"Ich bin Christian de Chergé, 59 Jahre alt, Trappist und Prior des Klosters von Tibhirine in Algerien. Sechs weitere Mönche und ich sind Geiseln der Gruppe 'Djamaat El Islamiya'. Unsere Entführer fordern die französische Regierung auf, einige Gefangene zu entlassen, die zu ihnen gehören. Das ist eine Voraussetzung für unsere Freilassung … Ansonsten werden wir nicht zurückkehren."
Diese Botschaft, die im April 1996 auf einer Ton-Kassette den französischen Geheimdienst erreichte, ist das letzte Lebenszeichen der sieben Trappisten. Ihr Kloster war während des algerischen Bürgerkriegs zwischen die Fronten der Armee und aufständischer Rebellen geraten. Trotz Warnungen waren die Mönche vor Ort geblieben, um der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Daraufhin hatte man sie am 27. März 1996 entführt.
Der preisgekrönte Spielfilm "Des Hommes et des Dieux" - "Von Menschen und Göttern" - hat das Schicksal der Trappisten einfühlsam ins Bild gesetzt. Am Ende lässt Regisseur Xavier Beauvois die Mönche mit ihren muslimischen Bewachern im winterlichen Nebel des algerischen Berglands verschwinden.
Zwei Monate nach der Entführung, am 21. Mai 1996, wird im Namen der extremistischen 'Djamaat El Islamiya' folgende Nachricht veröffentlicht:
"Wir haben der französischen Botschaft Verhandlungen angeboten und gedroht, im Falle ihres Scheiterns die sieben französischen Mönche zu enthaupten … Zunächst erhielten wir positive Antwort. Doch dann kündigte Frankreichs Präsident an, dass es keine Verhandlungen mit der "Djamaat El Islamiya" geben werde. Somit haben wir unsere Drohung wahr gemacht."
Als kurz darauf der General-Prokurator des Trappisten-Ordens, Armand Veilleux aus Rom, Algier erreicht, zeigen ihm die Behörden die sieben Köpfe der Ermordeten.
"Schuld hat weder der Islam noch das algerische Volk"
Wie konnte es zu der Katastrophe kommen? Da algerische und französische Institutionen zu den Vorgängen schweigen, regt Armand Veilleux 2003 in Frankreich ein Untersuchungsverfahren an. Sein Ausgang ist bisher offen. Armand Veilleux sagt:
"Wir Trappisten haben das auch aus Solidarität mit dem algerischen Volk getan. Dieser Bürgerkrieg forderte in den 90er Jahren mehr als 100.000 Opfer. Nur sieben waren Mitglieder unseres Ordens. Bis heute warten die meisten Algerier vergeblich auf Informationen über den Verbleib ihrer Angehörigen. Aufklärung tut Not, damit das Land Frieden findet. Vor allem aber haben Christian de Chergé und die anderen Mönche nie gewollt, dass man die Schuld an ihrem Tod dem algerischen Volk oder dem Islam zuschiebt. Sie machten für das Blutvergießen im Land stets schmutzige politische Gründe verantwortlich."
Christian de Chergé kannte und liebte Algerien seit seiner Kindheit. Als das nordafrikanische Land um seine Unabhängigkeit kämpfte, absolvierte der junge Theologiestudent Christian dort 1960 seinen Militärdienst. Er sah das Unrecht der Besatzung, suchte in seiner Freizeit den Kontakt zur Bevölkerung und begegnete tief gläubigen Muslimen wie dem einfachen Soldaten Mohammed:
"Mohammed half mir in dieser schwierigen Zeit durch seine solide Spiritualität, meinen eigenen Glauben zu vertiefen. Zwischen uns wuchs eine aufrichtige Freundschaft mit ernsthaften Gesprächen, in deren Mittelpunkt die Frage nach dem Willen Gottes stand."
Als Christian eines Tages von algerischen Aufständischen bedroht wird, rettet Mohammed dem jungen Freund entschlossen das Leben - und wird aus Rache am nächsten Tag selbst ermordet. Das Erlebnis prägt Christian:
"Das Blut meines Freundes Mohammed, der nicht mit dem Hass paktieren wollte und dafür getötet wurde, ließ mich erkennen, dass meine eigene, christliche Berufung in jenem Land gelebt werden sollte, in dem ich diese selbstlose Liebe erfahren hatte."
1962 wurde Algerien unabhängig. 1971 kehrte Christian als Trappist in das Land zurück und schloss sich in dem Gebirgsort Tibhirine dem Kloster Notre-Dame de l'Atlas an, in dem seit 1938 französische Trappisten lebten.
