
Mal werden Museen Opfer ihres Erfolgs – wie der Louvre in Paris –, mal ringen sie um ihre wirklichen Aufgaben in Zeiten rasanter gesellschaftlicher Transformationen. Sind sie Speicher kulturellen Erbes, Wissensvermittler oder zeitdiagnostische Diskursmaschinen? Und auch politisch geraten Museen unter Druck, wenn sie eine Ausrichtung pflegen, die manchem nicht genehm ist, wie das Aufbegehren der AfD gegen das Bauhaus zeigt.
Das Museum ist ein Universum, in dem Jede und Jeder nach ihrem und seinem Platz suchen und ihn auch finden kann. Ein Ort, an dem es möglich ist, unsere merkwürdige, immer bedrohlicher scheinende Welt mit anderen Augen zu sehen – ohne dadurch in andere, parallele, virtuelle Welten zu flüchten.
Dies zu ermöglichen ist Aufgabe der öffentlichen Verwaltungen, des Staats, der Länder und Kommunen. Diese Freiheit hat der Staat zu gewährleisten, im Rahmen der geltenden Gesetze, aber nicht im Rahmen von Parteiprogrammen oder gar persönlichen Vorlieben oder gar eines meist ja ohnehin nur angenommenen Mehrheitswillens.
Für eine freie und offene demokratische Gesellschaft entscheidet sich auch am Umgang mit den Künsten, mit seiner kulturellen Vergangenheit, Gegenwart und – utopischen – Zukunft, wie sehr sie die Offenheit und die Freiheit und die Vielfalt, die sie auszeichnen, leben und ermöglichen will.
Stefan Koldehoff, geboren 1967 in Wuppertal, hat Kunstgeschichte, Germanistik und Politikwissenschaften studiert und für FAZ, SZ, taz und den WDR gearbeitet. Bis 2001 war er stellvertretender Chefredakteur des Kunstmagazins „art“ in Hamburg. Seither arbeitet er von Köln aus als Kulturredakteur für die drei Programme des Deutschlandradios – seit 2023 als Chefreporter Kultur auch für den investigativen DLF-Podcast „Tatort Kunst“. Stefan Koldehoff schreibt regelmäßig unter anderem für „art“ und „Die Zeit“.
In der griechischen Antike war das Museum der „Ort der Musen“. Fast zweieinhalb Jahrtausende später definierte ihn der internationale Museumsverband ICOM als „nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. (…) Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch.“ So weit, so sachlich.
Viel wichtiger aber vielleicht: Museen sind die Orte, an denen eine Gesellschaft öffentlich und transparent verhandelt, wie sie sich selber sieht – oder gern sehen möchte. Museen sind Orte, an denen sich Menschen mit den Umständen beschäftigen, in denen sie leben. Oder gelebt haben. Oder gern leben würden. Oder gerade nicht. Der ehemalige Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, hat einmal von „Orten der Utopie“ gesprochen: „Orte, die überhaupt so etwas wie kreative Entwürfe zulassen, ohne gleichzeitig permanent hinsichtlich der Machbarkeit befragt zu werden.“
Als Thomas Morus 1516 seinen Roman Utopia veröffentlichte, war sein Gegenentwurf zum Bestehenden schon damals, im ausgehenden Mittelalter, eine Gesellschaft mit demokratischen Grundzügen, auf Grundlage rationaler Entscheidungen, von Gleichheitsgrundsätzen, Arbeitsamkeit und dem Streben nach Bildung. Da hat sich – bis auf einige notwendige Ergänzungen – bis heute gar nicht so viel verändert.
Allein in Deutschland gibt es rund 7.500 solcher Orte – vom kleinen Heimat- oder Spezialmuseum über die vielen von Kommunen getragenen Häuser, Ausstellungshallen, Kunstvereine – bis hin zu den großen Museumsverbünden in Berlin, Weimar, München oder in Dresden. Und diese Orte werden wahrgenommen und genutzt: 2023 wurden in deutschen Kunsthäusern rund 106 Millionen Besuche gezählt. Ein Drittel der Bevölkerung gibt an, mindestens einmal pro Jahr ins Museum zu gehen. Dieses Ergebnis ist kaum abhängig vom Alter.
