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Das mit den Sternen tanzt

Seit 15 Jahren kreist das Hubble-Weltraumteleskop um die Erde und blickt mit unerreichter Präzision in die Tiefen des Alls. Hubble ist das teuerste Instrument in der Geschichte der Astronomie. Das Instrument in der 600 Kilometer hohen Umlaufbahn hat die Erforschung des Weltalls weit voran gebracht - und dabei buchstäblich jedes Wohnzimmer erreicht.

Von Dirk Lorenzen |
    Galileo: Großes fürwahr unterbreite ich den einzelnen Naturforschern zur Anschauung und Betrachtung. Großes zum einen wegen der Erhabenheit des himmlischen Gegenstandes, zum anderen wegen der bislang unerhörten Neuheit und schließlich wegen des Instruments, durch dessen Hilfe es sich unseren Sinnen offenbart hat.

    "Hubble ist vermutlich das erfolgreichste wissenschaftliche Experiment aller Zeiten. Ich meine, nicht nur in der Astronomie, sondern ganz allgemein."

    Galileo: Eine große Sache ist es gewisslich, der zahlreichen Menge von Fixsternen, die man bis heute mit natürlichen Gaben wahrnehmen konnte, zahllose weitere, bisher nie gesehene hinzuzufügen.

    "Hubble hat nicht nur überragende wissenschaftliche Bedeutung. Es ist buchstäblich bis ins Wohnzimmer von vielen, vielen Millionen Menschen rund um den Globus vorgedrungen. Und es hat die Faszination wissenschaftlicher Entdeckung Leuten nahe gebracht, die sonst nichts mit Wissenschaft zu tun haben."
    Galileo: Ohne Mühe noch Kosten zu scheuen, gelangte ich schließlich dahin, mir ein so vorzügliches Instrument zu bauen, dass die dadurch betrachteten Gegenstände um dreißig mal näher erscheinen, als wenn man sie mit bloßem Auge sieht. Mit ihm wandte ich mich der Erforschung der Himmelskörper zu.

    Galileo Galilei in seinem Buch "Sidereus Nuncius" und Mario Livio, Astronom am wissenschaftlichen Institut des Hubble-Weltraumteleskops in Baltimore.

    1609 hatte der alte Italiener erstmals sein Fernrohr an den Himmel gerichtet - und ein Jahr später in der "Sternenbotschaft, die großartige und höchst bewundernswerte Anblicke eröffnet" von seinen Bahn brechenden Entdeckungen berichtet. 380 Jahre nach Galilei, am 24. April 1990, haben die Astronomen sozusagen das Fernrohr noch einmal erfunden - erneut ohne Mühe noch Kosten zu scheuen. Erstmals blickte ein Teleskop ungestört von der flimmernden Erdatmosphäre in die Tiefen des Kosmos, das Universum kristallklar über sich - ein alter Astronomen-Traum hatte sich erfüllt.

    Erste Ideen eines über der Atmosphäre kreisenden Teleskops gehen auf den deutschen Raketenpionier Hermann Oberth Ende der 20er Jahre zurück. Seit den Mondflügen arbeitete die NASA intensiv an einem Teleskop, das oberhalb der Atmosphäre perfekt scharfe Bilder von den himmlischen Objekten liefert. Nach gut zwei Jahrzehnten Planung und Bau war das Hubble-Weltraumteleskop endlich am Einsatzort - ein Satellit der Superlative: Über 13 Meter lang, mehr als vier Meter Durchmesser, gut 11 Tonnen schwer - ein Reisebus in der Umlaufbahn, aber viel, viel teurer:

