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Das Multitalent Kate Tempest
"Redet verdammt noch mal miteinander!“

Warum können Menschen nicht das sagen, was sie fühlen, was sie denken? Die Musikerin und Autorin Kate Tempest fragt sich das nicht nur im Alltag, sondern auch in ihrem Roman "Worauf du dich verlassen kannst". Eine Geschichte über die Suche nach dem Sinn und dem Glück im Leben.

Kate Tempest im Corso-Gespräch mit Susann El Kassar |
    Das britische Multitalent Kate Tempest bei einem Konzert in Barcelona 2015
    Das britische Multitalent Kate Tempest bei einem Konzert in Barcelona 2015 (imago/ZUMA Press)
    Susann El Kassar: In "Worauf du dich verlassen kannst" treffen wir auf vier Charaktere , die alle nach dem Sinn des Lebens suchen, und nach Glück, die aber irgendwie mit ihrem Leben nicht ganz klar kommen. Becky würde gerne zeitgenössischen Tanz machen, arbeitet aber stattdessen als Masseuse und als Kellnerin. Harry verkauft seit Schultagen Drogen - Drogen kommen ohnehin im Buch andauernd vor - und Pete ist arbeitslos. Kate Tempest, was ist da falsch gelaufen, warum sind sie alle so verloren?
    Kate Tempest: Sie alle gehen aus verschiedenen Gründen durch verschiedene Prozesse auf der Suche nach der Art zu leben, die sich für sie richtig anfühlt. Ich würde nicht sagen, dass es für irgendeinen von ihnen schief gelaufen ist. Bis auf die Tatsache, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen: Drogen verkaufen, erotische Massagen anbieten, aber es hängt davon ab, auf welcher Seite man steht. Ich weiß nicht, es ist eine schwierige Frage… Es kommt darauf an, wie man das Buch liest. Für mich geht es im Roman nicht so sehr darum, was nicht geklappt hat, sondern um Liebe und um Zärtlichkeit, es geht darum, was gut läuft.
    El Kassar: Der Eindruck ist vielleicht entstanden, weil Sie den Hintergrund der Menschen erzählen. Die meisten haben kaputte Familien. Und man fragt sich, ob der familiäre Hintergrund alles weitere bestimmt.
    Tempest: Ich interessiere mich für Geschichte, für Mythologie, für Familie. Abstammung interessiert mich auch. Ab welchem Punkt wird man zu der Person, die man ist. Das Thema beschäftigt mich immer wieder. Und es schlägt sich in all den verschiedenen Formen nieder. Die Geschichte beginnt in meinem Album "Everybody Down", das 2014 erschienen ist, und ein Teil der Charaktere kommt auch schon in "Brand New Ancients" vor, das war ein langes Gedicht, das ich 2013 geschrieben habe. Und auch in meinem ersten Theaterstück "Wasted" von 2012 taucht einer der Charaktere auf.
    "Die Ideen formen sich wie ein Sternbild"
    El Kassar: Das ist schon eine spezielle Art zu arbeiten, alles nebeneinander. Sie verfolgen die Idee durch die verschiedenen Formen von Literatur und Musik.
    Tempest: Die Ideen formen sich wie ein Sternbild. In meinem Kopf sind es getrennte Teile, aber sie stehen natürlich in Beziehung zueinander. Die Verbindung ist so offensichtlich wie Charakter und Ort oder manchmal sind es Themen und Formen, die nachhallen. Diesen ersten Komplex von Werken habe ich in den letzten vier oder fünf Jahren zusammengestellt. Und der Roman bildete dann das Ende dieser meiner ersten Schaffensphase.
    El Kassar: Wie haben Sie sich danach gefühlt? Leer?
    Tempest: Leer?
    El Kassar: Weil alles geschafft war.
    Tempest: Nein, ich war aufgeregt über den neuen Anfang, ich hab mich darauf gefreut wieder Platz in meinem Geist, meinem Herz, meinem Kopf zu haben, neue Ideen zu entwickeln.
    "Sagt es einfach"
    El Kassar: Sie benutzen starke Metaphern in Ihrem Roman, die meistens Gefühlsausbrüche der Charaktere beschreiben, z.B. "Ihr Herz boxt sich aus ihrer Brust frei, rennt schreiend durch den Raum und beschmiert alle Wände mit Blut". Sie drücken ihre Gefühle aus, und gleichzeitig scheint es, dass die Charaktere selbst es nicht können. Warum können sie das nicht?
