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Das "Nie wieder" als Forderung im Syrien-Konflikt

Samantha Power ist seit einigen Wochen die neue Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen. Mit ihrem Pulitzer-Preis-gekrönten Buch wirft sie den USA vor, zu zögerlich auf internationale Konflikte zu reagieren. Die USA müssten Gräueltaten und Massaker verhindern – notfalls auch mit militärischer Gewalt.

Von Stephan Detjen |
    Ende letzter Woche veröffentlichte das Weiße Haus ein Foto seines offiziellen Fotografen Pete Souza. Es zeigt den US-Präsidenten im Gespräch mit seiner Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power. Die schlanke 42-jährige Frau mit langem rotem Haar spricht, beide Hände zu einer erklärenden Geste angehoben, die Augen auf den Präsidenten fokussiert. Barack Obama ist auf diesem Bild ganz der aufmerksame Zuhörer.

    Das Foto enthält eine Botschaft. In Tagen, in denen weltweit über Macht und Ohnmacht der USA in der Syrienkrise diskutiert wird, soll es belegen: Samantha Power hat nach wie vor das Ohr des Präsidenten. Wem das Bild allein nicht genügt, um die Bedeutung dieser Nachricht zu entschlüsseln, der findet in dem 2002 erschienenen Buch der irisch-stämmigen Power einen Schlüssel zum Verständnis der amerikanischen Syrien-Politik. Die Tatsache, dass dieses Buch bis heute keinen deutschen Verleger gefunden hat, dokumentiert ein an Ignoranz grenzendes Desinteresse an grundsätzlichen außen- und geopolitischen Diskursen außerhalb Deutschlands.

    Immerhin darf man annehmen, dass gerade dieses Buch schon kurz nach seinem Erscheinen das außenpolitische Grundverständnis des jungen Barack Obama geprägt hatte, der damals gerade die Bühne der nationalen Politik in den USA betrat. Obama hatte den 600-seitigen Bestseller, der 2003 den Pulitzer Preis gewonnen hatte, im Urlaub gelesen. Eine düstere Ferienlektüre.

    Doch der junge Senator aus Illinois, in dem manche bereits den kommenden Hoffnungsträger der Demokratischen Partei sahen, war beeindruckt und nahm die Autorin in sein Beraterteam auf. Zehn Jahre später, im Mai dieses Jahres, stellte er Samantha Power im Rosengarten des Weißen Hauses als künftige UNO-Botschafterin der Vereinigten Staaten vor:

    Sie habe den Pulitzer-Preis im Alter von 15 oder 16 gewonnen, scherzte Obama, und habe sich als außenpolitischer Vordenkerin immer für die Verteidigung der Menschenwürde eingesetzt.

    "A Problem from Hell, America and the Age of Genocide” – "Ein höllisches Problem. Amerika im Zeitalter des Völkermords” ist die historiografische Grundlegung für ein moralisch begründetes Engagement in der Welt, das Power ihrem Land und ihrem Präsidenten heute abverlangt.

    Die Geschichte, die Power erzählt, beginnt mit dem türkischen Massenmord an den Armeniern Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Wort Völkermord, stellt Samantha Power fest, existierte damals noch nicht - und zeichnet in ihrem Buch die bedrückend lange Geschichte einer Bewusstwerdung nach. Es bedarf des Mordes an den europäischen Juden, um den Begriff des Genozids in die internationale Rechtsordnung einzuführen.

    Samantha Power setzt mit ihrem Buch vor allem Raphael Lemkin ein literarisches Denkmal, dem Mann, der mit schier unerschöpflicher Energie dafür gekämpft hatte, den Begriff des Völkermordes in nationales und internationales Recht einzuführen. Lemkin hatte in den 20er-Jahren als junger Jurist in Polen die Dimension des türkischen Verbrechens in Armenien erkannt und nach Möglichkeiten gesucht, rechtliche Lehren daraus zu ziehen. Als jüdischer Emigrant in den USA verfasste er den ersten Entwurf für eine völkerrechtliche Ächtung des Völkermordes. Ein Großteil seiner eigenen Familie war in Europa der Shoa zum Opfer gefallen.

    Samantha Power zeichnet nach, wie Lemkin nahezu im Alleingang durchsetzte, dass das Dokument 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Das Buch der heutigen UNO-Botschafterin ist eine packende Würdigung des menschenrechtlichen Idealismus Lemkins. Zugleich aber ist es eine bedrückende Bilanz des Versagens der USA bei der Durchsetzung jener Grundsätze, für die Lemkin sich eingesetzt hatte.

    Detailliert beschreibt Power, wie die Hinweise auf die Ermordung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkrieges in den Vereinigten Staaten geradezu systematisch unterdrückt wurden. Die Gräuel der Roten Khmer in Kambodscha, das Schlachten in Ruanda, die Giftgasangriffe auf die Kurden im Irak – immer wieder, so Power, vermieden es die USA, den Begriff des Völkermordes zu verwenden, um sich den daraus resultierenden Handlungszwängen zu entziehen.

    Wir haben uns den Satz "nie wieder" kulturell zu eigen gemacht. Aber die Umwandlung der Forderung "nie wieder" in die praktische Politik des 20. Jahrhunderts hat nie stattgefunden, sagt Power.

    Power erkennt ein sich wiederholendes Muster: eine gleichgültige Öffentlichkeit, ein zögerndes Militär, Politiker, die sich keinen Gewinn davon versprechen, dem Morden in fernen Erdteilen ein Ende zu setzen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Susann Rice, ihrer Vorgängerin bei der UNO und heutigen Sicherheitsberaterin Obamas, hat Samantha Power den Präsidenten bedrängt, im Falle Syriens die Lehren aus der Geschichte, so wie sie sie ihm nahe gebracht hat, zu ziehen,

    Wir sind als Bürger immer wieder versucht, zu sagen ach, der Sturm Kathrina, Irak, wir müssen uns von der Welt zurückziehen, sagt Power und nimmt den Präsidenten bei dessen Wort:

    Wenn wir Veränderung wollen, müssen wir die Veränderung sein. Das ist die Lehre aus der Bewegung gegen den Völkermord, sagt Power.

    Barack Obama will demonstrieren, dass er nach wie vor entschlossen ist, dieser Lektion zu folgen, die Samantha Power ihm nahe gebracht hat. Das Foto der beiden aus dem Weißen Haus soll es den Kritikern, Zweiflern und Gegnern von Washington bis nach Moskau und Damaskus vor Augen führen.

    Buchinfos:
    Samantha Power: "A problem from hell - America and the age of Genocide", Verlag Harper Perennial, Erstauflage: 2007, 688 Seiten, 35 Euro Sprache: Englisch, ISBN: 978-0-061-12014-5