    "Das kostet jede Menge Geld. Insgesamt 3 Milliarden Dollar - je nachdem, wie man rechnet, vielleicht sogar mehr - wurden in der Zwischenzeit ausgegeben. Das ist mehr Geld als in der Astronomie insgesamt in der Geschichte der Menschheit ausgegeben wurde,"
    erklärt Rudolf Albrecht, Leiter der europäischen Koordinierungsstelle für das Hubble-Weltraumteleskop in Garching. Albrecht ist ein echtes "Hubble-Kind", er ist seit 1976 an diesem Projekt beteiligt. Hubble ist, was nur wenige wissen, kein reines NASA-Projekt. Die europäische Weltraumagentur ESA ist mit 15 Prozent beteiligt:
    "Das Hubble-Teleskop hat wirklich phantastische Dinge in praktisch jedem Bereich der Astronomie getan. Zwei Beispiele: Es hat die Dunkle Energie entdeckt, jene geheimnisvolle Kraft, die das Universum immer schneller auseinander treibt. Ein ganz anderer Bereich sind die Planeten um ferne Sterne: Hubble hat als erstes die Zusammensetzung der Atmosphäre eines fernen Planeten gemessen. Das zeigt, wie vielseitig das Weltraumteleskop ist. Außer diesen beiden Extremen gab es natürlich noch viele andere Dinge."

    Galileo: Die Neuartigkeit dieser Dinge und die Konsequenzen, die aus ihnen im Gegensatz zur herrschenden Lehrmeinung der Philosophen folgen, haben nicht wenige Professoren gegen mich aufgebracht - so, als hätte ich mit eigenen Händen die Dinge an den Himmel gesetzt, um die Natur zu ärgern und die Wissenschaften zu überrumpeln.
    Mögen die Astronomen heute von den wissenschaftlichen Befunden des himmlischen Teleskops überwältigt sein - die ersten Daten, die Hubble kurz nach seinem Start zur Erde gefunkt hatte, hatten einen ganz anderen Überrumplungseffekt. Rudolf Albrecht erinnert sich mit Schrecken:
    "Wir sind mit ziemlich großer Erwartung gestartet. Wir waren nicht überrascht, dass es nicht gleich einen Tag nach dem Start nadelscharfe Bilder gegeben hat. Das ist ganz klar, wenn man an die Vibrationen denkt, an den Schalldruck in der Payload-Bay während des Shuttle-Starts etc. Wir wussten aber ja auch, dass im Teleskop eigentlich fast alles einstellbar war. Was allerdings nicht einstellbar war, war die Form des Hauptspiegels. Da hat sich dann herausgestellt, ziemlich schnell, dass damit etwas nicht in Ordnung ist."

    Das Teleskop, das oberhalb der Atmosphäre perfekt scharf und so weit hinaus wie kein Instrument vor ihm ins All blicken sollte, lieferte nur verschwommene Bilder - schwache ferne Objekte waren gar nicht zu sehen: Beim Schleifen des 2,4 Meter großen Hauptspiegels hatte man einen ganz simplen optischen Effekt nicht berücksichtigt. Eine Kleinigkeit - aber mit verheerenden Folgen.

    Für den Weltraum bestimmte Instrumente lassen sich auf der Erde nicht so einfach testen - im Weltall herrschen Vakuum und Schwerelosigkeit, was sich im Labor nur mit enormem Aufwand nachstellen lässt:

    "Da liegt es an der Erfahrung des Projektmanagers zu sagen, hier und hier müssen wir testen, hier und hier, wenn es geht, auch. Da und da verlassen wir uns darauf, dass wir, wenn etwas falsch ist, das im Ergebnis anderer Tests sehen oder man sagt sich, dass ist derart gesicherte Technologie, dass wir nicht zu testen brauchen. Und das war der Fehler, der beim Spiegel gemacht wurde. Spiegel geschliffen hat schon der Galileo, und daher hat man gesagt, den Spiegel zu schleifen, das ist derart gesicherte Technologie, da testen wir nur bis zu einem gewissen Grad. Genau da lag der Fehler."
    Das himmlische Teleskop stürzte die NASA in eine schwere Krise - Hubble drohte zum Superflop zu werden, zur peinlichsten Panne in der Geschichte der Raumfahrt. Ein bitterböser Cartoon zeigte eine Cocktail-Party, auf der ein Mann zu einer Stehlampe sagt: "Habe ich Ihnen schon erzählt, dass dieselben Leute, die den Spiegel für Hubble gebaut haben, auch meine Brille gemacht haben?" Die Antwort der Stehlampe ist nicht überliefert - aber die zupackende Reaktion der bis ins Mark getroffenen NASA beeindruckt Mario Livio noch heute:

