Gut zu Fuß ist Marlies Krämer nicht mehr. Ihr Radius sei von daher ein wenig enger geworden. Das häusliche Sofa im saarländischen Sulzbach hat sie daher mit zahlreichen Kissen gepolstert, und die Bücher in Griffnähe platziert. Ihr ausgeprägter Widerspruchsgeist werde dadurch allerdings nicht gelähmt.
"Ich hoffe, ich werde 90 Jahre alt und kann noch so lange gegen den Strich bürsten."
Die heute 80-Jährige hat schon früh erkannt, welche Bedeutung Sprache für sie hat.
"Früher war ich immer die Marliese, und nachdem ich dann politisch tätig geworden bin, hab ich gesagt, also, die Zeit der Liese, in der alle mit mir machen konnten, was die wollten: rum! Ich bin nur noch die Marlies, fertig, das ist ein ganz persönliche Entscheidung gewesen."
Es geht um Respekt, nicht nur um ein Formular
Marlies haut hin und wieder auf den Tisch, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Die bekennende Feministin und politisch aktive Frau, erst bei der SPD und dann bei der Linken, hofft, dass der Bundesgerichtshof in der Causa Krämer gegen die Sparkassen kommende Woche zu ihren Gunsten und damit zu Gunsten der Frauen entscheidet.
"Wenn nicht, geht es weiter, ich gehe bis zum EuGH, wenn es nicht anders geht, ich will es jetzt wissen."
Zwar gehe es vordergründig nur um ein Formular. Aber sie wolle im Sprachgebrauch der Sparkasse nicht länger "Kunde" sein, sondern "Kundin". Die männlichen Bezeichnungen müssten durch weibliche Sprachformen ersetzt werden, wenn die Darlehnsnehmerin oder die Sparerin eine Frau sei.
"Sprache ist Ausdruck von Denken, Reden, Fühlen, Tun und Handeln. Sie ist unser wichtigstes Integrationsmittel und unser höchstes Kulturgut, und wir Frauen kommen in unserer Muttersprache nicht vor, als gäbe es uns gar nicht. Dabei sind wir die Mehrheit der Bevölkerung und leisten fundamentale Arbeit für Staat und Gesellschaft zum Nulltarif, die ganze Familienarbeit mit Erziehung, Krankenpflege, Altenpflege. So wie wir in der Sprache vorkommen, werden wir auch beachtet und behandelt, nämlich überhaupt nicht oder äußerst mies."
Das Landgericht Saarbrücken ist der Argumentation von Frau Krämer nicht gefolgt und hatte die Klage in zweiter Instanz zurückgewiesen. Zur Begründung verwies das Gericht auf das sogenannte generische Maskulinum. Die männlichen Substantive würden verallgemeinernd geschlechtsneutral verwendet - und das bereits seit 2.000 Jahren. Die Klägerin werde dadurch weder herabgewürdigt noch benachteiligt.
"Die Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft"
Die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig, hält dagegen:
"Diese Argumentation hat sich nicht mit der Sprachwissenschaft beschäftigt, denn in der Sprachwissenschaft ist völlig klar, dass die Aussage, es gebe ein generisches Maskulinum und da sind Frauen quasi mitgemeint, nicht haltbar ist, weil man eben nicht an Frauen denkt, wenn zum Beispiel gesagt wird, der Bankdirektor betrat die Bühne, da stellt man sich keine Frau vor."
Wersig hofft auf Schützenhilfe des Bundesgerichtshofes, ebenso wie der Sparkassen- und Giroverband. Allerdings unter anderem Vorzeichen, denn Banken und Sparkassen möchten das generische Maskulinum auch weiterhin verwenden und ihre Formulare auf keinen Fall ändern, sagt Verbandssprecher Stefan Marotzke:
"Grundsätzlich ist es so, dass Sparkassen und alle anderen Kreditinstitute in Deutschland ihre Kunden in Wort und Schrift selbstverständlich geschlechtsspezifisch ansprechen. Lediglich bei den Vertragsmustern ist das anders, weil es sich häufig um recht komplexe Texte handelt, die im Satzbau durch die Verwendung beider Geschlechter zusätzlich verkompliziert würden."
Maria Wersig hält diese Argumentation für vorgeschoben:
"Die Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft, und wenn bis in die höchste Instanz darauf beharrt wird, Frauen auszuschließen in formalen Dokumenten und Formularen, dann zeigt das den Stand der Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft. Also diese Bezeichnung 'Kontoinhaber' ist, wenn man es genau nimmt, seit 1958 überholt, denn seitdem können Frauen selber ein Konto eröffnen auf eigenen Namen, und wenn sich seitdem nichts bewegt hat, und die Sparkasse auch noch sagt, das muss so bleiben, dann zeigt das den Stellenwert von Frauen und von Gleichberechtigung."
"Wir Frauen werden totgeschwiegen"
Die Frage allerdings bleibt, wie schwer wiegt die Benachteiligung von Frauen, wenn sie in formalen Dokumenten ausgeschlossen werden? Für viele scheint es ein zu vernachlässigendes Problem zu sein. Eine nicht repräsentative Umfrage in der Saarbrücker Innenstadt deutet darauf hin:
"So was ist mir nicht wichtig, aber eine richtige Gleichberechtigung wäre mir schon wichtig in Sachen Gehalt, in Sachen Karriere."
"Das ist mir eigentlich egal."
"Grundsätzlich habe ich kein Problem damit, das grammatikalische Geschlecht vom persönlichen Geschlecht zu trennen, ich find das nicht so wichtig."
"Ich bin Bürger einer Stadt und nicht Bürgerin, ich finde das hat sich eingelebt, und infolgedessen sehe ich überhaupt einen Grund, das zu ändern."
Marlies Krämer kennt diese Art von Gleichgültigkeit. Sie kämpft seit Jahren dagegen an.
"Wir Frauen werden totgeschwiegen. Also, wer in der Sprache nicht vorkommt, hat auch kein Recht, hat auch keine Ansprüche zu stellen, und ich habe mir vorgenommen, ich werde ab sofort nur noch das generische Femininum benutzen."
Will heißen: Die Richterinnen am Bundegerichtshof, Frauen wie Männer, entscheiden am 13. März. Zu wessen Gunsten, ist offen.