Juan Domingo Perón trinkt Espresso direkt am Holztisch am Eingang – im weißen Smoking, mit Siegelring und Pomadehaar. Natürlich als lebensgroße Figur, denn der Ex-Präsident ist schon mehr als 40 Jahre tot. Aber er war und bleibt eine prägende Instanz in Argentinien, ein bisschen wie Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt. Nur das er eine bis heute erfolgreiche Ideologie begründet hat - den Peronismus.
Hier ins Café kommen hauptsächlich überzeugte Anhänger von Perón. Auch der Kellner Miguel ist so ein Peronist:
"Er war das Beste, was uns passieren konnte. Er hat Argentinien groß gemacht. Alle sprechen von Maradona oder Gardel - aber sie vergessen Perón."
Eine ungewöhnliche Mischung
Dieser Präsident steht für eine ungewöhnliche Mischung aus Nationalismus, Anti-Kommunismus, aber auch einer starken Sozialpolitik, ausgerichtet auf die in den 40er-Jahren rechtlose Arbeiterklasse. Die Café-Gäste können es sehen, an all den Fotos von Perón mit Fabrikarbeitern und seiner Frau Evita am Strand mit lachenden Arbeiterkindern. Perón hatte die Vision einer autarken Industrie: Auch davon gibt es hier ein Zeugnis. Für die einen ist es nur einer dieser 60er-Jahre-Kühlschränke mit abgerundeten Ecken, für Peronisten der erste Kühlschrank 100 Prozent "Industria Argentina".
Davor sitzen an ihrem Stammtisch weißhaarige pensionierte Damen und Herren Ingenieure, die eigentlich jede Woche bei Milchkaffee und Butterhörnchen peronistische Lösungen für aktuelle Probleme diskutieren. Doch heute beherrscht ein anderes Thema die Diskussion:
"Wir haben nur kurz über die Probleme im Energie-Sektor gesprochen. Dann ging es aber nur um die Präsidentschaftswahlen. Wir wissen nicht, wie es ausgeht. Die beiden Kandidaten sind ja fast gleich auf. Wir schätzen: 50,5 Prozent - natürlich für Scioli."
Nachfolger gesucht
Daniel Scioli soll ihr neuer peronistischer Präsident werden. Er soll die Politik des Ehepaars Kirchner weiterführen, die zwölf Jahre lang regiert haben. Doch der liberal-konservative Gegenkandidat Mauricio Macri und seine "Koalition des Wandels" haben gute Chancen auf einen Kurswechsel.
"Wir sind sehr, sehr besorgt. Denn, wenn Macri gewinnt, dann könnte in Argentinien Gewalt ausbrechen. Ein sozialer Aufruhr, von Arbeitern, Landlosen, Wohnungslosen, Menschen ohne Schutz - aber auch von Wissenschaftlern und Lehrern."
Einige der Rentner steigern sich in düstere Prophezeiungen hinein, viele am Tisch nicken. Wenn die mögliche Macri-Regierung ihr - aus ihrer Sicht - wahres Gesicht zeigt, dann wird es eine Politik für die Privilegierten und Mächtigen geben, einen Rückfall in die neoliberalen 90er-Jahre, die Argentinien zum Staatsbankrott geführt hatten. Aber noch ist nichts entschieden, deswegen verabschiedet sich der Debattierklub von Kellner Miguel mit dem für die Peronisten typischen Victoryzeichen und Siegesrufen.
Blüten des Personenkults
Personenkult macht in Argentinien nicht bei Perón-Imitationen und Café-Namen halt. Man kann auch gleich einen ganzen Kulturpalast mit seinem eigenen Nachnamen würdigen – dachte sich wohl die scheidende Präsidentin Cristina Kirchner. Und so hat sie vor ihrem Amtsabtritt den Ausbau der stillgelegten Hauptpost im Stadtzentrum vorangetrieben. Ganz im Stil der superlativ-verliebten Argentinier ist es das größte Kulturzentrum Südamerikas geworden, das Centro Cultural Kirchner, kurz CCK.