Kunstorte werden nicht nur genutzt – sie sind auch regelrecht beliebte Wohlfühl- und Entdeckungsorte. 75 Prozent der Befragten finden Museen einladend und freundlich. Als wichtigste Gründe für einen Museumsbesuch werden „spannende Inhalte“ sowie die Lust, etwas Neues und Schönes zu entdecken, genannt. Und dass Museen Orientierung in Krisenzeiten bieten. 75 Prozent der Befragten haben das Gefühl, im Museum etwas gelernt zu haben. 71 Prozent finden sogar, dass Museen dabei helfen, die Gesellschaft besser zu verstehen: Und 54 Prozent der Menschen zwischen 18 und 49 Jahren möchten, dass sich Museen an Debatten beteiligen, die unsere Gesellschaft prägen.
Vielleicht am höchsten einzuschätzen ist ein letzter Punkt, und der ist gerade aktuell überhaupt nicht zu unterschätzen: Museen sind Orte, denen die Menschen vertrauen. Und das seit vielen, vielen Jahren. 2004 hat das schon eine Studie der American Association of Art Museums gezeigt. Sie wurde für die USA 2021 wiederholt. Und immerhin 17 Jahre nach der ersten hat es dazu trotzdem ziemlich unverändert geheißen – trotz der ersten Regierungszeit Trump, trotz der weltweiten Pandemie:
Die Öffentlichkeit sieht „Museen weiterhin als äußerst vertrauenswürdig an (…) – sie stehen gleich hinter Freunden und Familie an zweiter Stelle und werden als deutlich vertrauenswürdiger angesehen als Forscher und Wissenschaftler, NGOs, verschiedene Nachrichtenorganisationen, die Regierung, Unternehmen sowie soziale Medien. Für die Befragten (…) sind Museen die vertrauenswürdigste Informationsquelle Nummer eins. (…) Die drei wichtigsten Gründe, die zu diesem Vertrauen beitragen, sind:
- dass Museen faktenbasiert sind,
- dass sie reale/authentische/originale Objekte präsentieren und
- dass sie forschungsorientiert sind.“
- dass sie reale/authentische/originale Objekte präsentieren und
- dass sie forschungsorientiert sind.“
Nun könnte man sagen: Na gut, die USA. Da laufen ohnehin so manche Uhren etwas anders, wie unter anderem die letzte Präsidentenwahl nahelegt. Da braucht man wahrscheinlich die Museen dringender, um die Gesellschaft wenigstens dort noch einigermaßen beisammen zu halten.
Seit Januar gibt es eine solche qualitative Erhebung aber zum ersten Mal auch für Deutschland. Titel: „Das verborgene Kapital: Vertrauen in Museen in Deutschland“. Befragt wurden 7.000 Menschen, und zwar sowohl Museumsfans als auch solche, die nie oder nur selten einen Kunstort besuchen. Und aus dieser deutschen Studie geht ebenfalls hervor:
- Museen genießen in Deutschland höchstes Vertrauen.
- Besonders sie haben das Potenzial, das gesellschaftliche Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und Vertrauen in kulturelle Institutionen insgesamt zu befördern.
- Man nimmt auch hier Museen als neutral und unparteiisch wahr
- Und dieses Vertrauen ist sowohl bei denen vorhanden, die nie Museen besuchen – ein abstraktes Vertrauen also. Als auch bei jenen, die regelmäßig kommen. Je höher dabei die Besuchshäufigkeit, desto höher auch die angegebenen Vertrauenswerte. Trotz aller Polarisierung, die sonst zurzeit in der Gesellschaft stattfindet.
7,4 von 10 Punkten bekommen die Museen von den Befragten in der deutschen Umfrage – das ist ein Traumwert. Museen sind also nicht nur Orte, an denen schöne Werke und spannende archäologische Funde ausgestellt werden. Sie sind gesellschaftlich gesehen längst weit mehr.
