Wenn Wellensittiche aus ihren Eiern schlüpfen, reißen sie ihre Schnäbel nicht weit auf, wie viele andere Vögel es tun. Für das Betteln um Nahrung fehlt ihnen die Kraft, sie können noch nicht einmal ihre Köpfe allein hochhalten. Die Vogel-Mutter dreht ihre Kinder darum auf den Rücken und stopft die Nahrung in ihre Schnäbel hinein. Die kleinen Wellensittiche haben keine Federn, keine Augenschlitze, und sie haben auch noch keine Öffnungen am Kopf, mit denen sie Hören könnten.
In den ersten beiden Monaten ihres Lebens durchlaufen die kleinen Wellensittiche dann eine rasante Entwicklung. Nach zwei Wochen sind ihre Ohren offen, nach acht Wochen sind sie flügge. Im Gegensatz zu vielen anderen Vögeln ist die Entwicklung von Wellensittichen aber nie ganz abgeschossen: Hören und Lernen liegen bei ihnen dicht beieinander. Nicht umsonst gehören sie zu den Papageien: Sie produzieren ihr ganzes Leben lang neue Klänge. In freier Wildbahn fliegen sie in Schwärmen von etwa 200 Vögeln und kommunizieren dabei ständig - mit ihren Partnern und Kindern aber auch mit anderen Mitgliedern des Schwarms. Und wenn sie von einem Schwarm in einen anderen wechseln, dann übernehmen sie die Rufe der anderen Gruppe erstaunlich schnell.
In einem Raum mit schrankgroßen Käfigen halten Ornithologen der Universität von Maryland in College Park mehrere Dutzend Vögel. Zebrafinken sitzen hier, mit ihren knallroten Schnäbeln, daneben hüpfen Wellensittiche und Kanarienvögel herum.
Beth Brittan-Powell leitet dieses Vogel-Labor, und gemeinsam mit ihrem Doktoranden Michael Osmanski stellt sie immer wieder neu fest, dass es nicht leicht ist, das Hör- und Lernverhalten von Papageien zu erforschen, wenn diese in einem gemeinsamen Raum untergebracht sind.
" Diese beiden hier nutzen den gleichen Ruf, und seltsamerweise auch dieser Vogel hier - und der da, ganz hinten."
" In einer unserer Studien untersuchen wir, wie die Vögel einen neuen Ruf erlernen - und wir haben dafür sechs verschiedene Tiere aus sechs verschiedenen Zoohandlungen gekauft, um sicher zu sein, dass sie einander noch nie gehört haben. Wir haben sie dann in getrennten Käfigen untergebracht, wo sie sich nicht sehen konnten. Aber sie haben trotzdem viel voneinander aufgeschnappt. Wir können sie nicht davon abhalten, hier ständig dazuzulernen. Vögel sind sehr schlau. "
Wie die Gespräche der Wellensittiche untereinander ablaufen, wissen die Ornithologen bislang noch nicht genau. Bob Dooling ist bei psychoakustischen Untersuchungen auf eine ganz eigene Form der Kommunikation gestoßen.
" Wir haben herausgefunden, dass die Tiere extrem schnelle Variationen in ihren Rufen hören können. Diese sogenannten zeitlichen Feinstrukturen kriegen wir Menschen gar nicht mit, nur mit spezieller Messtechnik haben wir sie entdecken können. Und jetzt fragen wir uns, ob die Vögel nicht viel mehr kommunizieren, als wir bislang immer geglaubt hatten."
Zwei Zimmer weiter sitzt, ganz alleine, ein Wellensittich-Weibchen. Artemis heißt sie, obwohl sie sehr wenig mit der frei umherschweifenden griechischen Jagdgöttin gemein hat. Artemis ist eingesperrt in eine schalldichten Kammer von der Größe eines Backofens. Jedes Mal wenn sie piepst, fallen Körner aus einem kleinen Behälter, und sie schnappt zu. Außerhalb der Kammer sitzt Michael Osmanski vor elektronischen Geräten, die ein wenig an ein Tonstudio erinnern.
" Wir experimentieren mit den Vögeln, wenn sie Hunger haben. Dann sind sie bereit, für die Nahrung zu arbeiten. Wir trainieren sie so, dass sie rufen, sobald ein kleines Lämpchen aufleuchtet. Wir können den Tieren also genau sagen, wann sie rufen sollen. Und wir können auch kontrollieren, was die Tiere von sich geben, indem wir allmählich einen bestimmten Ruf besonders belohnen."
Michael Osmanski hat einen winzigen Kopfhörer gebastelt, den er Artemis aufsetzt. Der Vogel hört nun seine eigene Stimme, die im selben Moment von einem Mikrofon aufgenommen wird. Bei diesem Experiment geht es um die Frage, ob Wellensittiche ihre Stimme verändern, je nachdem wie sie sich selbst hören. Und in der Tat: je lauter die Töne aus dem Kopfhörer werden, desto leiser wird Artemis. Das gleiche gilt auch für die Tonhöhe seines Rufs: Hört der Vogel eine leicht verschobene Frequenz, versucht er diese zu korrigieren.
Auditive Rückkopplung heißt der Effekt, über den Singvögel und verschiedene Papageienarten ihre Stimme an das Gehörte anpassen können - ganz ähnlich wie Menschen es tun.
Und auch bei einer anderen, viel extremeren Beanspruchung erweist sich das Ohr der Wellensittiche als erstaunlich flexibel: Wenn sie durch extremen Lärm oder durch bestimmte Medikamente taub werden, dann erholen sich ihre Ohren nach einer Weile wieder: Ihre Haarzellen, die im Innenohr für die Weiterleitung der Hörsignale an den Hörnerv zuständig sind, können nachwachsen. Bei Menschen ist das nicht möglich: Wer seine Haarzellen einmal verloren hat, der bleibt taub.
" Wenn es uns jemals gelänge, die Haarzellen von Menschen nachwachsen zu lassen, dann stellt sich als erstes die Frage, ob sie damit auch wieder hören würden. Unsere Untersuchungen an Vögeln haben ergeben, dass die Antwort ja lautet: Vögel, bei denen die Haarzellen nachgewachsen sind, können wir kaum unterscheiden von Vögeln, die nie einen Hörverlust erlitten haben. Das ist ein Ergebnis, das für zukünftige Forschungsprojekte von entscheidender Bedeutung sein wird."
