Laut statistischem Bundesamt gelten in Deutschland 660.000 Gebäude als Baudenkmäler. Hinzu kommen, neben dem immateriellen Kulturerbe, noch Natur- und Gartendenkmäler. Nimmt man zu den baulichen Einzeldenkmälern größere Gebäude-Ensembles und ganze Quartiere hinzu, kommt man auf eine Zahl von ungefähr einer Million denkmalgeschützter Bauwerke. Zusammen bilden sie eine unschätzbare Ressource der Erinnerungskommunikation und gesellschaftlichen Identitätsbildung.
Diese Ressource wird durch die sich verschärfende Klimakrise zunehmend gefährdet. Nicht nur akute Extremwetterereignisse, auch die kontinuierliche Zunahme der Durchnittstemperatur und -feuchtigkeit führen neben bisher ungekannten Phasen extremer Trockenheit zu substanziellen Bedrohungen des gebauten wie des naturalen Kulturerbes. Wo Landschaftsgärten vertrocknen, Naturdenkmäler absterben, Kirchenräume verschimmeln und Fundamente brechen, funktionieren traditionelle Schutzkonzepte nicht mehr.
Doch die sich aufbauende Krise greift tiefer. Denkmäler sind, wie gesagt, Erinnerungssignaturen und damit Objekte einer besonderen gesellschaftlichen Kommunikation. Doch das kollektive Gedächtnis, deren Teil sie sind, besitzt einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext, der abhängig von Relevanzbedingungen und Präferenzbedingungen ist (wie sie auch bei jedem Kommunikationsakt bestehen). Die entscheidende Frage wird daher lauten: Inwiefern wird in Zeiten einer klimatransformatorischen Beschleunigung die Erinnerung ihren sozialen Wert behalten?
Unweigerlich kommt auf uns die Frage zu, ob der Klimastress und die davon ausgelösten Anpassungsanstrengungen überhaupt genügend finanzielle, administrative und psychopolitische Ressourcen übriglassen, um das kulturelle Erbe zu pflegen. Oder ist es nicht vielmehr so, dass ökogestresste Gesellschaften in einem historischen Moment, wo ihr Fortbestehen merklich in Gefahr gerät, alle sozialen und wirtschaftlichen Kräfte darauf verwenden müssen, um ihre Gegenwart und gerade nicht die Verbindungen zur Vergangenheit zu stabilisieren?
Die heute zu beobachtenden Klimaentwicklungen zeigen, dass das Kulturebe ebenso wie Kulturlandschaften dadurch schwerwiegend verändert und geschädigt werden. In der Folge und vor dem Hintergrund des Anthropozän spielt die Notwendigkeit des Erhaltens eine zentrale Rolle. Statt Abriss, Zu- und Neubau muss die Neugestaltung des Bestands in den Mittelpunkt treten. Städte mit expansiver Baudynamik gehören der Vergangenheit an. Und anstelle disruptiver Ideologien brauchen wir eine entschlossene Erhaltungsgesellschaft, nicht nur, um das kulturelle Erbe, sondern um die Zukunft des Lebens insgesamt zu bewahren.
Volker Demuth, geboren 1961, ist Lyriker, Schriftsteller und Essayist. Er studierte in Tübingen und Oxford Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte. Er war Dozent für Medientheorie und Professor für Mediengeschichte und Medientheorie an der Fachhochschule Schwäbisch Hall. Seine Spezialgebiete sind die Theorie der Narrativität sowie die Körper- und Technikgeschichte. Außerdem hat er Hörspiele und Features geschrieben. Zuletzt erschienen der Essay „Mäander“ (2023) sowie „Fossiles Futur. Gedichte“ (2021); „Niederungen und Erhebungen“ (2019); „Der nächste Mensch“ (2018).
