Lorenz Bramkamp ist einer von denen, die man gern mit Witzen bedenkt: Sachbearbeiter im Bauamt der Stadt Osthofen, einer fiktiven Kommune am Rande des Ruhrgebiets. Passieren tut dort wenig, außer dass er vom Chef drangsaliert wird, ihm die Frau wegläuft, und dass er es von Amts wegen mit Leuten zu tun bekommt, die ihm herzlich unsympathisch sind.
Alexander Schönleben ist so ein Typ, ein gelackter Investor, der ausgerechnet auf der ehemaligen Bauschuttdeponie Osthofens einen Golfplatz errichten will. Die Stadtverwaltung zittert vor Ergebenheit, nur Lorenz Bramkamp, persönlich durch einen Waldlauf mit dem auch noch sportlichen Investor gedemütigt, hakt telefonisch nach:
"Ich müsste noch ein paar Dinge wissen, wegen der Bauschuttdeponie."
"Okay, schießen Sie los!"
"Ich hab festgestellt, dass es kein Hermann-Hesse-Gymnasium in Schleswig Holstein gibt. Weil Sie gesagt haben, Sie waren auf dem Hermann-Hesse-Gymnasium."
"Nein", dementiert Schönleben, aber Lorenz redet weiter:
"Und dass Ihnen das Icke-Häßler-Gymnasium lieber gewesen wäre!"
"Jetzt glaube ich, dass Sie da was nicht richtig verstanden haben. Ich habe vermutlich erzählt, dass ich zusammen mit meinem Freund Hermann Hessler auf dem Gymnasium war."
Lorenz hört den vertrauten Klang der Lüge. Aber lügen kann der offenbar nicht so gut wie laufen. Das hätte Lorenz an Schönlebens Stelle besser hingekriegt. Hermann Hessler! Billig."
Die Spur ist klein, doch sie genügt. Bramkamp, selbst notorischer Ausredenerfinder, ahnt mehr, als dass er weiß: Dieser Schönleben ist ein Hochstapler. Mit viel Willen zur Konfrontation, aber wenig Beweisen in der Tasche macht, er sich zur Villa des Verdächtigen auf. Der Ertappte wäre indes kein Profi, wüsste er sich nicht aus der Schlinge zu winden. So besiegt nicht das Gutwillige das Böse, nein, das Böse korrumpiert die Arglosigkeit. Im Garten der Villa nämlich läuft eine Investorenparty, und ehe er sich umgucken kann, ist Lorenz zu Schönlebens Komplizen geworden. Seine Aufgabe: Ein fingierter Anruf.
"Er drückt auf die Kurzwahltaste und hält sich den Hörer ans Ohr. Es klingelt, dann meldet sich jemand. "Hi, it's Steve", versucht Lorenz zu sagen, es klingt mehr wie "Heiz tief".
"Kann ei toock tu Alex?"
Selbst jemand, der auf beiden Ohren taub ist, wird das nicht für englisches Englisch halten, aber der Mann am anderen Ende, der keine dreißig Meter entfernt im Garten stehen muss, klingt aufgeregt:
"Manhattan ist dran!", ruft er, "hol mal einer den Alex!", und sagt dann in den Hörer: "Schaßta mo-ment plies!"
Es rumpelt, dann hört Lorenz Schönleben: "Yes, hello, this is Alex. I like what I am hearing. Did you get my email?"
Ganz leise fragt Lorenz: "Soll ich jetzt wieder auflegen?", und Schönleben ruft laut: "This is great news, Steve! I am very happy to hear that!"
Es ist das Schicksal von Lügnern, dass auf einen kleiner Fehltritt unentwirrbare Konsequenzen folgen. Wenn sich wie in Ralf Husmanns Schelmen- und Hochstaplerroman "Vorsicht vor Leuten" der Held dann auch noch fortwährend selbst belügt - dass nämlich alles gar nicht so schlimm sei -, dann ist für ein Maximum an komischer Verstrickung gesorgt.
In der Hörbuchinterpretation von Christoph Maria Herbst werden der alerte Schönleben und der gutmütige, doch begriffsstutzige Sachbearbeiter Bramkamp zum Dreamteam zeitgenössischer Komik. Der Autor hält dafür im Booklet einen treffenden Satz bereit: Ihn fasziniere das Lustige im Erbärmlichen. Genau dort, wo sich hochstaplerische kriminelle Energie mit praktischem Unvermögen trifft, liegt auch der Schlüssel zum seltsam anmutenden Titel: In der Erbärmlichkeit des Ausgestoßenseins.
