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"Das Land blutet aus"

In Syrien sage man, dass alle fünf Meter jemand vom Geheimdienst stehe, sagt Nail Al Saidi, der während seines Aufenthaltes seine journalistische Tätigkeit ruhen ließ. Durch das Wirtschaftsemgargo und das Ausbleiben der Touristen werde das Leben immer teurer.

Nail Al Saidi im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In Tunesien, in Ägypten und mithilfe des Westens auch in Libyen sind die alten Regime gefallen. Die Regierung Syriens stemmt sich dagegen mit aller Macht und auch mit aller Brutalität gegen einen Wandel. Die Opposition wird gnadenlos verfolgt, von Schläger- und Mörderbanden heimgesucht. Erstaunt nimmt man da zur Kenntnis, was jetzt Präsident Assad der Arabischen Liga versprochen hat. Binnen zwei Wochen werde die Armee aus den Städten abgezogen, Hunderte von Gefangenen sollen freigelassen werden. Und Assad verspricht, dass auch wieder internationale Journalisten ins Land dürfen. Die gibt es praktisch nicht, zumindest keine westlichen, bis unter anderem auf Nail Al Saidi. Der Kölner Journalist war von Juni 2010 bis vor ein paar Wochen in Damaskus und hat dort Arabisch studiert. Bei mir ist er jetzt im Studio. Guten Morgen, Herr Al Saidi.

    Nail Al Saidi: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Assad verspricht viel, Viele glauben es nicht. Sie auch nicht, was er ankündigt?

    Al Saidi: Na ja, das, was er jetzt verspricht, hat er ja schon seit sieben Monaten versprochen. Ich glaube, das dürfte jetzt das vierte Mal sein, dass er gesagt hat, ja, wir ziehen die Soldaten zurück, wir werden mehr Menschen freilassen oder alle freilassen. Ich glaube da nicht viel und man muss nicht viele Nahost-Kenntnisse haben, um das einzuschätzen. Übers Wochenende sind wieder über 40 Menschen gestorben. Also ich sehe da bislang noch keine große Änderung. Versprechen kann man viel; was zählt, sind nur die Fakten.

    Meurer: Sie haben in Damaskus Arabisch studiert?

    Al Saidi: Genau.

    Meurer: ... , waren als Journalist gemeldet, aber sozusagen mit der Vereinbarung, Sie berichten nicht in der Zeit. Jetzt nach Ihrer Rückkehr können Sie es tun.

    al Saidi: Genau.

    Meurer: Wie sah Ihr Alltag aus?

    Al Saidi: Ja. Mein Alltag hat so ausgeschaut, dass ich jeden Morgen zur Uni gefahren bin, oder zu einem anderen staatlichen Sprachinstitut, und ohne, dass ich jetzt unbedingt Demonstrationen pro/kontra direkt gesucht habe, bin ich direkt auf dem Schulweg in die Demonstrationszüge reingefahren, hauptsächlich tagsüber in die Pro-Demonstrationszüge, nicht jeden Tag, aber es gab immer wieder punktuell Vereinbarungen, dass Schüler schulfrei hatten, die haben dann auf den großen Straßen, auf einer großen Autobahn, dann so etwas wie eine Love-Parade veranstaltet, kilometerlange syrische Flaggen entrollt, ein bisschen Party gemacht, und das Ganze wurde dann als Propaganda ausgeschlachtet, und ich bin mit einem Bus daran vorbeigefahren.

    Meurer: Wie gefährlich war so eine Love-Parade und Party, was ja eigentlich nach Party und locker klingt? Aber wie gefährlich war das im Endeffekt für die Teilnehmer?

    Al Saidi: Das war wiederum eine Pro-Organisation. Also das war eine Pro-Veranstaltung, das natürlich auch von der Polizei abgesichert, damit keine Regimegegner das stürmen könnten, hätten sie sich auch nicht getraut, weil da waren etliche Tausende auf der Straße. Gefährlicher war es eher dann zum Abend hin, beispielsweise im Ramadan. Als die Taktung der Proteste sich dann auf täglich erhöht hat, nach dem Abendgebet so um acht, neun Uhr herum, war es dann ziemlich gefährlich, sich vor irgendeiner Moschee aufzuhalten, weil dort die Schlägertruppen Wache gehalten haben. Selbst vor einer kleinen Moschee, wo vielleicht 50 Leute reinpassen, gab es ein paar Gestalten, die mit Schlagstöcken dort herumstanden, und das war dann schon etwas brenzlig.

    Meurer: Was war am brenzligsten für Sie?

    Al Saidi: Am brenzligsten war eine Situation, die ich erlebt habe, wo ich gewohnt habe. Ich habe am Rande der Stadt gewohnt, im palästinensischen Flüchtlingslager, und da ist es an einem Tag im Juni einmal zu einem Feuergefecht gekommen, als sich Regimegegner aus dem Palästinenserlager gegen Unterstützer, auch Palästinenser, erhoben haben. Der Hintergrund ist ein bisschen kompliziert, ich weiß nicht, ob wir die Zeit jetzt hätten, darüber zu reden. Das hat damit zu tun, dass Jugendliche an der Grenze, an der syrisch-israelischen Grenze gestorben sind, in den Golanhöhen, und diese Jugendlichen sollen dort hingetrieben worden sein im Auftrag der Regierung, Jugendliche aus diesem Palästinenserlager, und dann hat sich der palästinensische Volkszorn daran erhoben.