Anders als auf dem Feld der Logik, wo es streng widerspruchsfrei zugehen sollte, sind der Welt der gelebten Geschichte Widersprüchlichkeiten tief eingewurzelt. So verbindet sich die Moderne mit einer nahezu kultischen Verehrung des Neuen, Innovativen und Fortschrittlichen und gleichzeitig liegt ihr tiefstes Paradox darin, für einen nie dagewesenen Boom des Alten, Hergebrachten und Antiken gesorgt zu haben. Urtümliche Ackergeräte wie Pferdepflüge oder Holzrechen schmücken Eigenheime und Hobbygärten. Reichhaltige Sammlungen alter Münzen, Motorräder oder Comics finden in regelmäßigen Liebhabermessen das Licht der Öffentlichkeit. Überhaupt ist der landläufige Sammler jemand, der mit unermüdlicher Leidenschaft „der Vergangenheit auf der Spur“ ist, wie ihn Walter Benjamin typisierte.
Tatsächlich erging ein königlicher Aufruf zum Sammeln bereits im 17. Jahrhundert in Schweden durch Gustav II Adolf, der die von ihm geschaffene Antiquariatsbehörde dazu anwies, dass sie „allerlei alte Monumente und Sachen suchen und sammeln sollten, (…) und dabei aufzeichnen, wie sie beschaffen sind“. Es ist dies der Beginn der europäischen Denkmalpolitik. Doch erst, als die industrielle Moderne so richtig in Fahrt kommt, neuen Stadtplanungen und Verkehrsstrukturen immer mehr alte Gebäude und Stadtteile weichen müssen, regt sich breiter Widerstand auf staatlicher Ebene. Das 19. Jahrhundert wird vor dem Hintergrund eines wachsenden städtischen Innovations- und Wachstumsdrucks daher auch zum Jahrhundert der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes. In Deutschland kommt ein entscheidendes Verdienst Karl Friedrich Schinkel zu, der es vom Architekten zum Oberlandesbaudirektor Preußens brachte und sich dabei bereits 1815 für „Die Erhaltung aller Denkmäler und Altertümer des Landes“ einsetzte, nachdem ihn die weithin grassierende, „in wandalischer Blindheit ausgeübte Zerstörungssucht“ aufgeschreckt hatte.
Mit weitreichenden Folgen. Betrachten wir heute, zwei Jahrhunderte nach Schinkel, den geschützten Baubestand, so hat sich allerhand angesammelt. Laut statistischem Bundesamt gelten in Deutschland 660.000 Gebäude als Baudenkmäler. Hinzukommen, neben dem immateriellen Kulturerbe, noch Natur- und Gartendenkmäler wie Alleen, Friedhöfe oder Gartenanlagen. Nimmt man zu den baulichen Einzeldenkmälern größere Gebäude-Ensembles und ganze Quartiere hinzu, kommt man auf eine Zahl von ungefähr einer Million denkmalgeschützter Bauwerke. Wobei es unklar ist, ob damit tatsächlich alle erfasst sind, da es dem Datenschutz unterliegt, ob ein Haus als denkmalgeschützt gemeldet wird oder nicht.
Zweifellos: eine Erfolgsgeschichte. In deren Verlauf es jedoch immer wieder impulsive Debatten um den Sinn und Zweck all dieser Denkmäler gab. Während sie den einen als materielle Zeugnisse galten, die objektiv wissenschaftlich erforscht werden mussten, sahen andere emotionale Trigger darin, die – wie der Kunsthistoriker Hans Tietze 1921 schrieb – „stolz, siegreich und lebendig in unserer Gegenwart steh[en]“. Steinerne Inbilder einer kulturellen, ja geradezu mythischen Tiefenverbindung sollten sie mit ihrem auratischen Alterswert sein. So wurde Denkmälern mit strenger Regelmäßigkeit ein nationaler Wert zugesprochen. Wiederum hatte bereits Schinkel dafür den Ton vorgegeben, als er vom Denkmal verlangte, es müsse „nationale Bildung und Interesse an das frühere Schicksal des Vaterlandes befördern“. Dass baulichen Kulturgütern eine herausragende Rolle im Leben der Völker, wie man das nannte, zukam, vollzog sich in einer gesellschaftlichen Atmosphäre forcierter Nationenbildung, wozu sich Symbole geschichtlicher Größe als unverzichtbar erwiesen.