    "Ich bin ans Institut gekommen, unmittelbar nachdem der Spiegelfehler entdeckt worden war. Als Theoretiker hatte ich nichts mit der Reparatur zu tun. Aber viele Leute haben mich für verrückt gehalten, damals überhaupt bei Hubble anzufangen. Die Kollegen hier haben ganz schnell begonnen, nach Lösungen zu suchen. Zunächst dachte man an computergestützte Bildverarbeitung, die den Bildfehler im Nachhinein herausrechnet. Aber dann ging es auch um eine richtige Reparatur, wie man also dem Teleskop eine Brille verpasst, wie wir das mit unseren eigenen Augen machen."

    Galileo: Alle, die sich solchen Beobachtungen widmen wollen, sollten beachten, dass es erforderlich ist, ein ganz genaues Fernrohr zu bauen, welches die Gegenstände hell und deutlich darstellt und sie wenigstens vierhundert Mal vergrößert. Wenn nämlich das Instrument nicht so beschaffen ist, wird man vergeblich versuchen, all die von uns am Himmel erblickten Dinge zu sehen.

    In dieser kritischen Phase spielte Hubble einen Vorteil voll aus: Das Teleskop war zwar im All, aber auf seiner 600 Kilometer hohen Bahn noch erreichbar. Von Anfang an standen Service-Missionen auf dem Plan. Astronauten sollten etwa alle fünf Jahre beim Weltraumteleskop vorbeifliegen, das Instrument warten, alte Geräte ausbauen und neue Kameras einsetzen. So wurde die erste Service-Mission schneller realisiert als ursprünglich geplant. COSTAR, die Brille für Hubble, wurde Ende 1993 erfolgreich eingesetzt. Kleine Spiegel im Strahlengang sorgten fortan für scharfe Bilder. Es war Hubbles zweite Geburt - erinnert sich Roger Doxsey, Chef des Hubble Mission Office in Baltimore:

    "Als wir nach der ersten Service-Mission sahen, wie die ersten Bilder runter kamen, war sofort klar, dass der Fehler repariert war. Das war unmittelbar in den Bildern zu sehen. Wir waren unglaublich erleichtert, dass es so gut geklappt hatte. Von da an machte Hubble exzellente Wissenschaft. Das war mit Abstand der schönste Moment in meinem Berufsleben."

    Galileo: Aufzuzählen, wie viele und wie große Vorzüge dieses Instrument bei der Anwendung auf dem Lande und zur See bietet, wäre ganz überflüssig. Aber ich ließ irdische Anwendungen beiseite und wandte mich der Erforschung der Himmelskörper zu. Als erstes sah ich den Mond so nah, als wäre er kaum zwei Erdhalbmesser entfernt.

    Wie weiland das Teleskop des Galilei, so hat auch das Hubble-Weltraumteleskop eine Anwendung zu Lande und zur See. Gut, nicht Hubble direkt. Aber das Weltraumteleskop ist nicht allein da oben, erklärt Rudolf Albrecht:

    "Es ist natürlich ein offenes Geheimnis, dass Lockheed den Vertrag deswegen bekam, weil Lockheed schon andere derartige Teleskope gebaut hat, allerdings haben die nicht rausgeschaut, sondern runter geschaut."

    Das Hubble-Teleskop hat viele Geschwister: Doch die praktisch baugleichen Instrumente haben als Spionage-Satelliten die Erde im Blick. Für die Astronomen hatte diese unfreiwillige Kooperation fast schon kuriose Folgen:

    "Alle Elemente, die gemeinsam sind mit den Teleskopen, die runterschauen, die haben immer einwandfrei funktioniert. Denn da hatten nicht wir die Schwierigkeiten, sondern die Militärs. Also Kommunikation, nie ein Problem. Lagekontrolle, nie ein Problem. Probleme kamen erst bei Dingen, die spezifisch waren für unsere Anwendung."

