Touristen. Überall Touristen. Heute ist es besonders voll. Und die schmalen Gassen der Altstadt von Jerusalem sind einfach nicht gemacht für Gruppen, die einem Reiseleiter mit Headset hinterherlaufen. In einem palästinensischen Restaurant ist es brechend voll. Und vielleicht möchte der völlig überforderte Kellner sagen: Das wird mir jetzt alles zu viel hier.
Viele Touristen in Jerusalem - das ist gute Nachricht: Es bedeutet: Der letzte tödliche Zwischenfall ist schon etwas länger her. Wer vom Damaskustor aus in die Altstadt läuft, begegnet israelischen Soldaten. Vielen Soldaten, fast alle tragen ein Maschinengewehr. Im Sommer wurden bei einem Attentat mitten in der Altstadt drei israelische Grenzpolizisten erschossen.
Raus aus der Hektik
Als Reporter habe ich schon viele Geschichten in diesem Teil der Stadt recherchiert. Und ich mag diese Gegend. Aber manchmal wird es auch mir zu viel. Und dann klingele ich an einer schweren Holztür.
Herzlich willkommen im Österreichischen Hospiz zur Heiligen Familie. Am Eingang ein Schild: "Zutritt mit Schusswaffen verboten." Das hier ist "Klein Austria". Mitten in Jerusalem. Die Hektik der Altstadt und ihre Konflikte bleiben hinter der Holztür zurück.
Das Österreichische Hospiz gibt es seit über 150 Jahren. Ein Pilgerhaus, aber man muss nicht pilgern, um hier zur Ruhe zu kommen. An der Rezeption: ein Briefkasten der österreichischen Post. In den langen Gängen des Gebäudes: Möbel, die schon 100 Jahre alt sind. Alte Bilder mit Goldrahmen. Eine Kapelle mit Spendenkorb am Eingang. "Vergelt’s Gott" steht drauf. Der Leiter dieses Hauses ist stolz auf das Hospiz und seine Patina. Markus Bugnyár, Priester, 42 Jahre alt, Österreicher.
Wiener Kaffeehaus im Nahen Osten
"Das hat so den Charme des 19. Jahrhunderts. Das Flair der Donaumonarchie. Franz-Joseph, der Kaiser, als unser Gründervater ist in gewisser Weise omnipräsent. Also es hat schon etwas sehr Österreichisches, würde ich meinen."
Ja. Würde ich auch meinen. Wir sitzen im einzigen Wiener Kaffeehaus des Nahen Ostens. Die Bänke und Stühle: mit rotem Stoff überzogen. An den Decken: Kronleuchter. Und an der Wand hängt ein riesiges Bild von Kaiser Franz-Joseph, den sie hier Franzerl nennen. Und ja, genau, das ist der Ehemann von Sissi.
Ich darf mir einen Kaffee bestellen. Und mache natürlich Fehler. Kleiner Brauner, Großer Brauner, Verlängerter. Ich bin überfordert. Mein letzter Urlaub in Österreich ist schon was her. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Markus Bugnyár nur auf diese Situation gewartet hat.
Schroffheit als Konzept
"Das irritiert jetzt eher einen Österreicher, wenn unsere deutschen Gäste nach einer Tasse oder einem Kännchen Kaffee verlangen. Dann muss man immer nachfragen: Worum genau soll es denn jetzt gehen?"
Der Priester meint das natürlich nicht so. Er freut sich auch über deutsche Gäste. Aber so ein ganz kleines bisschen gehört die, nun ja, Schroffheit von Wiener Kaffeehäusern auch im Hospiz zum Konzept.
"Bei mir genauso wie bei anderen: Man ist nicht jeden Tag gleich gut aufgelegt. Aber wenn bei uns jemand schlecht aufgelegt ist, kann man es immer noch mit dem Charme eines Wiener Kaffeehauses erklären."
Dachterrasse und Garten
Maria Tischler ist heute - und wahrscheinlich fast immer - gut aufgelegt. "Ich stamme aus dem Burgenland - an und für sich. Lebe aber in Wien."
Die 70-Jährige kommt seit Jahren nach Jerusalem und hilft für ein paar Wochen im Kaffeehaus aus, mitten in der Altstadt von Jerusalem.
"Für mich ist es immer wie, also alles rundherum, als wäre es ein Film."
Draußen der Lärm der Altstadt. Humus, Falafel und Kebab. Und drinnen?
"Kleiner Brauner, Großer Brauner. Wiener Schnitzel, Spätzle. Gulaschsuppe. Sachertorte. Und Apfelstrudel."
Den Kaffee importieren sie übrigens aus Wien. Zwei Dinge finde ich im Österreichischen Hospiz besonders toll. Die Dachterrasse, auf die gehen wir gleich noch. Und den Garten. Der ist groß, grün und ruhig. Die Spatzen fühlen sich auch wohl. Hier kann ich telefonieren oder meine Beiträge schreiben. An den Metalltischen mit den schönen Kacheln komme ich zur Ruhe. Ich schotte mich nicht ab von dem, was da draußen in der Altstadt passiert. Aber manchmal muss ich da raus, um mich auf das, was dort geschieht, konzentrieren zu können.
Ein Stück Freiheit
Auf dem Dach des Hospizes weht eine rot-weiß-rot Flagge. Das Stück Österreich wird vor der atemberaubenden Kulisse der Altstadt von Jerusalem plötzlich ganz klein. Nicht weit von hier: Die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom. Hier oben saß ich schon als Student, wenn der Muezzin rief und manchmal gleichzeitig die Glocken der Kirchen läuteten. Ich fühlte mich frei und das Dach hatte noch kein Geländer. Heute gibt es eines. "Die Versicherung hat Druck gemacht", sagt Markus Bugnyár. Der Mann strahlt eine große Ruhe aus. Kein Wunder, er wohnt schon seit 13 Jahren an diesem ruhigen Ort mitten in Jerusalem. "Unser Haus kann Stress reduzieren", sagt Bugnyár.
"Und das merken wir auch bei Israelis und Palästinensern, die bei uns einkehren. Das wirkt manchmal so fern ihres Alltags. Dass es durchaus den Sinn weiten kann für Neues. Und gleichzeitig für einen kurzen Moment ablenken kann von ihren sonstigen Problemen."
Nach ein bis zwei Stunden merke ich immer: Ich will wieder raus aus diesem Haus. Ich will zurück in den Trubel der Altstadt von Jerusalem. Aber ich weiß: Das Österreichische Hospiz wird immer da sein. Und ich komme bestimmt zurück.