"An der Rezeption hängen mehrsprachige Hinweistafeln. "If you are stolen, call the police at once", wird den Englisch sprechenden Gästen geraten. Für die deutschen Gäste steht darunter: "Vorsicht vor Leuten". "
Und zu den "Leuten", die so erbärmlich tief sinken, dass man vor ihnen auf Schildern warnen muss, gehört Lorenz Bramkamp sehr bald auch. Inzwischen auf Mallorca tief in Maklerschwindeleien Schönlebens verstrickt, kennt er freilich das Wort Erbarmen noch. Es ist seine letzte Verbindung zum eigenen, moralisch unversehrten Ich:
""Vielleicht sollten wir den Wörtzens eine fairen Preis machen", sagt Lorenz plötzlich. Er hat das Bedürfnis, ein kleines Opfer zu bringen, einfach das Schicksal gnädig stimmen, danke sagen.
"Was erzählst du denn da?"
Schönlebens blaue Augen kommen gegen das Blau des Meeres nicht an und blinzeln gegen die Sonne.
"Was war denn in deinen Augen ein fairer Preis?"
Schönleben klingt lauernd, viel ernster, als Lorenz es gemeint hat.
"Keine Ahnung. Es sind ja deine Häuser."
Immer noch sieht der Schönleben ihn an, wie eine seltene, aber gefährliche Tierart.
"Es sind meine Häuser? Du denkst, es sind meine Häuser? Du hast überhaupt keine Ahnung, was wir hier machen?"
Es klingt wie eine Frage, die kurz vor einer Kneipenschlägerei gestellt wird:
"Was glotzt du so?",
"Willst du was von meiner Schwester?",
"Hast du mich gerade Arschloch genannt?"
Alles Fragen, auf die man keine Antwort erwartet, die aber gestellt werden müssen vor dem ersten Schlag."
Nein, wie es ausgeht, sei hier nicht verraten - nur dass dieser satirische Roman haarscharf entlang der psychischen Realität der kleinen Leuten geschrieben ist. Wobei man "klein" nicht zu klein verstehen sollte: Ralf Husmann, von dem die preisgekrönten Fernsehserien "Stromberg" und "Dr. Psycho" stammen, ist in der deutschen Mittelschicht so zu Hause, wie es ein Thomas Mann bei den "Buddenbrooks" im Bürgertum war. Der Witz, die Ironie und die Stilformen unterscheiden sich notgedrungen, aber sie sind jeweils passgenau. Und da es nur noch sehr wenig Bürgertum, aber eine sehr breite Angestelltenmittelschicht gibt, kommt "Vorsicht vor Leuten" mit dem in den entgegen gesetzten Rollen des Aufschneiders und des Duckmäusers brillierenden Christoph Maria Herbst der Wahrheit unserer Wirklichkeit ziemlich nahe. Fast zu nahe.
Ralf Husmann: "Vorsicht vor Leuten!"
Gelesen von Christoph Maria Herbst, Argon Hörbuch, 4 CDs, 309 Minuten.
Alexander Schönleben ist so ein Typ, ein gelackter Investor, der ausgerechnet auf der ehemaligen Bauschuttdeponie Osthofens einen Golfplatz errichten will. Die Stadtverwaltung zittert vor Ergebenheit, nur Lorenz Bramkamp, persönlich durch einen Waldlauf mit dem auch noch sportlichen Investor gedemütigt, hakt telefonisch nach:
"Ich müsste noch ein paar Dinge wissen, wegen der Bauschuttdeponie."
"Okay, schießen Sie los!"
"Ich hab festgestellt, dass es kein Hermann-Hesse-Gymnasium in Schleswig Holstein gibt. Weil Sie gesagt haben, Sie waren auf dem Hermann-Hesse-Gymnasium."
"Nein", dementiert Schönleben, aber Lorenz redet weiter:
"Und dass Ihnen das Icke-Häßler-Gymnasium lieber gewesen wäre!"
"Jetzt glaube ich, dass Sie da was nicht richtig verstanden haben. Ich habe vermutlich erzählt, dass ich zusammen mit meinem Freund Hermann Hessler auf dem Gymnasium war."
Lorenz hört den vertrauten Klang der Lüge. Aber lügen kann der offenbar nicht so gut wie laufen. Das hätte Lorenz an Schönlebens Stelle besser hingekriegt. Hermann Hessler! Billig."
Die Spur ist klein, doch sie genügt. Bramkamp, selbst notorischer Ausredenerfinder, ahnt mehr, als dass er weiß: Dieser Schönleben ist ein Hochstapler. Mit viel Willen zur Konfrontation, aber wenig Beweisen in der Tasche macht, er sich zur Villa des Verdächtigen auf. Der Ertappte wäre indes kein Profi, wüsste er sich nicht aus der Schlinge zu winden. So besiegt nicht das Gutwillige das Böse, nein, das Böse korrumpiert die Arglosigkeit. Im Garten der Villa nämlich läuft eine Investorenparty, und ehe er sich umgucken kann, ist Lorenz zu Schönlebens Komplizen geworden. Seine Aufgabe: Ein fingierter Anruf.