    In den ersten Jahren hatte Hubble einige "Kinderkrankheiten" auszukurieren. Dazu zählte auch der Spiegel. Die Spionage-Satelliten der Hubble-Klasse haben alle diesen Spiegelfehler. Allerdings stört der die Militärs gar nicht:

    "Wenn man runterschaut, in welchem Wellenlängenbereich will man beobachten? Nicht im Ultravioletten, da ist die Atmosphäre undurchsichtig. Nicht mal im Optischen, denn da gibt es Wolken. Sondern man will beobachten im, na ja, roten bis infraroten Bereich. Soll heißen, dass der Spiegel nicht so genau geschliffen sein muss. ... Nächstes Problem: Wenn man auf die Erde runterschaut, wie lange muss man stabil bleiben? Na, nicht sehr lange. Aus zwei Gründen. Erstens hat man genug Signal, normalerweise, und das zweite ist, die Erde dreht sich unter dem Ding weg und da kann sowieso nicht lang beobachten, es sei denn man fährt dem gezielt nach, und auch das kann man nicht sehr lang, weil sich die Perspektive dauernd ändert. Also kurzzeitige Beobachtungen mit großen Signalen. Was wir Astronomen wollten, waren Langzeitbeobachtungen von ganz geringen Signalen und daher brauchten wir gekühlte Systeme und siehe da, mit der Kühlung gab es Schwierigkeiten und siehe da mit der Stabilität ... gab es Schwierigkeiten. ... Also, ja, einerseits haben wir profitiert von den Erfahrungen der Militärs, andererseits haben wir natürlich auch unser eigenes Lehrgeld bezahlt."

    Galileo: Aber unterhalb der Sterne sechster Größe wird man durch das Fernrohr eine kaum glaubliche Schar anderer, dem natürlichen Blicke verborgene Sterne sehen. Man kann tatsächlich mehr als sechs weitere Größen unterscheiden; die größten dieser Sterne erscheinen mit Hilfe des Fernrohrs heller als Sterne zweiter Größe mit dem bloßen Auge betrachtet.

    Ob Galileis erstes Fernrohr oder das Hubble-Weltraumteleskop: Beide Instrumente markieren den Beginn einer neuen Ära für die Astronomie. Beide erweiterten buchstäblich den Horizont, drückten die Grenze, bis zu der die Forscher im All etwas erkennen, immer weiter nach draußen.

    So hat sich Hubble vor allem mit den Deep Fields hervorgetan, den tiefen Feldern, extrem lang belichteten Aufnahmen derselben Himmelsregion. Wochenlang hat Hubble auf einen winzigen Fleck am Himmel gestarrt und alles Licht gespeichert, was von dort zur Erde kommt. Nie zuvor haben die Astronomen das ferne, frühe Universum so detailliert gesehen, schwärmt Sangeeta Malhotra, Astronomin am Institut des Weltraumteleskops in Baltimore:
    "Das Hubble Ultra Deep Field ist der tiefste Blick ins Universum aller Zeiten. Wir sehen damit die entferntesten Galaxien im Kosmos ermitteln. Diese Galaxien sehen wir zu einer Zeit, als das Universum nur eine Milliarde Jahre alt war - heute ist es etwa 14 Milliarden Jahre alt. Die Galaxien, die wir da sehen, sind also sehr, sehr jung und sehr, sehr weit entfernt. Das Licht war 13 Milliarden Jahre unterwegs, um von dort zu uns zu kommen."

    Hubble ist eine Art Zeitmaschine, die die Astronomen weit zurück in die Vergangenheit des Kosmos blicken lässt. Denn jeder Blick in die Tiefen des Kosmos ist auch ein Blick weit zurück in die Vergangenheit des Universums. Teleskope wie Hubble können noch heute die Kindheit des Kosmos beobachten.

