Archiv


Das Mysterium des George-Kreises

Anlässlich der Veröffentlichung einer neuen Stefan-George-Biografie hat deren Autor Thomas Karlauf daran erinnert, dass George in den 20er Jahren Stichwortgeber für den Nationalismus war. Von den Nationalsozialisten vereinnahmen ließ er sich dagegen nicht. Zu seinen Jüngern gehörten Nazis und Verfolgte, Mitläufer und Mitglieder des Widerstandes, auch der bekannteste: Hitler-Attentäter Claus Graf Schenk von Stauffenberg.

Moderation: Christoph Heinemann | 31.08.2007
    Christoph Heinemann: Meteorologisch ist der Sommer zum nicht geringen Teil ins Wasser gefallen; literarisch zum Glück nicht. Zu den Höhepunkten dieser Zeit vor der Frankfurter Buchmesse gehört die Biographie von Thomas Karlauf über einen Dichter, der heute kaum noch gelesen wird, der aber vor zwei, drei Generationen einen großen Einfluss ausübte: Stefan George, 1868 nahe dem rheinischen Bingen geboren, gestorben 1933 bei Locarno. Hitlers Machtergreifung hat George noch erlebt. Zu seinen Jüngern, die er um sich scharte, gehörten Nazis und Verfolgte, Mitläufer und Mitglieder des Widerstandes, auch der bekannteste. Claus Graf Schenk von Stauffenberg - so schreibt Karlauf - starb am 20. Juli 1944 mit einem Bekenntnis zum geheimen Deutschland, dem Mysterium des George-Kreises. Die Biographie über Stefan George, die gleichzeitig Einblicke in die Kulturgeschichte vom Kaiser- bis zum Dritten Reich gewährt, wird gegenwärtig in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Auszügen abgedruckt. Vor dieser Sendung habe ich den Autor Thomas Karlauf gefragt, wen oder was er für spannender hält, die Person Stefan George oder sein Werk?

    Thomas Karlauf: Nun wer eine Biographie schreibt, interessiert sich natürlich in erster Linie für die Person des Autors. Aber das Werk muss natürlich andauernd auch berücksichtigt werden. Es muss fortwährend präsent sein und es muss gelingen, Werk und Person zu einer Einheit zu verknüpfen. Das Werk ist jenseits aller Fragen, die die Person interessant machen, natürlich eines der großen Werke der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, aber da über dieses Werk viele Regale voll geschrieben wurden, während es über die Person Georges bisher gar nichts gab, denke ich war mein Interesse hier eindeutig definiert.

    Heinemann: Warum ist bisher so wenig über ihn erschienen?

    Karlauf: Weil er eine Person ist, die Zeit ihres Lebens ungeheuere Wände um sich aufgerichtet hat - Inszenierung ist das Stichwort - und durch diese Wände hindurch eine Person zu erkennen mit all ihren Schwächen, mit ihren Ängsten, mit ihren Sensibilitäten, das ist nicht ganz leicht, weil diese Inszenierung in einem Pathos stattgefunden hat, das zum Teil bis heute anhält, in einer unkritischen Beschäftigung mit George, die letztendlich dazu führt, dass man von diesem Mann immer nur Begriffe hat wie ein Monster, ein schrecklicher Tyrann oder ein grenzenloser Narziss. Und da wollte ich durch, um zu zeigen, dass dahinter ein sehr sensibler Mensch steht, der genauso gelitten hat und Leidenschaften hatte wie andere auch.

    Heinemann: Ich greife ein paar Begriffe auf: Pathos, Inszenierung, Monster. Sie beschreiben ihn schon früh, ein Sonderling sei er gewesen. Für sein Scheitern in Wien trägt die ganze Welt die Verantwortung, nur nicht er selbst. Einer der früh eine Gefolgschaft sucht. Der Beginn Ihres Buches hat mich an eine andere Vita erinnert. Da ist biographisch viel Hitler in George.

    Karlauf: Es ist in vielen Personen dieser Zeit zwischen 1890 und 1910 Hitler. Es ist eine Zeit des Aufbruchs. Es ist eine Zeit, die unter ungeheuerem Erfolgsdruck steht. Nehmen Sie allein die Figur des Kaisers, der die Generation seines Vaters überspringend 1888 an die Regierung kommt und Deutschland in eine ungeheuere Dynamik hineinbringt, und das gleiche haben Sie in der Kunst auch. Alle wollen dabei sein. Niemand will den Anschluss verpassen. Unter diesem ungeheueren Dampf stehen viele in dieser Zeit und sicher auch der junge Adolf Hitler.

    Heinemann: Die Entdeckung des Charisma ist der Untertitel Ihres Werkes. Woran lag die Anziehungskraft Stefan Georges?

