"Ich denke, dass wir zwei Bedeutungen des Ausdrucks: der Mensch im Auge behalten. Einmal bezeichnen wir mit dem Menschen Exemplare der Gattung homo sapiens. Sie und ich, wir alle sind Teile dieser biologischen Art. Zugleich aber bezeichnet der Ausdruck Mensch auch Individuen, die einer bestimmten Gemeinschaft, einer bestimmten Kultur, einer bestimmten Gruppe angehören. Eine Beschreibung also, die nicht aufgeht, die sich nicht reduzieren lässt auf biologische Aspekte."
Und das gilt nicht nur für den Menschen der Gegenwart. Auch in der Anthropologie, der gesamten Entwicklungs- oder Evolutionsgeschichte der Menschen wollen die Marburger Wissenschaftler die nicht-biologischen Aspekte in den Blick nehmen.
"Anthropologie heißt hier nicht, biologische oder lebenswissenschaftliche Beschreibungen des Menschen, das wäre jetzt der Mensch in diesem ersten Sinne, den wir gerade erläutert hatten, sondern Anthropologie bezeichnet eine Reflexion auf den Menschen als tätiges Wesen, als sprechendes Wesen, als argumentierendes Wesen."
In den Naturwissenschaften kommt diese Reflexion aber viel zu kurz. Dort stehen biologische oder lebenswissenschaftliche Beschreibungen des Menschen hoch im Kurs, sagt Mathias Gutman:
"Hier ist schlicht festzustellen, dass wir es in den Biowissenschaften mit einem ganzen cluster von Theoriekonzepten zu tun haben, die den Menschen biologisch als sich entwickelndes und evolutionäres oder evolutiv entfaltendes Wesen darstellen. An dieser Stelle müssen wir als Wissenschaftstheoretiker auftreten, das heißt, wir müssen die speziellen Beschreibungen rekonstruieren, die Begründungszusammenhänge darstellen und die Vorannahmen identifizieren."
Nur so lässt sich nach Ansicht der Marburger Wissenschaftler prüfen, ob und inwieweit diese Beschreibungen zutreffend sind. Beispielsweise dort, wo sie danach fragen, wie Genetiker den Ausdruck Gen verwenden.
"Welche (weiteren) Metaphern werden von Genetikern selber verwendet, um die Wirkungsweise von Genen zu beschreiben. Nehmen Sie als zwei Leitmetaphern in dieser Richtung etwa die der ‚Blaupause' oder die der ‚Instruktion für den Aufbau eines Lebewesens'. Solche Metaphern strukturieren genetische Beschreibungen. Und wir müssen uns in einem ersten Schritt darum bemühen, diese Beschreibungen zu rekonstruieren und darzustellen. Im zweiten Schritt können wir dann die Frage stellen, welche Geltungsbereiche haben denn diese Beschreibungen, inwieweit treffen sie auf den Menschen zu, und welche zusätzlichen Annahmen müssen wir machen, um solche Beschreibungen als geltende Beschreibungen ausweisen zu können."
Ein weiteres Beispiel solcher Metaphern ist etwa: "Das Gehirn ist ein Computer". Aus naturwissenschaftlichen Versuchsanordnungen und Laboren finden diese Bilder den Weg nach draußen. Doch während es in der Abgeschiedenheit eines Labors Sinn machen kann, sich solcher Redeweisen zu bedienen, weil sie Grundlage von Modellen sind, werden sie der komplexen menschlichen Existenz nicht gerecht. Denn: Das menschliche Gehirn ist eben kein Computer.
"An dieser Stelle muss die Kritik stattfinden. Kritik bedeutet hier auf der einen Seite die Zurückweisung solcher Metaphern, insofern sie eben uneigentliche Rede sind, das Gehirn ist kein Computer! - Das ist der eine Teil. Kritik heißt aber auch Redeweisen richtig zu stellen. Wir reden dann nicht mehr von Metaphern, sondern von Modellen. "
Und das macht einen großen Unterschied:
" "Haben diese Metaphern als Modelle in den Wissenschaften, in der Genetik, in der Entwicklungsbiologie, in der Evolutionsbiologie vielleicht einen Sinn? Nämlich einen Sinn für die Forschungspraxis selber? Treten sie dort vielleicht als Modelle auf, so dass ihr metaphorischer Charakter außerhalb der Wissenschaften auf einem, wir nennen das dann so, verdinglichenden Verständnis dieser Metaphern beruht. Wir behandeln dann eben nicht mehr das Gehirn als ob es eine solche informationsverarbeitende Maschine wäre, sondern wir identifizieren es mit dem Modell"
In Marburg arbeiten insgesamt fünf Professoren als Partner in dem Forschungsverbund. Es handelt sich dabei um Philosophen, und - um Biologen und Informatiker! Das mag überraschen, gesteht Mathias Gutmann. Doch zum einen haben zwei der Philosophen auch ein naturwissenschaftliches Studium absolviert, und zum anderen ist paradoxerweise die Unterstützung durch kritische Naturwissenschaftler vonnöten, wenn die Hegemonie der Naturwissenschaften über die Geisteswissenschaften beendet werden soll.