    Noch vor wenigen Jahren wähnten die Forscher in so großer Entfernung, also zu dieser frühen Zeit in der kosmischen Geschichte, das Dunkle, weil noch sternlose Zeitalter. Hubble kann gut beobachten - gut verstehen lassen sich diese Daten nicht, aber gerade das bringt die Wissenschaft voran.

    "Wann, wo und wie sind die ersten Sterne und Galaxien entstanden? Wir sehen jetzt, dass bereits im erst eine Milliarde Jahre jungen Kosmos viele heiße Sterne und Galaxien gibt - aber wie ist das möglich? Wie konnten die so schnell nach dem Urknall entstehen? Das Hubble-Teleskop hat uns mit seinem Ultra Deep Field erstmals echte Daten aus dieser frühen Zeit geliefert. Natürlich wird darüber noch immer heftig gestritten - aber die Debatte geht nicht mehr um Phantome, sondern um konkrete Objekte: Um die Galaxien, die wir wirklich sehen. Wir blicken immer weiter zurück in den kosmischen Nebel."
    Galileo: Auch scheint mir, man dürfe es nicht gering achten, den Streit über die Milchstraße beigelegt und ihr Wesen neben dem Verstand auch den Sinnen offenbart zu haben; und auch mit dem Finger darauf zeigen zu können, dass der Stoff der bis heute von den Astronomen Nebel genannten Sterne bei weitem anders ist, als man bisher glaubte, wird sehr schön und erfreulich sein.

    Hubble war an der Entdeckung eines ganz wesentlichen Stoffes in unserem Kosmos entscheidend beteiligt: Die Materie, die wir im Alltag kennen, die in der Sonne leuchtet oder als kalte Gaswolken durch das Universum wabert, kommt im Kosmos nicht einmal über die 5-Prozent-Hürde. Dunkle Energie dominiert den Kosmos - sie macht gut 70 Prozent des Universums aus. Der Kosmos rast als Folge des Urknalls auseinander, allerdings geschieht das immer schneller, weil die Dunkle Energie ihn auf geheimnisvolle Weise immer mehr beschleunigt. Der Entdecker dieses Phänomens war Adam Riess, ein junger Astronom am wissenschaftlichen Institut des Hubble-Weltraumteleskops in Baltimore. Heute geht es darum, herauszufinden, was hinter dieser völlig rätselhaften Dunklen Energie steckt:

    "Derzeit nutzen wir das Hubble-Teleskop, um damit die entferntesten Supernova-Explosionen im All zu finden. Diese Explosionen zeigen uns, wie schnell sich das junge Universum ausgedehnt hat, vor etwa 9 bis 10 Milliarden Jahren, als der Kosmos nur ein Viertel so alt war wie heute. Denn damals hat die Materie im Kosmos mit ihrer Anziehung noch die Ausdehnung abgebremst. Erst vor etwa fünf Milliarden Jahren hat die erneute Beschleunigung begonnen - seit damals dominiert die abstoßende Dunkle Energie."
    Das Universum hatte also zunächst den Fuß auf dem Bremspedal, gab dann aber wieder Gas. Im Licht ferner Sternexplosionen steckt die wertvolle Information, wie schnell der Kosmos sich zum Zeitpunkt der Supernova-Explosion ausgedehnt hat. Hubble erkennt solche Explosionen noch in knapp zehn Milliarden Lichtjahren Entfernung. Hubble sieht also heute von der Erdumlaufbahn aus, wie riesige Einzelsterne explodiert sind, lange, lange bevor es Sonne und Erde gegeben hat.

    Um das Wesen der Dunklen Energie genauer zu verstehen, müssen die Astronomen beobachten, wann genau das Universum wieder aufs Gaspedal ging. Doch das geht nur mit dem Hubble-Teleskop:

    "Wir drücken die Daumen, dass Hubble noch einige Jahre durchhält. In dieser Zeit wollen wir von fernen Supernova-Explosionen so viele Daten wie möglich sammeln. In mittleren Entfernungen kann man das auch mit irdischen Teleskopen - aber die ganz weiten Supernovae schafft nur Hubble. Technologisch ist das eine Herausforderung, aber wir hoffen, dass das klappen wird."