Unabhängig und damit vertrauenswürdig kann aber nur sein, wer von der öffentlichen Hand so ausreichend und ohne inhaltliche Einmischung finanziert wird, dass keine Einflussnahme von außen stattfindet. Beides – ausreichend und ohne Einflussnahme – ist inzwischen aber keine Selbstverständlichkeit mehr. Und das kratzt seit einiger Zeit massiv am Image der betroffenen Museen.
Ein Museum muss keinesfalls – wie in letzter Zeit immer wieder zu hören ist – ein Ort der absoluten Harmonie und womöglich auch nicht der absoluten Neutralität sein – die es ja ohnehin nicht gibt. Auch wenn in beiden Vertrauensstudien – der amerikanischen wie der deutschen – etwa ein Drittel der Befragten sagt, dass ein Grund für ihr Vertrauen in Museen darin liegt, dass sie Museen als „unparteiisch/neutral“ wahrnehmen. Und in den USA auch, dass es für Museen – Zitat – „niemals angemessen ist, der Öffentlichkeit Verhaltensweisen oder Handlungen vorzuschlagen oder zu empfehlen.“
Das sind aber zwei Paar Schuhe.
Was in Museen gezeigt und vermittelt wird, geschieht auf wissenschaftlicher Grundlage – auf Basis von Fakten, für deren Ermittlung es international neutrale, überprüfbare Verfahren und Standards gibt: in den Naturwissenschaften wie in den Geisteswissenschaften. Ein Museum ist nämlich – neben allen schönen Ausstellungen, neben allem Genuss – auch, und vielleicht zuerst, ein Ort der Wissenschaft, der Forschung.
Wo aber Fakten recherchiert und aufbereitet und deren Quellen bewahrt werden – seien es nun Bilder oder Dokumente oder Forschungsergebnisse, da müssen sie aus der Kenntnis und dem Wissen der Fachleute auch bewertet und interpretiert werden. Sonst lässt sich wissenschaftliche Erkenntnis nicht an uns alle vermitteln. Und ums mal ganz prosaisch zu formulieren: Auch dafür werden diese Fachleute aus öffentlichen Mitteln bezahlt.
Ein vollkommen neutrales Museum kann es nicht geben – und das sollte es auch nicht. Denn wenn ein Museum der Ort des Nachdenkens über die Gesellschaft und ihre Menschen sein will, dann muss es auch der Ort der Kontroverse und der kritischen Themen sein. Und es muss und darf auch Stellung beziehen: etwa, wenn die Grenzen des Sagbaren immer weiter in Richtung Rassismus oder Antisemitismus verschoben werden. Oder wenn belegte Erkenntnisse oder Errungenschaften der Aufklärung und des demokratischen Pluralismus – etwa die unveräußerlichen Menschenrechte für Alle – in Frage gestellt werden.
Man muss nur an den Streit um antisemitisch zu lesende Kunstwerke bei der letzten documenta in Kassel denken. Oder an die großen Kontroversen in der Kulturwelt um die furchtbare Terrorattacke auf Israel und die schrecklichen Folgen auch für Palästina.
An den aus Sierra Leone stammenden geflüchteten Oury Jalloh, der vor fast genau 20 Jahren Jahren in einer Zelle des Polizeireviers Dessau tot, mit Schädelfrakturen, stark verbrannt und gefesselt aufgefunden wurde. Die Umstände sind immer noch nicht geklärt. Es gab aber eine Ausstellung der Künstler*innengruppe Forensic Architecture, die akribisch alle Informationen zu diesem schrecklichen Ereignis zusammengetragen und dokumentiert hat – mit den originalen Quellen. Und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Nicht in einem Gericht, sondern im Frankfurter Kunstverein. Es ging nicht darum, eine Meinung vorzugeben. In Frankfurt konnte sich Jede und Jeder, die/der das wollte, ein eigenes Bild machen und zu eigenen Einschätzungen kommen. Dieser Ausstellung wurde seinerzeit mit dem deutsche Kurator*innenpreis ausgezeichnet.