Neuerdings haben Wissenschaftler vom House Ear Institute in Los Angeles herausgefunden, dass bei Mäusen die Bildung neuer Haarzellen im Prinzip möglich wäre, wenn dieser Heilungsprozess nicht blockiert würde: Bestimmte Botenstoffe verhindern das Nachwachsen der Haarzellen. - Eine Erkenntnis, die sich vermutlich auf andere Säugetiere und somit auch auf den Menschen übertragen lässt. Vielleicht wird es eines Tages sogar möglich, damit ein Mittel gegen Taubheit zu finden. Wenn es gelingt, die Botenstoffe für kurze Zeit und lokal begrenzt zu hemmen, könnte die Haarzellproduktion wieder in Gang kommen - und Taube könnten wieder hören.
Gottesanbeterinnen sind ungewöhnliche Insekten. Nicht nur wegen ihres langen Körpers, ihrer Fangarme und ihres kleinen, dreieckigen und sehr beweglichen Kopfes. Sie verfügen auch über ein recht unkonventionelles Hörsystem: Gottesanbeterinnen haben nur ein Ohr. Mitten auf ihrem Bauch, genau zwischen den beiden Hinterbeinen befindet sich ein Schlitz. Dahinter sitzt ein kleiner Hohlraum mit zwei Trommelfellen, die direkt nebeneinander angeordnet sind.
David Yager, Insektenforscher an der Universität von Maryland.
" Für die Position des Ohrs in der Mitte des Körpers gibt es eine einfache Erklärung: Bei ganz kleinen, frisch geschlüpften Gottesanbeterinnen sind die beiden Strukturen, die später zu Trommelfellen werden, noch an beiden Seiten des Körpers zu finden. Aber wenn das Tier wächst, wandern sie schnell in die Mitte. Dort befindet sich der einzige Ort, wo das Ohr sich in Ruhe befindet und nicht von der Bewegung der Beine gestört wird. "
Mit ihrem Zyklopen-Ohr kann die Gottesanbeterin Ultraschallwellen wahrnehmen. Wenn ihr natürlicher Feind, die Fledermaus, im Anflug ist und sich die Gottesanbeterin schnappen will, setzt diese reflexartig zu einem Sturzflug an: in engen Spiralen kreist sie zu Boden - und die Fledermaus kann ihr nicht folgen. Diese sehr erfolgreiche Fluchtstrategie haben die Gottesanbeterinnen vermutlich vor etwa 60 bis 70 Millionen Jahren entwickelt, nachdem die ersten Fledermäuse mit Ultraschall auf die Jagd gingen.
" Die Gottesanbeterinnen haben ein empfindliches und geschütztes Ohr entwickelt, dafür aber mussten sie komplett auf das Richtungshören verzichten. Sie können nicht erkennen, woher die Schallwellen kommen, die sie wahrnehmen. Für uns Menschen wäre das eine schreckliche Situation, aber für sie ist das kein großes Problem."
Ein alter Ventilator kämpft sich durch die stickige Luft in David Yagers Labor. Überall hängen klebrige, gelbe Streifen, in denen sich Hunderte von Fliegen verfangen haben. An den Wänden: Regale mit großen Einmachgläsern, in jedem sitzt eine Gottesanbeterin. Die Tiere kommen aus der ganzen Welt, einige Exemplare sind deutlich größer als Yagers Hand, mit der er erst ein Einmachglas und dann noch eines aus den Regalen herunterholt.
" Wir halten hier immer so zwischen fünf und zehn Arten, weil wir vergleichende Hör-Untersuchungen machen. Dieses Exemplar hier ist heute erst erwachsen geworden; nach vielen vielen Monaten hat es endlich Flügel bekommen. Eine südamerikanische Art, die aus Peru kommt, extrem ungewöhnlich: Sie hat gar kein Ohr. Wenn sie dieses Tier mit diesem anderen hier vergleichen, so sehen sie einfach nur zwei gewöhnliche, grüne Gottesanbeterinnen, die sich nicht unterscheiden. Aber: die eine kann sehr gut hören - und die andere überhaupt nicht."
Unter den insgesamt 2000 verschiedenen Gottesanbeterinnen-Arten hat der Insektenforscher eine ganze Reihe verschiedener Hörsysteme ausgemacht. Es gibt Gottesanbeterinnen, die ihr Ohr auf verhältnismäßig hohe Frequenzen spezialisiert haben und solche, die gar kein Ohr haben, weil die Hörevolution komplett an ihnen vorbeigegangen ist. Wieder andere verfügen sogar über ein zweites Zentral-Ohr: Es sitzt zwischen dem anderen Beinpaar und kann Schallwellen in einem zweiten Frequenzbereich wahrnehmen. Offenbar hat die Natur bei den Gottesanbeterinnen diverse Hörvarianten durchprobiert.
" Bei den Wirbeltieren hat es vermutlich zwei oder drei unabhängige Evolutionen des Ohrs gegeben. Bei den Insekten sind es mindestens 20. 20 mal haben die Insekten neuartige Ohren entwickelt. Wir können diese Beispiele vergleichen und sehen, welches die entscheidenden Muster und Regeln sind. "
Die Vorläuferorgane der Insekten-Ohren waren in der Regel Sensoren, mit denen die Tiere die Bewegung oder Dehnung ihres Körpers wahrnehmen konnten. Deutlich wird dies auch bei der engsten Verwandten der Gottesanbeterin - der Kakerlake. Sie hat keinerlei Ohren, und dennoch gibt es Strukturen in ihrem Nervensystem, die dem Hörsystem der Gottesanbeterin ähneln, die aber für die Bewegung der Kakerlaken-Beine zuständig sind. (KM Ende) Bei der Gottesanbeterin bildeten sich aus diesen frühen Bewegungsmeldern im Verlauf der Evolution zunächst Sensoren aus, welche die Position der Flügel wahrnehmen konnten. Später wurde daraus dann ein Ohr.
" In den meisten Fällen entwickelte sich das Hören aus der Wahrnehmung von rhythmischer Bewegung. Denn Schall ist ja auch nichts anderes als rhythmische Bewegung, wenn auch deutlich schneller."
Eine Fledermaus flattert umher. Sie dreht ihren Kopf mal in die eine, dann in die andere Richtung, sendet dabei Ultraschallwellen aus und hört, welche Echos zurückkommen. Sie nimmt die Reflexionen von Bäumen und Felsen wahr - ein akustisches Blitzlicht, mit dem sie sich hervorragend im Dunkeln orientieren kann.
