Natürlich ist das meiste Faktenmaterial und sind auch viele Argumente, die der Moskauer Philosoph Michail Ryklin in diesen Essays, die den Sowjetkommunismus als "säkulare Religion" beschreiben, nicht wirklich neu. In den zahlreichen inzwischen vorliegenden detaillierten Analysen der Funktionsweise dieses untergegangenen Gesellschaftssystems wird immer wieder beschrieben, wie die von einer Partei des militanten Atheismus mit einer pseudowissenschaftlichen Ideologie in Gang gesetzte Revolution, die mit der Zerstörung von Kirchen, der Verhaftung und Ermordung tausender orthodoxer Priester und einer massenhaften blasphemisch antireligiösen Propaganda zum Kampf gegen die Religion angetreten war, sich zunehmend zu einem neuen Glauben mit einem eigenen System von Ritualen entwickelte.
Das Leninmausoleum mit der einbalsamierten Leiche als materialistische Reliquie, Stalins Status als Oberpriester der Partei, das quasireligiöse Pathos der Parteisprache, die eschatologische Heilserwartung in einer jeder Transzendenz beraubten "vergöttlichten" irdischen Welt, für deren zukünftiges Menschheitsziel "alles erlaubt" war und der Terror zum Gesetz wurde, und für das viele Menschen dennoch bereit waren, die höchsten Opfer zu bringen und ihrem Leben damit einen Sinn zu geben, demonstrieren die religiöse Natur des Bolschewismus. All das ist von Historikern und Zeitzeugen immer wieder thematisiert worden.
Auch Ryklins Buch ist nun nicht etwa eine systematische Untersuchung und Darstellung des Kommunismus als Religion. Sein eigentliches Thema ist im Untertitel formuliert: Die Intellektuellen und die Oktoberrevolution. Im Mittelpunkt seines Interesses steht ein anderer Aspekt: der Kommunismus nämlich - wie Raymond Aron es ausgedrückt hat - "als Opium der Intellektuellen". In Essays über Bertrand Russell, Walter Benjamin, Arthur Koestler, André Gide, Lion Feuchtwanger und Bert Brecht stellt er die Frage nach deren durchaus unterschiedlichem Verhältnis zur Sowjetunion und setzt sich noch einmal mit der ungeheuerlichen Verblendung zahlloser westlicher Intellektueller und Schriftsteller auseinander, die mit ihren apologetischen Berichten in den 20er und 30er Jahren das stalinistische Terrorregime in den Augen der Weltöffentlichkeit legitimierten.
Und hier nun hat Ryklin einen originellen Zugang gewählt, der angeregt ist von dem französischen Philosophen Jacque Derrida, dessen Mitarbeiter Ryklin war.
Derrida hatte 1990, nach der Rückkehr von seiner ersten Sowjetunionreise - also in der Hochzeit der Perestrojka - einen Essay "Rückkehr aus Moskau" verfasst, mit dem er schon im Titel ironisch an den Werktypus dieser Rückkehrberichte von Reisen aus der UdSSR anknüpft. Derrida ordnet dieses Genre der Heilssuche im gelobten Land, das die Intellektuellen zu ihrer Wahlheimat erklärt hatten, in die Tradition der Pilgerromane ein.
Als Prototyp dieser Gattung gilt ihm André Gides "Zurück aus der UdSSR". In diesem Buch macht schon das Vorwort mit dem Bild des homerischen Säuglings Demophon, der von Demeter, um ihn unsterblich zu machen, über dem Feuer gestählt werden soll, jedoch zu früh aus der Feuertaufe gehoben wird, die religiös-mythische Dimension dieser Textgattung deutlich. Das heißt sogar, das berühmte Buch André Gides von 1936 mit seiner bitteren Kritik an der Sowjetunion, für die er von linken Intellektuellen wie Romain Rolland schwer beschimpft wurde, demonstriert letztlich einen quasireligiösen Zugang zum Thema Sowjetunion.