In der Gemeinschaft, deren Prior er später wurde, lernte Christian erfahrene Mönche kennen, die seit Jahren den Austausch mit dem Islam suchten. Zu ihnen gehörte der Luxemburger Jean Pierre Schumacher:
"Als ich 1964 nach Tibhirine kam, arbeitete das Zweite Vatikanische Konzil in Rom gerade an dem Dokument "Nostra Aetate", das eine Öffnung der katholischen Kirche gegenüber den nichtchristlichen Religionen vorsah. Ich war fasziniert von der Idee, eine neue Beziehung zu den Muslimen aufzubauen! Aber wir Trappisten wussten zunächst gar nicht, wie das möglich sein sollte. Wir lebten in strenger Klausur und hatten gelobt, zu schweigen. Nur langsam gelang es uns, mit unseren algerischen Nachbarn in Kontakt zu kommen."
"Stimmen des Teufels"
Beide Seiten mussten zahllose Vorurteile überwinden, erinnert sich der heute 91-jährige Jean-Pierre: Waren doch in den Augen der meisten Europäer Muslime damals "Ungläubige", die man zu bekehren hatte. Und umgekehrt galt das Gleiche:
"Die Glocken der Christen nannten viele Algerier "Stimmen des Teufels". Denn aus ihrer Sicht waren wir Vertreter der Kolonialmacht, die ihr Land "gestohlen" hatte. Unsere Gebete betrachteten sie als wertlos. All das änderte sich nur langsam. Als etwa die Bevölkerung in Tibhirine eine Moschee brauchte und kein Geld für einen Neubau hatte, stellten wir ihnen einen Raum unseres Klosters zur Verfügung. Wir Mönche haben uns dann immer öfter ihrem Gebet angeschlossen und sie - vor allem die Jugendlichen - wurden neugierig auf unser Gebet. Schließlich waren unsere Glocken nicht mehr Stimmen des Teufels, sondern wechselten sich mit dem Muezzin ab und regelten den Tagesablauf."
Es sei nicht zuletzt dem Einfluss des studierten Theologen und Islamwissenschaftlers Christian de Chergé zu verdanken, meint Jean-Pierre, dass die Gemeinschaft von Tibhirine auch noch weitere Schritte wagte:
"1979 begann unser Kontakt zu den algerischen Sufi. Mit den muslimischen Mystikern bildeten wir die Vereinigung "Ribat el Salam", "das Band des Friedens". Wir trafen uns alle sechs Monate und beschlossen, keine theologischen Fragen zu diskutieren, um Streit zu vermeiden. Stattdessen sprachen wir über unsere Beziehung zu Gott und unseren Weg mit Gott. Schließlich wurden gemeinsame Gebetsstunden möglich: Wir zündeten in unserer Mitte eine Kerze an, als Symbol für die Gegenwart Gottes unter uns. Dann betete jeder still für sich, eine halbe Stunde lang. Und am Ende haben wir ein Meditationswort ausgetauscht, das uns in den kommenden Monaten begleiteten und verbinden sollte."
Zugleich gründeten die Mönche mit ihren muslimischen Nachbarn eine kleine aber erfolgreiche landwirtschaftliche Kooperative. Nach und nach, so der Trappist, habe man immer mehr Vertrauen und Verständnis füreinander entwickelt:
"Ich habe unter den Muslimen wunderschöne, vorbildliche Formen der Nächstenliebe und der Hingabe an Gott kennengelernt. Wir haben unseren Freunden damals oft gesagt: "Wir werden durch Euch bessere Christen und ihr durch uns bessere Muslime." Es geht im Dialog der Religionen nicht darum, den anderen zum eigenen Glauben zu bekehren, sondern mit Hilfe des Geistes gemeinsam zu lernen und für den Frieden in der Welt zu arbeiten."
Während in Tibhirine Frieden und Freundschaft wuchsen, bahnte sich in Algier eine verheerende Entwicklung an.
Die Armee, die 1965 nach einem Putsch die Macht übernommen hatte, regierte zunehmend willkürlich. Die sozialen Spannungen eskalierten. 1988 kam es zu heftigen Protesten und Ausschreitungen. 1991 stimmte die Militärregierung demokratischen Wahlen zu.