"Das hat zwei Gründe, einen ganz technischen, wir brauchen Teilnehmer am Projekt, die schlicht über das hinreichende Fachwissen verfügen, um zum Beispiel Menschenbilder in ihren Disziplinen identifizieren zu können, die mit der Terminologie ihrer Disziplin aufs engste vertraut sind. Das ist sozusagen der technische Grund. Der zweite ist aber vielleicht noch wichtiger. Es sind alles Kollegen, die bereit sind, sich auf bestimmte Reflexionen über ihr eigenes Tun, über ihre eigenen Wissenschaften und über die Menschenbilder in ihren Wissenschaften einzulassen. "
Die Aufgabe der Naturwissenschaftler im Verbund besteht vor allem darin, die Metaphern in ihren Disziplinen aufzuspüren und herauszufinden, welchen Stellenwert sie bei der Entstehung von Menschenbildern einnehmen. Danach ist zu untersuchen, ob diese Menschenbilder als naturwissenschaftliche Modelle einen Sinn für die jeweilige Forschungspraxis besitzen, - etwa in der Genetik, der Informationstechnologie oder der Entwicklungsbiologie.
Anschließend sind die Geisteswissenschaften gefordert, erklärt Mathias Gutmann:
" "Und das beschreibt den dritten Schritt des Projekts, dass wir nämlich fragen müssen, welche Folgen hat die Metaphorisierung von wissenschaftlichen Modellen im lebensweltlichen Zusammenhang für das Selbstverständnis des Menschen als handelndes oder sprechendes Wesen. Und dieser Schritt, das können wir transdisziplinäre Reflexion nennen, dieser dritte Schritt ist der originäre Beitrag, den Geisteswissenschaften, hier vertreten durch die Philosophie als Reflexionsdisziplin der Wissenschaften, leisten können."
Die Marburger Wissenschaftler stehen mit ihrer Arbeit noch ganz am Anfang; und sie geben sich bescheiden. Es sei schon viel erreicht, wenn ihre Arbeit dazu beitrage, dass in Zukunft metaphorische von modellierenden Aspekten der Rede über den Menschen genau unterschieden werden. Das sei der erste Schritt, um zu einem zuverlässigen Bild vom Menschen als tätigem Wesen zu kommen.
Und das gilt nicht nur für den Menschen der Gegenwart. Auch in der Anthropologie, der gesamten Entwicklungs- oder Evolutionsgeschichte der Menschen wollen die Marburger Wissenschaftler die nicht-biologischen Aspekte in den Blick nehmen.
"Anthropologie heißt hier nicht, biologische oder lebenswissenschaftliche Beschreibungen des Menschen, das wäre jetzt der Mensch in diesem ersten Sinne, den wir gerade erläutert hatten, sondern Anthropologie bezeichnet eine Reflexion auf den Menschen als tätiges Wesen, als sprechendes Wesen, als argumentierendes Wesen."
In den Naturwissenschaften kommt diese Reflexion aber viel zu kurz. Dort stehen biologische oder lebenswissenschaftliche Beschreibungen des Menschen hoch im Kurs, sagt Mathias Gutman:
"Hier ist schlicht festzustellen, dass wir es in den Biowissenschaften mit einem ganzen cluster von Theoriekonzepten zu tun haben, die den Menschen biologisch als sich entwickelndes und evolutionäres oder evolutiv entfaltendes Wesen darstellen. An dieser Stelle müssen wir als Wissenschaftstheoretiker auftreten, das heißt, wir müssen die speziellen Beschreibungen rekonstruieren, die Begründungszusammenhänge darstellen und die Vorannahmen identifizieren."
Nur so lässt sich nach Ansicht der Marburger Wissenschaftler prüfen, ob und inwieweit diese Beschreibungen zutreffend sind. Beispielsweise dort, wo sie danach fragen, wie Genetiker den Ausdruck Gen verwenden.
"Welche (weiteren) Metaphern werden von Genetikern selber verwendet, um die Wirkungsweise von Genen zu beschreiben. Nehmen Sie als zwei Leitmetaphern in dieser Richtung etwa die der ‚Blaupause' oder die der ‚Instruktion für den Aufbau eines Lebewesens'. Solche Metaphern strukturieren genetische Beschreibungen. Und wir müssen uns in einem ersten Schritt darum bemühen, diese Beschreibungen zu rekonstruieren und darzustellen. Im zweiten Schritt können wir dann die Frage stellen, welche Geltungsbereiche haben denn diese Beschreibungen, inwieweit treffen sie auf den Menschen zu, und welche zusätzlichen Annahmen müssen wir machen, um solche Beschreibungen als geltende Beschreibungen ausweisen zu können."