Man suchte Orte, an denen sich Vibrationen und Tiefenverbindungen zur vermeintlich eigenen Vorzeit erspüren ließen. Oder, weit nüchterner, Erlebnisobjekte für reisefreudige, wissensaktive Gesellschaften, die Reaktionen auslösen, deren vielstimmiges Echo in einer demokratischen Öffentlichkeit widerhallt.
Die jüngste markante Verschiebung der Diskussionslage über den Wert des baulichen kulturellen Erbes gehört der postmodernen Phase an. Jetzt nämlich werden Denkmäler zum Anstoß einer Arbeit am Vergangenen, die sich das Recht nimmt, die Zeugnisse des Vormals umzudeuten und umzugestalten im Sinn der „Gnade einer zweiten Chance“, wie Aleida Assmann fordert. Denkmäler, heißt das, werden nicht nach ihrem Alterswert und der historischen Substanz eines Bauwerks rekonstruiert, sondern im Blick auf unser gegenwärtiges Verhältnis zur Vergangenheit. Was damit gemeint sein kann, und welche Lizenz der flexiblen Neuinterpretation von Geschichte dadurch vergeben wird, lässt sich anhand des Wiederaufbaus des buchstäblich zur Fassade gewordenen Berliner Stadtschlosses ermessen. Das Geschichtszeugnis und seine womöglich umstrittene, zwiespältige und unbequeme Bedeutung gerät zum Spielball aktueller gesellschaftspolitischer Meinungsmehrheiten.
Doch zu welchem Lager man sich in diesen erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen zählten will, welche Seite des „Denkmalkults“, von dem man Anfang des 20. Jahrhunderts sprach, man auch immer vertritt, unstrittig bleibt, dass Kulturdenkmäler einen gesellschaftlichen Wert besitzen, der sich in Geldbeträgen nicht ausdrücken lässt. Sie gelten uns gemeinhin als kostbar und wir betreiben als Gemeinschaft einigen Aufwand, sie, anstatt sie dem Verfall preiszugeben, als materielle Überlieferung in einen geteilten öffentlichen Raum zu stellen.
Denn so problematisch und revisionsbedürftig uns derartige Auffassungen je nach Zeitgeiststimmung auch vorkommen mögen, so unzweifelhaft ist es doch, dass sämtliche Denkmäler durch ein wesentliches Merkmal verbunden werden: Sie sind Zeitkapseln. Sie beinhalten Momente und Phasen einstiger Geschehnisse und Daseinsverbindungen. Sie behalten etwas davon, ähnlich wie unser Gehirn das eine oder andere Vorkommnis behält. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass sie mit ihren Vergangenheitsspuren einen räumlichen Index des gelebten kulturellen Lebens bilden. Einer Kultur im Sinn eines umfassenden gemeinsamen Lebenssystems, von Bildung und Gesittung – also von Lebensform – und nicht zuletzt auch von religiöser Verehrung, cultus.
Auf diese Weise birgt jede Kulturlandschaft Elemente geschichtlicher Wirklichkeit als Teil ihrer Bedeutung in sich, in die Vergangenheit eingelagert ist, welche sehr weit zurückreichen kann. Städte und Landschaften gehören zu dem, was wir in uns tragen, sie sind Teil unserer Geschichte und unseres Selbst, unserer Identität. In ihnen bündelt sich bis heute die Kraft eines kollektiven Sinnspeichers, worin sich Schichten aus Zeit aufblättern und lesen lassen, Schichten und Geschichten aus Verwundungen, Erinnerungen und Träumen.
