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"Das lohnt sich eigentlich nur für die Großen"

Waren bei Internetadressen bisher nur Länderdomains und Endungen wie ".org" oder ".com" erlaubt, macht die Vergabeorganisation ICANN den Weg nun frei für beliebige Kürzel. Laut Manfred Kloiber ist das bei Kosten von bis zu 500.000 Euro in erster Linie für Unternehmen reizvoll.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Dirk Müller | 21.06.2011
    Dirk Müller: Wenn sie 185.000 Dollar zufällig in der Tasche haben, können sie demnächst ihre Internetadresse ganz allein bestimmen, völlig individuell und genau passend auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Das ist jedenfalls die Gebühr, die die zuständige Organisation ICANN zur Bedingung gestellt hat, um die Adressenendungen im Netz erheblich zu erweitern. Die Adressen müssen dann nicht mehr zwangsläufig enden mit ".de", ".com" oder auch ".org". Der Weg für neue vielfältige Endungen ist nun freigegeben, also zum Beispiel "Bayern", "Berlin" oder auch "Siemens". Was bedeutet das in der Praxis, was bedeutet das für den Nutzer? Darüber wollen wir nun mit Deutschlandfunk-Computerexperte Manfred Kloiber sprechen. Guten Morgen.

    Manfred Kloiber: Hallo!

    Müller: Wir müssen das noch einmal klären. Um was geht es genau?

    Kloiber: Es geht um den Internet-Namensraum, so heißt das nun mal, also das System, wie die Namen im Internet aufgebaut sind, und da gibt es die oberste Hierarchie. Das sind die sogenannten "Top level domains", die quasi alles bestimmen. Und die sind jetzt eben halt nicht mehr abhängig von 22 vorgegebenen "Top level domains", wie eben ".com" oder von den Länder-Domains wie ".de", sondern man kann sie frei gestalten. Es können Firmen hingehen und sagen, ich möchte gerne ".Schokolade" registrieren. Sie haben gesagt, man muss dafür 185.000 Dollar mitbringen; ich glaube, das reicht nicht. Der Prozess wird viel, viel teurer sein. Experten schätzen, dass das bis zu 500.000 Euro kosten kann, so einen Namen durchzubringen, denn was folgt, wenn man das mal angemeldet hat, ist eine langwierige Prüfung, ob es Überschneidungen gibt, ob es Markenrechte gibt, die man verletzt, und so weiter und so fort. Das kann sehr lange dauern, teuer sein, sehr anstrengend sein. Das Handbuch alleine ist 352 Seiten dick, wie das funktioniert, und Experten munkeln schon mal, dass es für ICANN eine Lizenz zum Geld drucken ist und für Patentanwälte beziehungsweise Markenanwälte ein riesiges Beschäftigungsprogramm.

    Müller: Dann hört sich das, Manfred Kloiber, zumindest so an, dass wir beide davon nicht profitieren können?

    Kloiber: Definitiv nicht.

    Müller: Das heißt, es profitieren nur die großen Industrie- und Wirtschaftskonzerne?

    Kloiber: Man muss es einschränken. Wenn jetzt zum Beispiel eine Firma auf die Idee kommen würde und sagt, ich werde jetzt mal registrieren ".Koeln", dann könnte es durchaus sein, dass ich zum Beispiel dann die Adresse "Manfred.Kloiber@Koeln" hätte. Das wäre dann möglich, das könnte so ein Angebot sein, das man kreieren kann. Allerdings müsste diese Firma dann bei Köln die Markenrechte für den Stadtnamen bekommen. Das ist noch nicht so ganz klar, wie das funktionieren wird.
    Für Unternehmen, große Unternehmen, weltweite Firmen hat das sicherlich Vorteile, die bezahlen wahrscheinlich auch die 500.000 Euro oder die 185.000 Dollar Anmeldegebühr aus der Portokasse, werden da Abteilungen für haben. Aber es ist schon sehr schwierig und gerade für die Firmen, die, ich sage mal, Themenportale jetzt machen wollen, beispielsweise ".Schokolade", oder ".Auto", die müssen schon ein sehr großes Reservoire an Unterdomänen haben, also meinetwegen "Marke.Auto", oder dann "Modell.Auto". Davon müssen die mindestens 10.000 Unterdomänen haben, damit sich das Geschäftsmodell überhaupt lohnt.