    Karlauf: Sie lag darin, dass er - da greife ich Ihre erste Frage wieder auf - Werk und Leben unglaublich kompakt verbunden hat, eine Einheit gesehen hat und nicht nur gesehen hat, sondern von Anfang an gelebt hat. Für ihn war Dichtung und Person, der Glaube an die Dichtung und der Glaube an ihn eine unzertrennliche Einheit. Dieses hat er mit großer Suggestion vermitteln können, gerade auch auf jüngere Leute, und in dieser Einheit von Person und Werk liegt eben auch der eigentliche Anspruch Georges, dass die Dichtung die Welt verändern muss. Für ihn waren Gedichte Bomben, Attentate, Taten und der Begriff der Tat - ein ganz anarchischer Begriff - ist einer der zentralen Begriffe in Georges Leben und führt ja dann am Ende auch zu dem Attentat vom 20. Juli. Die Faszination ging eben davon aus, dass er dieses mit einem ungeheueren Anspruch vertreten hat, nämlich dem Anspruch, das eigentliche Deutschland zu sein, dass sei nicht die Bruttoregistertonnen der Schiffspassagen zählen oder die Stahlquoten, sondern dass das, was die Nation und ihren ganzen Stolz ausmacht, in dem liegt und zu suchen ist, was er mit Begriffen wie geheimes Deutschland oder neues Reich umschrieben hat. Aus diesem Affront gegen die Zeit - er hat alles verachtet, was in irgendeiner Weise nach Politik, nach Demokratie, nach Militär aussah -, in diesem Gegenstaat, den er gebildet hat, lag natürlich für 15- bis 20-Jährige eine ungeheuere Faszination, denn Sie dürfen ja nicht vergessen: wenn jemand in diesem Alter etwas hat, dann sind das Probleme. Probleme mit der Gesellschaft, Probleme mit Eltern, mit der Schule, mit Mädchen. Aus all diesen Problemen hat sie George durch diese Suggestion einer kleinen verschworenen Schar, einer Elite anzugehören, mit einem Mal herausgerissen und die Welt hat sich für sie von einem auf den anderen Tag geändert.

    Heinemann: Stichwort Mädchen. Nicht von ungefähr wirkten da nur Männer mit.

    Karlauf: Das ist so. Er ist - da muss man gar keinen Punkt herum machen - homosexuell. Er entdeckt seine Homosexualität mit 18, 20 Jahren gegen Ende seiner Schulzeit. Aber er ist jemand, der diese Sexualität sofort umsetzt in Kreativität, nicht in Sublimierung - ein wichtiger Begriff ja aus dieser Zeit; Freuds Traumdeutung erscheint 1900 -, sondern er ist jemand, der die Sexualität so weit bringt, dass er am Ende sagt, nur wer die Sexualität überwindet ist ein geistiger Mensch. Und für den geistigen Menschen gibt es eigentlich nichts größeres, als die Natur zu überwinden, und Natur ist nun mal Fortpflanzung. Das heißt alles, was aus diesem Kreislauf ausbricht, ist eine höhere geistige Form.

    Heinemann: Wie wirkungsmächtig war der George-Kreis? Welchen Einfluss übte er aus?

    Karlauf: Er hat seinen Höhepunkt in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zwischen 1910 und 1914, als George versucht, das was er in diesem kleinen Kreis geschaffen hat auf einen größeren Kreis - Stichwort Jugendbewegung - zu übertragen. Dann kommt der Erste Weltkrieg dazwischen und 1918/19 findet George den Anschluss nicht mehr. Er ist nach dem Ersten Weltkrieg eigentlich ein Dichter der Vergangenheit, ein Klassiker, der in den Schulen gelesen wird, aber der keine unmittelbare Wirkung mehr hat. Und dann setzt in den 20er Jahren eine ganz andere Wirkungsgeschichte ein, nämlich über Bücher, die unter Georges Ägide entstehen, Bücher über die deutsche Klassik, die plötzlich als ein Freundschaftsbund geschildert wird, Bücher über den Hohenstaufen-Kaiser Friedrich II, in dem der Begriff des Neuen Reiches etabliert wird. Mit all diesen Stichworten, die er Mitte der 20er Jahre in den öffentlichen Diskurs eingibt, wird er zu einer Kristallisationsfigur eigentlich für alle Intellektuelle von links bis rechts.

    Heinemann: Und inwiefern trifft er sprachlich den Ton der Zeit?