    Meurer: In Syrien sind die Geheimdienste allmächtig. Hatten Sie einen ständigen Schatten und Begleiter?

    Al Saidi: Ob ich einen hatte, weiß ich nicht. Ich denke mal, mehrere. Das Netzwerk ist so dicht gestrickt. Vor einem Jahr noch haben die Menschen gesagt, jeder Fünfte, dem man begegnet auf der Straße, ist jemand vom Muhabarat, jemand vom Geheimdienst. Mittlerweile sagen sie, dass an jeder Straßenecke, an jeder Straßenlaterne alle fünf Meter einer steht, und das Netzwerk, denke ich mal, dürfte so dicht sein, dass selbst mein Vermieter oder der Ladenbesitzer an der Ecke hier und da Informationen über die Ausländer, die in seiner Nachbarschaft wohnen, dann doch den Geheimdiensten übermittelt.

    Meurer: Wie offen, Herr Al Saidi, konnten Sie dort an der Uni mit Ihren Kommilitonen diskutieren?

    Al Saidi: Mit den Kommilitonen, klar, konnte ich so viel diskutieren, wie ich wollte. Das waren ja größtenteils westliche. Ich habe ja als ausländischer Student dort am Sprachencenter studiert. Das war okay. Aber innerhalb der Klasse war das für mich dann unmöglich, weil die Lehrer ein striktes Propagandaprogramm durchgezogen haben. Die haben dieselben Parolen losgelassen, die man auch im Fernsehen erfahren konnte. Da waren alle linientreu und da habe ich auch keine Widerworte gegeben.

    Meurer: Haben Sie denn den Eindruck, man kann überhaupt in Syrien offen reden?

    Al Saidi: Habe ich auch erfahren, auf jeden Fall. Teilweise bin ich von komplett Fremden angesprochen worden auf der Straße, einmal am Rande einer sich auflösenden Demonstration, ob ich Journalist sei. Ich musste dann schnell abwinken, weil ich dann schon gesehen habe, dass einige der Leute, die man die Sicherheitstruppen nennt, auf mich aufmerksam geworden sind. Oder eine andere Situation ist mir passiert vor dem Goethe-Institut, das damals geschlossen hatte, jetzt wieder aufhat. Zumindest hat mich dort einer angesprochen, der eine Woche zuvor einen WG-Genossen verloren hat bei einer Demonstration, und der wollte jetzt in seinem Andenken Deutsch lernen. Und dieser Mann hat mich inmitten des diplomatischen Viertels angesprochen und hat seine Wut losgelassen. Das war für mich damals, im März war das, glaube ich, so die erste Erfahrung, dass jemand öffentlich über Politik spricht, nicht nur spricht, sondern auch sein ganzes Regime verteufelt.

    Meurer: Sind Leute, die Sie kannten, Herr Al Saidi, verschwunden?

    Al Saidi: Das hört sich jetzt mysteriös an. Es gibt einige, die ins Ausland geflüchtet sind oder das Land auch mehr oder weniger offiziell verlassen haben, weil die Arbeitsmöglichkeiten für sie immer schlechter werden, durch das Wirtschaftsembargo - und das Land blutet aus.

    Meurer: Wie wirkt sich das aus, dieses Ausbluten? Gibt es nicht mehr alles zu kaufen, sind die Waren teuer?

    Al Saidi: Teurer geworden sind sie traditionell zu Ramadan, wie jedes Jahr. Bis ich noch da geblieben bin, hat sich alles noch so einigermaßen gehalten. Wir mussten das Land auf jeden Fall dann verlassen, als die Kreditkarten gesperrt worden sind. Nachdem das Wirtschaftsembargo gegen Visa, Master Card und so weiter ausgesprochen worden ist, oder diese Unternehmen das Wirtschaftsembargo mit unterstützt haben, sind wir nicht mehr an Geld gekommen und mussten raus aus dem Land. Es hat so weit noch alle Waren gegeben, aber für die Syrer wird es jetzt, glaube ich, in der nächsten Zeit immer schwerer und schwerer. Die Touristen fehlen komplett. Die Altstadt ist ansonsten überfüllt mit ausländischen Touristen aus Europa oder aus Übersee und da ist jetzt tote Hose, und die Händler und die Familien, die werden es als erste spüren, oder spüren es schon längst.

    Meurer: Nail Al Saidi hat ein Jahr lang in Damaskus Arabisch studiert und uns hier im Deutschlandfunk seine Erlebnisse und Erfahrungen geschildert. Danke für den Besuch im Studio.

    Al Saidi: Bitte schön.

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