Eine Szene aus dem Spielfilm "An ihrer Stelle". Er spielt im ultraorthodoxen Milieu von Tel Aviv. Regisseurin ist Rama Burshtein. Sie ist selbst ultraorthodox, trägt ihr Haar bedeckt. Der Film war weltweit ein Erfolg, sowohl an den Kinokassen als auch bei der Kritik. Bursteins Film erhielt verschiedene Preise. In Deutschland lief er in diesem Sommer im Kino, in einigen Großstädten ist er noch immer zu sehen.
Schon im Frühjahr hatte das deutsche Fernsehen einen großen Dokumentarfilm über eine deutschstämmige Jüdin gesendet, die nach Jerusalem gezogen war, um mit ihrer Familie das Leben der Haredim zu führen, der Gottesfürchtigen, wie sich Ultraorthodoxe selbst nennen.
Mit dieser geheimnisvollen Welt hat sich Itai Ken-Tor beschäftigt – in stolzer 270-Minuten-Film-Länge. Seine Trilogie trägt den Titel "Haredim".
"Die gesamte Trilogie hat einen Zweck: die Kontroversen in der orthodoxen Welt herauszuarbeiten. Es gibt dort heftige Debatten – etwa zur Frage: Sollen wir die Mauern noch höher ziehen, uns noch stärker vom Staat Israel distanzieren und alles Moderne meiden? Also, leben wie in einer Enklave, wie im Ghetto? Andere sagen: Wir sollten uns nicht zu sehr abschotten. Sonst gerät die junge Generation in Versuchung, ihr Glück draußen zu suchen. Die jungen Leute müssen sehen, ja, wir haben Internet, aber eines, das zu uns passt. Quasi ein koscheres Internet. Ja, wir sind Teil der Moderne, aber wir passen sie uns an."
Itai Ken-Tor ist säkularer Jude. Gerade aus dieser Gruppe, die politisch meist eher links ausgerichtet ist, kommt oftmals scharfe Kritik an den Ultraorthodoxen.
"Ich habe auch viel zu kritisieren an den Vorteilen für Ultraorthodoxe. Klar, sie müssen am Arbeitsmarkt teilhaben und genauso hart arbeiten wie ich und Steuern zahlen. Aber für viele Israelis sind Ultraorthodoxe ein dankbares Opfer, ein Sündenbock. Sind denn Ultraorthodoxe unser größtes Problem? Zum Beispiel, was die Steuern angeht? Würden Reiche mehr Steuern zahlen, hätten wir keine Finanzprobleme. Es gibt schon auch andere Möglichkeiten, Geld einzutreiben. Nicht nur bei den Ultraorthodoxen. Aber auf ihnen rumzuhacken, das bringt Wählerstimmen."
Haredim, die Trilogie von Itai Ken-Tor, konfrontiert unterschiedliche Typen von Ultraorthodoxen mit ihren eigenen Sichtweisen: Da ist etwa ein inzwischen verstorbenes Knesset-Mitglied, ein konsequenter Verfechter strengen jüdischen Lebens. Aber auch er meint: Wir müssen unsere Ziele mit legalen, parlamentarischen Mitteln erreichen. Anders sein ultraorthodoxer Mitstreiter – oder eher Konkurrent: Der fordert dazu auf, nicht zur Wahl zu gehen. Aus der Sicht solcher Extremisten verstößt die Existenz des Staates Israel gegen den Willen Gottes. Einen jüdischen Staat dürfe es erst geben, wenn der Messias kommt. Auf ihn gelte es, zu warten und bis dahin nicht die Sprache der Bibel zu sprechen. Sonst werde Hebräisch profaniert.
Wenn ultraorthodoxe Extremisten demonstrieren gehen, auch dann sprechen sie jiddisch. Für unsere Ohren zum Teil verständlich, auch wenn Gevald in diesem Fall nicht Gewalt, sondern Katastrophe bedeutet.
Eine extreme Minderheit innerhalb der Minderheit der Ultraorthodoxen: Moderate Ultraorthodoxe schütteln den Kopf über diese Zeloten. Rachel Chalkowski, ebenfalls eine Protagonistin in Itai Ken-Tors Film, geht noch weiter. Sie sieht in der Gruppe ultraorthodoxer extremistischer Männer eine Gefahr für das traditionelle jüdische Leben. Deshalb hat sie sich auf die Seite der Frauen jener Männer gestellt. Rachel Chalkowski ist Hebamme. Als Krankenschwester war sie ständig mit den Nöten ultraorthodoxer Frauen konfrontiert. Im Schnitt bringen sie sieben Kinder zur Welt – manche auch zehn und mehr. Fruchtbar zu sein gilt als göttliches Gebot, Familienplanung als Eingriff in Gottes Plan.
