Als vor knapp eineinhalb Jahren einige große gesetzliche Krankenkassen zu einer Pressekonferenz nach Berlin einluden, machten sie es ausgesprochen spannend. Dass wichtige Dinge bekannt gegeben werden sollten, hieß es vorab, aber um was es im Einzelnen gehen würde, stand nicht in der Einladung. Als es dann so weit war, sprach der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Angestellten Krankenkasse, Herbert Rebscher, von einem bis dahin einzigartigen Tabubruch:
"Hier sind Leute, die das Tabu brechen, den Systemumstieg wirklich anzugehen."
Systemumstieg, das bedeutete: Die DAK, die KKH Allianz und die Deutsche BKK gaben als erste große Kassen bekannt, dass sie von ihren Versicherten nicht mehr nur einen bestimmten Prozentsatz vom Monatslohn einfordern. Vielmehr kündigten sie erstmals an, einen Zusatzbeitrag zu erheben, der für alle Versicherten gleich hoch ist:
"Ich werde unserem Verwaltungsrat empfehlen, acht Euro zu nehmen, und zwar pauschal und nicht prozentual."
Acht Euro Zusatzbeitrag klang für viele erst einmal nicht spektakulär – doch die Kassen beendeten damit ein Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, das 125 Jahre lang gegolten hatte: Das Prinzip, dass derjenige, der mehr verdient, auch einen höheren Beitrag zahlt. Wer beispielsweise 3000 Euro im Monat überwiesen bekommt, zahlt doppelt so viel wie derjenige, der 1500 Euro verdient, das war bis dahin eine Grundregel der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Zusatzbeitrag ist nun unabhängig vom Einkommen.
Von der bisherigen Grundregel Abschied zu nehmen, fiel den Kassen-Chefs nicht leicht, betonte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen BKK, Achim Kolanoski:
"Sie können davon ausgehen, dass die Erhebung eines Zusatzbeitrages keinem Kassenvorstand Spaß macht. Aber es gibt einfach Notwendigkeiten, denen man sich stellen muss."
Die Notwendigkeiten, denen sich DAK, KKH Allianz und Deutsche BKK stellen mussten, hatte die Bundesregierung festgelegt. Die Regierungskoalition hatte dafür gesorgt, dass alle Kassen für die Versorgung ihrer Versicherten die gleiche Summe zugewiesen bekommen – aufgeschlüsselt nach Altersklassen und verschiedenen Krankheitsarten. Wenn eine Kasse mit diesem Geld nicht auskommt, muss sie einen Zusatzbeitrag erheben.
Und wenn auch der Zusatzbeitrag nicht reicht, dann geschieht das, was der Vorstandschef der City BKK, Oliver Reken, vor einigen Wochen erleben musste. Er erhielt die Mitteilung, dass seine Kasse mit rund 160.000 Versicherten zum ersten Juli dieses Jahres zwangsweise geschlossen wird.
"Es ist ein ganz besonderes Gefühl, wenn der Schließungsbescheid einem in Händen liegt."
Dass eine Kasse von der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Bundesversicherungsamt, geschlossen wird, ist ebenfalls einzigartig in der jüngeren Geschichte der deutschen Sozialversicherung. Der Grund dafür, dass die City BKK dieses Schicksal getroffen hat, ist nach Ansicht ihres Vorstandschefs eine Art Teufelskreis, in den seine Kasse geraten sei.
So leben die meisten Versicherten der City BKK aus historischen Gründen in drei großen Städten, nämlich Hamburg, Berlin und Stuttgart. In Großstädten gibt es mehr Ärzte und Krankenhäuser. Das wiederum führe dazu, dass Patienten öfter zum Arzt gingen und öfter weiter überwiesen würden, erklärt der Leiter des Münchner Instituts für Gesundheitsökonomik, Professor Günter Neubauer:
"Hoch und gut versorgt heißt aber auch: Höhere Ausgaben als deutschlandweiter Durchschnitt, und dann kommt es dazu, dass so eine Kasse mit den Zuweisungen aus dem Fonds nicht auskommt."
Verstärkt wurde dieser Effekt bei der City BKK durch die Zusammensetzung ihrer Kundschaft, erklärt der Kassenchef Oliver Reken:
"Versicherte der City BKK sind vor allem ältere Menschen und natürlich auch kränkere Menschen, und damit tritt nicht unbedingt ein Ausgleich der Zahlungen so ein, wie man ihn als Krankenkasse in diesen Regionen benötigen würde."
Fatal war es für die City BKK vor allem, dass sie irgendwann nicht mehr anders konnte, als die Versicherten zu vertreiben, die nicht so viele Leistungen in Anspruch nehmen.
Denn die Erfahrung zeigt, dass vor allem gesunde und gut verdienende Mitglieder eine Kasse verlassen, wenn die ihre Preise erhöht. Als die City BKK zunächst acht Euro verlangte, blieben ihr die meisten Versicherten noch treu. Als sie dann aber noch einmal mehr verlangen musste, setzte ein Exodus ein, der die Kasse in die Pleite trieb:
"Mit der Erhöhung des Zusatzbeitrages dann auf 15 Euro haben uns mehr Kunden verlassen. Das ist der höchste Zusatzbeitrag gewesen, der bisher erhoben wurde. Und die Entwicklung hatten wir so nicht erwartet."
