Anja Buchmann: Wenn Sie sich vorstellen, Dolores könnte Sie hören: Was würde sie wohl sagen zur Veröffentlichung dieses letzten Albums?
Mike Hogan: Ich würde gern denken, dass es Dolores gefallen würde, was wir gemacht haben und wie es klingt. Als wir an dem Album gearbeitet haben, dachten wir oft, wie sie wohl mit dem Material umgegangen wäre. Wir können ja nur spekulieren, aber wir fühlen, dass sie den Gesamtklang gemocht hätte. Wenn es auf einmal total verrückt gewesen wäre und überhaupt nicht nach den Cranberries geklungen hätte, hätte sie es sicher gehasst. Aber wir sind quasi zu den früheren Cranberries-Sounds gegangen - und das hätte ihr gefallen.
Noel Hogan: Wir haben ihrem Bruder und der Mutter das Album gegeben, und der Bruder meinte, das erinnere ihn tatsächlich an die frühen Songs der Band und Dolores hätte es gemocht. Die Mutter hat sich das Album noch nicht angehört, es ist noch zu schmerzhaft.
"Das Publikum sieht eine andere Person"
Buchmann: Sprechen wir noch kurz über Dolores, dann über das neue Album - was für eine Person, was für ein Charakter war Dolores?
Mike Hogan: Wir waren befreundet und haben entsprechend eine andere Seite kennengelernt als die Öffentlichkeit. Sie hat immer gern gelacht und einen guten Spruch gebracht – insbesondere in Wochen, wenn es anstrengend war und wir sehr genervt waren, da hat sie immer rumgewitzelt. Du wusstest nie, was sie als nächstes sagen würde. Ich habe sie 30 Jahre gekannt und sie war immer unvorhersehbar. Das haben alle an ihr geliebt und das vermissen wir jetzt auch sehr. Wir drei kannten uns schon sehr sehr lange, dann kam Dolores dazu und innerhalb kürzester Zeit waren wir wirklich gute Freunde. Und das ist es eben: Das Publikum sieht eine andere Person, die, die in der Öffentlichkeit stand - wir haben schlichtweg unsere Freundin verloren.
Buchmann: Dolores war also unvorhersehbar – sind Sie im Vergleich eher vorhersehbare Typen?
Mike Hogan: Verglichen mit ihr auf jeden Fall.
Buchmann: Wann und warum haben Sie sich entschlossen, dieses letzte Album zu produzieren?
Noel Hogan: Wir haben seit Sommer 2017 neue Demos aufgenommen. Und nachdem sie gestorben ist, haben wir irgendwann angefangen das durchzuhören. Nachdem wir festgestellt hatten, dass einige Songs fast fertig waren, dass der Gesang fantastisch klang, da dachten wir: Wir könnten tatsächlich ein Album daraus machen, um das Ganze quasi abzuschließen. Wir haben mit ihrer Familie gesprochen, die war einverstanden, Dolores‘ Werk zu vollenden. Und wir haben den Produzenten Stephen Street kontaktiert, der lange Zeit mit uns gearbeitet hat. Auch der meinte, das würde ein starkes Album werden. Also sind wir im April 2018 ins Studio gegangen. Stephen meinte, es sei gut, schon früh wieder an den Stücken zu arbeiten, denn es war kurz nach ihrem Tod, wir waren sehr emotional und leidenschaftlich, was die Songs anging, wollten einen besonders guten Job machen. Es ist einerseits ein emotionales Album, andererseits gab es auch viele fröhliche Songs. Dolores war gut drauf, sie hat einige Sorgen hinter sich gelassen und schaute nach vorn, in einen neuen, optimistischen Teil ihres Lebens.
Kein dunkles und trauriges Album
Buchmann: Ja, das sehe ich auch so. Es gibt eine Melancholie in den Songs, aber dennoch erscheinen sie grundsätzlich heiter. Würden Sie da zustimmen?
Noel Hogan: Ja, und ich glaube, das hat die Menschen überrascht. Es ist nicht das, was sie erwartet haben, auch was die Single anbetrifft, die sehr energetisch und rockig ist. Ich weiß nicht, was sie erwartet haben, aber das wohl nicht. Das Album wurde zu einer Zeit begonnen als wir dachten: Okay, wir könnten wieder was Neues machen. Damals konnte natürlich niemand ahnen, was geschehen würde. Es war "2business as usual". Ein Stimmungs-Mix, wie bei jedem Cranberries-Album, mit Höhen und Tiefen, und es ist sehr dicht an unseren ersten zwei oder drei Alben. Also, die Leute erwarten ein durchweg dunkles und trauriges Album – und das ist es eben nicht. Es ist gut, wenn sie das sehen und hören.