Während sich der argentinische Jazz-Schlagzeuger Oscar Giunta auf seinen Auftritt vorbereitet, strömen die Besucher ins Foyer des CCK. Restaurierte Empfangstheken, Kronleuchter, Mosaikböden - alles glänzt neu. Oscar Giunta lehnt zufrieden in den schicken Sesseln der Garderobe:
"Alle Musiker, mit denen ich gesprochen habe, die hier schon gespielt haben, waren wahnsinnig überrascht. Hier wurde so viel Geld investiert - in Kultur! Das passiert heute selten auf der Welt und vor allem in Lateinamerika. Was man hier sieht, die Instrumente, die Säle, die Ausstattung - das ist beeindruckend."
Die Qualität des neuen Konzertsaals mit einer deutschen Orgel ist unumstritten. Dazu sind alle Konzerte und Veranstaltungen gratis, das ist heute bei Präsidentin Kirchner wie damals bei Perón: Hauptsache die Arbeiterklasse ist zufrieden. Unzufrieden sind die politischen Gegner. Sie regen sich zum Beispiel über das viele Personal auf. Nicht nur wegen der Kosten, sondern auch wegen der peronistisch üblichen Manier, Parteifreunde und Gleichgesinnte in Lohn und Brot zu bringen.
Aber der größte Aufreger ist der betriebene Personenkult auf Staatskosten. Als Besucher eilt man auf dem Weg zum Konzert an vielen Flachbildschirmen vorbei, auf denen sich in Dauerschleife das Präsidentenpaar Néstor und Cristina in die Arme fällt. Überall hängen Plakate mit Nestors Verheißungen - Sätze wie "Ich bin gekommen, um Euch einen Traum zu unterbreiten".
Für Mónica, überzeugte Peronisten, kann es gar nicht genug Ehre geben für diesen Politiker. Néstor Kirchner ist ihr Held und das Centro Cultural ein Erfolgsprojekt.
"Er hat alte Wahrheiten infrage gestellt. Was für die Elite war, war nur für sie. Das Gebäude ist aber so groß, deswegen hat er gesagt, 'Es gehört uns allen'. Er hat uns erlaubt, zu fragen 'Warum gehen nicht auch wir da rein?' Wir haben doch auch Ohren und ein Gehirn wie alle und das hat er uns beigebracht. Deshalb verteidigen wir ihn."
Die 53-Jährige ist mit Freunden in die Bar "Lo de Néstor" im Künstler-Stadtteil San Telmo gekommen. Leere Bier- und Weinflaschen stehen herum, man ist grade beim, Flan, dem in Argentinien beliebten Karamellpudding angekommen. "Lo de Nestor" ist eigentlich eine normale Kneipe: Theke, Bistrotische und aus den Lautsprechern argentinischer Rock. Aber auch hier dreht sich alles – wie es der Name schon sagt - um den Ex-Präsidenten Kirchner.
Der Perón der heutigen Generation
Überall Bilder von ihm und politischen Weggefährten wie Hugo Chávez aus Venezuela; Néstors Leben im Zeitstrahl, Schlüsselanhänger und Tassen mit seinem Konterfei, und denen von Cristina Evita und Perón werden verkauft.
"Wir ehren damit den Mann, der der Perón unserer Zeit unserer Generation ist. Eine Person, die uns den Sinn für Politik zurückgegeben hat. Er hat uns die Freude zurückgegeben, die Lust am Diskutieren, am Themen vertiefen", sagt Martin, Mitglied der Kooperative, die die Bar betreibt, die auch einfache Küche anbietet, natürlich zu peronistisch moderaten Preisen. Auch hat Sorgen, was nach den Wahlen passieren könnte.
"Gewinnen die Rechtsliberalen von Macri wird es sehr schmerzhaft sein für das argentinische Volk. Aber wir werden weitermachen. Vielleicht werden wir uns dann nicht zum Essen treffen, sondern auf den Straßen marschieren. Widerstand zeigen, aber friedlich."
Es scheint, als würde sich Barbesitzer Juan schon darauf vorbereitet. Hinter der Theke stimmt er schon leise das alte Protestlied La Memoria an.