Archiv

Das "Molotow"
St.Pauli-Kult-Club bekommt ein Buch geschenkt

Letztes Jahr feierte der Club an der Reeperbahn seinen 25. Geburtstag: einer der wenigen Läden, der ein Vierteljahrhundert überlebt hat – auch mit großer Unterstützung von Fans und Musikern. Bands von Tocotronic über Mando Diao bis Gossip machten hier ihre ersten Schritte. Geschichten und Gesichter rund um den Club versammelt nun "Molotow – das Buch".

Von Juliane Reil |
    Juni 1990 an der Hamburger Reeperbahn: Im Herzen St. Paulis zwischen Leuchtreklame, Prostituierten und Vergnügungssüchtigen eröffnet ein kleiner Musikclub namens "Molotow". Das Ziel der Betreiber: ein abwechslungsreiches Musikprogramm mit regelmäßigen Live-Konzerten. Dabei sollen insbesondere diejenigen Bands eine Plattform bekommen, die noch ganz am Anfang stehen. Wie die schottische Gruppe "Teenage Fanclub" zum Beispiel, die den Eröffnungsgig für den Musikclub spielt.
    Von Anfang an dabei ist Andi Schmidt. Zuerst als DJ, später als Chef. Der Bildband "Molotow - Das Buch", der jetzt zum 25. Jubiläum des "Molotow" erscheint, spiegelt auch seine Lebensgeschichte wieder. Durch sein Gespür für Trends konnte sich der Club, der 300 Leute fasst, als Sprungbrett für musikalische Neuentdeckungen etablieren. An manche dieser Bands erinnert sich Andi Schmidt besonders gern. "Die Hives hatten ihr erstes ausverkauftes Konzert überhaupt in ihrer Karriere hier. Das fanden die ganz toll und haben das in ihrem Video nachgebaut, in Schweden irgendwo ein "Molotow"-Schild drangehängt und 'ne Schlange davorgestellt."
    Allein die Qualität entscheidet
    Nicht nur für die Hives, sondern auch für viele andere Bands war der niedrige Kellerraum des "Molotow" Anfang einer Weltkarriere. Die White Stripes, Gossip, Mando Diao oder MaxImo Park standen hier auf der Bühne, aber auch Größen der deutschen Musikszene wie Die Toten Hosen, Jan Delay und Tocotronic.
    All diese Bands sind mit zahlreichen Fotos ihrer Gigs im Molotow-Buch abgebildet. Auf diesen Aufnahmen sieht m annicht nur die Künstler in schweißnassen T-Shirts, sondern häufig auch ein euphorisches Publikum, das dicht gedrängt ohne Absperrung am niedrigen Bühnenrand steht. Wer im "Molotow" spielen darf, hängt allein von der Qualität der Band ab – nicht von ihrem Budget. "Wir sind kein käuflicher Laden im Sinne von 'Pay To Play'. Es gibt viele Läden, die auch irgendwelche Bands spielen lassen, wenn sie Tickets kaufen. Das ist ein Geschäftsmodell, das wir aber nicht verfolgen."
    Umgezogen an den Rand der Reeperbahn
    Andi Schmidt ist überzeugt von den Bands, die bei ihm spielen. Und die Clubgäste sind überzeugt vom "Molotow". Das zeigt auch ihre Solidarität gegenüber dem Veranstaltungsort. Als 2008 die Mieten steigen, aber die Einnahmen sinken, droht der Club zu schließen. Nur mithilfe von Gästen, die eine Spendenaktion starten, und Benefizkonzerten vonseiten der Musiker kann das Molotow gerettet werden. Die Stadt habe sich damals sehr zurückgehalten, meint Andi Schmidt, obwohl Hamburg in der Öffentlichkeit gern ein anderes Image vertritt: "Wir sind eine Musikstadt, wir sind eine Szene-Stadt, wir sind eine Stadt, die eine Club- und Musikszene hat und immer schon hatte. Wenn man sich damit schmückt, muss man auch etwas dafür tun und bestrebt sein, das zu erhalten. Und das passiert immer noch viel zu wenig."
    Dass steigende Kosten einem Musikclub in Deutschland das Überleben schwer machen, ist kein lokales Problem. Als "Clubsterben" bezeichnet man dieses Phänomen. Oftmals ist es eine Folge der Gentrifizierung – auch in Hamburg. Während St. Pauli in den Neunzigern noch Schlupfwinkel für Kreative und Lebenskünstler war, ist der Kiez inzwischen ein Rotlicht-Tollhaus für Junggesellenabschiede und Partytouristen geworden. Dadurch hat das "Molotow" seine ursprüngliche Bleibe verloren und musste vom zentralen Spielbudenplatz an den Rand der Reeperbahn ziehen. Aber auch davon lässt sich Andi Schmidt, überzeugter Idealist, nicht unterkriegen. "Ich seh’ es einfach nicht ein, das Ganze anderen Leuten zu überlassen, die dann irgendwelchen Mist machen. Solange es irgendwie geht, werd’ ich das weitermachen."
    Auch Run DMC legten hier schon auf
    Mit vielen kurzen Erfahrungsberichten von nationalen und internationalen Künstlern liefert das "Molotow"-Buch Einblicke in 25 Jahre Clubgeschichte. Damit ist das 160 Seiten-Werk sicherlich besonders interessant für Leser mit einem Hamburg-Bezug. Da Clubgeschichte auch immer Musikgeschichte ist, dürften sich aber ebenso Musikinteressierte außerhalb der Hansestadt dafür begeistern.
    Manchmal wünscht man sich noch mehr Informationen zur Entstehungsgeschichte des Clubs und zu seinen Programmachern. Insgesamt ist jedoch ein stimmiges Clubporträt entstanden, das seine Farbigkeit gerade auch durch kleine Anekdoten erhält. So haben doch tatsächlich die Hip-Hop-Pioniere von Run DMC inkognito im Molotow gespielt. "Die haben dann auch tatsächlich – ich weiß nicht mehr – halbe Stunde, Stunde, irgendwas dazwischen, aufgelegt. Und einige Leute haben sich gefragt: 'Was sind denn das für Leute? Is' nich' schlecht, aber wer ist das?' – 'Run DMC.' – 'Nee, glaub ich nich'.' Ich hab mich natürlich gefreut, weil ich natürlich Fan war, und auch weil ich es super fand, dass sie gefragt haben, ob sie mal auflegen dürfen."
    Sebastian Meißner: "Molotow – Das Buch", Junius Verlag, 160 Seiten, 22,90 Euro