Ein Denkmal wäre in diesem Rahmen durch die besondere Eigenschaft ausgezeichnet, eine Praxis der Kommunikation von Vergangenheit und Gegenwart zu sein. Kommunikation deshalb, weil ein Denkmal nur ein solches sein kann, wenn es zum Mal, zur Narbe, zum Zeichen eines besonderen Denkens wird, des Gedenkens. Mit einem Wort: Denkmal als Gegenstand von Erinnerungskommunikation. Das ist die eine Seite. Es gibt jedoch noch eine andere: Das Denkmal als Nährstoff im Corpus der Gegenwart. „Was mich am Gedächtnis am meisten frappiert, ist nicht so sehr, daß es das Vergangene zurückruft“, vermerkt der französische Schriftsteller Paul Valéry in seinen Cahiers, „sondern daß es das Gegenwärtige ernährt.“
Im kommunikativen Stoffwechsel der Gesellschaften lösen Denkmale Rückrufaktionen von Vergangenem aus, in denen sich das Bedürfnis nach Erhalten bemerkbar macht. Dabei hat Erhalten zwei Richtungen, gewissermaßen eine bipolare Bedeutung. Das eine ist das Konservatorische, indem erhalten wird, was aus der Vergangenheit stammt. Das andere aber ist, was kommt: was auf uns zukommt, was uns erreicht, was wir erhalten wie ein Geschenk oder eine Nachricht. Was wir so erhalten, fließt in unsere Gegenwart ein, in unsere aktuelle Existenz. Beide Bedeutungspole müssen beim Erhalten mitgedacht werden. Erhalten nämlich wird nur dasjenige, was „das Gegenwärtige ernährt“, wie eben Valéry gesagt hatte. Und insofern, indem es das Es-war-einmal aktualisiert, gerät jedes Denkmal nicht zufällig zur politischen Sache, zur Sache der communitas.
Gerade wo es sich um Zeugnisse einer problematischen Geschichte und daher um unbequeme und konfliktträchtige Denkmäler handelt – wie bei solchen mit militaristischem oder kolonialistischem Zeitbezug – wird das Ringen um Identität anhand erhaltenswürdiger Objekte beispielhaft sichtbar, an denen sich öffentlich geführte Debatten anlagern und auch schmerzhaft entzünden können. Zusammen bilden sie einen sozialen Echoraum der Erinnerungskommunikation und Identitätsbildung.
Gleichwohl könnte man bisweilen glauben, das gebaute Kulturerbe fände sich, verwaltet von einigen Landeskonservatoren, in einen historisierenden und musealisierenden Rahmen eingepasst, in dem es gelassen unter einer wachsenden Schicht von Staub verschwindet. Doch erst wenn wir uns die Dimension jener beträchtlichen Ressource des Gemeinschaftslebens vor Augen führen, erst wenn die Rolle des kulturellen Erbes und des kollektiven Gedächtnisses für unsere Gegenwart erkannt wird, lässt sich das Außergewöhnliche einer Entwicklung ermessen, deren Veränderungskraft in der Geschichte einer bauenden Zivilisation ohne Parallele ist.
Denn es ist dem 21. Jahrhundert auferlegt, sich mit den Auswirkungen der menschengemachten klimatischen Umbrüche auseinanderzusetzen. Angesichts der medial eingeschärften Szenarien der Naturzerstörung durch Klimawandel geht freilich der Blick für die gleichfalls drohenden Kulturzerstörungen fast verloren. Das ist fatal, hängt das eine doch unmittelbar mit dem anderen zusammen. Wo Lebensräume nämlich durch unheilvolle Umwelteinflüsse in ihrer Existenz gefährdet werden, da geschieht Ähnliches auch mit Orten baukultureller Substanz. Um deren Ausmaße fassbarer zu machen, hilft es, sich ein paar Daten der sich abzeichnenden Klimaveränderungen vor Augen zu halten.
Insgesamt wird bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erderwärmung um mindestens drei Grad wahrscheinlich und zwar selbst dann, wenn alle Staaten ihre selbstgesetzten Klimaziele strikt einhalten.