Viele Museen, Ausstellungsorte, Kunstvereine haben sich inzwischen auf diese Weise aus dem Elfenbeinturm verabschiedet und sie sind so noch stärker Teil einer sich ständig verändernden offenen Gesellschaft geworden. Auch wenn es politische Kräfte gibt, denen das nicht passt. Weil sie nicht nur behaupten, Veränderung sei unerwünscht. Sondern sogar versprechen, dass Alles wieder so werden könne wie früher. Und genau wissen, dass das eine riesengroße Lüge ist.
Museen sind Lernorte, aber keine Belehrorte. Kommunikation ist eine Aufgabe, bei der in manchen Museen durchaus noch Luft nach oben ist. Mit Kommunikation kann man – was das Publikum angeht – gar nicht früh genug anfangen, auch bei Kindern und Jugendlichen. Und sie muss überall stattfinden. Museen leisten ja ganz wichtige Arbeit auch, und vielleicht gerade, jenseits der großen Metropolen – in der so genannten Provinz. Gerade dort, in den kleinen Orten und den kleinen Museen, gelingt es nicht selten, eine ganz unmittelbare Identifizierung zu schaffen.
Die Rolle von Kunstorten, ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten und Aufgaben, die Frage, wie man Vertrauen gewinnt und behält, muss in einer liberalen Demokratie ein Aushandlungsprozess sein. Und der muss auch ausschließlich mit den Mitteln einer liberalen Demokratie geführt werden – und nicht als Kulturkampf von Ideologien. Wenn wir diese Orte der Kunst und der Kunstfreiheit zu ideologisch umkämpften Orten machen, dann verlieren wir auch das Vertrauen, das ihnen, wie gerade beschrieben, entgegengebracht wird. Deshalb sind finanzielle Mittel und persönliche Vorlieben und Abneigungen von Kulturverantwortlichen die falschen Kriterien in einem Prozess, der seit längerem zu verfolgen ist.
Die Institution Museum ist aktuell gefährdet – und das leider ganz konkret. In doppelter Hinsicht: in finanzieller – aber zunächst auch in politischer. Und dort kommt die Gefährdung, das kann man ganz klar benennen, von rechts.
Von rechten Kräften, die eine andere Vorstellung von Gesellschaft und Demokratie und von Freiheit haben – eine ohne Minderheitenschutz zum Beispiel; oder auch von einer Gesellschaft ohne Demokratie. Lange Jahre war es die Strategie dieser politischen Kräfte, bestehende kulturelle Orte in Frage zu stellen, ihre Legitimation zu bestreiten, andere zu fordern.
Diese Strategie hat sich inzwischen geändert – im Zuge einer von den Betreibern so genannten „Metapolitik“, deren Ziel es ist, auch mit musealen Mitteln Geschichte und Gegenwart umzudeuten. Eine eigene Deutungshoheit durchzusetzen, um auf dieser Grundlage auch die Zukunft zu bestimmen. Und das heißt nichts anderes als die inhaltliche Kontrolle auch über diese Kunstorte zu übernehmen. In den USA geschieht das gerade deutlich sichtbar: Exponate werden zurückgezogen, Ausstellungen abgesagt, Mittel gekürzt, inhaltlich politische Vorgaben gemacht. Die Vergangenheit wird gefälscht, die Gegenwart manipuliert.
Bei uns ist das so deutlich noch nicht zu sehen. Vor allem nicht staatsstreichartig. Aber dennoch sind Ansätze zu erkennen. Und das – zugegebenermaßen ziemlich raffiniert – über Instrumente, die die Demokratie selbst bereithält: über Anfragen an die kommunalen und die Landesparlamente und an den Deutschen Bundestag. Sie alle üben ja in der Regel die Kontrolle über jene Häuser aus, deren Etats sie maßgeblich zur Verfügung stellen.
Das führt dazu, dass antidemokratische Kräfte seit einiger Zeit immer häufiger die Parlamente und die Kunstorte mit scheinbar legitimen Anfragen beschäftigen, lähmen, vorführen – und letztlich öffentlich delegitimieren. Kulturpolitiker und -politikerinnen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, aber auch die Leiter und Chefinnen von öffentlich geförderten Museen, Kunstvereinen, Theatern, Literaturhäusern, Gedenkstätten; sie müssen immer mehr Zeit damit verbringen, solche Anfragen aus dem parlamentarischen Raum zu beantworten.
