Archiv


Das Leben entrümpeln

Joffes Meinung nach schleppen die Menschen zu viel Ballast durchs Leben. Weil er selbst diesem Konsumzwang entgehen will, stellte er sein materialles Leben in London zum Verkauf.

Von Walter Bohnacker |
    In der Galerie "Idea Generation" im Londoner East End lädt Joffe zum großen Sommerschlussverkauf. "Sale of a Lifetime" nennt er seine Aktion: Im Angebot ist des Künstlers gesamtes Hab und Gut. Joffe will nochmal ganz von vorn anfangen: ohne Pinsel und Staffelei, ohne Computer und CDs und überhaupt ohne alles, wovon die meisten glauben, es sei unverzichtbar fürs tägliche Leben. Joffe ist 33 und stehe, sagt er, an einem Wendepunkt.

    Letztes Jahr zu Weihnachten trennte er sich von seinem Galeristen. Und wenig später lief ihm die Partnerin weg. Und dann kam auch noch die internationale Kreditklemme. Irgendwie sei er noch nie so verunsichert und deprimiert gewesen wie jetzt.

    Joffe will einen Schlussstrich ziehen unter alles, was war. Atelier und Wohnung räumte er leer und zog mit seinen Siebensachen in die Galerie. Sie ist seit Anfang voriger Woche seine Plattform. In drei Räumen baute er hier alles auf, was sich bei ihm über die Jahre so angesammelt hat: Möbel und Gemälde, Wäsche und Bücher, Tassen, Teller und Töpfe, kurz: alles, was er sein eigen nennt.
    Auch die ganz persönlichen Andenken und Geschenke sind dabei: die Briefe und Fotos von Freunden und Familie und die Dias, die er von seinen Bildern gemacht hat.

    Und die Spielsachen aus seiner Kindheit, einige Dutzend Teddybären und "Jocko", das Steiff-Äffchen mit dem Knopf im Ohr. Und auch die alten Tagebücher von vor zehn, zwanzig Jahren. Seine Aktion sei extrem, sagt Joffe, da er zwischen den Sachen, die er hier ausbreite, keinen Unterschied mache und weil er seinem Verzicht keine Grenzen setze.

    Auf einhundert Quadratmetern macht der Künstler Kassensturz. Joffes Rauminstallation ist alles in einem: Kunstgalerie, Flohmarkt, Wühltisch und Second-Hand-Shop. Sein Inventar ist eine Zwischenbilanz der materiellen Existenz. Im Idealfall ergibt die Summe der exhibitionistisch aufbereiteten Biomasse ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Doch ob sich die Puzzleteile tatsächlich zu einer Art Gesamtkunstwerk ergänzen, das steht auf einem anderen Blatt. Worauf Joffe vor allem abhebt, ist die Kritik am täglichen Materialismus. Ihm gehe es um Freiheit und Entsagung.

    Wir müssen, meint er, wegkommen von den Zwängen des Konsum- und Besitzdenkens. Wir alle schleppen viel zu viel unnützes Zeug durchs Leben. Wir wollen ein noch größeres Haus und einen noch größeren Fernseher. Das sei doch krankhaft.

    "Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass dieser ganze Krempel vollkommen unwichtig ist."

    Allerdings: Ganz so ernst dürfte es der Mann kaum meinen. Joffe will nichts vernichten, er will verkaufen: den ganzen Ballast und natürlich seine Gemälde. Seine Zielgruppe sind Galeristen, Sammler und Schnäppchenjäger.

    Am Ende blieben die Restposten gestern unter ihrem Nennwert, doch so ganz ohne Grundkapital wird der Verkäufer nicht ins neue Leben starten. Aber hatte er das überhaupt vor? Seine Aktion lässt jedenfalls viele Fragen offen.

    Was war sie genau? Ein als Konzeptkunst getarnter Gag? Protest gegen den Kunstbetrieb? Die Offenbarung einer frühen künstlerischen Midlife Crisis? Oder war sie doch nur ein geschickt inszeniertes Refinanzierungsmodell? Vielleicht war sie auch ein Stück echter Trauerarbeit, angetrieben von der Sehnsucht nach der Freundin, die der Liebhaber wieder zurückerobern will. Irgendwie lässt sie sich sicher ködern. Vielleicht auch schon mit nur ein paar Tausend Pfund.