Doch als sich dabei ein Sieg der "Islamischen Heils-Partei", der "Front Islamique du Salut", abzeichnete, griff die Armee abermals gewaltsam ein. Armand Veilleux erinnert sich:
"Einige korrupte Generäle wollten die Macht und das Öl Algeriens nicht teilen. Der Bürgerkrieg, der daraufhin ausbrach, war ein Krieg der Armee gegen ihr eigenes Volk. Die Islamische Partei, die damals gegen die Korruption eintrat und deshalb vom Volk gewählte wurde, war zunächst keineswegs radikal. Sie war sogar sehr demokratisch und hatte die Jugend hinter sich. Aber die intellektuellen Führer der Partei wurden vom Militär bald ausgeschaltet und ihre Anhänger gezielt radikalisiert, damit man einen Grund hatte, sie zu bekämpfen."
Die Mitglieder der Islamischen Partei flüchteten daraufhin in den Untergrund. Immer mehr Terroranschläge erschütterten das Land. Doch in vielen Fällen, so Armand Veilleux, sei bis heute nicht geklärt, ob die Attentate im Auftrag der Rebellen oder auf Befehl der Armee ausgeführt wurden. Der gnadenlose Kampf zwischen beiden Gruppen erfasste schließlich ganz Algerien. Armand Veilleux sagt:
"Im September 1993 wurden alle Ausländer aufgefordert, das Land zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Kurz darauf ermordeten Extremisten bei Tibhirine eine Gruppe christlicher Arbeiter aus Kroatien, die mit den Trappisten befreundet waren."
Der Weihnachtsabend – eine Schlüsselszene
Die wachsende Gefahr ist in Notre Dame de l'Atlas hautnah zu spüren. Die Mönche stehen vor der Alternative, ihre algerischen Freunde zu verlassen oder ihr eigenes Leben täglich neu zu riskieren. Der Spielfilm "Von Menschen und Göttern" macht das Ringen um diese Entscheidung zum zentralen Thema. Dabei wird der Weihnachtsabend 1993 zu einer Schlüsselszene.
Eine Gruppe der islamistischen Rebellen mit ihrem Anführer Emir Sayah dringt in das Kloster von Tibhirine ein. Sie will Medikamente für Verwundete und den Arzt Luc Dochier mitnehmen, der in der kleinen Krankenstation des Klosters selbstlos die Dorfbevölkerung versorgt. Christian de Chergé verhandelt als Prior mit den Rebellen und stellt klar, dass Luc das Kloster zwar nicht verlassen, aber hier jeden Verletzten behandeln werde.
Im Film - wie auch in der Wirklichkeit - reicht der Emir Christian zum Abschied seine Hand. Dieser zögert, erwidert die Geste aber schließlich. Und als er die Eindringlinge darauf hinweist, dass sie am "Fest der Geburt Jesu" gestört haben, hören die Mönche zu ihrer größten Überraschung eine Entschuldigung:
"Pardon, je ne savais pas - Entschuldigung, das wusste ich nicht …"
Für weitere drei Jahre bleibt Notre Dame de l 'Altas ein Ort des Friedens zwischen den Fronten. Doch der Bürgerkrieg eskaliert, und die wenigen in Algerien verbliebenen Christen werden immer öfter Opfer tödlicher Anschläge. Der Arzt Luc schreibt 1995 in sein Tagebuch:
"Das Kloster ist eine vom Sturm umtoste Insel. Wir halten durch. Gott will nicht das Unglück. Er ist unter den Opfern. Wir können als Menschen nur bestehen bleiben, wenn wir ein Ebenbild seiner Liebe werden."
Diese Einstellung gibt den Mönchen die Kraft, weiter zu machen. Armand Veilleux, der auf Christians Bitte im Januar 1996 aus Rom zur Beratung nach Tibhirine reist, kommentiert:
"Der Aufenthalt war beeindruckend, denn ich hatte noch nie eine Klostergemeinschaft erlebt, die so eng verbunden war, wie diese. Sie wussten um die Gefahr. Sie waren keine Verrückten, niemand von ihnen wollte sterben. Aber sie wollten die Menschen in Not, die sie lieb gewonnen hatten, nicht im Stich lassen."
Mystische Begegnung
Die Begegnung zwischen Christentum und Islam sei in dieser Zeit für sie alle zu einer mystischen Erfahrung geworden, meint der heute 91-jährige Mönch Jean Pierre, zu einer Form der Begegnung mit Gott:
"Zunächst waren wir in Tibhirine alle unsicher, was wir tun sollten. Aber im Lauf der Jahre sind wir uns wirklich klar darüber geworden, dass es Gottes Ruf war, der an uns erging."