Fragen, die zum Beispiel lauten:
Wie viele Stücke „deutscher“ Autoren wurden in der vergangenen Spielzeit gespielt?
Wie viel „deutsche“ Kunst wurde in den Museen des Landes gezeigt?
Wie viele Ausstellungen über die Zeit des Nationalsozialismus hat es gegeben?
Wieviel Raum wurde der LGBTQ+-Community in öffentlichen Räumen gegeben?
Und so weiter.
Wie viel „deutsche“ Kunst wurde in den Museen des Landes gezeigt?
Wie viele Ausstellungen über die Zeit des Nationalsozialismus hat es gegeben?
Wieviel Raum wurde der LGBTQ+-Community in öffentlichen Räumen gegeben?
Und so weiter.
An der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat die Strategie hinter dieser Verwendung das Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration – KomRex exemplarisch für die 1.268 Kleinen Anfragen der AfD in der 6. Wahlperiode des Landtags von Thüringen untersucht. Zitat:
„Es lässt sich schlussfolgern, dass die AfD in der 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages überwiegend ein fremdenfeindliches bis rassistisches Agenda‑Setting betrieben hat, das in Teilen rechtsextreme und demokratiefeindliche Motive, Impulse und Tendenzen aufwies. Darüber hinaus ist durch die Untersuchung belegbar, dass die Thüringer AfD versucht hat, mithilfe der Kleinen Anfragen aus dem Parlament heraus einen autoritären Gegenangriff auf die Zivilgesellschaft und Demokratie in Thüringen durchzuführen.“
Parlamentarisches Recht: ja. Kontrolle öffentlicher Aufgaben: ja, auf jeden Fall. Hier scheint es aber um etwas anderes zu gehen, wie die unabhängigen Forscherinnen und Forscher über die Inhalte und die Art der Fragestellung am Beispiel Thüringen herausgefunden haben. Noch ein Zitat aus ihrer Studie:
„Sie identifizierten Vorurteile und Ablehnung gegenüber Asyl, Migration, Geflüchteten und dem Islam als thematische Schwerpunkte der Kleinen Anfragen.“
Und dieses Zitat bezieht sich auch auf jene, in denen es um den Kultursektor geht.
Solche Maßnahmen von politischer Seite – nochmal: die formal völlig den Regeln entsprechen – setzen auf Dauer so etwas wie eine Schere in die Köpfe von verantwortlichen Menschen im Kulturbetrieb. Das verändert über Spielpläne und Ausstellungsprogramme letztlich auch das Verständnis von Kultur insgesamt – und beschneidet ihre Unabhängigkeit.
Dass das keine von Manchen so genannte „linke“ oder „woke“ Propaganda ist, dass das keine übertriebenen Befürchtungen sein müssen, lässt sich – leider – ebenfalls bereits konkret belegen. Das zeigen die Entwicklungen in Ungarn – oder in Polen nach der Machtübernahme der PIS-Partei: Da waren es nach dem Justizapparat und den Medien bald auch die Kulturinstitutionen, die Regularien unterworfen wurden, die mit Freiheit nicht mehr viel zu tun hatten – einschließlich Neubesetzungen der Chefetagen.
Ein europäisch angelegtes Forschungsprojekt der Humboldt-Universität Berlin hat das untersucht und herausgefunden, dass dafür an manchen Orten gar nicht viel Druck vonnöten war. Dass die Veränderung in den befragten polnischen Museen insgesamt eher „still, schleichend und versteckt vor sich gegangen“ sei.