    Das Hubble-Teleskop funktioniert bis auf ein paar Macken noch tadellos. Ein Instrument an Bord ist ausgefallen, aber nun nutzen die Astronomen die beiden anderen entsprechend intensiver. Die wissenschaftlichen Geräte sind also kein so großes Problem. Entscheidender könnten die "technischen" Geräte an Bord werden, räumt Roger Doxsey ein.

    "Kreiselsysteme und Batterien bestimmen letztlich die Lebensdauer des Teleskops. Die Kreisel braucht man, um das Teleskop korrekt auszurichten. Zwei der sechs Kreisel sind schon ausgefallen - und wir brauchen mindestens drei. Vermutlich fallen die nächsten irgendwann 2006 aus. Die Batterie funktioniert noch ausgezeichnet, obwohl sie 75.000-mal im Tag-Nacht-Zyklus des Teleskops aufgeladen und wieder entladen wurde. Das ist noch die Originalbatterie vom Start! Ab etwa 2008 oder 2009 könnte es Probleme geben, genug Strom zu haben, um das Teleskop sicher in Betrieb zu halten."
    Galileo: Zuerst hatte ich mir vorgenommen, das ganze Sternbild des Orion zu zeichnen, aber überwältigt von der ungeheuren Menge der Sterne und aus Mangel an Zeit verschob ich dieses Unterfangen auf eine andere Gelegenheit.

    Wie viele Beobachtungen wird Hubble noch machen können? Eine für das kommende Jahr geplante Service-Mission ist derzeit gestrichen - aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell heißt. Die US-Raumfähren sollen nach dem Unglück der Columbia nur noch zur Internationalen Raumstation fliegen - die könnte bei einer Panne eine Art sicherer Hafen sein, in dem die Besatzung auf Rettung von der Erde wartet. Fliegt ein Shuttle zum Hubble-Teleskop, so ist die Raumstation unerreichbar.

    Dabei sind die beiden nächsten Geräte für Hubble bereits fertig gebaut und warten nur auf den Flug nach oben. Eine zunächst diskutierte sehr umfangreiche robotische Mission zum Austausch der Geräte wurde Anfang April endgültig verworfen. Sie gilt als zu teuer. Rudolf Albrecht sieht diesen Entschluss nicht nur negativ.
    "Nun, was heißt das für uns? Heißt das, dass es endgültig keine Servicing Mission geben wird? Oder heißt das, dass es doch eine Shuttle-Mission geben wird? Denn in der Zwischenzeit kam eine Bericht der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften heraus, dort steht auch klipp und klar drinnen, auch mit unterschrieben vom Verfasser des Columbia Accident Investigation Boards, dass das zusätzliche Risiko - Shuttle zu fliegen wird immer ein Risiko sein, auch ein Shuttle zur International Space Station zu fliegen wird immer ein Risiko sein - und das zusätzliche Risiko, das man eingeht, wenn das Shuttle zum Hubble Space Telescope fliegt, ist im Vergleich so gering, dass man es eigentlich verantworten können müsste."

    Allerdings war Hubble beim Start für eine Lebenszeit von 15 Jahren ausgelegt. Die sind jetzt genau erreicht. Die Astronomen können sich also nicht beklagen, auch die ESA hat bekommen, was ihr im Rahmen des Programms zusteht - übrigens haben europäische Astronomen deutlich mehr als die zugesicherten 15 Prozent Beobachtungszeit bekommen.

    Die offizielle NASA-Begründung, dass Shuttle-Flüge zum Teleskop zu gefährlich seien, ist offensichtlich nur ein Vorwand - die stattdessen avisierten Flüge zum Mond sind bestimmt nicht sicherer. Die NASA scheint vielmehr nach Chinas erstem bemannten Raumflug vom neuen Konkurrenten völlig überrascht zu sein. China kündigt ein ambitioniertes Mondprogramm an - und die NASA muss sehen, wo sie schnell Geld zusammenkratzt, um ein eigenes Mondprogramm aufzulegen.