Plötzlich erkennt die Fledermaus eine Fliege und jagt auf sie zu. In immer kürzeren Abständen richtet sie Ultraschallwellen auf ihre Beute, bis sie diese schließlich geschnappt hat. Während des Fluges sendet sie zunächst zehn Rufe pro Sekunde aus, am Ende hingegen, kurz bevor sie die Fliege erreicht, sind es bis zu 150 Rufe pro Sekunde.
" Die Fledermaus nutzt die Zeitverzögerung zwischen Ruf und Echo, um Entfernungen abzuschätzen, auf den Bruchteil eines Millimeters genau. In ihrem Hörsystem gibt es Nervenzellen, die auf Geräusch-Paare mit einer gewissen Verzögerung spezialisiert sind. Sie kann Verzögerungen zwischen einer halben Millisekunde und 30 Millisekunden erkennen. Die Fledermaus produziert ihre Signale in Gruppen, wir nennen sie Stroboskop-Gruppen, denn die Intervalle zwischen den Signalen sind immer gleich. Das scheint besonders wichtig zu sein, um mit diesem Echoortungssystem ein Bild der Umgebung zu erzeugen. Auf diese Weise können die Tiere sich sehr gut orientieren. Je weiter ein Objekt entfernt ist, desto länger warten die Fledermäuse auf die Echos, bevor sie wieder rufen."
Die Fledermaus vergleicht die Wahrnehmung ihrer beiden Ohren und ermittelt daraus die Position und Bewegungsrichtung eines Objektes. Die Echoortung lässt sich in gewisser Weise mit dem Sehsinn vergleichen: Das Gehirn setzt die akustische Information zu einem Hörbild zusammen.
Die Fledermaus flattert erneut umher. Diesmal steht ihr etwas im Weg: ein großes Netz mit einem Loch in der Mitte. Sie braucht eine Weile, bis sie das Hindernis mit ihrem Echolot abgetastet hat, dann schlüpft sie hindurch und schnappt sich einen Wurm, der auf der anderen Seite an einem Faden hängt.
Cynthia Moss und ihre Mitarbeiter an der University of Maryland in College Park untersuchen das Verhalten der sogenannten Großen Brauen Fledermaus in einem speziellen Hörflug-Studio. Es ist mit Schaumstoff an den Wänden und Decken ausgekleidet, damit die Fledermäuse nicht zu viele, laute Echos von den Wänden erhalten und sich wohlfühlen. An den Wänden stehen eine Reihe von Mikrofonen sowie zwei Hochgeschwindigkeits-Infrarotkameras. Mit ihnen werden die Flugbewegungen in der Dunkelheit sichtbar. Ziel der Experimente ist es, das enge Zusammenspiel aus gezielten Rufen, akustischer Wahrnehmung und Flugverhalten noch besser zu verstehen.
" Der Flug der Fledermaus wird durch ihr so genanntes motorisches System im Gehirn gesteuert. Es kann sehr schnell auf die Echoinformationen reagieren. Dabei aktualisiert die Fledermaus das räumliche Bild ihrer Umgebung nicht mit jedem Ruf und Echo. Es genügt ihr, sich in regelmäßigen Abständen einen Überblick zu verschaffen, so dass sie den Punkt, an dem sie die Insekten in ihrem Flug abfangen will, einige Sekunden im Voraus planen kann."
Timothy Horiuchi, Professor für Elektrotechnik an der University of Maryland, arbeitet eng mit der Fledermausexpertin Cynthia Moss zusammen. Auch er will die besondere Navigationsleistung der Tiere ergründen. Er baut Roboter nach dem Vorbild der Fledermäuse und will damit zu einem besseren Verständnis der Tiere gelangen. Sein neuester Roboter, das sogenannte "Batmobil", nutzt einen Lautsprecher als Mund sowie zwei Mikrofone als Ohren und ermittelt über ein spezielles Echolot ein Bild seiner Umgebung.
" Leider sind unsere ersten Ergebnisse nicht in die Richtung gegangen wie ich es mir erhofft hatte. Wir hatten einen speziellen Chip installiert, der die Richtung des Schalls ermittelt, auf der Grundlage eines neuronalen Modells, das schon lange in der Fachliteratur kursiert. Das ganze funktioniert sehr gut, wenn man nur ein Ziel hat, das der Roboter ansteuert. Wenn aber noch ein zweites Objekt hinzukommt, dann wird es schon sehr schwierig. Die Echosignale stören einander mehr als wir dachten. Von diesem Problem war in der Literatur bislang keine Rede."
Auch wenn diese Untersuchungen noch am Anfang stehen: Mit dem Batmobil wird es möglich, theoretische Modelle und Computersimulationen der Vorgänge im Fledermaushirn ganz praktisch zu prüfen. Wenn die Robotersimulation gelingt, kann Horiuchi erahnen, welche Art von Raumbild die Fledermaus über ihr Echolot wahrnimmt und wie sie darauf mit Bewegung reagiert.
Es ist ein düsterer Keller an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, in dem ein gutes Dutzend Katzen leben, verteilt über mehrere Käfige. Sie alle haben ein weißes Fell - ohne jedes Muster. Diese strahlend weißen Katzen, die hier vor grauen Mauern herumschleichen, haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle sind von Geburt an taub. Was unter anderem dazu führt, dass sie ziemlich laut sind.
" Unter weißen Katzen gibt es immer wieder welche, die taub sind. Die Gene für die Farbe des Fells und die Gene für die Taubheit liegen auf den Chromosomen recht nah beieinander. Für unsere Experimente nutzen wir also das, was Mutter Natur uns vorgegeben hat. "
David Rygos Experimente bestehen zunächst darin, dass er jungen, tauben Katzen Cochlea-Implantate einsetzt. Sie bestehen aus sehr feinen Drähten, oder genauer: Elektrodenbüdeln, die er in die Windungen der Hörschnecke schiebt. An jene Stelle also, an der bei hörenden Tieren die Schallwellen ankommen, nachdem sie durch den Gehörgang, das Trommelfell und über die Gehörknöchelchen gelaufen sind. Normalerweise werden die Schallwellen in der Hörschnecke in Nervenimpulse umgewandelt. Das Cochlea-Implantat überspringt diese Signalkette. Es erzeugt elektrische Signale, die vom Hörnerv direkt verarbeitet werden.
