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Das letzte Glas – und dann?

Wer einmal dem Alkohol verfallen war, bleibt sehr lange gefährdet, einen Rückfall in die Sucht zu erleiden. Neue Experimente und bildgebende Verfahren haben Forschern geholfen, die Alkoholsucht besser zu verstehen. Eine zentrale Rolle – so weiß man heute – spielt das sogenannte Suchtgedächtnis. Jetzt geht es darum, ehemals Abhängigen auch besser zu helfen.

Von William Vorsatz |
    Keinen Alkohol mehr getrunken – ein halbes Jahr. Eigentlich müsste Abstinenz jetzt kein Problem mehr sein. Doch dann kommt plötzlich der Rückschlag. Der Mann fühlt sich gerade einsam und geht abends an einer Gaststätte vorbei. Warmes Licht dringt nach draußen, Stimmengewirr und Gläserklingen. Schon hat er hat verloren. Geht rein und trinkt, bis er abstürzt. Obwohl er weiß, dass der Alkohol sein Leben zerstört. Am Ende landet er im Krankenhaus, auf der Entziehungsstation. Ausgelöst hat den Rückfall das sogenannte Suchtgedächtnis. Prof. Andreas Heinz von der Berliner Charité:

    „Das Problem ist eigentlich: Wenn man lange eine Substanz nimmt, sei es Alkohol, sei es Kokain, seien es auch Opiate, Sie finden durchgehende Veränderungen in Anpassung auf die Substanz. "

    Die Drogen bewirken, dass der Körper Dopamin ausschüttet. Dopamin ist ein Belohnungshormon. Es dient als Motivation und wird normalerweise ausgeschüttet, wenn wir uns etwas erarbeitet haben. Dann kommt das gute Gefühl. Aber unter natürlichen Bedingungen ist es nicht sehr beständig. Wenn der angenehme Zustand nach einer wiederholten Tätigkeit immer wieder eintritt, gewöhnt sich der Körper daran und schüttet weniger Dopamin aus.

    „Wenn Sie eine Droge nehmen, die hat ja eine Eigenwirkung, Alkohol setzt immer Dopamin frei. Punkt. Kokain auch. Aber noch zehn mal soviel, wie irgendeine natürliche Begegnung. Das hört eben nicht auf. "

    Der Dopaminschub bewirkt auch, dass der Konsument sich die Gefühle im Rausch besonders gut merkt. So entsteht das Suchtgedächtnis. Professor Heinz und seine Mitarbeiter haben an der Charite verschiedene Studien durchgeführt. Unter anderem haben sie die Hirnaktivitäten von Alkoholkranken und anderen Personen verglichen. Beiden Gruppen zeigten die Wissenschaftler Bilder von alkoholischen Getränken.

    „Was sieht man: die Patienten zeigen auf die Alkoholreize eine verstärkte Hirnreaktion, zeigen Sie jetzt vielleicht auch. Aber wenn wir über 40 Minuten messen, dann hört die bei den nicht Alkoholabhängigen schnell auf, bei den Alkoholabhängigen besteht die weiter, und je stärker sie ist, hier zum Beispiel in Regionen des Aufmerksamkeitssystems, desto eher werden die rückfällig. "

    Um das emotionale Gedächtnis neu zu programmieren, haben Suchtexperten in den letzten Jahrzehnten spezielle Konfrontationstherapien entwickelt. Alkoholabhängige Patienten beispielsweise werden in Begleitung von Therapeuten in Kneipen geschickt oder müssen sich vor ein Glas Bier setzen und lernen, den Druck auszuhalten, ohne zu trinken.

    „Wir haben solche Studien gemacht, jetzt noch mal neu. Es kam raus: Es wirkt besser bei den Schwerkranken. Aber wir hatten uns einen dramatischeren Effekt erwartet, wir hatten gehofft, es wirkt besser bei allen, das ist leider nicht der Fall. Aber immerhin, wenn Sie schwerkranke Patienten haben, die mehrfach erfolglos waren, das kann helfen, dass man dem Reiz gegenüber exponiert ist, und es braucht Zeit, das Verlernen ist gestört. Das Verlernen hängt auch damit zusammen, wie stark das dopaminerge System beeinträchtigt ist.“

    Alkoholkranke vergessen die erlernten Gefühle aber nicht nur langsamer als Normalpersonen. Sie erlernen auch schwerer neue emotional hilfreiche Verknüpfungen. Sie verbinden also beispielsweise Abstinenz und schöne, bestätigende Erlebnisse nicht so schnell miteinander.

    „Und ich glaub, dass wir das in unseren Therapien noch zu wenig beachten. Zumindest in Berlin ist es so, dass der medizinische Dienst der Kassen nach einer Woche kommt und sagt, jetzt entlasst die wieder, die zittern nicht mehr, und wir gehen davon aus, die müssen jetzt genauso schnell wie ein Gesunder lernen, dass sie irgend etwas anderes machen, statt eben trinken. Das braucht Zeit und das braucht Begleitung und wir müssen auch dran denken, vielleicht müssen wir auch einfach die Begleitumstände, unter denen wir die Verhaltenstherapien machen, modifizieren. Mehr Verstärkung geben, mehr Aufregung, mehr Beteiligung erzeugen. "
    Es geht also nicht nur darum, die die Verbindung von Glücksgefühl und Alkohohl zu vergessen. Das emotionale Gedächtnis muss neu programmiert werden, muss Alternativen lernen, glücklich zu werden ohne Alkohol. Beispielsweise durch soziale Bestätigung.

    Eine weitere Studie an der Charite hat gezeigt: Je stärker die Alkoholkranken auf positive Bilder mit erhöhter Gehirnaktivität antworten, desto eher bleiben sie in den darauffolgenden sechs Monaten trocken. Künftig wollen die Wissenschaftler an der Charité ihre Patienten dahingehend trainieren, dass sie auf positive Reize stärker emotional reagieren.