Die City BKK wurde also das erste Opfer eines Preiswettbewerbs, den die Bundesregierung ausdrücklich wünscht. Als sie das Instrument der Zusatzbeiträge einführte, lautete die Devise: Die Preisunterschiede zwischen den Krankenkassen sollen deutlicher spürbar werden, als es bis dahin der Fall war.
Wenn eine Kasse beispielsweise 15,7 Prozent vom Gehaltskonto eines Versicherten abbuchen lässt, statt vorher 15,5 Prozent, dann merkt das der Versicherte kaum. Wenn die Kasse aber einen festen Betrag in Euro und Cent direkt bei den Mitgliedern eintreibt, dann reagieren die weit empfindlicher, so lautete das Kalkül, das der frühere Gesundheits-Staatssekretär Stefan Kapferer so erklärt:
"Selbstverständlich wollen wir in Zukunft, dass Versicherte aufgrund dieses Preissignals entscheiden, dass die Kasse X möglicherweise um fünf Euro billiger ist als die Kasse Y und sie deswegen wechseln. Oder dass sie sagen, die Kasse Y bietet mir einen besseren Service als die Kasse X, und das ist mir fünf Euro mehr wert."
Als die Bundesregierung die Weichen in Richtung deutlich steigende Zusatzbeiträge stellte, galt noch die Devise, dass schon im Jahr 2010 die Mehrheit der Kassen zusätzliches Geld von ihren Versicherten hätte eintreiben müssen. Das allerdings ist ausgeblieben. Die DAK, die KKH Allianz und die Deutsche BKK haben nach ihrem Tabubruch kaum Nachahmer gefunden. Professor Günter Neubauer vom Münchner Institut für Gesundheitsökonomik hat dafür eine Erklärung:
"Weil nicht absehbar war, dass der Gesetzgeber den Beitragssatz für alle von 14,9 auf 15,5 anhebt und gleichzeitig ein Kostendämpfungsgesetz durchführt, das noch einmal etwa vier bis fünf Milliarden Ausgabenreduktion bedeutet. Wäre beides nicht eingetreten, hätten bis zum Jahresende 80 Prozent einen Zusatzbeitrag gebraucht, das kann man aus heutiger Sicht sagen. Aber 2013 wiederum werden viele Kassen vor der Frage stehen, Zusatzbeitrag ja oder nein."
Zunächst hat die Politik vielen gesetzlichen Kassen also einen gewissen finanziellen Spielraum verschafft. Dass der aber bald ausgeschöpft sein dürfte, glaubt auch Fritz Schösser, der Verwaltungsratsvorsitzende der AOK Bayern:
"Der Zusatzbeitrag ist etwas, das so sicher kommt wie das Amen beim Gebet. Die Politik hat den Gesundheitsfonds so gestaltet, dass alle Kassen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung einen Zusatzbeitrag verlangen müssen. Ob das 2012, 2013 oder 2014 so weit ist, hängt davon ab, wie die Risikostruktur der einzelnen Kassen ist, und zwar in Bezug auf: Habe ich mehr Gesündere oder habe ich viele Kranke."
Wie lange die AOK Bayern als bundesweit viertgrößte Kasse ohne Zusatzbeitrag auskommt, da will sich Fritz Schösser nicht festlegen. Aber er macht klar: Auch seine Kasse zögert diesen Zeitpunkt so weit wie möglich hinaus.
"Wir werden alles tun, um unsere Versicherten vom Zusatzbeitrag so lange zu schonen, wie es geht. Und wir sind guten Mutes, dass wir das noch eine ganze Reihe von Monaten durchstehen und sicher keinen Zusatzbeitrag früher erheben, als die meisten anderen Kassen."
Was für die Versicherten wie eine gute Botschaft klingen mag, hören viele Ärzte und Klinik-Chefs mit gemischten Gefühlen. Siegfried Hasenbein vom Präsidium der Deutschen Krankenhausgesellschaft stellt fest, dass die Kassen ihr Verhalten verändert haben, wenn es darum geht auszuhandeln, wie viel Geld die Kliniken bekommen:
"Es ist zweifellos so, dass die Verhandlungen härter geworden sind, dass das Verhandlungsgeschäft schwieriger geworden ist. Weil die Krankenkassen ein Schreckgespenst im Nacken haben, und deren Tun hauptsächlich, ich möchte sagen ausschließlich, darauf ausgerichtet ist, den Zusatzbeitrag zu vermeiden."
Hasenbein ist zwar seit vielen Jahren daran gewöhnt, dass um die Finanzierung der Krankenhäuser hart gerungen werden muss. Aber seitdem bei den Kassenchefs die Angst vor dem Zusatzbeitrag umgeht, sei eine neue Zeit angebrochen, sagt er:
"Nach meiner Beobachtung und Einschätzung hat das eine andere Qualität."