    Müller: Nun haben wir uns ja fast alle in den vergangenen Jahren mit den Adressenendungen angefreundet, sie waren auch recht übersichtlich, zumindest kam das einem ja dann so vor, also ".de", oder ".at" beispielsweise für Österreich. Wenn jetzt der Markt freigegeben ist, wenn es jetzt ganz viele neue Endungen geben wird, ist das dann für den normalen User, für den normalen Nutzer unglaublich schwierig, sich noch zurechtzufinden?

    Kloiber: Ich glaube nicht. Zuerst mal muss man, glaube ich, einfach festhalten, die bekannten Endungen, die bleiben alle erhalten. Deswegen ist auch zum Beispiel die deutsche Registrierung DENIC ganz locker und sagt okay, das wird uns wahrscheinlich gar nicht so sehr tangieren. Das ist wirklich, glaube ich, nur interessant für ganz große Marken und ganz große Firmen, dass die ein einheitliches, weltweit einheitliches Angebot machen können, weil wenn man zum Beispiel, ich sage mal, das Tourismusangebot von Berlin auffinden will, dann ist es vielleicht für den einen oder den anderen schwierig, das nach ".de" zu verorten, also "Berlin.de". Da ist es einfacher, auf ".Berlin" zu gehen. Es ist also eine Marketingoption. Ich glaube, mehr ist es nicht und kleinere Städte werden schon ihre Probleme haben, überhaupt auf diese neue Systematik zu gehen, und kleinere Firmen genauso. Das lohnt sich eigentlich nur für die Großen.

    Müller: Bleiben wir mal bei den Beispiel, was Sie mehrfach angeführt haben: ".Schokolade". Wenn jetzt ein internationaler Lebensmittelkonzern sagt, wir bringen die Schokolade als Endung jetzt ins Internet, sagt der besser ".Schokolade", oder ".Chocolate"?

    Kloiber: Wahrscheinlich sagt er besser ".Chocolate", weil Englisch nun mal die Sprache ist, die international einfach mehr gesprochen ist. Aber was vor allen Dingen passieren wird: Er muss erstens schnell sein, es gibt nur ein Zeitfenster für die Registrierung, das beginnt im Januar nächsten Jahres. Das heißt, er muss der erste sein, der ".Chocolate" dann registriert. Und er muss wirklich einen guten Markenanwalt haben, der abcheckt, ob er in irgendeiner Weise Markenrechte verletzt. Es gibt dafür auch vorgesehene Schlichtungsverfahren, also unglaublich aufwendig. Deswegen ist es wirklich fraglich, ob es so wahnsinnig viel verändern wird.

    Müller: Viele in der Redaktion haben sich gestern, als die Nachricht, die Meldung auftauchte über die Nachrichtenagenturen, auch gefragt, wird das in irgendeiner Form Konsequenzen für die E-Mail-Adressen haben?

    Kloiber: Natürlich! Es kann Konsequenzen haben. Ich hatte ja eben schon das Beispiel mit Köln genannt. Wenn also Köln eine eigene Domain wird, dann kann es natürlich sein, dass man das attraktiv findet, eine E-Mail-Adresse zu haben, die mit Köln endet. Also es wird sicherlich für E-Mails dann auch neue Geschäftsmodelle geben, neue Optionen geben. Aber dass die alten verfallen würden, oder dass die alten in irgendeiner Weise tangiert werden, definitiv nein.

    Müller: Deutschlandfunk-Computerexperte Manfred Kloiber bei uns heute Morgen im Studio. Vielen Dank.

    Kloiber: Bitte.

    Mehr dazu in englischer Sprache auf den Seiten der ICANN:
    Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN)