Engel sitzt zu Hause am PC, vergewissert sich schreibend seiner Geschichte. Er setzt ein, als er neunzehn war und gerade das Abitur gemacht hat. Er hat sich in Marius, einem Mitschüler verliebt. Sein Problem besteht aber nicht darin, dass er, wie es heißt, "offensichtlich nun doch schwul war". Eine unüberwindliche Kraft in seinem Kopf sorgt dafür, dass er sein Glück nicht annehmen kann. Sie richtet sich gegen ihn selbst und gegen andere, entwickelt ein Eigenleben und reibt ihn, dass er Dinge tut, die weder andere noch er selbst verstehen können. Ein Kindheitstrauma, Schuldgefühle seiner Mutter gegenüber, sind die Ursache.
Engel schreibt, wie er damals seinen Freund zurückgestoßen hat, wie er sich Hals über Kopf in eine neue Liebe gestürzt und auch diese zerstört hat. War es aber so, wie er es jetzt festhält? In seinem Kopf kreisen die Gedanken. Wirkliche Gefühle, wirkliches Geschehen werden in der Erinnerung überlagert von Vorstellungswelten, in die Engel sich hineinsteigert - auch sprachlich, mit mächtigen, manchmal schiefen Bildern, überbordenden Folgen von Adjektiven, die ihren Gegenstand eher umkreisen als bezeichnen. Er schafft einen Panzer zwischen sich und er Welt, wandelt auf der Grenze zwischen Realität und Imaginationen, verliert den Halt, wird abhängig von Schlaftabletten. Aber hat er schon damals, nach der Katastrophe mit Marius, wirklich Tabletten aus dem Schlafzimmer seiner Mutter gestohlen? Hat er sich, um den eigenen Schmerz zu spüren, mit dem Fleischmesser quer über die Brust verlaufenden Schnittwunden zugefügt? Die Geschichte führt ihn nach Wien, wo er studiert, bei einer Frau lebt, die ähnliche Probleme hat, wo er sich in einen Strichjungen verliebt. Schlaftabletten werden zu seinem ständigen Begleiter, ein Selbstmordversuch führt zu einem langen Klinikaufenthalt.
Der 1974 geborene Gunther Geltinger hat in Wien Drehbuch und Dramaturgie studiert, hat mit einer Erzählung 2004 den Literaturpreis der schwulen Buchläden gewonnen und erhielt im letzten Jahr das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln. Mit "Mensch Engel!" - so der Titel dieses Roman-Debüts - hat er sich etwas sehr Ehrgeiziges vorgenommen. Er führt den Leser in das Innenleben eines selbstmordgefährdeten Borderliners, der keinen Boden unter den Füßen hat und keine richtigen Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen kann, dem nur das Schreiben bleibt als ständige Vergewisserung seiner Realität. Dem Leser des Romans tritt dieser Engel deshalb auf verschiedenen Ebenen gegenüber: als Figur über die er schreibt, aber auch als Schreibender, als Ich-Erzähler, der sich sprachlich deutlich von den anderen Ebenen unterscheidet, der klar, beinahe schlank erzählen kann. Dieser sitzt in seinem Kölner Zimmer, lebt in einer schwierigen Beziehung mit Boris, schreibt auf der Tastatur seines Computers. Er geht mit Boris am Rhein spazieren, unternimmt mit ihm eine Fahrradtour nach Frankreich, wo ihn plötzlich die Probleme seiner Familie, die Geschichte seiner Mutter wieder einholen. Dieser Engel blickt auf den Engel seiner Erinnerungen wie auf jemand anderen.
"Engel schreibt." Mit diesen Worten beginnt der Roman. Engel erzählt nicht nur, was er erinnert, was nach dem Abitur und in Wien geschehen ist, er stellt das Geschriebene in Frage, kämpft mit sich: Schlägt er den richtigen Ton an, wählt er die passenden Worte, gibt er ihnen durch falsches Pathos oder übersteigerte Dramatisierung nicht eine neue, ganz andere, tatsächlich in die Irre führende Bedeutung? "Engel blickt von seinen Aufzeichnungen hoch", heißt es: "War es wirklich der Bremsenstich, fragt er sich, der ... " und so weiter. Zu Beginn mögen solche Passagen etwas gekünstelt wirken, doch mit der Zeit erschließen sich dem Leser die auch sprachlich unterschiedenen Ebenen, wird deutlich, dass es immer wieder nur um ohnmächtige Versuche geht, das Verhältnis zur Erinnerung, zum tatsächlichen Leben, neu zu justieren.