„Die Risiken und die Geschwindigkeit der Veränderungen wurden unterschätzt“, meint Johan Rockström, führender Erdsystemforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Jahrelang“, erklärt er, „stieg die Ozeantemperatur einigermaßen gleichmäßig an (…). Aber 2023 gibt es plötzlich einen Sprung in der Temperatur. 2024 sehen wir schon wieder einen Sprung.“ Die Selbstregulationskraft der Erde scheint an ihrem Überlastungspunkt: „Die Ozeane und die Ökosysteme an Land nehmen etwa 56 Prozent des CO2 auf (…). Vielleicht sehen wir derzeit die ersten Anzeichen dafür, dass die Kapazität zur Selbstregulation ausgereizt ist.“
Unter dem Blickwinkel von gebautem Kulturerbe zeigt sich aber sogleich eine weitere Konsequenz. Da Städte klassische Hitzeinseln darstellen, gehen Stadtplaner aufgrund von Klimaberechnungen davon aus, dass bis Ende der 2030er Jahre etwa in deutschen Städten regelmäßig und über längere Zeitphasen bodennahe Temperaturen zwischen 60 und 70 Grad Celsius herrschen werden. Bei einer Stadt wie Wien rechnet man damit, dass sie bis zum Jahrhundertende durchschnittlich um fünf Grad wärmer wird. Was dies für Bodenvegetation und Bodenbeschaffenheit zur Folge hat, kann man sich unschwer ausmalen. Genauso, welche Probleme auf Naturdenkmale und Gartendenkmäler zukommen. Im Potsdamer Welterbepark Sanssouci etwa sind bereits drei Viertel der Bäume durch Hitze geschädigt, manche so stark, dass jährlich zwischen 160 und 300 Bäume gefällt werden müssen.
Tatsächlich belegt eine über einen Zeitraum von fünf Jahren durchgeführte Studie des Fraunhofer Instituts einen klaren Zusammenhang zwischen den Klimaverschiebungen auf der einen und der steigenden Schadensanfälligkeit des Baukulturerbes auf der anderen Seite. Dabei wird deutlich, der erhebliche Anstieg von maßgeblichen Größen wie Temperatur und Feuchtigkeit schlägt sich, wo es um Innenräume von Gebäuden geht, und nicht allein von denkmalgeschützten, als Kondensation und Feuchtigkeit nieder.
Die Folgen sind gravierend. Denn es kommt neben der Durchfeuchtung von Mauern und Oberflächen vermehrt auch zur Verschimmelung, wie sie bei manchen Kircheninnenräumen bereits zu beobachten ist. Wo Fäulnis und Schadinsektenbefall bei Holzelementen auftreten, nehmen Schäden bei Textilien, Teppichen, Papier und Farben gleichfalls zu. In tragenden baulichen Materialien werden negative chemische Prozesse wie bestimmte Salzzyklen verstärkt, während parallel biologische Zerstörungen durch Mikroorganismen wie Pilze und Hausschwamm zunehmen. Daneben belasten Extremwetterereignisse wie häufiger Stark- und Schlagregen historische Fassaden, Fundamente und Mauerwerke. Jahrhunderthochwasser und Überschwemmungen von historischen Brücken und Denkmalensembles in Altstädten kommen hinzu, wie jüngst im Ahrtal oder an der Donau. Der Anstieg des Meeresspiegels führt schon jetzt zu der Notwendigkeit, dass aufgrund von Deicherhöhungen etwa in den Vier- und Marschlanden nahe Hamburg 120 historische Gebäude, davon 20 denkmalgeschützt, abgerissen oder äußerst kostspielig umgesetzt werden müssen. Umgekehrt führen lange Trockenphasen, wie wir sie bereits heute erleben, bei Gebäuden zum Grundbruch durch statische Schäden, wobei ganze Fundamente wegbrechen, insbesondere bei lehmigen Untergründen.
Eine Liste, die sich noch verlängern ließe. Zusammen erzeugen alle diese klimabedingten Faktoren eine zunehmend strapaziöse Situation für Baumaterialien und Architekturoberflächen, die bis zur Substanzzerstörung führt. Insgesamt nimmt durch die Klimakrise die Vulnerabilität nicht allein von gebauten Denkmälern, sondern aller Gebäude zu. Historische Bauwerke, die teils über Jahrhunderte in einem ausgewogenen Verhältnis von eigener Bausubstanz und Umweltfaktoren standen, geraten nun aus dem Gleichgewicht und beginnen, substanziellen Schaden zu nehmen.