Als die Entführer in der Nacht zum 27. März 1996 über den Garten ins Kloster eindrangen, um sieben Mönche zu kidnappen, schlief Jean Pierre nicht in seinem Zimmer, sondern im Pförtnerhäuschen. Dadurch wurde er von den Angreifern praktisch übersehen:
"Ich bin dann durch einige Stimmen aufgewacht und dachte: offenbar suchen sie wieder Mal den Doktor oder brauchen Medikamente. Ich konnte sie nicht sehen, hörte nur die Stimmen, auch die von Christian. Da sagte ich mir: Okay, er ist offenbar früher aufgewacht als ich und kümmert sich um die Sache. Dann wurde es wieder still. Ich meinte, alles sei in Ordnung und wollte weiter schlafen, aber plötzlich klopfte jemand an die Tür …"
Es war Amedee, der zweite Trappist, der wie durch ein Wunder verschont blieb. Er berichtete Jean-Pierre, was geschehen war.
Zwei Monate später erschütterte die Nachricht von der Ermordung der sieben entführten Trappisten ganz Algerien. Bei der Trauerfeier in Tibhirine sah man Muslime und Christen vereint.
Jean Pierre: "Danach wurde beschlossen, dass Amedee in Algerien bleiben sollte, um ein Auge auf das Kloster von Tibhirine zu werfen. Und ich sollte in Marokko, in Fez, wo bereits einige Trappisten lebten, eine neue Gemeinschaft aufbauen. Der Bischof von Algier sagte mir damals: 'Notre Dame de l'Atlas wird weiter leben, aber von jetzt an in Marokko!'"
Im Jahr 2000 übersiedelte Jean Pierre mit den anderen Trappisten von Fez in den marokkanischen Teil des Atlasgebirges nach Midelt. Wenig später übernahm sein jüngerer Mitbruder Jean Pierre Flacheur die Leitung der kleinen Gemeinschaft:
"Zu unserem Kloster gehören heute fünf Mönche, und wir bewegen uns hier in Midelt wie einst in Tibhirine mitten im Islam. Die Marokkaner sind sehr gastfreundlich und aufgeschlossen. Wir erhalten viele Einladungen muslimischer Familien und nehmen an ihren religiösen Festen teil. Außerdem organisieren wir Begegnungen zwischen Christen und Muslimen in unserem Kloster. Die Familien des Ortes und sogar die Imame kommen dann zu uns: Wir sprechen Dank-Gebete, essen und feiern zusammen."
Die muslimischen Angestellten der Mönche durften inzwischen innerhalb des Klosters einen Raum als Moschee für ihre Gebetsstunden einrichten. Eine kleine Krankenstation, zu der arme Nomadenfamilien kommen, liegt oberhalb des Klosters in den Bergen und wird von franziskanischen Krankenschwestern betreut.
Ein Ort des Friedens
Der Geist von Notre Dame de l'Atlas bleibe durch all dies lebendig, sagt der 91-jährige Jean Pierre Schumacher und verweist auf eine Kapelle im Eingangsbereich des Klosters: In ihr werden Bilder der sieben Verstorbenen aufbewahrt und ein Testament, das Christian de Chergé bereits 1994 verfasste:
"Wenn es eines Tages geschehen sollte - und das könnte heute sein - dass ich ein Opfer des Terrorismus werde, möchte ich … so viel ruhige Klarheit haben, dass ich dem aus ganzem Herzen vergeben kann, der mich töten wird."
Ganz in diesem Sinn sei Notre Dame de l'Atlas ein Ort des Friedens, betonen die Trappisten. Und sie hoffen, dass die algerischen Behörden ihnen irgendwann auch wieder erlauben werden, im Kloster von Tibhirine eine neue Gemeinschaft aufzubauen. Die Aufklärung der Vorgänge von 1996, die bis heute aussteht, könnte ein Schritt in diese Richtung sein, überlegt Armand Veilleux.
"Die Mönche waren damals Zeugen von viel Gewalt auf allen Seiten, sie wussten zu viel, hatten positive Kontakte zur Bevölkerung und sogar zu den Rebellen. All das war der Armee ein Dorn im Auge. Wir vermuten deshalb, dass unsere Mitbrüder damals von einer Gruppe gekidnappt wurden, die der Algerische Geheimdienst geschickt hatte, um sie nach einiger Zeit in ein Flugzeug nach Frankreich zu setzen und loszuwerden. Aber dann lief offenbar einiges schief. Wie auch immer: Wir sind sicher, dass diese Trappisten nicht aus religiösen sondern aus politischen Motiven getötet wurden, und wir hoffen sehr, dass diese Wahrheit irgendwann ans Licht kommt."