Ein weiteres Beispiel solcher Metaphern ist etwa: "Das Gehirn ist ein Computer". Aus naturwissenschaftlichen Versuchsanordnungen und Laboren finden diese Bilder den Weg nach draußen. Doch während es in der Abgeschiedenheit eines Labors Sinn machen kann, sich solcher Redeweisen zu bedienen, weil sie Grundlage von Modellen sind, werden sie der komplexen menschlichen Existenz nicht gerecht. Denn: Das menschliche Gehirn ist eben kein Computer.
"An dieser Stelle muss die Kritik stattfinden. Kritik bedeutet hier auf der einen Seite die Zurückweisung solcher Metaphern, insofern sie eben uneigentliche Rede sind, das Gehirn ist kein Computer! - Das ist der eine Teil. Kritik heißt aber auch Redeweisen richtig zu stellen. Wir reden dann nicht mehr von Metaphern, sondern von Modellen. "
Und das macht einen großen Unterschied:
" "Haben diese Metaphern als Modelle in den Wissenschaften, in der Genetik, in der Entwicklungsbiologie, in der Evolutionsbiologie vielleicht einen Sinn? Nämlich einen Sinn für die Forschungspraxis selber? Treten sie dort vielleicht als Modelle auf, so dass ihr metaphorischer Charakter außerhalb der Wissenschaften auf einem, wir nennen das dann so, verdinglichenden Verständnis dieser Metaphern beruht. Wir behandeln dann eben nicht mehr das Gehirn als ob es eine solche informationsverarbeitende Maschine wäre, sondern wir identifizieren es mit dem Modell"
In Marburg arbeiten insgesamt fünf Professoren als Partner in dem Forschungsverbund. Es handelt sich dabei um Philosophen, und - um Biologen und Informatiker! Das mag überraschen, gesteht Mathias Gutmann. Doch zum einen haben zwei der Philosophen auch ein naturwissenschaftliches Studium absolviert, und zum anderen ist paradoxerweise die Unterstützung durch kritische Naturwissenschaftler vonnöten, wenn die Hegemonie der Naturwissenschaften über die Geisteswissenschaften beendet werden soll.
"Das hat zwei Gründe, einen ganz technischen, wir brauchen Teilnehmer am Projekt, die schlicht über das hinreichende Fachwissen verfügen, um zum Beispiel Menschenbilder in ihren Disziplinen identifizieren zu können, die mit der Terminologie ihrer Disziplin aufs engste vertraut sind. Das ist sozusagen der technische Grund. Der zweite ist aber vielleicht noch wichtiger. Es sind alles Kollegen, die bereit sind, sich auf bestimmte Reflexionen über ihr eigenes Tun, über ihre eigenen Wissenschaften und über die Menschenbilder in ihren Wissenschaften einzulassen. "
Die Aufgabe der Naturwissenschaftler im Verbund besteht vor allem darin, die Metaphern in ihren Disziplinen aufzuspüren und herauszufinden, welchen Stellenwert sie bei der Entstehung von Menschenbildern einnehmen. Danach ist zu untersuchen, ob diese Menschenbilder als naturwissenschaftliche Modelle einen Sinn für die jeweilige Forschungspraxis besitzen, - etwa in der Genetik, der Informationstechnologie oder der Entwicklungsbiologie.
Anschließend sind die Geisteswissenschaften gefordert, erklärt Mathias Gutmann:
" "Und das beschreibt den dritten Schritt des Projekts, dass wir nämlich fragen müssen, welche Folgen hat die Metaphorisierung von wissenschaftlichen Modellen im lebensweltlichen Zusammenhang für das Selbstverständnis des Menschen als handelndes oder sprechendes Wesen. Und dieser Schritt, das können wir transdisziplinäre Reflexion nennen, dieser dritte Schritt ist der originäre Beitrag, den Geisteswissenschaften, hier vertreten durch die Philosophie als Reflexionsdisziplin der Wissenschaften, leisten können."
Die Marburger Wissenschaftler stehen mit ihrer Arbeit noch ganz am Anfang; und sie geben sich bescheiden. Es sei schon viel erreicht, wenn ihre Arbeit dazu beitrage, dass in Zukunft metaphorische von modellierenden Aspekten der Rede über den Menschen genau unterschieden werden. Das sei der erste Schritt, um zu einem zuverlässigen Bild vom Menschen als tätigem Wesen zu kommen.