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Das langsame Ende der Hauptschule in Deutschland

Als letzte Partei hat sich die CDU auf ihrem Parteitag in Leipzig von der Hauptschule verabschiedet. Gedanken, ob das aktuelle Schulsystem noch zeitgemäß sei, kann der Rektor der Katholischen Hauptschule in Köln zwar gut nachvollziehen, zur inhaltlichen Ausgestaltung der Schulformen gebe es aber noch jede Menge offener Fragen.

Manfred Lebek im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Das deutsche Schulwesen hat in den vergangenen Jahrzehnten so einige Veränderungen erlebt, aber der gestrige Tag hat möglicherweise eine ganze Ära beendet, nämlich die der Hauptschule. Als letzte Partei hat sich auch die CDU auf ihrem Parteitag in Leipzig von der Hauptschule verabschiedet. Künftig will sich die CDU für sogenannte Oberschulen einsetzen. Darin werden Haupt- und Realschulen zusammengelegt. Der Beschluss von Leipzig bedeutet natürlich jetzt nicht, dass sofort irgendeine der bestehenden Hauptschulen in Deutschland geschlossen wird, aber langfristig, das kann man sagen, hat diese Schulform in der Politik keine Unterstützung mehr.

    Wie wird diese Entscheidung nun in den Hauptschulen selbst gesehen? Darüber kann ich jetzt mit meinem Studiogast sprechen. Neben mir sitzt Manfred Lebek, Rektor der Katholischen Hauptschule Großer Griechenmarkt in Köln. Schönen guten Morgen, Herr Lebek.

    Manfred Lebek: Schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Lebek, sind Hauptschulen heute überflüssig?

    Lebek: Zunächst einmal haben wir, glaube ich, im Augenblick keine Schulen, die überflüssig sind. Die Frage ist, welche Schulen haben Perspektiven und welche Schulen sollen erhalten bleiben, um sinnvoll unsere Kinder zu erziehen und zu beschulen.

    Armbrüster: Können Sie das denn verstehen, dass sich die Politiker langsam von der Hauptschule verabschieden, jetzt auch die CDU?

    Lebek: Man muss sich sicherlich Gedanken machen, ob das aktuelle System, das wir haben, ob das noch zeitnah ist, ob das das sinnvolle System ist, das Bestand haben wird in Zukunft. Ich weiß nicht, ob die Abschaffung – Abschaffung haben wir jetzt ja nicht -, ob eigentlich die Neuschaffung einer weiteren Schulform bei Beibehaltung der anderen bestehenden Schulformen, ob das eine sinnvolle Lösung ist, oder ob man nicht dann besser sagt, so wie es in Sachsen auch passiert ist, es gibt zwei Schulformen, die Bestand haben, die eine Perspektive haben. Im Augenblick ist die ganze Sache mit vielen Fragezeichen behaftet.

    Armbrüster: Das heißt, Sie würden lieber sagen, wir behalten die Realschule und das Gymnasium und auf die Realschule kommen dann beispielsweise Hauptschüler und Realschüler?

    Lebek: Sicherlich kann man nicht einfach sagen, wir behalten die Realschule. Es muss inhaltliche Veränderungen geben. Das passiert ja schon, das passiert schon lange. Die Frage der Zukunft der Hauptschule, die ist ja nicht gerade erst aktuell aufgetreten, die beschäftigt uns Hauptschulpraktiker schon recht lange, weil die Zahlen natürlich auch nicht von der Hand zu weisen sind. Wir haben keine zunehmenden Schülerzahlen. Wir haben bei uns allerdings, muss ich dazu sagen, bestehende Schülerzahlen. Wir bleiben bei unserer Schülerzahl mit circa 450 Schülern. Im Augenblick haben wir Bestand und das wird, hoffe ich, auch weiter so bleiben.

    Es ändert sich nichts daran: Wir müssen sagen, wir haben eine Realschule. Sie können das Kind nennen wie sie wollen, wir haben in den Bundesländern verschiedene Namen dafür. Es muss in den Schulformen etwas passieren, es muss sicherlich eine Angleichung geben und dann muss überlegt werden, ist es sinnvoll, eine weitere Schulform zu schaffen, oder schafft man wirklich ein System, in dem für alle, auch für die Eltern – die stehen ja vor ganz vielen Fragezeichen – Klarheit besteht: Das ist die Auswahl, da kann ich mir jetzt überlegen, schicke ich mein Kind dorthin, ist das die sinnvolle Schulform.

    Armbrüster: Herr Lebek, was sind das für Schüler, die heute im Jahr 2011 Ihre Hauptschule hier in Köln besuchen?

    Lebek: Das sind sehr, sehr verschiedene Schüler mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Es hat sich sicherlich in den letzten Jahrzehnten verändert, die Schülerschaft, wie in den anderen Schulformen auch. Ich glaube, dass die Kinder, die an ein Gymnasium heute gehen, sicherlich andere Kinder sind, als das vor 15 Jahren der Fall war. Das hat mit ganz vielen Faktoren zu tun, die da eine Rolle spielen. Das heißt, dass unsere Kinder sicherlich sehr anspruchsvoll sind, und diesen Aufgaben haben wir uns auch zu stellen. Der Schwerpunkt unserer Arbeit hat sich vielleicht noch mehr Richtung erzieherische Tätigkeit entwickelt.

