Wer einmal durch Norwegen gereist ist, hat sie gesehen: die unzähligen Fjorde, Berge, Schluchten, Täler und Flüsse. Sie zerhacken das Land in kleine Einheiten und haben dem Menschen seit jeher nicht viel Raum gelassen. Selbst wenn die landwirtschaftlichen Betriebe klein sind und die Vegetationsphase kurz ist: Norwegen hat eine lange landwirtschaftliche Tradition. Deren Produktivität könnte allerdings mit dem Ertrag anderer EU-Staaten niemals mithalten, meint Trygve Slagsvold Vedum. Er ist Vorsitzender der Zentrumspartei, die von vielen Landwirten unterstützt wird.
"Unser Ziel in Norwegen ist es, das ganze Land zu nutzen, von der finnischen Grenze bis zum Süden. Die Ressourcen sollen den Menschen vor Ort zugutekommen. Das war sicher einer der Gründe für das Nein bei der EU-Abstimmung 1994, auch weil das mit der EU-Fischereipolitik nicht passte. Den Landwirten, zum Beispiel, gibt der Staat Geld, damit sich auch Anbau in Bergen, an Fjorden und auf kleinen Flächen lohnt."
Die Landwirtschaft und die Fischerei - Norwegen ist eine der größten Fischereinationen der Welt - werden also durch das Wirtschaftsabkommen geschützt. Ausländische Molkereiprodukte zum Beispiel werden mit Schutzzöllen belegt - der Verbraucher im Supermarkt soll lieber nach dem einheimischen Käse greifen.
Das norwegische Modell ist teuer
Aber das Abkommen kostet. Die Norweger zahlen pro Jahr etwa 391 Millionen Euro, unter anderem um an EU-Programmen teilzunehmen, wie etwa bei Forschung und Innovation. Ein anderer Teil des Geldes geht an die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz im Schengenraum. Doch die Norweger können es sich leisten - dem Öl sei Dank, und für die Wirtschaft scheint dieser Deal geradezu notwendig: schließlich exportiert Norwegen etwa 80 Prozent seiner Waren in EU-Länder, und beim Import kommen mehr als die Hälfte aller Waren aus der EU. Neben ihrem finanziellen Beitrag beinhaltet das Abkommen auch, dass sich die Norweger in vielerlei Hinsicht dem EU-Recht beugen: Pro Tag übernimmt das Land durchschnittlich etwa fünf EU-Gesetze - ohne großes Mitspracherecht. Den Nachbarn im Westen, meint Trygve Slagsvold Vedum, mit Blick nach Großbritannien, würde das niemals passen:
"Ich denke nicht, dass die Briten ein ähnliches Abkommen wollen wie unseres über den europäischen Wirtschaftsraum. Unser Parlament und unsere Regierung verlieren an Einfluss, an die Bürokraten nach Brüssel."
Und dann wäre da ja noch die Zuwanderung - eines der ganz heißen Themen in der Abstimmung um den Brexit - sowohl mit Blick auf EU-Ausländer als auch auf Flüchtlinge. Am Binnenmarkt teilzunehmen bedeutet auch, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Das heißt, EU-Bürgerinnen und Bürger haben den Zugang zum norwegischen Arbeitsmarkt.
Norwegen hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als Großbritannien
Als Mitglied des Schengenraums hat Norwegen 2015 pro Kopf mehr Flüchtlinge aufgenommen als die Briten.
Sylo Taraku, einer der renommiertesten Immigrationsexperten Norwegens, ist als 18-Jähriger selbst als Flüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien gekommen. Er glaubt, dass es Großbritannien nicht im Alleingang gelingen wird, Einwanderung wirkungsvoller zu kontrollieren:
"Das kann man auf der nationalen Ebene nicht alleine lösen - auch einen Flüchtlingsdeal wie mit der Türkei aushandeln, beispielsweise. Deshalb brauchen wir eine bessere Zusammenarbeit bei den Grenzkontrollen, und das geht am besten auf EU-Ebene."