„Es gab“, so heißt es in der Studie, „im Kuratoren-Team keine großen Diskussionen. In den Kunstmuseen fehlten plötzlich Werke, die sich mit Feminismus, Migration oder Geschlechtervielfalt auseinandersetzxten. Manche Dauerausstellungen hatten einen neuen Fokus.“ Teilweise sei das, so die Studie, nicht auf Anordnung der Museumsleitung oder des Kulturministeriums geschehen: „Die Museumsmitarbeiter hatten Angst. Sie haben antizipiert, dass Themen wie Feminismus zu Problemen führen und haben sie vermieden.“
Irgendwann kommt also die Angst, stellte die beteiligte Wissenschaftlerin Julia Leser bei Interviews für die Studie fest – und das auch in Deutschland. Sie schreibt:
„Die (…) Leiterin eines kleinen Stadtmuseums wurde bedroht, weil sie eine Veranstaltungsreihe zum Thema Rechtsextremismus in der Region organisiert hatte. (… Sie) bekam anonyme Anrufe, in denen ihr gedroht wurde. Die Reifen ihres Fahrrads wurden vor der Haustür aufgeschlitzt, diffamierende Kampagnen und Gerüchte über sie wurden im sozialen Netz verbreitet. (…) Als nach der Kommunalwahl im Stadtparlament eine rechtspopulistische Partei in einer Minderheitenregierung das Sagen hatte, wurde sie stark unter Druck gesetzt, stärker die Lokalgeschichte zu thematisieren und ihr Haus in ‚Heimatmuseum‘ umzubenennen. Nach einigen Monaten strich der Stadtrat die Gelder für ihre Direktorinnen-Stelle, und sie verlor ihren Job.“
Die Berliner Humboldt-Studie fasst ihre Erkenntnisse so zusammen: Unterm Strich führe der Druck rechtspopulistischer Politikerinnen und Politiker dazu, dass ein Teil der Museumsmitarbeitenden verunsichert sei. „Manche fühlen sich durch die Konfrontation mit dieser lauten Minderheit nicht nur erschöpft, weil sie zum Beispiel kleine Anfragen beantworten müssen, statt sich ihrer normalen Arbeit zu widmen. Sie seien zudem durch Shitstorms und Hassreden in den sozialen Medien sowie durch Drohungen am Telefon oder per Post eingeschüchtert.“
Wissenschaft und Künste sind laut Grundgesetz frei. Und nicht im Rahmen der Vorstellungen, die Politikerinnen und Politiker von ihnen haben. Ist das hier aber noch der Fall oder wirkt da schon etwas?
Bei einer öffentlichen Veranstaltung vertrat vor nicht allzu langer Zeit die Kulturministerin eines größeren deutschen – westlich gelegenen – Bundeslandes in einer Rede die Meinung: Häuser, die nicht Ausstellungen zeigten, wie sie sich das Publikum wünsche, dürften sich auch nicht wundern, wenn sie von ihr, der Ministerin, kein Geld mehr bekämen.
Abgesehen von einer etwas gutsherrlichen – oder -fraulichen Attitüde, die aus dieser Formulierung durchscheinen könnte: Wollen wir wirklich nur noch Chagall und Miró und Dalí und den überzeugten Nationalsozialisten Emil Nolde und vielleicht noch die zugegebenermaßen schönen bunten Bilder von „Brücke“ und „Blauem Reiter“ sehen? Wollen wir finanzielle Förderung tatsächlich von einem putativen kulturellen Konsens abhängig machen und einen Kanon der Gefälligkeiten aufstellen? Und in Museen, Ausstellungshallen, Kunstvereinen nichts mehr zeigen, das Widerspruch hervorruft, Anstöße gibt – dabei vielleicht auch mal anstößig ist … –, zum Denken anregt?
Im Programm der FPÖ Steiermark, wo die Partei seit Dezember den Landeshauptmann – bei uns: Ministerpräsidenten – stellt, heißt es im Bereich „Kultur“ unter anderem:
„Kulturpolitik hat auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten die Interessen des Steuerzahlers zu wahren und darf kein Minderheitenprogramm selbsternannter Eliten sein. (…) Aus freiheitlicher Sicht braucht es eine klare Umschichtung, und zwar von den Mitteln der freien Szene hin zur identitätsstiftenden und breitenwirksamen Volkskultur.“
Heimatgefühl stärken. Regionale Identität stärken. Leitkultur prägen: Letztlich geht es bei so etwas immer um einen völkischen Nationalismus auch in der Kultur. Und um eine kulturelle Hegemonie – um die Begründung einer angeblichen Führungsrolle mit den Mitteln der Kunst. Und um ein Wir gegen die Anderen: gegen die angeblichen Eliten – die für diese Einordnung allerdings auch häufig – Stichwort Eintrittspreise – selbst Verantwortung tragen. Gegen die Migranten. Das ist Populismus: Wir gegen die.