    Armbrüster: Können Sie das erklären?

    Lebek: Ja. Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung. Das hat mit Werten sicherlich auch zu tun. Das ist ja genau das, und da sind wir mitten im Arbeitsfeld unserer Schulform: Wenn wir unsere Jugendlichen entlassen nach der Klasse zehn und die Handwerksbetriebe Auszubildende suchen, dann suchen die sicher nicht nur Schüler, die gut rechnen können oder auch eine Beschreibung vernünftig abgeben können, sondern auch Schüler, die pünktlich sind, die bestimmte Umgangsformen haben, und das ist ein gesellschaftliches Phänomen, da müssen wir als Schule auch dran arbeiten.

    Armbrüster: Das heißt, Sie nehmen sozusagen das wahr als Rolle, was früher Eltern oder eine Familie gemacht haben: Kinder erziehen?

    Lebek: Immer mehr, sicherlich. Das ist sicherlich ein ganz großer Schwerpunkt der Hauptschule.

    Armbrüster: Wie nehmen denn die Schüler an Ihrer Schule diese Diskussion der vergangenen Monate wahr? Verfolgen die die überhaupt? Merken die, dass sozusagen die Hauptschule so ein bisschen als das Sorgenkind und das Auslaufmodell des deutschen Schulsystems gilt?

    Lebek: Das ist sicherlich sehr unterschiedlich. In den höheren Klassen, im Jahrgang neun und zehn, ist das ein Thema. Da kommt immer die Frage, wenn ich in den Unterricht gehe, wenn so aktuelle Fragen auftauchen: Herr Lebek, wie sieht es aus, macht unsere Schule zu, das kann doch nicht sein? In den Jahrgängen fünf, jetzt gerade im neu aufgenommenen – wir haben wieder drei fünfte Klassen -, da kommen die Eltern und fragen, haben unsere Kinder überhaupt eine Perspektive hier, werden die eigentlich bis zur zehn hier bleiben können.

    Armbrüster: Wenn wir jetzt dazu kommen, dass solche Schultypen tatsächlich zusammengelegt werden, flächendeckend in Deutschland, dass es künftig nur noch zwei Schulen geben wird, egal wie man diese zweite Schule dann nennt, glauben Sie, dass dabei die bisherigen Hauptschüler sozusagen unter die Räder kommen?

    Lebek: Nein, das glaube ich nicht. Alle, die in Schule tätig sind, sind sich der Verantwortung sicherlich bewusst, dass sie ein sehr breites unterschiedliches Schülerpotenzial haben. Das ist in den Städten so, das ist auf dem Land so, da muss man eben gucken und die Rahmenbedingungen so anpassen, dass allen Schülern möglichst Gerechtigkeit widerfährt, dass sie da abgeholt werden, wo sie sind. Das ist das, was wir gerade versuchen. Das ist die Aufgabe der Hauptschule auch zu sagen, wir haben ein spezielles Schülerpotenzial und wir müssen die da abholen, wo sie sind, und das ist nicht immer sofort die Wissensvermittlung. Die kommt natürlich dazu, denn die Betriebe sagen nachher, auch die weiterführenden Schulen zurecht, wir brauchen bestimmte Grundlagen. Aber es ist eben sehr vielschichtig.

    Armbrüster: Das heißt, wenn jetzt tatsächlich diese zwei Schulen kommen, dann könnten Hauptschüler durchaus davon profitieren, dass sie möglicherweise mit Kindern auch aus anderen Schichten zusammen sind, mit Kindern, die vielleicht auch höhere Hoffnungen haben, die vielleicht über Studium und Abitur nachdenken?

    Lebek: So eine Situation haben wir im Augenblick im Grunde genommen jetzt schon, denn wir haben ja bei uns auch Schüler, die weiterführende Schulen in der Sekundarstufe II besuchen, auch die dann möglicherweise noch mit einem Studium weitermachen – sicherlich nicht in der Breite, aber die Situation haben wir jetzt schon. Das ist eine grundsätzliche Frage, ob das hilfreich ist, dass unterschiedlich starke Lerngruppen zusammenarbeiten. Das kann man sicherlich so befürworten. Aber es wird ja nicht so sein, auch egal wie diese Schulform dann heißt, dass dann so eine ganz große Vermischung stattfindet, denn die potenziellen Studienanfänger, die gehen ja weiterhin aufs Gymnasium.

    Armbrüster: Manfred Lebek war das, Rektor der Katholischen Hauptschule Großer Griechenmarkt hier in Köln, und wir haben mit ihm gesprochen über das langsame Ende der Hauptschule bei uns in Deutschland. Besten Dank, Herr Lebek, dass Sie sich die Zeit genommen haben heute Morgen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.