Ryklin zeigt nun, wie in den Büchern dieser Autoren, die alle mit dem Kommunismus sympathisierten oder ihm äußerst nahe gestanden hatten, Kommunismus auf unterschiedliche Weise als Religion in Erscheinung tritt.
Bertrand Russell erkannte schon 1920 nach dem Besuch Sowjetrusslands mit einer Labour-Delegation im Bolschewismus einen neuen Glauben und war nicht bereit, intellektuellen Selbstmord zu begehen. Zitat: "Vielleicht ist Freiheitsliebe unvereinbar mit einem bedingungslosen Glauben an ein Allheilmittel für alles menschliche Leiden ... "
Walter Benjamin beobachtet und analysiert in seinem "Moskauer Tagebuch" in kritischer Solidarität sehr genau im Alltagsleben die Symptome der kommunistischen Religion.
Arthur Koestler, der Renegat, dem nach dem Bruch mit der Partei erst der Hitler-Stalin-Pakt endgültig die Augen geöffnet hatte, beschreibt in seiner Beichte, wie er sich unter dem Einfluss seines leidenschaftlichen Glaubens wie unter einem Halluzinogen in eine imaginäre Welt versetzt sah, die mit der Realität nichts mehr zu tun hatte.
Und Lion Feuchtwanger, dem nicht einmal die Teilnahme am Schauprozess gegen Radek und Pjatakov die Augen öffnete, bleibt in seinem berüchtigten Buch "Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde" trotz allem bei seinem dreifachen "Ja" zur sowjetischen Gesellschaftsordnung und zeigt damit ungewollt, dass gerade durch die Schauprozesse "der kommunistische Glaube in Reinform in Erscheinung trat".
Oder Bert Brecht, überzeugt davon, dass seine Bewunderung für die Oktoberrevolution nicht das Geringste mit Glauben zu tun habe und der auch seine Zweifel - zum Beispiel nach der Verhaftung seines Freundes Tretjakow - immer wieder rational zu durchdringen versuchte, war doch seinem "durch Glauben potenzierten Unwissen" aufgesessen.
Im Epilog über den "Kommunismus heute" zeigt Ryklin illusionslos, dass die heute überall im neuen Russland zu beobachtende Rückbesinnung auf die orthodoxe Religion durchaus nicht die Abkehr von der stalinistischen Vergangenheit bedeutet, sondern im Gegenteil mit einem neuen Glauben an den starken Staat verbunden ist.
Das Leninmausoleum mit der einbalsamierten Leiche als materialistische Reliquie, Stalins Status als Oberpriester der Partei, das quasireligiöse Pathos der Parteisprache, die eschatologische Heilserwartung in einer jeder Transzendenz beraubten "vergöttlichten" irdischen Welt, für deren zukünftiges Menschheitsziel "alles erlaubt" war und der Terror zum Gesetz wurde, und für das viele Menschen dennoch bereit waren, die höchsten Opfer zu bringen und ihrem Leben damit einen Sinn zu geben, demonstrieren die religiöse Natur des Bolschewismus. All das ist von Historikern und Zeitzeugen immer wieder thematisiert worden.
Auch Ryklins Buch ist nun nicht etwa eine systematische Untersuchung und Darstellung des Kommunismus als Religion. Sein eigentliches Thema ist im Untertitel formuliert: Die Intellektuellen und die Oktoberrevolution. Im Mittelpunkt seines Interesses steht ein anderer Aspekt: der Kommunismus nämlich - wie Raymond Aron es ausgedrückt hat - "als Opium der Intellektuellen". In Essays über Bertrand Russell, Walter Benjamin, Arthur Koestler, André Gide, Lion Feuchtwanger und Bert Brecht stellt er die Frage nach deren durchaus unterschiedlichem Verhältnis zur Sowjetunion und setzt sich noch einmal mit der ungeheuerlichen Verblendung zahlloser westlicher Intellektueller und Schriftsteller auseinander, die mit ihren apologetischen Berichten in den 20er und 30er Jahren das stalinistische Terrorregime in den Augen der Weltöffentlichkeit legitimierten.
