langweilige, schwere, schmutzige oder gefährliche Arbeit leisten, mehr als beispielsweise Ärzten oder Hochschullehrern zu bezahlen, deren Arbeit weit angenehmer ist. Ein Gutteil dieser schmutzigen und gefährlichen Arbeit könnte vielleicht von ehemaligen Mitgliedern des englischen Königshauses verrichtet werden."
Doch interessanter als Inhalt und Form ist, dass dieses Bändchen von Terry Eagleton seit seinem Erscheinen so erstaunlich viele Leser und Medienschaffende in seinen Bann zu ziehen vermochte. Der Autor verfolgt nämlich, auch nach eigenem Bekunden, lediglich eine einfache Zielsetzung:
"Lesern, die mit Marx Denken nicht vertraut sind, eine klare und verständliche Einführung in sein Werk zu bieten."
Selbst diese bescheidene Zielsetzung stimmt noch nicht einmal: Das Buch bietet nämlich keine Einführung in das Werk von Marx – dazu wären weitaus mehr Quellenarbeit, Systematik, das Nachzeichnen der Marx'schen Entwicklung und die Erörterung vieler nicht berücksichtigter zentraler Aspekte des Werks vonnöten gewesen. Der Band ist vielmehr eine erste Annäherung an die Marx'sche Gedankenwelt.
Also: Warum dieser unglaubliche Erfolg? Allem Anschein nach muss in den vergangenen Dekaden die politisch neo-liberale und ökonomisch neo-klassische Ideologie dermaßen erfolgreich und dominant gewesen sein, dass niemand mehr anderes zu glauben wagte als deren Heilsversprechen vom global-deregulierten Kapitalismus und dem daraus folgenden ewig-steigendem Wohlstand-für-Alle. Nur weil jeder auch noch so kleine Zweifel an den Dogmen der Marktradikalen flächendeckend ausgelöscht wurde, kann offensichtlich jetzt jemand wie Eagleton damit reüssieren, dass er das kleine ABC eines Andersdenkenden wie Marx durchbuchstabiert. Und erklärt, was dieser Geist alles nicht gesagt hat:
"Dieses Buch entspringt einem einzigen bemerkenswerten Gedanken: Was, wenn all die sattsam bekannten Einwände gegen Marx´ Werk falsch sind?"
Das Büchlein von Eagleton ist also, wie so oft, ein marketingmäßiger Etikettenschwindel: Es geht nicht darum: "Warum Marx recht hat" - Wer wollte so etwas auch beurteilen, bevor nicht der Kommunismus globale Wirklichkeit geworden wäre? Es geht vielmehr darum, warum die unzähligen Kritiker von Marx mit ihren mittlerweile zu Gemeinplätzen gewordenen Vorwürfen nicht recht haben. Deshalb vermerkt Eagleton:
"Ich will nicht beweisen, dass Marx' Ideen vollkommen sind, sondern nur zeigen, dass sie plausibel sind. Zu diesem Zweck werde ich ... die zehn geläufigsten Kritikpunkte an Marx aufgreifen ... "
Kurz gefasst lauten diese Kritikpunkte: Marx Analyse sei veraltet, weil sich der Kapitalismus seit dessen Zeiten total verändert habe. Die Theorie sei vielleicht ja gut, aber die darauf folgende Praxis sei katastrophal. Der große Denker habe gemeint, dass die Geschichte vollkommenen gesetzmäßig ablaufen würde. Marx Ideen vom sozialen Miteinander seien völlig utopisch und seine Vorstellungen von der menschlichen Natur seien wirklichkeitsfern. Er reduziere alles auf das Wirtschaftliche. Sein Materialismus habe keinen Sinn für ideelle Aspekte. In unserer heutigen Zeit sei seine Klassentheorie vollkommen überholt. Marx rede der Gewalt das Wort. Zudem fröne er einer Staatsvergötterung. Und seine politischen Überlegungen seien nicht mehr interessant; was sich daran zeige, dass alle jüngeren neuen sozialen Bewegungen außerhalb des Marxismus entstanden sind. Eagleton antwortet darauf:
"Marx glaubte leidenschaftlich an das Individuum und hegte tiefen Argwohn gegen abstrakte Lehren. Er hatte nichts für die Idee einer vollkommenen Gesellschaft übrig, misstraute dem Gleichheitsbegriff und träumte nicht von einer Zukunft, in der wir alle in Overalls mit unserer Sozialversicherungsnummer auf dem Rücken herumlaufen. Auch lehrte er nicht, dass die Menschen das hilflose Spielzeug der Geschichte seien. Er stand dem Staat noch ablehnender gegenüber als rechte Konservative und erwartete vom Sozialismus eine Stärkung und keine Schwächung der Demokratie."