Aber nicht nur Kliniken beklagen eine neue Knauserigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch beispielsweise der Hausärzteverband wirft den Kassen vor, dass sie besser dotierte Hausarztverträge verweigerten, weil sie sich vor Zusatzbeiträgen fürchteten.
Und Oliver Reken von der City BKK steht ganz offen dazu, dass seine Kasse mit allen Mitteln versucht hat, ihren Zusatzbeitrag so niedrig wie möglich zu halten – wenn sie ihn schon nicht ganz vermeiden konnte. Dass die Kasse jetzt trotzdem schließen muss, habe jedenfalls nichts mit schlechtem Wirtschaften zu tun, sagt er:
"Ich vermute, dass bei einigen Leistungserbringern die Sektflaschen geöffnet wurden, als bekannt wurde, dass es die City-BKK nicht mehr gibt. Ich glaube, das Kostenmanagement im Leistungsbereich, das die City BKK erbracht hat, kann als vorbildlich gelten. Wir achten genau darauf, welche Leistungen abgerechnet werden und ob die Versorgung beispielsweise mit Hilfsmitteln durch andere Vertragspartner kostengünstiger sein kann. Von einem Miss-Management kann man da nicht sprechen."
Das Schicksal der City BKK gilt in den Vorstandsetagen anderer Krankenkassen als der schlimmste denkbare Fall. Um zu verhindern, dass eine Kasse überhaupt in Schieflage gerät, gilt als bester Weg bisher der Zusammenschluss mit einer anderen Kasse. So haben die Vereinigte IKK und die IKK Classic angekündigt, dass sie fusionieren werden. Über den endgültigen Beschluss soll am 5. und 6. Juli noch einmal beraten werden.
Vorher waren bei der Vereinigten IKK Finanzprobleme bekannt geworden, die die Kasse gezwungen hätten, von ihren rund 1,7 Millionen Versicherten einen Zusatzbeitrag zu verlangen. Nach dem Zusammenschluss mit der etwa gleich großen IKK Classic soll dieser Zusatzbeitrag jetzt mindestens eineinhalb Jahre lang nicht nötig sein. Der Münchner Gesundheitsökonom Günter Neubauer hat Zweifel, ob diese Rechnung aufgeht:
"Das ist so, als wenn zwei Nichtschwimmer sich die Hand geben und sagen, jetzt können wir schwimmen. Aber es ist so: Wenn die Kassen zusammengehen, haben sie einen begrenzten Rationalisierungseffekt, sie können Verwaltungsstrukturen, Betreuungseinrichtungen wie Außenstellen zusammenlegen, das macht sicher Einsparungen möglich. Aber das Grundsätzliche ist: Sie werden einen Zusatzbeitrag brauchen."
Fusionen gelten unter den gesetzlichen Krankenkassen als das Mittel der Wahl, um im Verdrängungswettbewerb einen geordneten Rückzug anzutreten – und nicht Pleite zu gehen. Vor 20 Jahren gab es noch mehr als 1200 gesetzliche Kassen in Deutschland, inzwischen sind es nur noch rund 150. Daher werden die Fusionspartner immer größer.
Aus der IKK Classic und der Vereinigten IKK beispielsweise entsteht eine neue Groß-Kasse: In der bundesweiten Zählung wird sie den sechsten Platz einnehmen, mit 3,6 Millionen Versicherten und einem Haushaltsvolumen von mehr als 8 Milliarden Euro. Mit etwas Unbehagen sieht allerdings Siegfried Hasenbein von der Deutschen Krankenhausgesellschaft die immer neuen Berichte über Kassenfusionen.
"Wenn wir nur noch wenige, große Krankenkassen haben, dann haben wir natürlich auch Verhandlungspartner, insbesondere auch für unsere Krankenhäuser in der Region, Verhandlungspartner mit einer großen Marktmacht, die auch Bedingungen diktieren können."
Die größere Marktmacht einzelner gesetzlicher Kassen führt in der Folge aber auch dazu, dass Ärzte und Krankenhäuser stärker auf andere Einkunftsquellen setzen. Viele Ärzte mit eigener Praxis vermarkten immer mehr sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen, also Angebote, für die die gesetzlichen Kassen nicht aufkommen, und die die Versicherten aus der eigenen Tasche bezahlen.
Gleichzeitig beklagen die Privaten Krankenversicherer schon seit geraumer Zeit, dass Ärzte und Krankenhäuser versuchen würden, geringere Verdienstmöglichkeiten bei den gesetzlichen Kassen dadurch auszugleichen, dass sie bei der Behandlung der Privatversicherten alle Möglichkeiten ausschöpften. Nach Berechnungen des PKV-Verbandes steigen die Kosten für die Behandlung privat Versicherter schon seit Jahren im Schnitt rund um die Hälfte schneller als die Ausgaben für gesetzlich Versicherte. Der Vorsitzende des Branchenverbandes, Reinhold Schulte, lässt daher keine Gelegenheit aus, bei der Politik Gegenmaßnahmen einzufordern:
"Die private Krankenversicherung kann nicht der Zahlmeister sein, der für Ärzte und Arzneimittelhersteller die Ausfälle ausgleicht, die durch immer neue Kürzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung entstehen."
Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft hätte kein Verständnis dafür, wenn Kliniken unnötige Untersuchungen vornähmen – worüber es immer wieder Berichte gibt. Dass ein Krankenhaus bei Privatrechnungen aber alle legalen Möglichkeiten der Gebührenordnung ausschöpft, hält er für nachvollziehbar.
"Einem einzelnen Krankenhausgeschäftsführer, glaube ich, könnte man es nicht verdenken, weil er ja auch die Verpflichtung hat, sein Krankenhaus möglichst wirtschaftlich zu führen."
Allerdings seien auch die Privatversicherer inzwischen alles andere als großzügig, sagt Hasenbein. Klinikrechnungen würden immer wieder erst einmal drastisch zusammengestrichen. Und in direkten Gesprächen machten die Privaten Krankenversicherer den Krankenhäusern keine Hoffnungen, dass sich das allzu bald ändert:
"Auch die PKV macht uns gegenüber deutlich, dass sie sehr eng kalkulieren müssen, dass sie durchaus auch Ausgabenprobleme haben, durch die Veränderungen, die rechtlichen Veränderungen, nach denen die PKV auch ihre Versicherten aufnehmen muss und eine Grundsicherung anbieten muss, hat sich das Versichertenklientel auch verändert. Und das hat dazu geführt, dass auch die PKV den Euro zweimal umdrehen muss nach unserem Eindruck."
Seit zweieinhalb Jahren müssen die Privaten Krankenversicherer ihren Kunden einen sogenannten Basistarif anbieten. In diesem Tarif ist es gleichgültig, wie alt oder krank die Versicherten sind. Dieses Prinzip, das es bis dahin nur in der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben hatte, wird nach Einschätzung des Münchner Gesundheitsökonomen Günther Neubauer immer größere Bedeutung bekommen.
"Und von daher glaube ich, dass die PKV sich generell umstellt, viele sind dabei, sich umzustellen, dass sie ihr Kerngeschäft in der Zusatzversicherung sehen oder in der Absicherung von Risiken, die in der GKV gar nicht mehr enthalten sind."
Gleichzeitig erwartet Neubauer in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Entwicklung, die aus der heutigen Perspektive dramatisch klingt. Die Zusatzbeiträge werden rasant steigen, glaubt der Gesundheitsökonom:
"Wenn man das in die Zeit hinein verlängert, würde der Zusatzbeitrag jährlich etwa um sieben bis acht Euro ansteigen müssen, wenn wir das rechnen ab 2013 plus zehn Jahre, dann wären wir bei 70 Euro Zusatzbeitrag."
Neubauer hält es ökonomisch und politisch für richtig, wenn auf diese Weise Geld von den Versicherten eingetrieben wird – denn pauschale Zusatzbeiträge schlagen nicht direkt auf die Lohnkosten durch, so wie es bislang beim Krankenversicherungsbeitrag der Fall ist, der als Prozentsatz vom Bruttolohn abgezogen wird. Gleichwohl ist es nach Einschätzung Neubauers fraglich, ob die politische Mehrheit, mit der das jetzige Finanzkorsett der gesetzlichen Krankenversicherung festgelegt worden ist, bei der nächsten Bundestagswahl noch hält.
"Und von daher gehe ich davon aus, dass wir im Jahr 2013 und folgende wieder eine Reform haben werden, die wieder eine andere Marschrichtung einschlägt."
Was zur Folge haben könnte, dass die Krankenkassen, die vor eineinhalb Jahren als erste ihre Beitragsstruktur geändert hatten, sich erneut auf andere Rahmenbedingungen einstellen müssten. Der Vorstands-Chef der Deutschen Angestellten Krankenkasse, Herbert Rebscher, hatte sich Anfang des vergangenen Jahres bei einer Pressekonferenz freimütig an die Spitze der Tabubrecher gestellt. Allerdings quittiert er die Berliner Gesetzgebung schon seit geraumer Zeit mit Kopfschütteln.
Die Einführung einer einkommensunabhängigen Kopfprämie habe er sozialpolitisch für eine falsche Entscheidung gehalten, erklärt Rebscher nun. Von den Politikern hätte er sich gewünscht, dass sie die Einführung so vollzogen hätten, dass die Bevölkerung einen solchen Schritt hätte mittragen können:
"Dass jeder eine Prämie zahlen muss. Dann wäre das nämlich eine nationale Veränderung gewesen. Dann hätte ich gesagt, die Prämie beträgt bei jeder Kasse zehn Euro. Und es hätte politisch flankiert werden können, wenn die Ministerin damals – oder heute Minister – gesagt hätte, ja ab diesem Datum, von mir aus erstem Januar haben wir diese Umstellung."
Wenn eine Prämie allgemein etabliert und von der Bevölkerung auch einigermaßen akzeptiert worden wäre, – so wie mittlerweile die Praxisgebühr – dann hätte die Politik in einen Preiswettbewerb über die Prämie einsteigen können, meint der DAK-Chef. Stattdessen sei aber der zweite Schritt vor dem ersten erfolgt – was Rebscher so kommentiert:
"Wenn man schon Unsinn macht, dann sollte man ihn wenigstens clever einführen."