Und hier nun hat Ryklin einen originellen Zugang gewählt, der angeregt ist von dem französischen Philosophen Jacque Derrida, dessen Mitarbeiter Ryklin war.
Derrida hatte 1990, nach der Rückkehr von seiner ersten Sowjetunionreise - also in der Hochzeit der Perestrojka - einen Essay "Rückkehr aus Moskau" verfasst, mit dem er schon im Titel ironisch an den Werktypus dieser Rückkehrberichte von Reisen aus der UdSSR anknüpft. Derrida ordnet dieses Genre der Heilssuche im gelobten Land, das die Intellektuellen zu ihrer Wahlheimat erklärt hatten, in die Tradition der Pilgerromane ein.
Als Prototyp dieser Gattung gilt ihm André Gides "Zurück aus der UdSSR". In diesem Buch macht schon das Vorwort mit dem Bild des homerischen Säuglings Demophon, der von Demeter, um ihn unsterblich zu machen, über dem Feuer gestählt werden soll, jedoch zu früh aus der Feuertaufe gehoben wird, die religiös-mythische Dimension dieser Textgattung deutlich. Das heißt sogar, das berühmte Buch André Gides von 1936 mit seiner bitteren Kritik an der Sowjetunion, für die er von linken Intellektuellen wie Romain Rolland schwer beschimpft wurde, demonstriert letztlich einen quasireligiösen Zugang zum Thema Sowjetunion.
Ryklin zeigt nun, wie in den Büchern dieser Autoren, die alle mit dem Kommunismus sympathisierten oder ihm äußerst nahe gestanden hatten, Kommunismus auf unterschiedliche Weise als Religion in Erscheinung tritt.
Bertrand Russell erkannte schon 1920 nach dem Besuch Sowjetrusslands mit einer Labour-Delegation im Bolschewismus einen neuen Glauben und war nicht bereit, intellektuellen Selbstmord zu begehen. Zitat: "Vielleicht ist Freiheitsliebe unvereinbar mit einem bedingungslosen Glauben an ein Allheilmittel für alles menschliche Leiden ... "
Walter Benjamin beobachtet und analysiert in seinem "Moskauer Tagebuch" in kritischer Solidarität sehr genau im Alltagsleben die Symptome der kommunistischen Religion.
Arthur Koestler, der Renegat, dem nach dem Bruch mit der Partei erst der Hitler-Stalin-Pakt endgültig die Augen geöffnet hatte, beschreibt in seiner Beichte, wie er sich unter dem Einfluss seines leidenschaftlichen Glaubens wie unter einem Halluzinogen in eine imaginäre Welt versetzt sah, die mit der Realität nichts mehr zu tun hatte.
Und Lion Feuchtwanger, dem nicht einmal die Teilnahme am Schauprozess gegen Radek und Pjatakov die Augen öffnete, bleibt in seinem berüchtigten Buch "Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde" trotz allem bei seinem dreifachen "Ja" zur sowjetischen Gesellschaftsordnung und zeigt damit ungewollt, dass gerade durch die Schauprozesse "der kommunistische Glaube in Reinform in Erscheinung trat".
Oder Bert Brecht, überzeugt davon, dass seine Bewunderung für die Oktoberrevolution nicht das Geringste mit Glauben zu tun habe und der auch seine Zweifel - zum Beispiel nach der Verhaftung seines Freundes Tretjakow - immer wieder rational zu durchdringen versuchte, war doch seinem "durch Glauben potenzierten Unwissen" aufgesessen.
Im Epilog über den "Kommunismus heute" zeigt Ryklin illusionslos, dass die heute überall im neuen Russland zu beobachtende Rückbesinnung auf die orthodoxe Religion durchaus nicht die Abkehr von der stalinistischen Vergangenheit bedeutet, sondern im Gegenteil mit einem neuen Glauben an den starken Staat verbunden ist.