Der österreichische Kunsthistoriker Wilfried Lipp hat für das 21. Jahrhundert „ein Jahrhundert der Reparatur“ prophezeit. Doch könnten die Schäden eine Größenordnung annehmen, die kaum noch zu bewältigen sein wird und die uns als Gesellschaft vor die Frage stellt, welches Bauerbe erhalten bleiben und die Klimabelastungen überstehen soll und welchem dies nicht mit stetig wachsendem Aufwand ermöglicht wird. Der Gedanke einer solchen Triage bei baulichen und naturalen Kulturgütern beginnt sich jedenfalls unter Denkmalpflegern zu verbreiten. Zumal der Blick der Gesellschaft bei den Folgen des Klimawandels nicht als erstes auf das kulturelle Erbe fällt, sondern zunächst den existentiellen Lebensgrundlagen gilt.
Wo aber Landschaftsgärten vertrocknen, Naturdenkmäler absterben, Kirchenräume verschimmeln und Fundamente reißen, funktionieren herkömmliche Schutzkonzepte nicht mehr. Doch die sich aufbauende Krise greift noch tiefer. Denkmäler sind, wie gesagt, Erinnerungssignaturen und damit Objekte einer besonderen gesellschaftlichen Verständigung. Diese bestimmt letztlich darüber, was an kulturellem Erbe erhalten wird, was „das Gegenwärtige ernährt“. Dabei erscheint mir eine Bemerkung wiederum von Paul Valéry eine gute Beschreibung von Kultur. „Der Mensch“, meint er, „ist ein Tier, das sich nicht lediglich an Umstände anpasst, sondern Umstände schafft, um das Vergnügen zu haben, sich an sie anzupassen.“ Aus dem Vergnügen ist mittlerweile eine ernsthafte zivilisatorische Drucksituation geworden.
Das spürt gerade der Kulturgüterschutz. Denn das kollektive Gedächtnis, dessen Teil die baukulturelle Tradition ist, besitzt einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmen, der abhängig von Relevanzbedingungen und Präferenzbedingungen ist. Stets geht es darum: Was ist wichtig und was hat Vorrang. Die entscheidende Frage wird daher lauten: Inwiefern wird in Zeiten einer klimatransformatorischen Beschleunigung die Erinnerung ihren sozialen Wert behalten, sodass wirtschaftliche Kapazitäten dafür bereitgestellt werden? Und wird der Klimastress und die davon ausgelösten Anpassungsanstrengungen genügend finanzielle Mittel übriglassen, um das kulturelle Erbe zu pflegen?
Aber vielleicht muss ich, um hier eine Plausibilität von Antworten zu erreichen, noch grundsätzlicher fragen. Warum existiert denn überhaupt das kulturell geadelte Bedürfnis, an etwas Vergänglichem und Hinfälligem festzuhalten? Obwohl es zutrifft, dass Bewahren zu unserer Daseinsvorsorge gehört, stellt dies doch lediglich einen Teil der Antwort dar. Der andere Teil ergibt sich aus der Einsicht, dass Erinnerungskultur eine Art weltlicher Cultus ist. Denn der ursprünglichste Impuls dafür, an Vergänglichem festzuhalten, ist, denke ich, das religiöse Totengespräch, ist der Drang, das Reden nicht der Sprachlosigkeit des Endes anheimfallen zu lassen. Die unzähligen Gedenkrituale, Gebetsformeln und Memento-Gesten lassen sich kaum anders erklären.