"Hier sind Leute, die das Tabu brechen, den Systemumstieg wirklich anzugehen."
Systemumstieg, das bedeutete: Die DAK, die KKH Allianz und die Deutsche BKK gaben als erste große Kassen bekannt, dass sie von ihren Versicherten nicht mehr nur einen bestimmten Prozentsatz vom Monatslohn einfordern. Vielmehr kündigten sie erstmals an, einen Zusatzbeitrag zu erheben, der für alle Versicherten gleich hoch ist:
"Ich werde unserem Verwaltungsrat empfehlen, acht Euro zu nehmen, und zwar pauschal und nicht prozentual."
Acht Euro Zusatzbeitrag klang für viele erst einmal nicht spektakulär – doch die Kassen beendeten damit ein Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, das 125 Jahre lang gegolten hatte: Das Prinzip, dass derjenige, der mehr verdient, auch einen höheren Beitrag zahlt. Wer beispielsweise 3000 Euro im Monat überwiesen bekommt, zahlt doppelt so viel wie derjenige, der 1500 Euro verdient, das war bis dahin eine Grundregel der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Zusatzbeitrag ist nun unabhängig vom Einkommen.
Von der bisherigen Grundregel Abschied zu nehmen, fiel den Kassen-Chefs nicht leicht, betonte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen BKK, Achim Kolanoski:
"Sie können davon ausgehen, dass die Erhebung eines Zusatzbeitrages keinem Kassenvorstand Spaß macht. Aber es gibt einfach Notwendigkeiten, denen man sich stellen muss."
Die Notwendigkeiten, denen sich DAK, KKH Allianz und Deutsche BKK stellen mussten, hatte die Bundesregierung festgelegt. Die Regierungskoalition hatte dafür gesorgt, dass alle Kassen für die Versorgung ihrer Versicherten die gleiche Summe zugewiesen bekommen – aufgeschlüsselt nach Altersklassen und verschiedenen Krankheitsarten. Wenn eine Kasse mit diesem Geld nicht auskommt, muss sie einen Zusatzbeitrag erheben.
Und wenn auch der Zusatzbeitrag nicht reicht, dann geschieht das, was der Vorstandschef der City BKK, Oliver Reken, vor einigen Wochen erleben musste. Er erhielt die Mitteilung, dass seine Kasse mit rund 160.000 Versicherten zum ersten Juli dieses Jahres zwangsweise geschlossen wird.
"Es ist ein ganz besonderes Gefühl, wenn der Schließungsbescheid einem in Händen liegt."
Dass eine Kasse von der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Bundesversicherungsamt, geschlossen wird, ist ebenfalls einzigartig in der jüngeren Geschichte der deutschen Sozialversicherung. Der Grund dafür, dass die City BKK dieses Schicksal getroffen hat, ist nach Ansicht ihres Vorstandschefs eine Art Teufelskreis, in den seine Kasse geraten sei.
So leben die meisten Versicherten der City BKK aus historischen Gründen in drei großen Städten, nämlich Hamburg, Berlin und Stuttgart. In Großstädten gibt es mehr Ärzte und Krankenhäuser. Das wiederum führe dazu, dass Patienten öfter zum Arzt gingen und öfter weiter überwiesen würden, erklärt der Leiter des Münchner Instituts für Gesundheitsökonomik, Professor Günter Neubauer:
"Hoch und gut versorgt heißt aber auch: Höhere Ausgaben als deutschlandweiter Durchschnitt, und dann kommt es dazu, dass so eine Kasse mit den Zuweisungen aus dem Fonds nicht auskommt."
Verstärkt wurde dieser Effekt bei der City BKK durch die Zusammensetzung ihrer Kundschaft, erklärt der Kassenchef Oliver Reken:
"Versicherte der City BKK sind vor allem ältere Menschen und natürlich auch kränkere Menschen, und damit tritt nicht unbedingt ein Ausgleich der Zahlungen so ein, wie man ihn als Krankenkasse in diesen Regionen benötigen würde."
Fatal war es für die City BKK vor allem, dass sie irgendwann nicht mehr anders konnte, als die Versicherten zu vertreiben, die nicht so viele Leistungen in Anspruch nehmen.
Denn die Erfahrung zeigt, dass vor allem gesunde und gut verdienende Mitglieder eine Kasse verlassen, wenn die ihre Preise erhöht. Als die City BKK zunächst acht Euro verlangte, blieben ihr die meisten Versicherten noch treu. Als sie dann aber noch einmal mehr verlangen musste, setzte ein Exodus ein, der die Kasse in die Pleite trieb:
"Mit der Erhöhung des Zusatzbeitrages dann auf 15 Euro haben uns mehr Kunden verlassen. Das ist der höchste Zusatzbeitrag gewesen, der bisher erhoben wurde. Und die Entwicklung hatten wir so nicht erwartet."