Und so leben 60 Prozent der Haredim unter der Armutsgrenze. Ebenso viele Männer gehen keiner Erwerbsarbeit nach. Sie widmen sich der ihrer Überzeugung nach zentralen Aufgabe: dem Torastudium und dem Gebet. Ihre Ehefrauen haben zum Teil mehrere Jobs. Viele sind auf Unterstützung angewiesen. Rachel Chalkowski will helfen, die Lebensbedingungen der Frauen zu verbessern. Sie gründete eine Stiftung.
"Wenn ich eine Frau sehe, die nicht anständig angezogen ist, unterernährt ist, mit 28 ihr zehntes Kind hat, dann muss ich doch eingreifen und helfen."
Auch diese gemäßigt ultraorthodoxe Position von Rachel Chalkowski mag in den Ohren säkularer Juden unverständlich klingen. Denn auch Chalkowski stellt nicht infrage, dass die Frauen sich um Haushalt und Kinder kümmern, damit die Männer beten und in der Thora lesen können.
"Es gibt so unterschiedliche Frauen in dieser fremden Welt. Einige arbeiten in Hightech-Firmen. Andere als Lehrerinnen oder Sozialarbeiterinnen. Und es gibt Feministinnen, ultraorthodoxe Feministinnen."
Itai Ken-Tor fordert mit seiner Filmtrilogie dazu auf, genauer hinzusehen, zu differenzieren. Er zeigt aus nächster Nähe das Ringen um Identität in den verschiedenen Strömungen ultraorthodoxer Juden. Für Ultraorthodoxe war es zunächst gar nicht so leicht, bei diesem Film-Projekt mitzumachen, sagt Rachel Chalkowski.
"Dieser Film richtet sich ja an nicht religiöse Menschen. Seit er gezeigt wurde, hat sich etwas verändert. Endlich hat die säkulare Welt sich mal mit uns beschäftigt. Ich glaube schon, dass säkulare Israelis, die den Film gesehen haben, uns jetzt etwas besser verstehen."
"Ultraorthodox" – womöglich ist die Bezeichnung schon Teil des Problems, weil sie ausgrenzt. Rachel Chalkowski jedenfalls mag es nicht, als Ultraorthodoxe bezeichnet zu werden, aber ...
"Ich mag das Wort Haredim genauso wenig. Eine Bevölkerungsgruppe in eine Schublade stecken? Manchmal bei Meinungsumfragen, da kommt als Erstes die Frage: Wozu gehören Sie? Wie bezeichnen Sie sich selbst? Als ultraorthodox? Als säkular? Ich sage dann, ich bin jüdisch. Nächste Frage, bitte. Ja, ich bin jüdisch. Religiös."
Schon im Frühjahr hatte das deutsche Fernsehen einen großen Dokumentarfilm über eine deutschstämmige Jüdin gesendet, die nach Jerusalem gezogen war, um mit ihrer Familie das Leben der Haredim zu führen, der Gottesfürchtigen, wie sich Ultraorthodoxe selbst nennen.
Mit dieser geheimnisvollen Welt hat sich Itai Ken-Tor beschäftigt – in stolzer 270-Minuten-Film-Länge. Seine Trilogie trägt den Titel "Haredim".
"Die gesamte Trilogie hat einen Zweck: die Kontroversen in der orthodoxen Welt herauszuarbeiten. Es gibt dort heftige Debatten – etwa zur Frage: Sollen wir die Mauern noch höher ziehen, uns noch stärker vom Staat Israel distanzieren und alles Moderne meiden? Also, leben wie in einer Enklave, wie im Ghetto? Andere sagen: Wir sollten uns nicht zu sehr abschotten. Sonst gerät die junge Generation in Versuchung, ihr Glück draußen zu suchen. Die jungen Leute müssen sehen, ja, wir haben Internet, aber eines, das zu uns passt. Quasi ein koscheres Internet. Ja, wir sind Teil der Moderne, aber wir passen sie uns an."
Itai Ken-Tor ist säkularer Jude. Gerade aus dieser Gruppe, die politisch meist eher links ausgerichtet ist, kommt oftmals scharfe Kritik an den Ultraorthodoxen.
"Ich habe auch viel zu kritisieren an den Vorteilen für Ultraorthodoxe. Klar, sie müssen am Arbeitsmarkt teilhaben und genauso hart arbeiten wie ich und Steuern zahlen. Aber für viele Israelis sind Ultraorthodoxe ein dankbares Opfer, ein Sündenbock. Sind denn Ultraorthodoxe unser größtes Problem? Zum Beispiel, was die Steuern angeht? Würden Reiche mehr Steuern zahlen, hätten wir keine Finanzprobleme. Es gibt schon auch andere Möglichkeiten, Geld einzutreiben. Nicht nur bei den Ultraorthodoxen. Aber auf ihnen rumzuhacken, das bringt Wählerstimmen."