"Er drückt auf die Kurzwahltaste und hält sich den Hörer ans Ohr. Es klingelt, dann meldet sich jemand. "Hi, it's Steve", versucht Lorenz zu sagen, es klingt mehr wie "Heiz tief".
"Kann ei toock tu Alex?"
Selbst jemand, der auf beiden Ohren taub ist, wird das nicht für englisches Englisch halten, aber der Mann am anderen Ende, der keine dreißig Meter entfernt im Garten stehen muss, klingt aufgeregt:
"Manhattan ist dran!", ruft er, "hol mal einer den Alex!", und sagt dann in den Hörer: "Schaßta mo-ment plies!"
Es rumpelt, dann hört Lorenz Schönleben: "Yes, hello, this is Alex. I like what I am hearing. Did you get my email?"
Ganz leise fragt Lorenz: "Soll ich jetzt wieder auflegen?", und Schönleben ruft laut: "This is great news, Steve! I am very happy to hear that!"
Es ist das Schicksal von Lügnern, dass auf einen kleiner Fehltritt unentwirrbare Konsequenzen folgen. Wenn sich wie in Ralf Husmanns Schelmen- und Hochstaplerroman "Vorsicht vor Leuten" der Held dann auch noch fortwährend selbst belügt - dass nämlich alles gar nicht so schlimm sei -, dann ist für ein Maximum an komischer Verstrickung gesorgt.
In der Hörbuchinterpretation von Christoph Maria Herbst werden der alerte Schönleben und der gutmütige, doch begriffsstutzige Sachbearbeiter Bramkamp zum Dreamteam zeitgenössischer Komik. Der Autor hält dafür im Booklet einen treffenden Satz bereit: Ihn fasziniere das Lustige im Erbärmlichen. Genau dort, wo sich hochstaplerische kriminelle Energie mit praktischem Unvermögen trifft, liegt auch der Schlüssel zum seltsam anmutenden Titel: In der Erbärmlichkeit des Ausgestoßenseins.
"An der Rezeption hängen mehrsprachige Hinweistafeln. "If you are stolen, call the police at once", wird den Englisch sprechenden Gästen geraten. Für die deutschen Gäste steht darunter: "Vorsicht vor Leuten". "
Und zu den "Leuten", die so erbärmlich tief sinken, dass man vor ihnen auf Schildern warnen muss, gehört Lorenz Bramkamp sehr bald auch. Inzwischen auf Mallorca tief in Maklerschwindeleien Schönlebens verstrickt, kennt er freilich das Wort Erbarmen noch. Es ist seine letzte Verbindung zum eigenen, moralisch unversehrten Ich:
""Vielleicht sollten wir den Wörtzens eine fairen Preis machen", sagt Lorenz plötzlich. Er hat das Bedürfnis, ein kleines Opfer zu bringen, einfach das Schicksal gnädig stimmen, danke sagen.
"Was erzählst du denn da?"
Schönlebens blaue Augen kommen gegen das Blau des Meeres nicht an und blinzeln gegen die Sonne.
"Was war denn in deinen Augen ein fairer Preis?"
Schönleben klingt lauernd, viel ernster, als Lorenz es gemeint hat.
"Keine Ahnung. Es sind ja deine Häuser."
Immer noch sieht der Schönleben ihn an, wie eine seltene, aber gefährliche Tierart.
"Es sind meine Häuser? Du denkst, es sind meine Häuser? Du hast überhaupt keine Ahnung, was wir hier machen?"
Es klingt wie eine Frage, die kurz vor einer Kneipenschlägerei gestellt wird:
"Was glotzt du so?",
"Willst du was von meiner Schwester?",
"Hast du mich gerade Arschloch genannt?"
Alles Fragen, auf die man keine Antwort erwartet, die aber gestellt werden müssen vor dem ersten Schlag."
Nein, wie es ausgeht, sei hier nicht verraten - nur dass dieser satirische Roman haarscharf entlang der psychischen Realität der kleinen Leuten geschrieben ist. Wobei man "klein" nicht zu klein verstehen sollte: Ralf Husmann, von dem die preisgekrönten Fernsehserien "Stromberg" und "Dr. Psycho" stammen, ist in der deutschen Mittelschicht so zu Hause, wie es ein Thomas Mann bei den "Buddenbrooks" im Bürgertum war. Der Witz, die Ironie und die Stilformen unterscheiden sich notgedrungen, aber sie sind jeweils passgenau. Und da es nur noch sehr wenig Bürgertum, aber eine sehr breite Angestelltenmittelschicht gibt, kommt "Vorsicht vor Leuten" mit dem in den entgegen gesetzten Rollen des Aufschneiders und des Duckmäusers brillierenden Christoph Maria Herbst der Wahrheit unserer Wirklichkeit ziemlich nahe. Fast zu nahe.
Ralf Husmann: "Vorsicht vor Leuten!"
Gelesen von Christoph Maria Herbst, Argon Hörbuch, 4 CDs, 309 Minuten.