Die City BKK wurde also das erste Opfer eines Preiswettbewerbs, den die Bundesregierung ausdrücklich wünscht. Als sie das Instrument der Zusatzbeiträge einführte, lautete die Devise: Die Preisunterschiede zwischen den Krankenkassen sollen deutlicher spürbar werden, als es bis dahin der Fall war.
Wenn eine Kasse beispielsweise 15,7 Prozent vom Gehaltskonto eines Versicherten abbuchen lässt, statt vorher 15,5 Prozent, dann merkt das der Versicherte kaum. Wenn die Kasse aber einen festen Betrag in Euro und Cent direkt bei den Mitgliedern eintreibt, dann reagieren die weit empfindlicher, so lautete das Kalkül, das der frühere Gesundheits-Staatssekretär Stefan Kapferer so erklärt:
"Selbstverständlich wollen wir in Zukunft, dass Versicherte aufgrund dieses Preissignals entscheiden, dass die Kasse X möglicherweise um fünf Euro billiger ist als die Kasse Y und sie deswegen wechseln. Oder dass sie sagen, die Kasse Y bietet mir einen besseren Service als die Kasse X, und das ist mir fünf Euro mehr wert."
Als die Bundesregierung die Weichen in Richtung deutlich steigende Zusatzbeiträge stellte, galt noch die Devise, dass schon im Jahr 2010 die Mehrheit der Kassen zusätzliches Geld von ihren Versicherten hätte eintreiben müssen. Das allerdings ist ausgeblieben. Die DAK, die KKH Allianz und die Deutsche BKK haben nach ihrem Tabubruch kaum Nachahmer gefunden. Professor Günter Neubauer vom Münchner Institut für Gesundheitsökonomik hat dafür eine Erklärung:
"Weil nicht absehbar war, dass der Gesetzgeber den Beitragssatz für alle von 14,9 auf 15,5 anhebt und gleichzeitig ein Kostendämpfungsgesetz durchführt, das noch einmal etwa vier bis fünf Milliarden Ausgabenreduktion bedeutet. Wäre beides nicht eingetreten, hätten bis zum Jahresende 80 Prozent einen Zusatzbeitrag gebraucht, das kann man aus heutiger Sicht sagen. Aber 2013 wiederum werden viele Kassen vor der Frage stehen, Zusatzbeitrag ja oder nein."
Zunächst hat die Politik vielen gesetzlichen Kassen also einen gewissen finanziellen Spielraum verschafft. Dass der aber bald ausgeschöpft sein dürfte, glaubt auch Fritz Schösser, der Verwaltungsratsvorsitzende der AOK Bayern:
"Der Zusatzbeitrag ist etwas, das so sicher kommt wie das Amen beim Gebet. Die Politik hat den Gesundheitsfonds so gestaltet, dass alle Kassen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung einen Zusatzbeitrag verlangen müssen. Ob das 2012, 2013 oder 2014 so weit ist, hängt davon ab, wie die Risikostruktur der einzelnen Kassen ist, und zwar in Bezug auf: Habe ich mehr Gesündere oder habe ich viele Kranke."
Wie lange die AOK Bayern als bundesweit viertgrößte Kasse ohne Zusatzbeitrag auskommt, da will sich Fritz Schösser nicht festlegen. Aber er macht klar: Auch seine Kasse zögert diesen Zeitpunkt so weit wie möglich hinaus.
"Wir werden alles tun, um unsere Versicherten vom Zusatzbeitrag so lange zu schonen, wie es geht. Und wir sind guten Mutes, dass wir das noch eine ganze Reihe von Monaten durchstehen und sicher keinen Zusatzbeitrag früher erheben, als die meisten anderen Kassen."
Was für die Versicherten wie eine gute Botschaft klingen mag, hören viele Ärzte und Klinik-Chefs mit gemischten Gefühlen. Siegfried Hasenbein vom Präsidium der Deutschen Krankenhausgesellschaft stellt fest, dass die Kassen ihr Verhalten verändert haben, wenn es darum geht auszuhandeln, wie viel Geld die Kliniken bekommen:
"Es ist zweifellos so, dass die Verhandlungen härter geworden sind, dass das Verhandlungsgeschäft schwieriger geworden ist. Weil die Krankenkassen ein Schreckgespenst im Nacken haben, und deren Tun hauptsächlich, ich möchte sagen ausschließlich, darauf ausgerichtet ist, den Zusatzbeitrag zu vermeiden."
Hasenbein ist zwar seit vielen Jahren daran gewöhnt, dass um die Finanzierung der Krankenhäuser hart gerungen werden muss. Aber seitdem bei den Kassenchefs die Angst vor dem Zusatzbeitrag umgeht, sei eine neue Zeit angebrochen, sagt er:
"Nach meiner Beobachtung und Einschätzung hat das eine andere Qualität."
Aber nicht nur Kliniken beklagen eine neue Knauserigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch beispielsweise der Hausärzteverband wirft den Kassen vor, dass sie besser dotierte Hausarztverträge verweigerten, weil sie sich vor Zusatzbeiträgen fürchteten.
Und Oliver Reken von der City BKK steht ganz offen dazu, dass seine Kasse mit allen Mitteln versucht hat, ihren Zusatzbeitrag so niedrig wie möglich zu halten – wenn sie ihn schon nicht ganz vermeiden konnte. Dass die Kasse jetzt trotzdem schließen muss, habe jedenfalls nichts mit schlechtem Wirtschaften zu tun, sagt er:
"Ich vermute, dass bei einigen Leistungserbringern die Sektflaschen geöffnet wurden, als bekannt wurde, dass es die City-BKK nicht mehr gibt. Ich glaube, das Kostenmanagement im Leistungsbereich, das die City BKK erbracht hat, kann als vorbildlich gelten. Wir achten genau darauf, welche Leistungen abgerechnet werden und ob die Versorgung beispielsweise mit Hilfsmitteln durch andere Vertragspartner kostengünstiger sein kann. Von einem Miss-Management kann man da nicht sprechen."
Das Schicksal der City BKK gilt in den Vorstandsetagen anderer Krankenkassen als der schlimmste denkbare Fall. Um zu verhindern, dass eine Kasse überhaupt in Schieflage gerät, gilt als bester Weg bisher der Zusammenschluss mit einer anderen Kasse. So haben die Vereinigte IKK und die IKK Classic angekündigt, dass sie fusionieren werden. Über den endgültigen Beschluss soll am 5. und 6. Juli noch einmal beraten werden.
Vorher waren bei der Vereinigten IKK Finanzprobleme bekannt geworden, die die Kasse gezwungen hätten, von ihren rund 1,7 Millionen Versicherten einen Zusatzbeitrag zu verlangen. Nach dem Zusammenschluss mit der etwa gleich großen IKK Classic soll dieser Zusatzbeitrag jetzt mindestens eineinhalb Jahre lang nicht nötig sein. Der Münchner Gesundheitsökonom Günter Neubauer hat Zweifel, ob diese Rechnung aufgeht:
"Das ist so, als wenn zwei Nichtschwimmer sich die Hand geben und sagen, jetzt können wir schwimmen. Aber es ist so: Wenn die Kassen zusammengehen, haben sie einen begrenzten Rationalisierungseffekt, sie können Verwaltungsstrukturen, Betreuungseinrichtungen wie Außenstellen zusammenlegen, das macht sicher Einsparungen möglich. Aber das Grundsätzliche ist: Sie werden einen Zusatzbeitrag brauchen."
Fusionen gelten unter den gesetzlichen Krankenkassen als das Mittel der Wahl, um im Verdrängungswettbewerb einen geordneten Rückzug anzutreten – und nicht Pleite zu gehen. Vor 20 Jahren gab es noch mehr als 1200 gesetzliche Kassen in Deutschland, inzwischen sind es nur noch rund 150. Daher werden die Fusionspartner immer größer.
Aus der IKK Classic und der Vereinigten IKK beispielsweise entsteht eine neue Groß-Kasse: In der bundesweiten Zählung wird sie den sechsten Platz einnehmen, mit 3,6 Millionen Versicherten und einem Haushaltsvolumen von mehr als 8 Milliarden Euro. Mit etwas Unbehagen sieht allerdings Siegfried Hasenbein von der Deutschen Krankenhausgesellschaft die immer neuen Berichte über Kassenfusionen.
"Wenn wir nur noch wenige, große Krankenkassen haben, dann haben wir natürlich auch Verhandlungspartner, insbesondere auch für unsere Krankenhäuser in der Region, Verhandlungspartner mit einer großen Marktmacht, die auch Bedingungen diktieren können."
Die größere Marktmacht einzelner gesetzlicher Kassen führt in der Folge aber auch dazu, dass Ärzte und Krankenhäuser stärker auf andere Einkunftsquellen setzen. Viele Ärzte mit eigener Praxis vermarkten immer mehr sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen, also Angebote, für die die gesetzlichen Kassen nicht aufkommen, und die die Versicherten aus der eigenen Tasche bezahlen.
Gleichzeitig beklagen die Privaten Krankenversicherer schon seit geraumer Zeit, dass Ärzte und Krankenhäuser versuchen würden, geringere Verdienstmöglichkeiten bei den gesetzlichen Kassen dadurch auszugleichen, dass sie bei der Behandlung der Privatversicherten alle Möglichkeiten ausschöpften. Nach Berechnungen des PKV-Verbandes steigen die Kosten für die Behandlung privat Versicherter schon seit Jahren im Schnitt rund um die Hälfte schneller als die Ausgaben für gesetzlich Versicherte. Der Vorsitzende des Branchenverbandes, Reinhold Schulte, lässt daher keine Gelegenheit aus, bei der Politik Gegenmaßnahmen einzufordern:
"Die private Krankenversicherung kann nicht der Zahlmeister sein, der für Ärzte und Arzneimittelhersteller die Ausfälle ausgleicht, die durch immer neue Kürzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung entstehen."