So Eagleton - und noch einiges mehr – bis hin zur bitteren Schluss-Sentenz:
"Ist irgendein Philosoph jemals so entstellt worden?"
Das Buch ist eine hervorragende Annäherung an Marx – Nichts weniger, aber eben auch nicht mehr! Vielleicht braucht unsere Zeit ja Derartiges ... Jedenfalls: Wer so zu schreiben vermag, hat Marx nicht einfach nur gelesen, sondern er hat sich dessen Denken wirklich angeeignet. Was bei Eagleton Vor- und Nachteil zugleich ist: Einige Problemstellungen kommen derart leicht und locker rüber, dass nur noch Experten sie als Knackpunkte zu erkennen vermögen. Zudem sollten die Lesenden stets bedenken, dass manchmal – beispielsweise, wenn sich der Autor über den Menschen als "Gattungswesen" auslässt - viel Terry Eagleton im Buch drinsteckt, wo Karl Marx draufsteht. Trotzdem. Für alle, die mittlerweile mitbekommen haben, dass der real-existiert-habende Sozialismus nicht das alternativlose Ende der linken Geschichte bedeutet haben muss: Absolut lesenswert.
So das Urteil von Rainer Kühn über Terry Eagletons Buch: "Warum Marx recht hat", verlegt von Ullstein auf 286 Seiten, Preis: 18,00 Euro
"Man darf davon ausgehen, dass das kapitalistische System in Schwierigkeiten steckt, wenn selbst wir anfangen, über Kapitalismus zu reden."
Das Interessante an dem Büchlein ist nicht der Inhalt - Neues hat der verschmitzte Brite nicht zu bieten. Die Form, in die der Angelsachse Altbekanntes verpackt, ist zweifelsohne als hervorragend einzustufen: Der Literaturtheoretiker "kann" Sprache; und er versteht sich selbstverständlich auch auf die unterkühlt-bissige Form des britischen Witzes. So beispielsweise, wenn er überlegt, wie ein angemessener Lohn in einer besseren Welt aussähe:
"Es spricht einiges dafür, Menschen, die langweilige, schwere, schmutzige oder gefährliche Arbeit leisten, mehr als beispielsweise Ärzten oder Hochschullehrern zu bezahlen, deren Arbeit weit angenehmer ist. Ein Gutteil dieser schmutzigen und gefährlichen Arbeit könnte vielleicht von ehemaligen Mitgliedern des englischen Königshauses verrichtet werden."
Doch interessanter als Inhalt und Form ist, dass dieses Bändchen von Terry Eagleton seit seinem Erscheinen so erstaunlich viele Leser und Medienschaffende in seinen Bann zu ziehen vermochte. Der Autor verfolgt nämlich, auch nach eigenem Bekunden, lediglich eine einfache Zielsetzung:
"Lesern, die mit Marx Denken nicht vertraut sind, eine klare und verständliche Einführung in sein Werk zu bieten."
Selbst diese bescheidene Zielsetzung stimmt noch nicht einmal: Das Buch bietet nämlich keine Einführung in das Werk von Marx – dazu wären weitaus mehr Quellenarbeit, Systematik, das Nachzeichnen der Marx'schen Entwicklung und die Erörterung vieler nicht berücksichtigter zentraler Aspekte des Werks vonnöten gewesen. Der Band ist vielmehr eine erste Annäherung an die Marx'sche Gedankenwelt.