Damit dieses Wunder tatsächlich geschieht, muss David Rygo die feinen Drähte des Implantats möglichst weit in die Hörschnecke hineinschieben.
" Man geht zuerst durch den Gehörgang und das Trommelfell hindurch, beide bleiben dabei intakt. Dann bohrt man ein wenig und schiebt das Cochlea-Implantat in die Schnecke. Das Mikrofon und den Sprachprozessor, der die Signale für die Elektroden aufbereitet, trägt die Katze in einer Art Rucksack."
Er erinnert sich noch genau an den Tag, als es ihm zum ersten Mal gelang, eine ehemals taube Katze mit einem bestimmten Geräusch zum Essen zu rufen.
" Es war erstaunlich. Ich weiß noch genau, wie ich gedacht habe: Es funktioniert! Das ist unglaublich! Ich habe auch zu Hause Katzen, und mir war klar, dass Katzen immer sofort um die Ecke kommen, wenn man eine volle Katzenfutter-Schachtel schüttelt."
Die elektrischen Signale der Elektroden im Innenohr wurden offenbar über den Hörnerv weitergeleitet. Das Gehirn hatte sich der neuen Situation angepasst und den Weg ins Hörzentrum frei gemacht. Unter dem Mikroskop konnte Rygo erkennen, dass die Verbindungen des Hörnervs in den Hirnstamm wieder so aussahen wie bei hörenden Tieren.
" Wir haben drei verschiedene Zelltypen angeschaut, die Signale vom Hörnerv bekamen. Bei tauben Katzen lag jeweils eine Störung der Zellen vor: Die Signale konnten nicht richtig übertragen werden. Manche Zellen leiteten sie mit Verzögerung weiter, andere überhaupt nicht. Aber die Abfolge der Signale und die Präzision der zeitlichen Ereignisse ist entscheidend. Wenn die Synchronisation nicht stimmt, kann das Hirn mit den Klängen nichts anfangen."
Die Verwandlung eines tauben Ohrs in ein hörendes gelang Rygo allerdings nur bei jungen Katzen. Er geht davon aus, dass bei älteren Tieren die falschen und asynchronen Nerven-Verbindungen immer fester werden und sich nicht mehr verändern lassen. Für gehörlose Kleinkinder bedeutet das: je früher sie mit einem Cochlea-Implantat versorgt werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch gut hören lernen.
In Zukunft will Rygo seinen Katzen an jedem Ohr ein Implantat einsetzen. Mit Signalen in zwei Ohren erhält das Gehirn sehr früh die Chance, die Klänge im Detail zu analysieren. Die meisten Arzte, die heute Kinder mit Cochlea-Implantaten versorgen, teilen diese Einschätzung.
" Unsere Fähigkeit, Signale aus dem Rauschen herauszuziehen, so dass wir uns etwa in einem lauten Restaurant unterhalten können, hängt damit zusammen dass wir die Klänge genau orten können. Kinder mit zwei Implantaten kommen offenbar deutlich besser mit einer lauten Umgebung zurecht als solche, die nur eines haben."
Frettchen sind freundliche und pflegeleichte Tiere. Eine Hausform des Iltis, früher wurden sie für die Wildkaninchenjagd abgerichtet. Frettchen haben ein hellgraues Fell, leben in kleinen Gruppen mit ihren Artgenossen, sind sehr verspielt und lernen gerne dazu. Auch gegenüber Wissenschaftlern zeigen sie eine gewisse Kooperationsbereitschaft, vorausgesetzt es gibt genug zu fressen.
Stephen David, ein Hörforscher von der Universität von Maryland, hat ein Frettchen im Arm und trägt es zu einer kleinen Kammer. Dort hört das Frettchen zunächst einen Ton, den es sich merken muss. Anschließend bekommt es eine Folge verschiedener, anderer Töne zu hören. Sobald der richtige Ton dabei ist, kann das Frettchen mit seiner Pfote auf einen Hebel drücken und Wasser trinken. Erwischt es den falschen Ton, bekommt es kein Wasser.
Vor etwa einem Monat haben die Wissenschaftler das Frettchen einer Operation unterzogen. Es hat seither eine Art Plastikhut auf, von dem aus Elektroden ins Gehirn laufen. Stephen David kann nun, nach wochenlangem Training, die Aktivität einzelner Nervenzellen im Gehirn des Frettchens messen.
" Wir können sehen, was sich im Gehirn verändert, je nachdem, welchen Klang das Frettchen erwartet. Wir versuchen dabei, zwei Phänomene so weit wie möglich zu trennen: Zum einen das, was im Gehirn passiert - und zum anderen das, was eigentlich außerhalb des Gehirns geschieht, dann aber wahrgenommen und im Gehirn repräsentiert wird."
Das langfristige Ziel dieses und vieler anderer Experimente an Frettchen, Affen und anderen Tieren ist es, herauszufinden, wie das Gehirn seine Arbeitsweise ändert, wenn es besondere Wahrnehmungs-Leistungen erbringen muss. Zum Beispiel beim so genannten Cocktail-Party-Effekt. Shihab Shamma, Ingenieur und Hörwissenschaftler an der Universität von Maryland.
" Die Schaltkreise in unserem Gehirn sind durchaus in der Lage, eine Stimme oder einen Klang gezielt zu verfolgen und alle anderen Geräusche zu ignorieren: Sie kommen auf eine Party, haben eine Person vorher noch nie gehört und doch können sie sich auf diese eine Stimme, diesen einen Akzent einstellen. - Computer können das nicht. Es gibt viele Theorien, mit denen man versucht hat, diesen Cocktail-Party-Effekt zu erklären - aber bislang sind diese Theorien nur ein Ausdruck unserer Unwissenheit."
Wenn es eines Tages doch gelänge, diesen Trick des Gehirns besser zu verstehen und ihn auf Computer zu übertragen, so ließen sich deutlich verbesserte Spracherkennungsprogramme und auch Hörgeräte entwickeln. Doch davon ist die Wissenschaft noch weit entfernt. Die eigentliche Verarbeitung der akustischen Reize im Gehirn wird noch lange Gegenstand der Forschung bleiben.
" Das Gehirn liebt Information, es liebt den Wechsel, den Kontrast, die Aktivität. Kaum bringt es neue Dinge zusammen, ändern sich die Reaktionen des ganzen Organismus. Die Klänge, die wir wahrnehmen, sind sehr vielschichtig - die Komposition der Frequenzen, der Rhythmus, die Tonfolgen. Unsere Augen folgen einem Klang, unser Gesicht bewegt sich, unsere Stimmung ändert sich. Emotionen und Erinnerungen werden wach. Sehr schnell ist das gesamte Gehirn beschäftigt - mit der Reaktion auf einen einzelnen Klang."