Engel schreibt weiter, wie er nach Studium und Klinikaufenthalt in Wien zu seiner in Grasse/Südfrankreich lebenden Schwester geht, um dort Ruhe zu finden. Von Grasse treibt es ihn später nach Köln, wo er quasi auf der Straße lebt, bis er nachts in einem Waschsalon Boris kennen lernt und zu ihm zieht. Schon in Grasse hatte er, der sich seiner Schwester nahe fühlt, aber auch mit ihr nicht reden kann, angefangen zu schreiben, damals in eine Kladde: eine weitere Ebene des Romans, in dem Imaginationen und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart des Erinnerns ineinander stürzen, eine Einheit bilden, aus der es kein Entrinnen gibt.
"Mensch Engel", so wie Boris es zu ihm einmal sagt, möchte auch der Leser es dieser Figur gerne zurufen: Komm raus aus dem Käfig deiner Gedanken, komm zurück ins Leben! Engel muss um die 30 sein. Was nach dem Abitur und in den darauf folgenden Jahren wirklich passiert ist, lässt sich aus dem Textkorpus nur erahnen. Selbst die oberste Ebene des Textes, in der Engel als Ich-Erzähler agiert, entzieht sich auf Dauer dem sicheren Zugriff des Lesers, selbst hier bildet die äußere Realität kein Korrektiv zur Innenwelt der Figur. Darin liegt das Beunruhigende, das lange Zeit Nachwirkende dieses Romans, darauf muss man sich einlassen, sonst regt man sich nur überflüssiger Weise auf. So wie Geltinger aber die verschiedenen Ebenen dieses in sich geschlossenen Systems miteinander verknüpft, gelingt ihm etwas Großartiges: Er bringt es zur Sprache, macht spürbar, was sich dem Außenstehenden sonst verschließt. "Morgen höre ich auf zu schreiben", sagt Engel am Ende des ersten Kapitels zu seinem Freund Boris. "Ich muss doch irgendwann einmal anfangen zu leben." Das Leben bewältigen kann Engel aber doch nur im Schreiben. Der Roman endet, wie er begonnen hat: "Engel schreibt:" - Doppelpunkt.
Engel schreibt, wie er damals seinen Freund zurückgestoßen hat, wie er sich Hals über Kopf in eine neue Liebe gestürzt und auch diese zerstört hat. War es aber so, wie er es jetzt festhält? In seinem Kopf kreisen die Gedanken. Wirkliche Gefühle, wirkliches Geschehen werden in der Erinnerung überlagert von Vorstellungswelten, in die Engel sich hineinsteigert - auch sprachlich, mit mächtigen, manchmal schiefen Bildern, überbordenden Folgen von Adjektiven, die ihren Gegenstand eher umkreisen als bezeichnen. Er schafft einen Panzer zwischen sich und er Welt, wandelt auf der Grenze zwischen Realität und Imaginationen, verliert den Halt, wird abhängig von Schlaftabletten. Aber hat er schon damals, nach der Katastrophe mit Marius, wirklich Tabletten aus dem Schlafzimmer seiner Mutter gestohlen? Hat er sich, um den eigenen Schmerz zu spüren, mit dem Fleischmesser quer über die Brust verlaufenden Schnittwunden zugefügt? Die Geschichte führt ihn nach Wien, wo er studiert, bei einer Frau lebt, die ähnliche Probleme hat, wo er sich in einen Strichjungen verliebt. Schlaftabletten werden zu seinem ständigen Begleiter, ein Selbstmordversuch führt zu einem langen Klinikaufenthalt.
