Von Anfang an sieht sich der erste Sodré im Nordosten als Gründer eines Familienclans. "Ich glaube, daß er eine hohe Meinung von seinen Zuchtqualitäten hatte", sinniert über ihn ein Nachkomme. Der Stammvater begündet aber zuerst einmal ein Inzestgeschlecht. Denn sein Stolz und seine Selbstherrlichkeit verbieten es ihm, mit einer aus dem Volke Nachkommen zu zeugen. Also nimmt er sich seine viel jüngere Halbschwester zur Frau, die fast noch ein Kind ist. Und weil er es nicht erträgt, daß seine Tochter irgendwann einen anderen Mann heiraten wird, schläft er zuvor selbst mit ihr. Auch die Unschuld seiner Enkelin - Mariana heißt sie -, will er nicht ihrem zukünfigen Gatten überlassen. So macht der Erzähler mit seiner Inzestgeschichte unverdrossen weiter, verliert dabei mitunter selbst den klaren Kopf und schwelgt im Sumpf der Gefühle. Alles droht sich in dieser Familie zu wiederholen, als sei ihr der Inzest schicksalhaft eingeschrieben. Denn auch Marianas Mutter fühlt sich zu ihrem Halbbruder hingezogen. Und Mariana selbst pflegt ein inniges Verhältnis zu einer ihrer Verwandten.
"Es gibt daraus keinen Ausweg im Sinne einer Hintertür, durch die man entwischen könnte", so Nascimento Silva. "Aber nach und nach treten Veränderungen ein. Die Familie wächst, Mariana verliert den Kontakt mit ihren Enkeln, Urenkeln und Ururenkeln. Auch räumlich ist es schwierig für sie, mit ihnen in Verbindung zu bleiben. Sie wird weit über hundert Jahre alt und verläßt das Palmenhaus nur zwei- oder dreimal. Die Kinder und Enkel distanzieren sich, ziehen in die Welt hinaus, und Mariana ist immer stärker isoliert."
So geht es in Nascimento Silvas "Palmenhaus" vor allem um die geheimen, abgründigen Begierden des Menschen, wie sie am Rande der zivilisierten Welt wohl eher zutage treten mögen als andernorts, was Grund für das historische Ambiente sein könnte. Nascimento erläutert: "Inzest und weibliche Homosexualität werden in der Geschichtsschreibung normalerweise nicht thematisiert. Erst recht nicht in einem Land wie Brasilien, wo es eine offizielle Religion gegeben hat. Aber wie soll man die Zeit der Sklaverei beschreiben können, ohne diese Dinge zu integrieren? Die Sklaverei führt notwendigerweise zum Mißbrauch der Macht und damit zur Beherrschung der Frau durch den Mann. Andererseits: Worüber man normalerweise nicht spricht, das ist die Tatsache, daß die Frau in gewisser Hinsicht zu Hause einen viel größeren Einfluß hatte, als man denkt. Diese starken Frauen, von denen ich erzähle, widersetzen sich den Männern nicht direkt, aber sie erreichen alles, was sie wollen."
Erst Mariana gelingt es, mit ihren hellseherischen und magischen Fähigkeiten, den Inzestspuk zu bekämpfen. Aber nicht nur Inzest und Päderastie prägen die Beziehungen, sondern auch brachiale Gewalt und vollkommene Unterordung. Sowohl Täter als auch Opfer genießen das. "Es ist das Problem des Sadomasochimus", so Nascimento Silva. "Freud hat das ja sehr genau untersucht. Der Sadomasochismus ist ein Mittel, um eine Beziehung zu stimmulieren, um sie zu potenzieren. Und das hat einen sehr großen Anteil an der Sexualität. Aber mir geht es weniger um Sexualität als um Erotik. Und Erotik ist etwas sehr Schönes und etwas, das in der Kunst nur sehr schwer darzustellen ist. Diese Schwierigkeit zu bewältigen, hat mich gereizt."
Im Pferdestall kommt es schließlich zu sadomasochistischen Praktiken, bietet doch das reichlich vorhandene Zaumzeug die notwendigen einschlägigen Utensilien, wie Lederriemen, Lederpeitschen und manches mehr. Aber auch ästhetische Schwierigkeiten und Herausforderungen anderer Art hat der Autor zu bewältigen versucht. Nämlich die Wiedergabe unterschiedlicher Ausprägungen des Portugiesischen: "Was den Originaltext vor allem ausmacht, das ist sein Spiel mit Sprachrhythmen, mit den verschiedenen sprachlichen Akzenten. Ich unterscheide zwischen dem portugiesischen Portugiesisch der Kolonisatoren, dem brasilianischen Portugiesisch und dem Portugiesisch des brasilianischen Nordosten. Als Literaturprofessor sind mir die Versuche, regionale Akzente zu beschreiben und literarisch umzusetzen, bekannt. Das ist sehr schwer. Auch ich wollte diese Sprachebenen darstellen, nicht linguistisch, nicht wissenschaftlich. Viele Leser in Brasilien haben mir gesagt, sie hätten gedacht wie Portugiesen aus Portugal und nicht wie Brasilianer."
Von solcher Differenzierung ist in der Übersetzung leider nicht besonders viel zu spüren. Aber es scheint auch, als habe der Autor seine Ideen nicht immer so umsetzen können, wie man es sich gewünscht hätte. Seine Figuren kommen über ihre triebhaften Begierden und ihre Sorge um Nachkommenschaft und Herrschaft selten hinaus. Vielleicht war solche Schlichtheit der Grund dafür, daß mit magischen Elementen der Geschichte ein gewisser Zauber verliehen werden sollte. Mit seinen 640 Seiten verspricht der Roman jedenfalls eine lange Lektüre.