Siegfried Hasenbein von der Krankenhausgesellschaft hätte kein Verständnis dafür, wenn Kliniken unnötige Untersuchungen vornähmen – worüber es immer wieder Berichte gibt. Dass ein Krankenhaus bei Privatrechnungen aber alle legalen Möglichkeiten der Gebührenordnung ausschöpft, hält er für nachvollziehbar.
"Einem einzelnen Krankenhausgeschäftsführer, glaube ich, könnte man es nicht verdenken, weil er ja auch die Verpflichtung hat, sein Krankenhaus möglichst wirtschaftlich zu führen."
Allerdings seien auch die Privatversicherer inzwischen alles andere als großzügig, sagt Hasenbein. Klinikrechnungen würden immer wieder erst einmal drastisch zusammengestrichen. Und in direkten Gesprächen machten die Privaten Krankenversicherer den Krankenhäusern keine Hoffnungen, dass sich das allzu bald ändert:
"Auch die PKV macht uns gegenüber deutlich, dass sie sehr eng kalkulieren müssen, dass sie durchaus auch Ausgabenprobleme haben, durch die Veränderungen, die rechtlichen Veränderungen, nach denen die PKV auch ihre Versicherten aufnehmen muss und eine Grundsicherung anbieten muss, hat sich das Versichertenklientel auch verändert. Und das hat dazu geführt, dass auch die PKV den Euro zweimal umdrehen muss nach unserem Eindruck."
Seit zweieinhalb Jahren müssen die Privaten Krankenversicherer ihren Kunden einen sogenannten Basistarif anbieten. In diesem Tarif ist es gleichgültig, wie alt oder krank die Versicherten sind. Dieses Prinzip, das es bis dahin nur in der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben hatte, wird nach Einschätzung des Münchner Gesundheitsökonomen Günther Neubauer immer größere Bedeutung bekommen.
"Und von daher glaube ich, dass die PKV sich generell umstellt, viele sind dabei, sich umzustellen, dass sie ihr Kerngeschäft in der Zusatzversicherung sehen oder in der Absicherung von Risiken, die in der GKV gar nicht mehr enthalten sind."
Gleichzeitig erwartet Neubauer in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Entwicklung, die aus der heutigen Perspektive dramatisch klingt. Die Zusatzbeiträge werden rasant steigen, glaubt der Gesundheitsökonom:
"Wenn man das in die Zeit hinein verlängert, würde der Zusatzbeitrag jährlich etwa um sieben bis acht Euro ansteigen müssen, wenn wir das rechnen ab 2013 plus zehn Jahre, dann wären wir bei 70 Euro Zusatzbeitrag."
Neubauer hält es ökonomisch und politisch für richtig, wenn auf diese Weise Geld von den Versicherten eingetrieben wird – denn pauschale Zusatzbeiträge schlagen nicht direkt auf die Lohnkosten durch, so wie es bislang beim Krankenversicherungsbeitrag der Fall ist, der als Prozentsatz vom Bruttolohn abgezogen wird. Gleichwohl ist es nach Einschätzung Neubauers fraglich, ob die politische Mehrheit, mit der das jetzige Finanzkorsett der gesetzlichen Krankenversicherung festgelegt worden ist, bei der nächsten Bundestagswahl noch hält.
"Und von daher gehe ich davon aus, dass wir im Jahr 2013 und folgende wieder eine Reform haben werden, die wieder eine andere Marschrichtung einschlägt."
Was zur Folge haben könnte, dass die Krankenkassen, die vor eineinhalb Jahren als erste ihre Beitragsstruktur geändert hatten, sich erneut auf andere Rahmenbedingungen einstellen müssten. Der Vorstands-Chef der Deutschen Angestellten Krankenkasse, Herbert Rebscher, hatte sich Anfang des vergangenen Jahres bei einer Pressekonferenz freimütig an die Spitze der Tabubrecher gestellt. Allerdings quittiert er die Berliner Gesetzgebung schon seit geraumer Zeit mit Kopfschütteln.
Die Einführung einer einkommensunabhängigen Kopfprämie habe er sozialpolitisch für eine falsche Entscheidung gehalten, erklärt Rebscher nun. Von den Politikern hätte er sich gewünscht, dass sie die Einführung so vollzogen hätten, dass die Bevölkerung einen solchen Schritt hätte mittragen können:
"Dass jeder eine Prämie zahlen muss. Dann wäre das nämlich eine nationale Veränderung gewesen. Dann hätte ich gesagt, die Prämie beträgt bei jeder Kasse zehn Euro. Und es hätte politisch flankiert werden können, wenn die Ministerin damals – oder heute Minister – gesagt hätte, ja ab diesem Datum, von mir aus erstem Januar haben wir diese Umstellung."
Wenn eine Prämie allgemein etabliert und von der Bevölkerung auch einigermaßen akzeptiert worden wäre, – so wie mittlerweile die Praxisgebühr – dann hätte die Politik in einen Preiswettbewerb über die Prämie einsteigen können, meint der DAK-Chef. Stattdessen sei aber der zweite Schritt vor dem ersten erfolgt – was Rebscher so kommentiert:
"Wenn man schon Unsinn macht, dann sollte man ihn wenigstens clever einführen."