    Karlauf: Die Nazis haben sich 1933 gerne dort bedient. Sie hätten ihn sehr viel lieber noch sehr viel stärker eingespannt, aber er hat sich da entzogen, nicht weil er den Nationalsozialismus eine falsche Entwicklung fand, sondern erstens weil er abwartend sich verhielt und zweitens weil er das Gefühl hatte, dass in dieser plebejischen Form das Ganze dann doch wenig Erfolg haben würde.

    Heinemann: Gleichwohl hat er ja sich selbst als Ahnherren der nationalen Bewegung bezeichnet und wie er schreibt "schiebe auch meine geistige Mitwirkung nicht bei Seite". Hat George den Nationalsozialismus mit vorbereitet?

    Karlauf: Die Diskussion der 20er Jahre ist eine sehr vielfältige. Ich versuche das in dem Buch sehr präzise auseinanderzudividieren. Nehmen Sie Figuren wie Oswald Spengler oder Martin Heidegger oder Carl Schmitt. All das sind ja Leute, die in den 20er Jahren eine Diskussion führen um die Begriffe Reich, Nation, Führerschaft. In dieser Diskussion ist er, wie ich eben sagte, ein wichtiger Stichwortgeber, aber als Wegbereiter des Nationalsozialismus sollte man ihn nicht sehen. Ich denke wenn man die Diskussion innerhalb des Freundeskreises, des kleinen Kreises um George im Jahr 1933 verfolgt kann man sehen, wie viel Interpretationsspielraum hier gegeben war. Der eine der Freunde geht ins Exil, der andere schließt sich den Nationalsozialisten an, der dritte zündet am 20. Juli die Bombe im Führerhauptquartier. Also es sind verschiedene Interpretationsmöglichkeiten hier vorhanden, weil eben die Begriffe zu sehr viel Auslegung Raum gaben.

    Heinemann: Welche politischen Vorstellungen hatte er selbst denn?

    Karlauf: Er hat von Politik gar nichts gehalten und wenn Sie es auf einen Punkt bringen wollen können Sie sagen, er ist sozusagen der Antidemokrat der deutschen Literatur schlechthin.

    Heinemann: Die ganze Welt existiere nur, um in einem schönen Werk Gestalt anzunehmen. Das hat der Literaturwissenschaftler Claude David geschrieben über Stefan Georges Werk. Kann man seine Poethik so zusammenfassen, also eine Art Veredelung der Schöpfung durch die Kunst?

    Karlauf: So kann man das zusammenfassen und er hat tatsächlich gelebt für den Moment, wo ihm in einem Gedicht etwas gelungen ist, was er erlebt hat, was er gesehen hat, und wenn dieses Erlebnis für ihn abgerundet war, hat er sprachlich so lange gefeilt und so lange herumexperimentiert - er war ein großer Sprachexperimentator -, bis es im Gedicht eine Form erreicht hat, die dann über die Zeit hinaus diese Sicht festgehalten hat. Ich denke es gibt sicher ein Dutzend Gedichte von George, die heute zum eisernen Bestand der deutschen Literatur gerechnet werden sollten.

    Heinemann: Frank Schirrmacher, um jetzt den Blick etwas zu weiten, hat in einem Artikel für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" sinngemäß geschrieben, Tom Cruise, Anhänger des geheimkrämerischen Scientologenhaufens, sei gar keine schlechte Wahl für die Rolle des Claus Graf Schenk von Stauffenberg, Mitglied des geheimbündlerischen George-Kreises. Gibt es da bei allen Unterschieden Berührungspunkte?

    Karlauf: Herr Schirrmacher hat ja die Unterschiede betont. Er sagt ja, es ist ein Vergleich, der sicher in mehrerer Hinsicht nicht ganz zulässig ist, aber als Gedanke ist es natürlich insofern vollkommen richtig, als die Deutschen sich in dieser Debatte um die Besetzung des Stauffenberg ja doch auf einen moralisch sehr fragwürdigen Punkt zurückziehen, indem sie sagen, Stauffenberg ist unser Held, er ist sozusagen der Nationalheld der Deutschen im 20. Jahrhundert. Durch ihn hat der deutsche Widerstand eine Form gefunden, die ihn vor der Welt auch dann am Ende rechtfertigt und die heute noch die Erinnerung an den Widerstand auch wach hält durch die symbolhafte Tat. Aber über den Hintergrund, aus dem Stauffenberg heraus zum Attentat dann am Ende drängte und warum er gerade es war, der dann auch als einziger in der Lage war, die Sache praktisch durchzuführen, machen sie sich wenig Gedanken. Dieser Hintergrund war die Welt Georges und die Welt Georges ist die Welt einer Sekte.

    Heinemann: Thomas Karlauf, Autor der Biographie "Stefan George - die Entdeckung des Charisma", erschienen im Karl-Blessing-Verlag. Herr Karlauf, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.