Wären wir als Kulturwesen in der Lage, das Vergehende einfach rückstandslos verschwinden zu lassen, so würden wir kaum einen vitalen Erinnerungsbezug aufrechterhalten, der beständig vom Abbrechen bedroht ist. Warum ist das so? Ich deute es als den Versuch einer Stabilisierung von Zeit, deren Flüchtigkeit und Instabilität in der Moderne so markant sichtbar geworden ist wie niemals vorher, was ein typisches Bedürfnis nach Stabilisatoren, nach Dauerhaftigkeit und Konsolidierung geweckt hat. Bereits die Religion fußt im Grunde auf Stabilisierungsanstrengungen, insofern Gott, ihr fester Mittelpunkt, den unübertrefflichen Stabilisator und das Ewige schlechthin darstellt. Doch auch die säkulare Kultur kommt nicht darum herum, mit Stabilisierungspraktiken zu arbeiten, wie mit Denkmälern als einem oftmals steinernen Gedächtnis.
Denkmalpfleger konstruieren und rekonstruieren Stabilisierungsmedien von Gesellschaften. Darin liegt ihre grundlegende Bedeutung. Und indem sie das tun, führen sie ein hochgradig artifizielles, wissenschaftlich eingerahmtes Totengespräch fort, die Kommunikation mit dem Vergangenen, das in Kulturlandschaften und ihrem Bauerbe zur gesellschaftlichen Identitätsgestaltung durch Vorläuferzeugnisse gerinnt.
Also noch einmal gefragt: Wie sieht es mit dem Denkmalschutz und seinem kulturellen Stellenwert in einer Zukunft der ökologischen und klimatischen Krise aus? Ich denke, man täuscht sich, wenn man annimmt, Gesellschaften, die unter enormen öko-klimatischen Stress geraten, wären bereit oder überhaupt dazu in der Lage, die administrativen, finanziellen, politischen und psychischen Ressourcen aufzuwenden, um den Kontakt zur Vergangenheit wie bisher aufrechtzuerhalten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ökogestresste Gesellschaften das Totengespräch weitgehend abbrechen, da sie für die Absicherung ihrer Gegenwart hochgradig beansprucht werden. Besitzt jedoch dann, unter derart verschärften Umständen, die einer Zeitalterzäsur gleichkommen, das kulturelle Gedächtnis überhaupt noch einen relevanten Stabilisierungswert bei der Bewältigung der Herausforderungen und Unsicherheiten aufgrund massiver Klimaeffekte?
Man muss kein Prophet sein, um vorhersehen zu können, dass ökogestresste Gesellschaften in einem historischen Moment, wo ihr Fortbestehen merklich in Gefahr gerät, enorme soziale und wirtschaftliche Kräfte aufbieten müssen, um vorrangig ihre Gegenwart – und nicht die Verbindungen zur Vergangenheit – zu stabilisieren. Was ich damit sagen will, ist: Es gibt allen Grund, darüber nachzudenken, ob die folgenreiche kulturelle Wende, die der Historismus des 19. Jahrhunderts bedeutete, wovon auch die Denkmalpflege gespeist wurde und die Nietzsche dazu veranlasste, vor einer für die soziale Vitalität „gefährlichen“ „Übersättigung einer Zeit in Historie“ zu warnen, nicht im 21. Jahrhundert durch eine Gegenrevolte der ökostressverursachten Geschichtsvergessenheit gekontert wird.