In den ersten beiden Monaten ihres Lebens durchlaufen die kleinen Wellensittiche dann eine rasante Entwicklung. Nach zwei Wochen sind ihre Ohren offen, nach acht Wochen sind sie flügge. Im Gegensatz zu vielen anderen Vögeln ist die Entwicklung von Wellensittichen aber nie ganz abgeschossen: Hören und Lernen liegen bei ihnen dicht beieinander. Nicht umsonst gehören sie zu den Papageien: Sie produzieren ihr ganzes Leben lang neue Klänge. In freier Wildbahn fliegen sie in Schwärmen von etwa 200 Vögeln und kommunizieren dabei ständig - mit ihren Partnern und Kindern aber auch mit anderen Mitgliedern des Schwarms. Und wenn sie von einem Schwarm in einen anderen wechseln, dann übernehmen sie die Rufe der anderen Gruppe erstaunlich schnell.
In einem Raum mit schrankgroßen Käfigen halten Ornithologen der Universität von Maryland in College Park mehrere Dutzend Vögel. Zebrafinken sitzen hier, mit ihren knallroten Schnäbeln, daneben hüpfen Wellensittiche und Kanarienvögel herum.
Beth Brittan-Powell leitet dieses Vogel-Labor, und gemeinsam mit ihrem Doktoranden Michael Osmanski stellt sie immer wieder neu fest, dass es nicht leicht ist, das Hör- und Lernverhalten von Papageien zu erforschen, wenn diese in einem gemeinsamen Raum untergebracht sind.
" Diese beiden hier nutzen den gleichen Ruf, und seltsamerweise auch dieser Vogel hier - und der da, ganz hinten."
" In einer unserer Studien untersuchen wir, wie die Vögel einen neuen Ruf erlernen - und wir haben dafür sechs verschiedene Tiere aus sechs verschiedenen Zoohandlungen gekauft, um sicher zu sein, dass sie einander noch nie gehört haben. Wir haben sie dann in getrennten Käfigen untergebracht, wo sie sich nicht sehen konnten. Aber sie haben trotzdem viel voneinander aufgeschnappt. Wir können sie nicht davon abhalten, hier ständig dazuzulernen. Vögel sind sehr schlau. "
Wie die Gespräche der Wellensittiche untereinander ablaufen, wissen die Ornithologen bislang noch nicht genau. Bob Dooling ist bei psychoakustischen Untersuchungen auf eine ganz eigene Form der Kommunikation gestoßen.
" Wir haben herausgefunden, dass die Tiere extrem schnelle Variationen in ihren Rufen hören können. Diese sogenannten zeitlichen Feinstrukturen kriegen wir Menschen gar nicht mit, nur mit spezieller Messtechnik haben wir sie entdecken können. Und jetzt fragen wir uns, ob die Vögel nicht viel mehr kommunizieren, als wir bislang immer geglaubt hatten."
Zwei Zimmer weiter sitzt, ganz alleine, ein Wellensittich-Weibchen. Artemis heißt sie, obwohl sie sehr wenig mit der frei umherschweifenden griechischen Jagdgöttin gemein hat. Artemis ist eingesperrt in eine schalldichten Kammer von der Größe eines Backofens. Jedes Mal wenn sie piepst, fallen Körner aus einem kleinen Behälter, und sie schnappt zu. Außerhalb der Kammer sitzt Michael Osmanski vor elektronischen Geräten, die ein wenig an ein Tonstudio erinnern.
" Wir experimentieren mit den Vögeln, wenn sie Hunger haben. Dann sind sie bereit, für die Nahrung zu arbeiten. Wir trainieren sie so, dass sie rufen, sobald ein kleines Lämpchen aufleuchtet. Wir können den Tieren also genau sagen, wann sie rufen sollen. Und wir können auch kontrollieren, was die Tiere von sich geben, indem wir allmählich einen bestimmten Ruf besonders belohnen."
Michael Osmanski hat einen winzigen Kopfhörer gebastelt, den er Artemis aufsetzt. Der Vogel hört nun seine eigene Stimme, die im selben Moment von einem Mikrofon aufgenommen wird. Bei diesem Experiment geht es um die Frage, ob Wellensittiche ihre Stimme verändern, je nachdem wie sie sich selbst hören. Und in der Tat: je lauter die Töne aus dem Kopfhörer werden, desto leiser wird Artemis. Das gleiche gilt auch für die Tonhöhe seines Rufs: Hört der Vogel eine leicht verschobene Frequenz, versucht er diese zu korrigieren.
Auditive Rückkopplung heißt der Effekt, über den Singvögel und verschiedene Papageienarten ihre Stimme an das Gehörte anpassen können - ganz ähnlich wie Menschen es tun.
Und auch bei einer anderen, viel extremeren Beanspruchung erweist sich das Ohr der Wellensittiche als erstaunlich flexibel: Wenn sie durch extremen Lärm oder durch bestimmte Medikamente taub werden, dann erholen sich ihre Ohren nach einer Weile wieder: Ihre Haarzellen, die im Innenohr für die Weiterleitung der Hörsignale an den Hörnerv zuständig sind, können nachwachsen. Bei Menschen ist das nicht möglich: Wer seine Haarzellen einmal verloren hat, der bleibt taub.
" Wenn es uns jemals gelänge, die Haarzellen von Menschen nachwachsen zu lassen, dann stellt sich als erstes die Frage, ob sie damit auch wieder hören würden. Unsere Untersuchungen an Vögeln haben ergeben, dass die Antwort ja lautet: Vögel, bei denen die Haarzellen nachgewachsen sind, können wir kaum unterscheiden von Vögeln, die nie einen Hörverlust erlitten haben. Das ist ein Ergebnis, das für zukünftige Forschungsprojekte von entscheidender Bedeutung sein wird."