Der 1974 geborene Gunther Geltinger hat in Wien Drehbuch und Dramaturgie studiert, hat mit einer Erzählung 2004 den Literaturpreis der schwulen Buchläden gewonnen und erhielt im letzten Jahr das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln. Mit "Mensch Engel!" - so der Titel dieses Roman-Debüts - hat er sich etwas sehr Ehrgeiziges vorgenommen. Er führt den Leser in das Innenleben eines selbstmordgefährdeten Borderliners, der keinen Boden unter den Füßen hat und keine richtigen Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen kann, dem nur das Schreiben bleibt als ständige Vergewisserung seiner Realität. Dem Leser des Romans tritt dieser Engel deshalb auf verschiedenen Ebenen gegenüber: als Figur über die er schreibt, aber auch als Schreibender, als Ich-Erzähler, der sich sprachlich deutlich von den anderen Ebenen unterscheidet, der klar, beinahe schlank erzählen kann. Dieser sitzt in seinem Kölner Zimmer, lebt in einer schwierigen Beziehung mit Boris, schreibt auf der Tastatur seines Computers. Er geht mit Boris am Rhein spazieren, unternimmt mit ihm eine Fahrradtour nach Frankreich, wo ihn plötzlich die Probleme seiner Familie, die Geschichte seiner Mutter wieder einholen. Dieser Engel blickt auf den Engel seiner Erinnerungen wie auf jemand anderen.
"Engel schreibt." Mit diesen Worten beginnt der Roman. Engel erzählt nicht nur, was er erinnert, was nach dem Abitur und in Wien geschehen ist, er stellt das Geschriebene in Frage, kämpft mit sich: Schlägt er den richtigen Ton an, wählt er die passenden Worte, gibt er ihnen durch falsches Pathos oder übersteigerte Dramatisierung nicht eine neue, ganz andere, tatsächlich in die Irre führende Bedeutung? "Engel blickt von seinen Aufzeichnungen hoch", heißt es: "War es wirklich der Bremsenstich, fragt er sich, der ... " und so weiter. Zu Beginn mögen solche Passagen etwas gekünstelt wirken, doch mit der Zeit erschließen sich dem Leser die auch sprachlich unterschiedenen Ebenen, wird deutlich, dass es immer wieder nur um ohnmächtige Versuche geht, das Verhältnis zur Erinnerung, zum tatsächlichen Leben, neu zu justieren.
Engel schreibt weiter, wie er nach Studium und Klinikaufenthalt in Wien zu seiner in Grasse/Südfrankreich lebenden Schwester geht, um dort Ruhe zu finden. Von Grasse treibt es ihn später nach Köln, wo er quasi auf der Straße lebt, bis er nachts in einem Waschsalon Boris kennen lernt und zu ihm zieht. Schon in Grasse hatte er, der sich seiner Schwester nahe fühlt, aber auch mit ihr nicht reden kann, angefangen zu schreiben, damals in eine Kladde: eine weitere Ebene des Romans, in dem Imaginationen und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart des Erinnerns ineinander stürzen, eine Einheit bilden, aus der es kein Entrinnen gibt.
"Mensch Engel", so wie Boris es zu ihm einmal sagt, möchte auch der Leser es dieser Figur gerne zurufen: Komm raus aus dem Käfig deiner Gedanken, komm zurück ins Leben! Engel muss um die 30 sein. Was nach dem Abitur und in den darauf folgenden Jahren wirklich passiert ist, lässt sich aus dem Textkorpus nur erahnen. Selbst die oberste Ebene des Textes, in der Engel als Ich-Erzähler agiert, entzieht sich auf Dauer dem sicheren Zugriff des Lesers, selbst hier bildet die äußere Realität kein Korrektiv zur Innenwelt der Figur. Darin liegt das Beunruhigende, das lange Zeit Nachwirkende dieses Romans, darauf muss man sich einlassen, sonst regt man sich nur überflüssiger Weise auf. So wie Geltinger aber die verschiedenen Ebenen dieses in sich geschlossenen Systems miteinander verknüpft, gelingt ihm etwas Großartiges: Er bringt es zur Sprache, macht spürbar, was sich dem Außenstehenden sonst verschließt. "Morgen höre ich auf zu schreiben", sagt Engel am Ende des ersten Kapitels zu seinem Freund Boris. "Ich muss doch irgendwann einmal anfangen zu leben." Das Leben bewältigen kann Engel aber doch nur im Schreiben. Der Roman endet, wie er begonnen hat: "Engel schreibt:" - Doppelpunkt.