Wenn man sich das Bild vor Augen hält, dass unter dem Druck einer sich zuspitzenden Klimakrise das farbige Riff der historischen Zeugnisse im kollektiven Bewusstsein zusehends verblasst und von einer Geschichtsbleiche befallen wird, gelangt man zu einer beunruhigenden Diagnose. Und der jedenfalls lässt sich gegenwärtig nicht mehr aus dem Weg gehen: Wenn Gletscherflüsse versiegen, das einst ewige Eis abschmilzt, der Meeresspiegel ansteigt, das Artensterben weiter zunimmt, die Vegetation sich rasant verändert, Klimafluchtbewegungen global massiv zunehmen und zeitgleich vieles andere, systemisch Wechselwirkende und sich kumulativ Verstärkende geschieht, dann fallen Fragen von denkmaltauglichen Mineralputzen oder anderen technischen und materialen Konservierungsverfahren zusehends der Nebensächlichkeit anheim. Warum mit hohem Einsatz an Mitteln einzelne Geschichtsrelikte retten, wo das gesellschaftliche Ganze in Gefahr gerät? Diese faktische Evidenz scheint mir zu dem entscheidenden Gedanken zu führen: Die Dimensionen der Fragen von Erhalten und Schützen lassen sich heute nur noch in einem gedanklichen Raum vermessen, der durch die kritischen zivilisatorischen Prozesse dieses Jahrhunderts gekennzeichnet wird. Denkmalpflege wird zur klimagefährdeten Epochendisziplin. Tatsächlich spricht wenig dafür, dass das Erhalten erhalten und das Schützen geschützt wird, wenn die Verluste, Zerstörungen und Bedrohungen eine Grenze überschreiten, die Gesellschaften dazu nötigen, ihr schieres ökonomisches und soziales Überleben unter äußerst schwierigen Umweltbedingungen zu behaupten. Sicher ist, so fraglos die Dynamik der Klimagefährdungen weit über die Notwendigkeit situativer Katastrophenhilfe für Denkmäler hinausreicht, so deutlich steigend strapaziert der Kulturgutschutz jener wertvollen Bestände in Bibliotheken, Museen, Kunstdepots und Archiven, die größtenteils in die Verantwortung der etwa 10.000 Kommunen in Deutschland fallen, deren finanzielle Mittel.
Die Zukunft der Vergangenheit bröckelt. Doch statt in Resignation zu verfallen, könnte sich daraus ein neuer Ansporn ergeben. Die architekturbezogene Denkmalpflege bestimmt sich durch ihren konstruktiven Blick auf Funktionsräume, auf historische Wohn-, Arbeits-, Sakral- oder Repräsentationsräume. Sie schaut auf Bauhüllen und deren Inneres. Das Draußen, die klimatische und ökologische Grundbedingung dieser Funktionsräume, bleibt für gewöhnlich ihr blinder Fleck. Diesen aufzuhellen und die nachhaltige, dauerhaft tragfähige Eigenart von Kulturlandschaft sichtbar zu machen, an denen Denkmäler mitwirken, wäre eine dringend erforderliche Gegenwartsaufgabe von Denkmalpflege. Dazu bedarf es der Ausformulierung eines landschaftlichen, natural-sozialen Bewusstseins von Kulturerbe. Denkmalpflege und Kulturerbeerhalt müssen an einem Bedeutungsraum mitwirken, der als Teil unserer Gegenwart und als Beitrag zur Zukunft erfahren werden kann. Nur so werden sie zum aktiven Wert einer Lebenswelt, deren Schutzbedarf soziale Kraft erlangt und die mithilft, dass klimakritische Faktoren der Denkmal- und Naturschädigung reduziert werden.
Erhalten geht über denkmalpflegerische Aufgaben hinaus und wird – gerade im Blick auf Kulturerbe – zu einem umgreifenden gesellschaftlichen Projekt. Vielleicht erleben wir gerade einen geschichtlichen Moment, in dem es unausweichlich wird, grundlegend umzudenken und nicht zuletzt in der Denkmalpflege auf eine Erhaltungsgesellschaft hinzuwirken. Die heute zu beobachtenden Klimaentwicklungen zeigen, dass das Kulturerbe ebenso wie Kulturlandschaften schwerwiegend verändert und oftmals geschädigt werden. In der Folge spielt die Notwendigkeit des Erhaltens eine zentrale Rolle. Statt Abriss, Zu- und Neubau muss die Neugestaltung des Bestands in den Mittelpunkt treten. Städte mit expansiver Baudynamik gehören der Vergangenheit an. Und anstelle disruptiver Ideologien brauchen wir eine entschlossene Erhaltungsgesellschaft, nicht nur um das kulturelle Erbe, sondern um die Zukunft des Lebens insgesamt zu bewahren. Die lange Erfahrung beim Bewahren des Bestehenden gibt der Denkmalpflege alles Recht, sich dabei tatkräftig und herausfordernd einzumischen.