Neuerdings haben Wissenschaftler vom House Ear Institute in Los Angeles herausgefunden, dass bei Mäusen die Bildung neuer Haarzellen im Prinzip möglich wäre, wenn dieser Heilungsprozess nicht blockiert würde: Bestimmte Botenstoffe verhindern das Nachwachsen der Haarzellen. - Eine Erkenntnis, die sich vermutlich auf andere Säugetiere und somit auch auf den Menschen übertragen lässt. Vielleicht wird es eines Tages sogar möglich, damit ein Mittel gegen Taubheit zu finden. Wenn es gelingt, die Botenstoffe für kurze Zeit und lokal begrenzt zu hemmen, könnte die Haarzellproduktion wieder in Gang kommen - und Taube könnten wieder hören.
Gottesanbeterinnen sind ungewöhnliche Insekten. Nicht nur wegen ihres langen Körpers, ihrer Fangarme und ihres kleinen, dreieckigen und sehr beweglichen Kopfes. Sie verfügen auch über ein recht unkonventionelles Hörsystem: Gottesanbeterinnen haben nur ein Ohr. Mitten auf ihrem Bauch, genau zwischen den beiden Hinterbeinen befindet sich ein Schlitz. Dahinter sitzt ein kleiner Hohlraum mit zwei Trommelfellen, die direkt nebeneinander angeordnet sind.
David Yager, Insektenforscher an der Universität von Maryland.
" Für die Position des Ohrs in der Mitte des Körpers gibt es eine einfache Erklärung: Bei ganz kleinen, frisch geschlüpften Gottesanbeterinnen sind die beiden Strukturen, die später zu Trommelfellen werden, noch an beiden Seiten des Körpers zu finden. Aber wenn das Tier wächst, wandern sie schnell in die Mitte. Dort befindet sich der einzige Ort, wo das Ohr sich in Ruhe befindet und nicht von der Bewegung der Beine gestört wird. "
Mit ihrem Zyklopen-Ohr kann die Gottesanbeterin Ultraschallwellen wahrnehmen. Wenn ihr natürlicher Feind, die Fledermaus, im Anflug ist und sich die Gottesanbeterin schnappen will, setzt diese reflexartig zu einem Sturzflug an: in engen Spiralen kreist sie zu Boden - und die Fledermaus kann ihr nicht folgen. Diese sehr erfolgreiche Fluchtstrategie haben die Gottesanbeterinnen vermutlich vor etwa 60 bis 70 Millionen Jahren entwickelt, nachdem die ersten Fledermäuse mit Ultraschall auf die Jagd gingen.
" Die Gottesanbeterinnen haben ein empfindliches und geschütztes Ohr entwickelt, dafür aber mussten sie komplett auf das Richtungshören verzichten. Sie können nicht erkennen, woher die Schallwellen kommen, die sie wahrnehmen. Für uns Menschen wäre das eine schreckliche Situation, aber für sie ist das kein großes Problem."
Ein alter Ventilator kämpft sich durch die stickige Luft in David Yagers Labor. Überall hängen klebrige, gelbe Streifen, in denen sich Hunderte von Fliegen verfangen haben. An den Wänden: Regale mit großen Einmachgläsern, in jedem sitzt eine Gottesanbeterin. Die Tiere kommen aus der ganzen Welt, einige Exemplare sind deutlich größer als Yagers Hand, mit der er erst ein Einmachglas und dann noch eines aus den Regalen herunterholt.
" Wir halten hier immer so zwischen fünf und zehn Arten, weil wir vergleichende Hör-Untersuchungen machen. Dieses Exemplar hier ist heute erst erwachsen geworden; nach vielen vielen Monaten hat es endlich Flügel bekommen. Eine südamerikanische Art, die aus Peru kommt, extrem ungewöhnlich: Sie hat gar kein Ohr. Wenn sie dieses Tier mit diesem anderen hier vergleichen, so sehen sie einfach nur zwei gewöhnliche, grüne Gottesanbeterinnen, die sich nicht unterscheiden. Aber: die eine kann sehr gut hören - und die andere überhaupt nicht."
Unter den insgesamt 2000 verschiedenen Gottesanbeterinnen-Arten hat der Insektenforscher eine ganze Reihe verschiedener Hörsysteme ausgemacht. Es gibt Gottesanbeterinnen, die ihr Ohr auf verhältnismäßig hohe Frequenzen spezialisiert haben und solche, die gar kein Ohr haben, weil die Hörevolution komplett an ihnen vorbeigegangen ist. Wieder andere verfügen sogar über ein zweites Zentral-Ohr: Es sitzt zwischen dem anderen Beinpaar und kann Schallwellen in einem zweiten Frequenzbereich wahrnehmen. Offenbar hat die Natur bei den Gottesanbeterinnen diverse Hörvarianten durchprobiert.
" Bei den Wirbeltieren hat es vermutlich zwei oder drei unabhängige Evolutionen des Ohrs gegeben. Bei den Insekten sind es mindestens 20. 20 mal haben die Insekten neuartige Ohren entwickelt. Wir können diese Beispiele vergleichen und sehen, welches die entscheidenden Muster und Regeln sind. "
Die Vorläuferorgane der Insekten-Ohren waren in der Regel Sensoren, mit denen die Tiere die Bewegung oder Dehnung ihres Körpers wahrnehmen konnten. Deutlich wird dies auch bei der engsten Verwandten der Gottesanbeterin - der Kakerlake. Sie hat keinerlei Ohren, und dennoch gibt es Strukturen in ihrem Nervensystem, die dem Hörsystem der Gottesanbeterin ähneln, die aber für die Bewegung der Kakerlaken-Beine zuständig sind. (KM Ende) Bei der Gottesanbeterin bildeten sich aus diesen frühen Bewegungsmeldern im Verlauf der Evolution zunächst Sensoren aus, welche die Position der Flügel wahrnehmen konnten. Später wurde daraus dann ein Ohr.
" In den meisten Fällen entwickelte sich das Hören aus der Wahrnehmung von rhythmischer Bewegung. Denn Schall ist ja auch nichts anderes als rhythmische Bewegung, wenn auch deutlich schneller."
Eine Fledermaus flattert umher. Sie dreht ihren Kopf mal in die eine, dann in die andere Richtung, sendet dabei Ultraschallwellen aus und hört, welche Echos zurückkommen. Sie nimmt die Reflexionen von Bäumen und Felsen wahr - ein akustisches Blitzlicht, mit dem sie sich hervorragend im Dunkeln orientieren kann.
Plötzlich erkennt die Fledermaus eine Fliege und jagt auf sie zu. In immer kürzeren Abständen richtet sie Ultraschallwellen auf ihre Beute, bis sie diese schließlich geschnappt hat. Während des Fluges sendet sie zunächst zehn Rufe pro Sekunde aus, am Ende hingegen, kurz bevor sie die Fliege erreicht, sind es bis zu 150 Rufe pro Sekunde.