    Tempest: Das ist ein roter Faden in diesem Buch, eigentlich in meinem ganzen Werk. Diese Schwierigkeit die innere und die äußere Welt aufeinander zu kriegen. Die Charaktere im Roman erleben total viel und sie sind aber nicht in der Lage, ehrlich zu sagen, was sie fühlen. Ich glaube, das ist eine der schlechtesten Eigenschaften von Gesellschaft. Es ist so schwer, dass Menschen sich ehrlich zeigen, sich mitteilen und zugeben, wie es ihnen geht. Und ich hoffe, dass man beim Lesen das empfindet, dieses: "Oh man, redet doch verdammt noch mal einfach miteinander! Sagt es einfach!" Das gibt’s im Leben ganz genauso. Mir geht es andauernd so. Warum hören die Leute nicht damit auf, nur so zu tun als ob, Nettigkeit nur zu heucheln und stattdessen die Wirklichkeit zu erkennen. Dafür müsste man ehrlich und bescheiden sein, diese Fähigkeiten überhaupt erstmal in sich aktivieren. Aber das ist schwierig für uns, hier voranzukommen, hin zu einer Gesellschaft, die dann gesünder wäre.
    El Kassar: Was kann man da machen? Wie kann man den Menschen dabei helfen, sich auszudrücken? Ehrlich zueinander zu sein?
    Tempest: Im Roman wäre das so was Einfaches wie, ein Gefühl zuzulassen. Zum Beispiel: Pete hat psychische Probleme und in einer Szene hängt er ab mit zwei Freunden. Er könnte einfach sagen: mir geht’s grad nicht gut, ich komm grade nicht klar, aber er findet diese Worte nicht und ich glaube es geht insbesondere Männern oft so. Bei psychischen Problemen ist es besonders schwierig, darüber spricht man nicht. Ich weiß nicht, wie wir da helfen können, im Buch wäre es besser für Pete, wenn er den Mut finden könnte, zu sprechen oder sich zumindest sicher fühlt.
    El Kassar: Ist das eine Geschichte von sozialer Benachteiligung?
    Tempest: Nicht für mich, aber das steckt da drin. In meinen Werken steckt natürlich meine Politik, meine Ideen, aber ich denke da vorher nicht dran. Das ist eine Geschichte über Menschen, nicht über soziale Nachteile. Einer der Charaktere ist ein erfolgreicher Drogendealer, eine ist eine erfolgreiche Tänzerin, einer ist Anwalt, einer besitzt einen Optikerladen, zwei sind total verknallt ineinander. Es ist eine Geschichte über Menschen, die mit ihren Problemen kämpfen, wie jeder andere Mensch auch. Das ist eine Geschichte übers Leben, denn das Leben wie ich es kenne, ist ein Kampf.
    "Für mich ist Literatur, Lyrik heilig"
    El Kassar: Sie haben in den letzten Jahre viel gemacht: Das Album "Everybody down", das große Gedicht "Brand New Ancients", der Roman. Was diese Dinge verbindet, sind die Worte. Sie arbeiten mit Worten. Was ist die Kraft von Worten?
    Tempest: Für mich ist Literatur, Lyrik, das ist heilig. Das ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens, Teil meiner Verbindung zum Universum. Ich hab das Gefühl, dass wenn man kreativ ist, dann trägt es einen manchmal an den eigenen Ursprung, so fühlt es sich jedenfalls an, wenn ich auf der Bühne stehe, oder wenn ich im Studio bin. Mein Verhältnis zu Worten ist ein religiöses: die Art wie ich sie lese, wie ich sie mit mir herumtrage, in meinem Herzen, wie ich Musik höre, es verbindet mich stärker mit dem Leben. Musik und Literatur verbinden mich mit der Wirklichkeit, dabei ist das ja eigentlich komisch, denn das ist ja etwas Geschaffenes, es kommt von Kreativität, nicht von Realität. Aber mir zeigt es die Wahrheit der Menschheit, auf eine Weise, von der wir sonst abgeschnitten sind, weil wir so oberflächlich leben, damit wir funktionieren bei all den Schrecklichkeiten des Alltags.
    El Kassar: Was folgt jetzt? Planen Sie wieder so eine Gruppe von Veröffentlichungen, die alle miteinander verbunden sind?
    Tempest: Die Idee, dass Album und Roman zusammenhängen, ist erstmal vorbei. Das hab ich geschafft, das erleichtert mich. Im September oder Oktober erscheint ein neues Album von mir, darauf bin ich wirklich stolz und auch aufgeregt, dass es bald rauskommt, ich arbeite an einem neuen Theaterstück, einer Übersetzung eines Griechischen Theaterstücks, und auch an einer neuen Gedichtsammlung, das wird so in einem Jahr oder zwei fertig sein. Also ganz schön viel zu tun, aber ich mache mir da keinen Druck, setze mir keine Deadline, weil ich gerade erst echt viele Dinge abgeliefert habe, ich hab in den letzten Jahren wie eine Irre gearbeitet, mit straffen Deadlines und das parallel zur Tour. Und jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich frei sein kann, weil ich eine Grundlage gebaut habe, von der aus ich mir etwas mehr Zeit nehmen kann.
    El Kassar: Vielen Dank für das Gespräch, Kate Tempest.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.