    Galileo: Durch mehrmals wiederholte Beobachtungen gelangten wir zu der Gewissheit, dass die Oberfläche des Mondes nicht glatt, gleichmäßig und von vollkommener Kugelgestalt ist, wie eine große Schar von Philosophen von ihm und den anderen Himmelskörpern glaubte, sondern ungleich, rau und mit vielen Vertiefungen und Erhebungen.
    Doch die Hubble-Astronomen sehen noch eine Chance: Denn Hubble fliegt in nur knapp 600 Kilometern Höhe. Dort oben ist die atmosphärische Reibung noch so stark, dass Hubble binnen eines Jahrzehnts auf die Erde stürzen wird - und der 11-Tonnen-Koloß hat bisher keinen eigenen Antrieb, bemerkt Rudolf Albrecht.

    "Die robotische Mission muss sowieso irgendwann mal stattfinden, weil ein gezieltes Deorbiting, also ein Runterbringen von der Umlaufbahn nötig ist. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass es sowieso nicht auf Miami fallen wird. Denn der Spiegel wird überleben und der Titan-Ring wird auch überleben. ... Also, man muss rauf und muss das gezielt runter bringen."

    Das letzte Wort ist sicher noch nicht gesprochen. Ein weiterer Aspekt könnte die enorme Bedeutung Hubbles sein. Denn das Weltraumteleskop hat in den vergangenen 15 Jahren nicht nur die astronomische Wissenschaft verändert - noch viel stärker hat Hubble die Wahrnehmung von Astronomie in der Öffentlichkeit geprägt. Wissenschaftshistoriker sprechen bei Hubble bereits vom bekanntesten Forschungsinstrument aller Zeiten:

    "Also das ist ein Phänomen, das hat auch bis nach Europa durchgeschlagen, dass die Leute Bilder des Universums sehen, von Objekten sehen und nicht irgendwas Esoterisches dabei denken, sondern etwas Wissenschaftliches dabei denken. Jetzt wieder: In den USA ist das noch um eine Größenordnung stärker der Fall. Ich bin in Baltimore im Jachthafen in ein Hamburger-Lokal gegangen, um geschwind etwas zum Essen zu kaufen. Und der Computer an der Kasse, da lief ein Bildschirmschoner, das waren zwei Dutzend Hubble-Aufnahmen, die alle zwei Sekunden gewechselt haben. Also: Hubbleaufnahmen als Bildschirmschoner an einem Kassencomputer von einem Hamburger-Lokal - ich würde sagen, wir haben gewonnen."
    Mehr als 40 Leute sind in der Zentrale in Baltimore im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig. Diese hochprofessionelle Arbeit zeigt Früchte - und reißt das gesamte astronomische Forschungsfeld mit.

    So begeistert die Astronomen und viele Laien von Hubble auch sind. Hat sich das Teleskop bewährt? Ja und nein. Hubble hat die in das Teleskop gesetzten Erwartungen sicher mehr als erfüllt - die weit über 100.000 extrem scharfen Aufnahmen zeigen das All in nie da gewesener Detailfülle. Dennoch wird es einen praktisch identischen Nachfolger nicht geben. Das Hubble-Konzept gilt als überholt: Die recht niedrige Umlaufbahn war wegen der Wartungsmissionen erforderlich, ist aber astronomischen Beobachtungen eher hinderlich - zudem sind die wissenschaftlichen Fragestellungen heute andere als bei der Konzeption des Hubble-Teleskops vor fast vier Jahrzehnten. Die NASA hat von Hubble viel gelernt - und schickt das nach einem ihrer früheren Chefs benannte Weltraumteleskop der zweiten Generation 2011 ins Rennen.

    "Nachfolger, James Webb Space Telecope, ist ein Nachfolger nur in dem Sinn, dass es ein Teleskop ist, das im Weltraum stationiert ist. Darüber hinaus gibt es verhältnismäßig wenig Gemeinsamkeiten. James Webb Space Telescope wird in eineinhalb Millionen Kilometern Entfernung stationiert werden. ... Das nächste ist, dieses Teleskop wird mit ungefähr 6 Metern Durchmesser keinen monolithischen Spiegel mehr haben, sondern einen Spiegel, der in Segmente unterteilt ist."