Buchmann: Lassen Sie uns etwas über die Arbeit an den Demos sprechen. Sie sagten, sie waren schon fast fertig? Was genau haben Sie noch hinzugefügt, was haben Sie getan?
Noel Hogan: Normalerweise schickst Du Dir vorher Song-Ideen hin und her, meist online, so dass Du eine Art Blueprint hast und siehst, in welche Richtung die Songs gehen. Aber diesmal musste nur noch ein bisschen verändert werden, um die Stücke auf den Punkt zu bringen, damit sie einfach nach den Cranberries klangen. Also haben wir erst mal all die Demo-Instrumente rausgenommen - der Gesang wurde natürlich behalten, und manchmal auch eine kleine Gitarrenidee oder ähnliches. Und dann haben wir als Trio um dieses Gerüst herum gespielt – also zu dem aufgenommenen Gesang von Dolores – und auf einmal öffnete sich alles und es entstand einfach unser Cranberries-Sound, der nur dann kommt, wenn wir vier zusammen Musik machen.
Das Corsogespräch mit Noel und Mike Hogan –
hören Sie hier in englischer Originalversion
Buchmann: War es eine schnelle und klare Entscheidung, wieder mit Stephen Street zu arbeiten, der ja schon einige Ihrer Alben produziert hat?
Mike Hogan: Ja, das ging schnell, wir mussten gar nicht groß drüber diskutieren. Es hieß einfach: Wer ruft Stephen an? Und als Stephen erst mal die Demos gehört hat, war er sofort dabei.
Die Arbeit mit Produzent Stephen Street
Buchmann: Können Sie mal beschreiben, wie Stephen Street als Produzent arbeitet? Spricht er viel oder lässt er Sie eher machen?
Noel Hogan: Es geht immer nur um den Song bei Stephen. Das hat er uns schon vor über über 20 Jahren gesagt. Es ist nicht wichtig, einen virtuosen Gitarrenpart oder einen brillantes Basssolo zu spielen – darum geht es nicht. Gerade bei uns: Er hat viel Raum gelassen für den Gesang, den er wie ein weiteres Instrument sieht. Es ist schon so, der Hauptpart all unserer Songs war Dolores und ihre beeindruckende Stimme. Er ist nicht sehr direktiv, sagt nicht ganz genau, wo es lang gehen muss. Nein, er ist sehr offen für neue Ideen. Wenn sie nicht ganz passen, dann bringt er dich dazu, sie etwas zu verändern. Und er hat ein erstaunliches Gehör. Er hört Dinge, die uns nicht auffallen. Es war immer wunderbar, jemanden außerhalb der Band zu haben, der ein klares Bild vor Augen hat. Immerhin hat er auch fünf oder sechs von unseren sieben Alben produziert. Wir sind gute Freunde geworden, das hat alles eine Selbstverständlichkeit, wir machen Witze zusammen – aber er hat sich immer wieder beschwert, wenn wir vier untereinander mit irischem Akzent gesprochen haben, dass er kein Wort versteht. Also es ist großartig, wir sind sehr glücklich, dass wir Stephen schon so früh gefunden haben.
Buchmann: "Passing of time is like turning a page", so heißt es im Text zum Song "Got it". Welche Seiten beginnen nun für Sie, was ist auf ihnen geschrieben?
Noel Hogan: Schwer zu sagen. Es waren verrückte Tage seit dem 15. Januar letzten Jahres. Es hat sich alles verändert. Erst war der Schock, dann die Beerdigung, dann sind wir im Studio gewesen, um dieses Album zu produzieren. Wir haben viel Zeit damit verbracht, über die Songs zu entscheiden, sie zu mixen, zu mastern, das Cover zu entwerfen. Das dauert länger, als viele Menschen meinen. Und da hast Du wenig Muße darüber nachzudenken, was Du danach machen wirst. Erst in den letzten Wochen wurden wir hin und wieder gefragt und haben begonnen, daran zu denken. Ich glaube aber, das trifft uns noch stärker, wenn das Album endgültig veröffentlicht ist und sich alles etwas beruhigt hat. Eine gewisse Pause oder Auszeit wäre dann bestimmt für alle ganz gut. Etwas erholen, dann wieder zusammen finden. Mal sehen was kommt, aber wir machen schon sehr lange Musik, das werden wir auch weiter tun. In welcher Form auch immer.
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