" Die Fledermaus nutzt die Zeitverzögerung zwischen Ruf und Echo, um Entfernungen abzuschätzen, auf den Bruchteil eines Millimeters genau. In ihrem Hörsystem gibt es Nervenzellen, die auf Geräusch-Paare mit einer gewissen Verzögerung spezialisiert sind. Sie kann Verzögerungen zwischen einer halben Millisekunde und 30 Millisekunden erkennen. Die Fledermaus produziert ihre Signale in Gruppen, wir nennen sie Stroboskop-Gruppen, denn die Intervalle zwischen den Signalen sind immer gleich. Das scheint besonders wichtig zu sein, um mit diesem Echoortungssystem ein Bild der Umgebung zu erzeugen. Auf diese Weise können die Tiere sich sehr gut orientieren. Je weiter ein Objekt entfernt ist, desto länger warten die Fledermäuse auf die Echos, bevor sie wieder rufen."
Die Fledermaus vergleicht die Wahrnehmung ihrer beiden Ohren und ermittelt daraus die Position und Bewegungsrichtung eines Objektes. Die Echoortung lässt sich in gewisser Weise mit dem Sehsinn vergleichen: Das Gehirn setzt die akustische Information zu einem Hörbild zusammen.
Die Fledermaus flattert erneut umher. Diesmal steht ihr etwas im Weg: ein großes Netz mit einem Loch in der Mitte. Sie braucht eine Weile, bis sie das Hindernis mit ihrem Echolot abgetastet hat, dann schlüpft sie hindurch und schnappt sich einen Wurm, der auf der anderen Seite an einem Faden hängt.
Cynthia Moss und ihre Mitarbeiter an der University of Maryland in College Park untersuchen das Verhalten der sogenannten Großen Brauen Fledermaus in einem speziellen Hörflug-Studio. Es ist mit Schaumstoff an den Wänden und Decken ausgekleidet, damit die Fledermäuse nicht zu viele, laute Echos von den Wänden erhalten und sich wohlfühlen. An den Wänden stehen eine Reihe von Mikrofonen sowie zwei Hochgeschwindigkeits-Infrarotkameras. Mit ihnen werden die Flugbewegungen in der Dunkelheit sichtbar. Ziel der Experimente ist es, das enge Zusammenspiel aus gezielten Rufen, akustischer Wahrnehmung und Flugverhalten noch besser zu verstehen.
" Der Flug der Fledermaus wird durch ihr so genanntes motorisches System im Gehirn gesteuert. Es kann sehr schnell auf die Echoinformationen reagieren. Dabei aktualisiert die Fledermaus das räumliche Bild ihrer Umgebung nicht mit jedem Ruf und Echo. Es genügt ihr, sich in regelmäßigen Abständen einen Überblick zu verschaffen, so dass sie den Punkt, an dem sie die Insekten in ihrem Flug abfangen will, einige Sekunden im Voraus planen kann."
Timothy Horiuchi, Professor für Elektrotechnik an der University of Maryland, arbeitet eng mit der Fledermausexpertin Cynthia Moss zusammen. Auch er will die besondere Navigationsleistung der Tiere ergründen. Er baut Roboter nach dem Vorbild der Fledermäuse und will damit zu einem besseren Verständnis der Tiere gelangen. Sein neuester Roboter, das sogenannte "Batmobil", nutzt einen Lautsprecher als Mund sowie zwei Mikrofone als Ohren und ermittelt über ein spezielles Echolot ein Bild seiner Umgebung.
" Leider sind unsere ersten Ergebnisse nicht in die Richtung gegangen wie ich es mir erhofft hatte. Wir hatten einen speziellen Chip installiert, der die Richtung des Schalls ermittelt, auf der Grundlage eines neuronalen Modells, das schon lange in der Fachliteratur kursiert. Das ganze funktioniert sehr gut, wenn man nur ein Ziel hat, das der Roboter ansteuert. Wenn aber noch ein zweites Objekt hinzukommt, dann wird es schon sehr schwierig. Die Echosignale stören einander mehr als wir dachten. Von diesem Problem war in der Literatur bislang keine Rede."
Auch wenn diese Untersuchungen noch am Anfang stehen: Mit dem Batmobil wird es möglich, theoretische Modelle und Computersimulationen der Vorgänge im Fledermaushirn ganz praktisch zu prüfen. Wenn die Robotersimulation gelingt, kann Horiuchi erahnen, welche Art von Raumbild die Fledermaus über ihr Echolot wahrnimmt und wie sie darauf mit Bewegung reagiert.
Es ist ein düsterer Keller an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, in dem ein gutes Dutzend Katzen leben, verteilt über mehrere Käfige. Sie alle haben ein weißes Fell - ohne jedes Muster. Diese strahlend weißen Katzen, die hier vor grauen Mauern herumschleichen, haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle sind von Geburt an taub. Was unter anderem dazu führt, dass sie ziemlich laut sind.
" Unter weißen Katzen gibt es immer wieder welche, die taub sind. Die Gene für die Farbe des Fells und die Gene für die Taubheit liegen auf den Chromosomen recht nah beieinander. Für unsere Experimente nutzen wir also das, was Mutter Natur uns vorgegeben hat. "
David Rygos Experimente bestehen zunächst darin, dass er jungen, tauben Katzen Cochlea-Implantate einsetzt. Sie bestehen aus sehr feinen Drähten, oder genauer: Elektrodenbüdeln, die er in die Windungen der Hörschnecke schiebt. An jene Stelle also, an der bei hörenden Tieren die Schallwellen ankommen, nachdem sie durch den Gehörgang, das Trommelfell und über die Gehörknöchelchen gelaufen sind. Normalerweise werden die Schallwellen in der Hörschnecke in Nervenimpulse umgewandelt. Das Cochlea-Implantat überspringt diese Signalkette. Es erzeugt elektrische Signale, die vom Hörnerv direkt verarbeitet werden.
Damit dieses Wunder tatsächlich geschieht, muss David Rygo die feinen Drähte des Implantats möglichst weit in die Hörschnecke hineinschieben.
" Man geht zuerst durch den Gehörgang und das Trommelfell hindurch, beide bleiben dabei intakt. Dann bohrt man ein wenig und schiebt das Cochlea-Implantat in die Schnecke. Das Mikrofon und den Sprachprozessor, der die Signale für die Elektroden aufbereitet, trägt die Katze in einer Art Rucksack."