Also: Warum dieser unglaubliche Erfolg? Allem Anschein nach muss in den vergangenen Dekaden die politisch neo-liberale und ökonomisch neo-klassische Ideologie dermaßen erfolgreich und dominant gewesen sein, dass niemand mehr anderes zu glauben wagte als deren Heilsversprechen vom global-deregulierten Kapitalismus und dem daraus folgenden ewig-steigendem Wohlstand-für-Alle. Nur weil jeder auch noch so kleine Zweifel an den Dogmen der Marktradikalen flächendeckend ausgelöscht wurde, kann offensichtlich jetzt jemand wie Eagleton damit reüssieren, dass er das kleine ABC eines Andersdenkenden wie Marx durchbuchstabiert. Und erklärt, was dieser Geist alles nicht gesagt hat:
"Dieses Buch entspringt einem einzigen bemerkenswerten Gedanken: Was, wenn all die sattsam bekannten Einwände gegen Marx´ Werk falsch sind?"
Das Büchlein von Eagleton ist also, wie so oft, ein marketingmäßiger Etikettenschwindel: Es geht nicht darum: "Warum Marx recht hat" - Wer wollte so etwas auch beurteilen, bevor nicht der Kommunismus globale Wirklichkeit geworden wäre? Es geht vielmehr darum, warum die unzähligen Kritiker von Marx mit ihren mittlerweile zu Gemeinplätzen gewordenen Vorwürfen nicht recht haben. Deshalb vermerkt Eagleton:
"Ich will nicht beweisen, dass Marx' Ideen vollkommen sind, sondern nur zeigen, dass sie plausibel sind. Zu diesem Zweck werde ich ... die zehn geläufigsten Kritikpunkte an Marx aufgreifen ... "
Kurz gefasst lauten diese Kritikpunkte: Marx Analyse sei veraltet, weil sich der Kapitalismus seit dessen Zeiten total verändert habe. Die Theorie sei vielleicht ja gut, aber die darauf folgende Praxis sei katastrophal. Der große Denker habe gemeint, dass die Geschichte vollkommenen gesetzmäßig ablaufen würde. Marx Ideen vom sozialen Miteinander seien völlig utopisch und seine Vorstellungen von der menschlichen Natur seien wirklichkeitsfern. Er reduziere alles auf das Wirtschaftliche. Sein Materialismus habe keinen Sinn für ideelle Aspekte. In unserer heutigen Zeit sei seine Klassentheorie vollkommen überholt. Marx rede der Gewalt das Wort. Zudem fröne er einer Staatsvergötterung. Und seine politischen Überlegungen seien nicht mehr interessant; was sich daran zeige, dass alle jüngeren neuen sozialen Bewegungen außerhalb des Marxismus entstanden sind. Eagleton antwortet darauf:
"Marx glaubte leidenschaftlich an das Individuum und hegte tiefen Argwohn gegen abstrakte Lehren. Er hatte nichts für die Idee einer vollkommenen Gesellschaft übrig, misstraute dem Gleichheitsbegriff und träumte nicht von einer Zukunft, in der wir alle in Overalls mit unserer Sozialversicherungsnummer auf dem Rücken herumlaufen. Auch lehrte er nicht, dass die Menschen das hilflose Spielzeug der Geschichte seien. Er stand dem Staat noch ablehnender gegenüber als rechte Konservative und erwartete vom Sozialismus eine Stärkung und keine Schwächung der Demokratie."
So Eagleton - und noch einiges mehr – bis hin zur bitteren Schluss-Sentenz:
"Ist irgendein Philosoph jemals so entstellt worden?"
Das Buch ist eine hervorragende Annäherung an Marx – Nichts weniger, aber eben auch nicht mehr! Vielleicht braucht unsere Zeit ja Derartiges ... Jedenfalls: Wer so zu schreiben vermag, hat Marx nicht einfach nur gelesen, sondern er hat sich dessen Denken wirklich angeeignet. Was bei Eagleton Vor- und Nachteil zugleich ist: Einige Problemstellungen kommen derart leicht und locker rüber, dass nur noch Experten sie als Knackpunkte zu erkennen vermögen. Zudem sollten die Lesenden stets bedenken, dass manchmal – beispielsweise, wenn sich der Autor über den Menschen als "Gattungswesen" auslässt - viel Terry Eagleton im Buch drinsteckt, wo Karl Marx draufsteht. Trotzdem. Für alle, die mittlerweile mitbekommen haben, dass der real-existiert-habende Sozialismus nicht das alternativlose Ende der linken Geschichte bedeutet haben muss: Absolut lesenswert.
So das Urteil von Rainer Kühn über Terry Eagletons Buch: "Warum Marx recht hat", verlegt von Ullstein auf 286 Seiten, Preis: 18,00 Euro
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