"Vielleicht wird es einmal einen magischen Moment geben, in dem alle Länder der Erde zusammenkommen, um ihre Atomwaffen zu vernichten. Doch leider sind wir noch nicht so weit."
Als US-Präsident Donald Trump am 18. Dezember 2017 seine "Strategie zur Nationalen Sicherheit" vorstellte, hieß eine der Säulen: "den Frieden durch Stärke bewahren".
"Wir verstehen es so, dass Schwäche der erste Schritt zu Konflikten ist und konkurrenzlose Macht die sicherste Verteidigung."
Nuklearwaffen mit "geringerer Sprengkraft"
Die Details präsentierte Trump wenige Monate später im Rahmen der "Nuclear Posture Review": Nuklearwaffen mit geringer Sprengkraft spielen darin eine wichtige Rolle.
Shannon Kile vom Friedensforschungsinstitut SIPRI:
"Die USA wollen solche Kernwaffen mit geringer Sprengkraft vor allem deshalb wieder ins Arsenal aufnehmen, weil sie glauben, dass Russland dies ebenfalls getan hat und dass die Russen bereit sind, diese Waffen in einem konventionellen Konflikt einzusetzen, um ihn zum eigenen Vorteil zu beenden."
Mini-Nukes seit den 50er-Jahren
Ob das den Tatsachen entspricht, darüber sind sich die Analysten uneins, erläutert Shannon Kile. Jedenfalls besitzt Russland solche Waffen und passende Trägersysteme. Außerdem soll 2014 ein russisches Großmanöver mit dem simulierten Einsatz von "Kleinen Atomwaffen", sogenannten Mini-Nukes, geendet haben.
Neu ist die Idee nicht: In den 1950er- und 60er-Jahren gab es bereits einmal alle möglichen Atomwaffen dieser Kategorie, erzählt SIPRI-Experte Robert Kelley:
"Artilleriegranaten, Wasserbomben, um U-Boote zu sprengen, Boden-Luft-Raketen, die ein Flugzeug abschießen sollten. Das wohl Verrückteste waren ein paar ‚Davy Crockett‘: so etwas wie eine Bazooka mit einer kleinen Nuklearwaffe am Ende."
Die "Davy Crockett" war die kleinste jemals gebaute Kernwaffe: Die Sprengkraft ließ sich wählen zwischen zehn und 20 Tonnen TNT-Äquivalent – damit war sie in etwa so stark wie die derzeit stärkste konventionelle US-Fliegerbombe, nur eben um ein Vielfaches kompakter. Ihre Reichweite: zwischen zwei und vier Kilometern:
"Ich weiß nicht, wer die abfeuern und sich dann die Finger in die Ohren stecken wollte. Glücklicherweise ist man dann diese verschiedenen sogenannten 'taktischen Atomwaffen' losgeworden."
Flugzeugträger oder Fabriken als denkbare Ziele
Doch nun kommen sie in neuer Form zurück. Wobei "klein" relativ ist: Heute besitzen selbst die kleinsten Mini-Nukes immer noch ein Vielfaches der Sprengkraft der größten konventionellen Bombe. Eine Detonation könnte eine Kleinstadt mit 20- bis 30.000 Menschen auslöschen. Überhaupt: Selbst die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki lagen unter 20 Kilotonnen und würden als "kleine Atomwaffe" gelten. Das Bemerkenswerte: Diese Mini-Nukes gelten manchen Strategen neuerdings als einsetzbar. Shannon Kile:
"Nuklearwaffen mit geringer Sprengkraft sollen auf den Schlachtfeldern eine Rolle einnehmen, die die strategischen Waffen nicht erfüllen können."
Als taktische Kernwaffen sollen Mini-Nukes im Gefecht nahe am oder sogar im Boden gezündet werden: Das soll verhindern, dass sich Druckwelle, Hitze und Strahlung über weite Gebiete verteilen. Hans Kristensen von der "Federation of American Scientists in Washington D.C. nennt auch Flugzeugträger, Fabriken oder Kommandoposten als denkbare Ziele. Dabei werden die Waffen beispielsweise über Satellitennavigation präzisionsgelenkt:
"Deshalb brauchen sie einfach nicht so viel Sprengkraft, um ihr Ziel zu zerstören. Bis zu einem gewissen Grad hat es also eine natürliche Entwicklung hin zu niedriger Sprengkraft gegeben. Die Botschaft ist klar: ‚Wir entwickeln und stationieren diese Waffensysteme, weil wir Ihnen, liebe Gegner, sagen wollen, dass wir eher bereit sind, sie einzusetzen als eine Waffe mit hoher Sprengkraft. Machen Sie sich keine Illusionen.‘"
"Präzisionssprengköpfe" vom Flugzeug oder U-Boot
Am 29. Januar 2020 berichtet die "Federation of American Scientists", dass die "USS Tennessee" als erstes U-Boot mit W76-2-Sprengköpfen ausgestattet worden ist – Atomsprengköpfen von vielleicht fünf oder acht Kilotonnen-TNT-Äquivalent.
Im Juni 2020 erhält das US-Kampfflugzeug F-15E "Strike Eagle" die Zertifizierung für den Einsatz der neuen Variante der Freifallbombe B61, die B61-12: Eine präzisionsgelenkte "kleine" Atombombe, die mehrere Meter in den Untergrund eindringen kann, um tiefliegende Bunker zu zerstören. Hans Kristensen über die "kleinen Bomben":
"Sie sollen ausdrücklich in einer frühen Phase eines Nuklear-Konflikts eingesetzt werden. Und das wird die Art und Weise beeinflussen, wie nationale Führer im Konfliktfall Entscheidungen über den möglichen Einsatz von Atomwaffen treffen. Sie können sich ein Krisenszenario vorstellen, in dem ein Präsident überlegt, was zu tun ist. Seine Admiräle und Generäle kommen und sagen: Naja, wissen Sie, wir haben diese Waffen mit 100, 200, 300 Kilotonnen Sprengkraft. Wenn wir die einsetzen, wird der Fallout über große Gebiete niedergehen. Aber wissen Sie was, Mr. President? Wir haben auch diese kleine Waffe. Nur acht Kilotonnen. Wenn wir die geschickt einsetzen, gibt es nur wenig radioaktiven Fallout."
Vom "taktischen Schlag" zum ausgewachsenen Atomkrieg
"Je mehr man sich auf diese Logik einlässt, dass man eigentlich damit Nuklearwaffen-Einsatz verhindern möchte, desto wahrscheinlicher wird meiner Meinung nach genau das."
Sagt Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
"Das ist das, was man eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, eine ‚Self-Fulfilling Prophecy‘ nennt."
Auch wenn der Begriff "Mini-Nuke" anderes suggeriert: Aus einer "kleinen" Detonation kann sich ein ausgewachsener Atomkrieg entwickeln.