Er erinnert sich noch genau an den Tag, als es ihm zum ersten Mal gelang, eine ehemals taube Katze mit einem bestimmten Geräusch zum Essen zu rufen.
" Es war erstaunlich. Ich weiß noch genau, wie ich gedacht habe: Es funktioniert! Das ist unglaublich! Ich habe auch zu Hause Katzen, und mir war klar, dass Katzen immer sofort um die Ecke kommen, wenn man eine volle Katzenfutter-Schachtel schüttelt."
Die elektrischen Signale der Elektroden im Innenohr wurden offenbar über den Hörnerv weitergeleitet. Das Gehirn hatte sich der neuen Situation angepasst und den Weg ins Hörzentrum frei gemacht. Unter dem Mikroskop konnte Rygo erkennen, dass die Verbindungen des Hörnervs in den Hirnstamm wieder so aussahen wie bei hörenden Tieren.
" Wir haben drei verschiedene Zelltypen angeschaut, die Signale vom Hörnerv bekamen. Bei tauben Katzen lag jeweils eine Störung der Zellen vor: Die Signale konnten nicht richtig übertragen werden. Manche Zellen leiteten sie mit Verzögerung weiter, andere überhaupt nicht. Aber die Abfolge der Signale und die Präzision der zeitlichen Ereignisse ist entscheidend. Wenn die Synchronisation nicht stimmt, kann das Hirn mit den Klängen nichts anfangen."
Die Verwandlung eines tauben Ohrs in ein hörendes gelang Rygo allerdings nur bei jungen Katzen. Er geht davon aus, dass bei älteren Tieren die falschen und asynchronen Nerven-Verbindungen immer fester werden und sich nicht mehr verändern lassen. Für gehörlose Kleinkinder bedeutet das: je früher sie mit einem Cochlea-Implantat versorgt werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch gut hören lernen.
In Zukunft will Rygo seinen Katzen an jedem Ohr ein Implantat einsetzen. Mit Signalen in zwei Ohren erhält das Gehirn sehr früh die Chance, die Klänge im Detail zu analysieren. Die meisten Arzte, die heute Kinder mit Cochlea-Implantaten versorgen, teilen diese Einschätzung.
" Unsere Fähigkeit, Signale aus dem Rauschen herauszuziehen, so dass wir uns etwa in einem lauten Restaurant unterhalten können, hängt damit zusammen dass wir die Klänge genau orten können. Kinder mit zwei Implantaten kommen offenbar deutlich besser mit einer lauten Umgebung zurecht als solche, die nur eines haben."
Frettchen sind freundliche und pflegeleichte Tiere. Eine Hausform des Iltis, früher wurden sie für die Wildkaninchenjagd abgerichtet. Frettchen haben ein hellgraues Fell, leben in kleinen Gruppen mit ihren Artgenossen, sind sehr verspielt und lernen gerne dazu. Auch gegenüber Wissenschaftlern zeigen sie eine gewisse Kooperationsbereitschaft, vorausgesetzt es gibt genug zu fressen.
Stephen David, ein Hörforscher von der Universität von Maryland, hat ein Frettchen im Arm und trägt es zu einer kleinen Kammer. Dort hört das Frettchen zunächst einen Ton, den es sich merken muss. Anschließend bekommt es eine Folge verschiedener, anderer Töne zu hören. Sobald der richtige Ton dabei ist, kann das Frettchen mit seiner Pfote auf einen Hebel drücken und Wasser trinken. Erwischt es den falschen Ton, bekommt es kein Wasser.
Vor etwa einem Monat haben die Wissenschaftler das Frettchen einer Operation unterzogen. Es hat seither eine Art Plastikhut auf, von dem aus Elektroden ins Gehirn laufen. Stephen David kann nun, nach wochenlangem Training, die Aktivität einzelner Nervenzellen im Gehirn des Frettchens messen.
" Wir können sehen, was sich im Gehirn verändert, je nachdem, welchen Klang das Frettchen erwartet. Wir versuchen dabei, zwei Phänomene so weit wie möglich zu trennen: Zum einen das, was im Gehirn passiert - und zum anderen das, was eigentlich außerhalb des Gehirns geschieht, dann aber wahrgenommen und im Gehirn repräsentiert wird."
Das langfristige Ziel dieses und vieler anderer Experimente an Frettchen, Affen und anderen Tieren ist es, herauszufinden, wie das Gehirn seine Arbeitsweise ändert, wenn es besondere Wahrnehmungs-Leistungen erbringen muss. Zum Beispiel beim so genannten Cocktail-Party-Effekt. Shihab Shamma, Ingenieur und Hörwissenschaftler an der Universität von Maryland.
" Die Schaltkreise in unserem Gehirn sind durchaus in der Lage, eine Stimme oder einen Klang gezielt zu verfolgen und alle anderen Geräusche zu ignorieren: Sie kommen auf eine Party, haben eine Person vorher noch nie gehört und doch können sie sich auf diese eine Stimme, diesen einen Akzent einstellen. - Computer können das nicht. Es gibt viele Theorien, mit denen man versucht hat, diesen Cocktail-Party-Effekt zu erklären - aber bislang sind diese Theorien nur ein Ausdruck unserer Unwissenheit."
Wenn es eines Tages doch gelänge, diesen Trick des Gehirns besser zu verstehen und ihn auf Computer zu übertragen, so ließen sich deutlich verbesserte Spracherkennungsprogramme und auch Hörgeräte entwickeln. Doch davon ist die Wissenschaft noch weit entfernt. Die eigentliche Verarbeitung der akustischen Reize im Gehirn wird noch lange Gegenstand der Forschung bleiben.
" Das Gehirn liebt Information, es liebt den Wechsel, den Kontrast, die Aktivität. Kaum bringt es neue Dinge zusammen, ändern sich die Reaktionen des ganzen Organismus. Die Klänge, die wir wahrnehmen, sind sehr vielschichtig - die Komposition der Frequenzen, der Rhythmus, die Tonfolgen. Unsere Augen folgen einem Klang, unser Gesicht bewegt sich, unsere Stimmung ändert sich. Emotionen und Erinnerungen werden wach. Sehr schnell ist das gesamte Gehirn beschäftigt - mit der Reaktion auf einen einzelnen Klang."