Haredim, die Trilogie von Itai Ken-Tor, konfrontiert unterschiedliche Typen von Ultraorthodoxen mit ihren eigenen Sichtweisen: Da ist etwa ein inzwischen verstorbenes Knesset-Mitglied, ein konsequenter Verfechter strengen jüdischen Lebens. Aber auch er meint: Wir müssen unsere Ziele mit legalen, parlamentarischen Mitteln erreichen. Anders sein ultraorthodoxer Mitstreiter – oder eher Konkurrent: Der fordert dazu auf, nicht zur Wahl zu gehen. Aus der Sicht solcher Extremisten verstößt die Existenz des Staates Israel gegen den Willen Gottes. Einen jüdischen Staat dürfe es erst geben, wenn der Messias kommt. Auf ihn gelte es, zu warten und bis dahin nicht die Sprache der Bibel zu sprechen. Sonst werde Hebräisch profaniert.
Wenn ultraorthodoxe Extremisten demonstrieren gehen, auch dann sprechen sie jiddisch. Für unsere Ohren zum Teil verständlich, auch wenn Gevald in diesem Fall nicht Gewalt, sondern Katastrophe bedeutet.
Eine extreme Minderheit innerhalb der Minderheit der Ultraorthodoxen: Moderate Ultraorthodoxe schütteln den Kopf über diese Zeloten. Rachel Chalkowski, ebenfalls eine Protagonistin in Itai Ken-Tors Film, geht noch weiter. Sie sieht in der Gruppe ultraorthodoxer extremistischer Männer eine Gefahr für das traditionelle jüdische Leben. Deshalb hat sie sich auf die Seite der Frauen jener Männer gestellt. Rachel Chalkowski ist Hebamme. Als Krankenschwester war sie ständig mit den Nöten ultraorthodoxer Frauen konfrontiert. Im Schnitt bringen sie sieben Kinder zur Welt – manche auch zehn und mehr. Fruchtbar zu sein gilt als göttliches Gebot, Familienplanung als Eingriff in Gottes Plan.
Und so leben 60 Prozent der Haredim unter der Armutsgrenze. Ebenso viele Männer gehen keiner Erwerbsarbeit nach. Sie widmen sich der ihrer Überzeugung nach zentralen Aufgabe: dem Torastudium und dem Gebet. Ihre Ehefrauen haben zum Teil mehrere Jobs. Viele sind auf Unterstützung angewiesen. Rachel Chalkowski will helfen, die Lebensbedingungen der Frauen zu verbessern. Sie gründete eine Stiftung.
"Wenn ich eine Frau sehe, die nicht anständig angezogen ist, unterernährt ist, mit 28 ihr zehntes Kind hat, dann muss ich doch eingreifen und helfen."
Auch diese gemäßigt ultraorthodoxe Position von Rachel Chalkowski mag in den Ohren säkularer Juden unverständlich klingen. Denn auch Chalkowski stellt nicht infrage, dass die Frauen sich um Haushalt und Kinder kümmern, damit die Männer beten und in der Thora lesen können.
"Es gibt so unterschiedliche Frauen in dieser fremden Welt. Einige arbeiten in Hightech-Firmen. Andere als Lehrerinnen oder Sozialarbeiterinnen. Und es gibt Feministinnen, ultraorthodoxe Feministinnen."
Itai Ken-Tor fordert mit seiner Filmtrilogie dazu auf, genauer hinzusehen, zu differenzieren. Er zeigt aus nächster Nähe das Ringen um Identität in den verschiedenen Strömungen ultraorthodoxer Juden. Für Ultraorthodoxe war es zunächst gar nicht so leicht, bei diesem Film-Projekt mitzumachen, sagt Rachel Chalkowski.
"Dieser Film richtet sich ja an nicht religiöse Menschen. Seit er gezeigt wurde, hat sich etwas verändert. Endlich hat die säkulare Welt sich mal mit uns beschäftigt. Ich glaube schon, dass säkulare Israelis, die den Film gesehen haben, uns jetzt etwas besser verstehen."
"Ultraorthodox" – womöglich ist die Bezeichnung schon Teil des Problems, weil sie ausgrenzt. Rachel Chalkowski jedenfalls mag es nicht, als Ultraorthodoxe bezeichnet zu werden, aber ...
"Ich mag das Wort Haredim genauso wenig. Eine Bevölkerungsgruppe in eine Schublade stecken? Manchmal bei Meinungsumfragen, da kommt als Erstes die Frage: Wozu gehören Sie? Wie bezeichnen Sie sich selbst? Als ultraorthodox? Als säkular? Ich sage dann, ich bin jüdisch. Nächste Frage, bitte. Ja, ich bin jüdisch. Religiös."