    Der Teleskopspiegel soll sich im Weltraum gleichsam entfalten, wie ein zusammengeklappter Regenschirm. Die Spiegeloberfläche wird dann von kleinen Stellmotoren in perfekter Form gehalten. Das nächste Weltraumteleskop arbeitet nicht mehr im sichtbaren Licht, sondern im nahen Infrarot - es beobachtet also eher die Wärmestrahlung aus dem All.
    "Was beobachtet werden soll, sind die frühen Entwicklungsstadien des Universums und da ist es so durch die Rotverschiebung des Universum so, dass alle beobachtbaren Objekte sowieso in diesen Wellenlängenbereich verschoben sind."

    Das neue Teleskop soll - wie Hubble - die Grenze immer weiter hinausschieben und noch fernere, also damit auch frühere Objekte im All entdecken. Die Astronomen hoffen, mit dem James Webb-Teleskop buchstäblich die ersten Sterne im Weltall zu beobachten, aufgeflammt nur einige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall.

    Auf die kostspieligen Wartungsmissionen - der Clou des Hubble-Projekts, weil sich auf diese Weise das Teleskop mit neuen Instrumenten modernisieren lässt - wird man beim James Webb-Teleskop verzichten. Dieser Teil des Hubble-Konzepts stammte ohnehin aus der Zeit der Raumfahrteuphorie, als man meinte, die amerikanischen Raumfähren könnten nahezu wöchentlich und sehr preiswert ins All fliegen. Die Realität sieht heute ganz anders aus: Das James Webb-Teleskop muss es allein schaffen - oder scheitern.

    Galileo: Der Lauf der Zeit hat jedem die Wahrheiten gezeigt, die ich vorhergesehen hatte. Es hat sich aber auch gezeigt, dass es Leute gibt, die schlichtweg die Entdeckungen ignorieren, weil sie ihnen zu ungewöhnlich und zu überraschend sind. Andere, die mit Astronomie und Physik vertraut sind, waren sofort überzeugt, als sie meine erste Nachricht bekamen.

    Galileo Galilei haben seine Entdeckungen unsterblich gemacht. Wird in 400 Jahren noch jemand an das Hubble-Teleskop denken? Aber damals wie heute geht es um ganz grundlegende Fragen, damals wie heute steht die Astronomie an einer Zeitenwende - und zwar weil es neue Instrumente gibt, weil die Forscher immer besser hinaus blicken, weil neue Beobachtungen alte Gewissheiten umstoßen und neue Fragen aufwerfen.
    "Was ist die Natur der Dunklen Energie? Das ist die größte Frage der Physik heutzutage. Um da weiterzukommen, wird Hubble noch viel Zeit für die Beobachtung der fernen Supernova-Explosionen verwenden."

    "Das zweitwichtigste Problem: Gibt es intelligentes Leben anderswo im Universum? Mit Hubble könnten wir das zwar nicht entdecken, aber Hubble kann sehr viel tun, um Planeten fremder Sterne zu entdecken und genauer zu untersuchen, also zum Beispiel die chemische Zusammensetzung der Planetenatmosphären. Das ist ein weiteres Programm, das Hubble mit vollem Einsatz weiterführen wird."

    Zu tun gäbe es genug - im All ist noch Vieles zu entdecken. Wie lange Hubble daran noch mitarbeiten wird, steht derzeit buchstäblich in den Sternen. Auch ohne weitere Wartungsmission hat Hubble sicher mehr erreicht, als man jemals erwarten konnte. Und was die Kosten angeht, da hat Mario Livio - als natürlich befangener Insider - eine ebenso eigenwillige wie charmante Interpretation:

    "Ich bin vor einiger Zeit gefragt worden, ob Hubble die Milliarden von Dollar wert war."

    "Meine Antwort war: Nun, es hat uns das Universum gegeben - und dafür ist es sehr billig."