Kunst darf politische Positionen vertreten und sollte es auch, wenn es zum Beispiel um angegriffene demokratische Werte geht. Sie darf es aber niemals müssen. Weder in die eine, die rechte, noch in die andere, die linke Richtung. Sonst ist sie keine freie Kunst mehr – und damit keine gute Kunst mehr – sondern Propaganda.
Diese Freiheit hat der Staat zu gewährleisten – im Rahmen der geltenden Gesetze, aber nicht im Rahmen von Parteiprogrammen oder persönlichen Vorlieben oder gar eines meist ja ohnehin nur angenommenen Mehrheitswillens.
Und ja: Das kann auch zu Kontroversen führen – auch sie gehören zu einer wahren Demokratie. Aufgabe der Kunst ist es nicht, sie zu lösen. Aber es ist wertvoll, dass sie auf Widersprüche in der Gesellschaft hinweist. We agree to disagree.
Die ehemalige Kultur-Staatsministerin Monika Grütters von der CDU hat das vor kurzem – vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über Antisemitismus in der Kulturwelt – noch einmal ausdrücklich gefordert:
„Wir müssen“, hat sie geschrieben, „die Spannungen aushalten zwischen Freiheit der Kunst und verletzten Gefühlen, zwischen der Freiheit der Wissenschaft und verstörenden Erkenntnissen. (…) Autoritative Vorgaben, vor allem in künstlerischen Prozessen und ästhetischen Fragen, verbieten sich. Bei Kultur und Wissenschaft hat die Politik eine dienende Funktion.“
Aktuelle Versuche der inhaltlichen Einflussnahme führen nämlich zur zweiten großen Gefahr für die Museen und anderen Kulturorte: Dazu, dass die Bereitschaft, Kulturhaushalte zu kürzen, in den vergangenen Monaten auf dramatische – und eigentlich unfassbare – Weise gestiegen ist. In Berlin, wo der amtierende Kultursenator dem nicht viel entgegensetzt, sollen 12 Prozent des Gesamtbudgets Kultur wegfallen – das sind rund 130 Millionen Euro. Betroffen ist unter anderem der bislang kostenlose Museumssonntag, der auch Familien mit geringerem Einkommen Möglichkeiten eröffnet hatte. Dabei wäre gerade hier, bei den zum Teil enorm hohen Eintrittsgeldern vieler Museen durchaus mehr möglich als weniger. Um noch mehr Menschen Teilhabe an der Kultur zu ermöglichen. Ein großes, nach wie vor ungelöstes Problem. Denn die Kunst in den öffentlichen Museen gehört eigentlich uns allen und ist eben nicht nur für die da, die sich Museumsbesuche leisten können.
Der Kulturbereich ist mit einem Anteil von nur 2,1 Prozent am Berliner Gesamthaushalt der zweitkleinste Etat der Stadt. Er soll nun aber unverhältnismäßig viel sparen. Dahinter steht die immer schon falsche Idee, dass Kultur nur dann auskömmlich finanziert werden könne, wenn es dem Land finanziell insgesamt gut geht. In NRW hat beispielsweise die Tanzsparte schon darauf hingewiesen, dass verschiedene Einrichtungen und Festivals durch Etatkürzungen akut existenzbedroht sind. Dass es auch anders gehen kann, zeigt gerade eines der kleinsten deutschen Bundesländer – das allerdings zugegebenermaßen durch noch vorhandenes Wirtschaftswachstum auch eines der reicheren ist. Hamburg hat gerade seinen Kulturetat um 11 Prozent erhöht. Obwohl es die Preissteigerungen bei der Energie, die Inflation, die Steigerungen bei Löhnen, Gehältern und Honoraren auch dort gibt und die Corona-Unterstützungsprogramme sind natürlich auch in Hamburg längst ausgelaufen.
