Stephanie Gebert: Es ist gut zwei Jahre her, dass der Schauspieler und Regisseur Donald Glover quasi über Nacht zu einem der politischsten Künstler der amerikanischen Musikwelt geworden ist und zwar mit dem Song."This is America". Vier Minuten Musik über Waffengewalt, Rassismus, afro-amerikanische Kultur und Konsumsucht. Das Video mit Chören, Tänzern, Grimassen und Blut hat heute über 600 Millionen Klicks auf Youtube. Glover hat für das Lied vier Grammys gewonnen.
Unter seinem Musikernamen "Childish Gambino" hat er jetzt ziemlich unvermittelt ein neues Album veröffentlicht. Es heißt "3.15.20" und Axel Rahmlow hat es sich angehört. Knüpft Donald Glover mit dem Album an diesen großen Song "This is America" an?
Eindringliche Songs
Axel Rahmlow: Ja, aber anders. "This is America" hat ja so wehgetan, weil es so auf den Punkt war. "3.15.20" ist breiter aufgestellt. Es geht auch viel um Konsumkritik, um gesellschaftliche Polarisierung, Gewalt, den Lebensalltag vieler Afro-Amerikaner zwischen Rassismus und Armut. Diese Songs sind alle eindringlich. Aber sie erreichen ihre Fallhöhe erst, weil es auch immer optimistische, warme Momente auf diesem Album gibt. Und am besten verdeutlicht das der Song "47:48".
Liebe für sich selbst, Liebe für die Familie, die Gemeinschaft - das wird hier in einzelnen kurzen Zeilen als Kontrastmittel zu alltäglicher Gewalt gestellt. Und davon gibt es einige Momente auf dieser Platte und die geben den vielen dunkleren Momenten noch mehr Schärfe.
Gebert: 47:48 heißt das Lied, haben sie gesagt. Und wenn ich auf die Trackliste schaue, dann bestehen fast alle Lieder nur aus so einem Zahlencode. Was bedeuten die?
Rahmlow: "47:48" zum Beispiel steht für den Zeitpunkt, an dem dieses Lied auf dem Album beginnt. Also nach 47 Minuten und 48 Sekunden. Und das ist bei allen Liedern so, außer bei zweien, die einen richtigen Titel haben. Für die anderen sind mal richtige Namen im Netz gewesen, aber die hat Donald Glover wieder entfernt.
Gebert: Gibt es eine Erklärung?
Zahlencodes als Statement
Rahmlow: Ich würde sagen, es ist ein Statement. Glover will, dass dieses Album als ein Ganzes gesehen wird. Durch Streaming hat das Album ja sehr viel an Bedeutung verloren, viele Menschen klicken sich nur noch durch einzelne Lieder durch und entscheiden nach ein paar Sekunden, ob es ihnen gefällt oder nicht. "3.15.20" soll als ein langes Stück Musik funktionieren. Die einzelnen Songs sollen allein für sich gar nicht so wichtig sein. Deswegen hat Glover bei den Streaming-Diensten auch eine Version veröffentlicht, in der das gesamte Album aus nur einem langen Track besteht, in dem alle Lieder ineinander übergehen.
Gebert: Lieder funktionieren aber auch über den Titelnamen. Nervt das nicht mit den ganzen Zahlen?
Rahmlow: Es ist schwer, sich am Anfang zurecht zu finden. Interessant ist aber, allein dadurch zu merken, wie fixiert man auf einen Namen ist, auch um schon vor dem Hören eine Idee zu haben, worum es gehen könnte. Das fällt hier weg. Das heißt, ich muss mehr hinhören und mir selber einen Sinn daraus machen.
Zu ernsten Themen tanzen
Das ist volle Absicht, denn gerade die Hektik und Schnelligkeit, in der wir leben, ist ein wiederkehrendes Thema auf "3.15.20". Zum Beispiel der Song "Algorhythm". Darin geht es unter anderem um soziale Medien, um die laute Anschrei-Kultur im Netz, aber auch um die ständige Selbstinszenierung.
Gleichzeitig kann ich den Text so interpretieren, dass Musik wie ein Algorithmus funktioniert, der uns tanzen lässt. Und das ist die große Stärke von Donald Glover: Er ist ein Entertainer durch und durch, hat ja auch als Comedian immer wieder auf der Bühne gestanden. Er berauscht sich nicht an seiner Kritik, sondern will unterhalten. Er braucht keine schweren Pianos in Moll, er kann ernste Themen tanzbar machen oder bei vielen anderen Songs auch leicht klingen lassen.
Gebert: Childish Gambino rappt und singt. Der erste Song, den wir gehört haben, war elektronisch definierter RnB. Kriegt er das alles musikalisch zusammen?
Mix aus Funk und RnB
Rahmlow: Er hat als Rapper angefangen. Er hat auch elektronische Musik produziert, bevor er vor ein paar Jahren zu seinem sehr eigenen Mix aus Funk und RnB gekommen ist. Funk und RnB sind die Grundlage von "3.15.20". Der Rest wird ja nach Bedarf zusammen gesampelt. Das reicht von fast nur akustisch, über zurückgelehnt und fröhlich, bis hin zu aggressiv-dröhnend. Genauso breit wie der Gesang, der mal klassisch, mal verzerrt ist. An der einen oder anderen Stelle könnte das kompakter sein. Am Ende einiger Songs franst es manchmal aus. Aber es soll ja als Gesamtwerk funktionieren und da gehören solche irrenden Momente dann vielleicht auch mit dazu.
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