In einem Deutschlandfunk-Interview hat der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda aber auch gesagt:
„Es gibt den politischen Willen in der Stadt zu sagen: Kunst ist uns wichtig. Kunst ist in einer freien, demokratischen Gesellschaft etwas Besonderes – und da kürze ich nicht mal mutwillig. Wo entstehen eigentlich, Räume, in denen man Ideen entwickeln kann, wie es weitergeht. (…) Gerade in solchen Zeiten brauchen wir Kultur. Nicht abgewogen gegen anderes, sondern aus sich selbst heraus.“
Die Forderung aus der Politik nach wirtschaftlichem Arbeiten ist legitim.
Zu fragen, ob Subventionen grenzenlos möglich sind, ist legitim.
Zu fragen, ob es in manchen Regionen vielleicht zu viele Kulturorte und an anderen zu wenige gibt, ist legitim.
Demokratische Gremien wie Programmbeiräte einzusetzen, die bei Spielplänen oder Ausstellungsprogrammen beratend angehört werden können und auch über Mittelvergaben entscheiden, ist legitim.
Zu fragen, ob Subventionen grenzenlos möglich sind, ist legitim.
Zu fragen, ob es in manchen Regionen vielleicht zu viele Kulturorte und an anderen zu wenige gibt, ist legitim.
Demokratische Gremien wie Programmbeiräte einzusetzen, die bei Spielplänen oder Ausstellungsprogrammen beratend angehört werden können und auch über Mittelvergaben entscheiden, ist legitim.
Und all das findet ja auch statt.
Ein Theater, ein Museum aber vor allem betriebswirtschaftlich zu leiten: Daran ist schon Lessing gescheitert.
Für eine freie und offene demokratische Gesellschaft entscheidet sich auch am Umgang mit den Künsten, mit seiner kulturellen Vergangenheit, Gegenwart und – utopischen – Zukunft, wie sehr sie die Offenheit und die Freiheit und die Vielfalt, die sie auszeichnen, leben und ermöglichen will.
Dieses Land hat in seinen Museen, in Ausstellungshallen und Kunstvereinen Orte, denen Menschen allen Alters und aller Herkunft Vertrauen entgegenbringen; dieses unermesslich kostbare Gut Vertrauen.
Diese Orte werden besucht.
Diese Orte werden geschätzt.
Aber diese Orte sind gefährdet – politisch und finanziell.
Diese Orte werden geschätzt.
Aber diese Orte sind gefährdet – politisch und finanziell.
Weil es Kräfte gibt, denen es nicht ins Konzept passt, dass diese Orte tatsächlich vielleicht die letzten Orte einer humanen, werteorientierten Utopie sind.
Weil diese politischen Kräfte aus unabhängigen Denkorten Stätten eines neuen, alten, unkritischen, affirmativen völkischen Nationalismus machen wollen.
Und weil es offenbar auch im Bereich der demokratischen Kulturpolitik zunehmend den irrigen Glauben gibt, man müsse sich diesen Parteien und Gruppierungen anpassen, um ihnen dadurch Stimmen abzujagen.
Deshalb muss eine demokratische Gesellschaft mit freien, unabhängigen Museen, Theatern, Literaturhäusern, Bibliotheken, einer freien Szene jene Orte erhalten, an denen wir auf Grundlage von Faktenwissen über die Vergangenheit alle darüber nachdenken und friedlich aushandeln wollen, wie wir miteinander leben und umgehen: heute und in Zukunft.
Dieser Staat ist nicht nur ein Wirtschafts- und Sozialstaat, sondern auch ein Kulturstaat: mit einer langen Tradition, aus der eine Verpflichtung erwächst.
Dieser Text ist die gekürzte Variante der „Martin und Harriet Roth Lecture 2025“, die Stefan Koldehoff im Januar in Dresden gehalten hat.