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Das Paradies schwarzweiß

Wer über wen schreibt, war über Jahrhunderte keine Frage: Männer schrieben über jeden, besonders gern über Frauen. Selten schrieben Frauen über Frauen und noch seltener Frauen über Männer. Das patriarchalische Welterklärungsmodell umfaßte eben auch die Deutungskompetenz fürs schwache Geschlecht, von dem man annahm, daß es sich nicht selbst deuten könne. Damit ist es zum Glück vorbei, auch wenn der entsetzliche Boom an "heiteren Frauenromanen" - allesamt von Autorinnen verfaßt - den Verdacht nicht zu zerstreuen vermag, die Selbstdeutungskompetenz werde nicht sonderlich tief ausgeschöpft. Daß eine Autorin sich eines männlichen Ich-Erzählers bedient, ist in der Literatur dieses Jahrhunderts alles andere als revolutionär, aber angesichts der Marktlage schon wieder auffallend. Romanleser sind bekanntlich Leserinnen, und die träumen dem Vorurteil zufolge von emanzipierten Heldinnen der zweiten nachfeministischen Generation. Bei Marianne Wiggins ist das alles etwas vertrackter, denn so eine Heldin hat sie wohl zu bieten - aber durch das Auge eines Mannes gesehen.

Florian Felix Weyh |
    Noah liebt Lilith, doch Lilith liebt Adam. Das ist exegetisch korrekt, denn wie der Talmud berichtet, handelte es sich bei Lilith um Evas Vorgängerin - die sich freilich so aufsässig gebärdete, daß Adam sie verschmähte. Eine der wenigen feministischen Mythen, weshalb die Frauenbewegung Lilith auf ihr Schild gehoben hat. Entsprechend stattet Marianne Wiggins ihre Lilith aus: Klein und zäh, mit breitem Rücken, unbeugsamen Willen und einem Beruf, bei dem alle einen Mann hinter ihrem Kürzel vermuten: Sie ist Kriegsberichterstatterin, das gnadenlos objektive Auge des Elends, Fotografin der französischen Agentur APF. In jeder Faser ihrer Erscheinung widerspricht sie dem abendländischen Eva-Klischee, und genau das scheint den amerikanischen Journalisten Noah an ihr zu faszinieren. Mitten in Kamerun treffen beide aufeinander, und Noahs Hände finden zielstrebig an Liliths Brust; er soll sie auf eine versteckte Kamera hin untersuchen. Kameras trägt sie ein halbes Dutzend unter dem Poncho, aber eben auch ein Paar Brustwarzen, die sich schon bei der leisesten Berührung versteifen - die Verheißung des totalen sexuellen Glücks. Wenig später liegt Lilith in Noahs Armen, und eine wilde, lustvolle Affäre beginnt, bis Lilith in London von einem rumänischen Minister angefahren wird und hinter dem eisernen Vorhang im Reiche Ceaucescus verschwindet. Das ist dann exegetisch nicht mehr korrekt, denn Lilith folgt Adam - nicht ins Paradies, sondern in die Hölle.

    Doch halt! Wo ein Buch entgleitet, müssen wir ihm als Leser zwar folgen, uns aber nicht im Urteil beirren lassen. "Das Paradies schwarzweiß" ist eine grandiose Liebesgeschichte im CNN-Milieu, unter den entwurzelten Jägern der Nachrichten, und gerade weil dieses Milieu jeder Heimatlichkeit entbehrt, tut sich plötzlich für Noah und Lilith eine Insel auf. Ein kleiner Fels in den Wirbeln der Weltgeschichte, nur noch bedroht von der unermeßlichen Gier, mit der beide sich gegenseitig zu verschlingen versuchen. Liebe als Gier, Gier als Lust, und Marianne Wiggins hat eine Sprache dafür gefunden, eine mächtige, schäumende, wogende, quirlende Sprache, einen Stil voller Unordentlichkeit, mit querschießenden Gedanken durch wundervoll sensible Dialoge, dann wieder den Wechsel zum Business-Stakkato des Nachrichtenjournalismus, zu den Macho-Phrasen der Kugelschreiberhelden. Notgedrungen schlägt sie über manche Stränge, und ihre Vorliebe für französische, italienische und englische Originalzitate übertrifft bei weitem das nötige Maß, um die babylonische Verlorenheit der Szenerie zu beglaubigen. Der eigentliche Gewinn liegt in der Erzählperspektive. Ihr Protagonist Noah ist so unverkennbar männlich, wie er zu unverkennbar weiblichen Reflexionen und Einsichten neigt. Die Gratwanderung gelingt, weil kein Gedanke und kein Exkurs die Figur beschädigt, sondern ihr eine zusätzliche Dimension beschert. So wie Noah seine Geliebte sieht, würden Frauen wohl immer gerne von Männern gesehen. Bei aller virilen Überlegenheitspose beneidet er sie nämlich. Lilith ist beides zugleich: die perfekte Frau und der bessere Mann.

    Im Kern ist "Das Paradies schwarzweiß" ein außerordentlicher Beleg dafür, wie spannend, lebendig und ganz und gar nicht abgegriffen heute eine Liebesgeschichte erzählt werden kann. Leider wechselt die Autorin im letzten Viertel das Genre. Während es ihr vorher über weite Strecken gelingt, die welthistorischen Umbrüche der Jahre 86 bis 89 in den privaten Kontext ihrer Figuren einzubinden, kippt die Geschichte mit dem Auftritt des rumänischen Handelsministers Adam in einen konventionellen Polit-Thriller um. Die Fakten gewinnen die Oberhand, Securitate-Greuel, Handel mit aidsverseuchtem Blut und schließlich eine britisch-rumänische Spionage-Episode. Zu viele Konzessionen an ein Publikum, das Oberflächenspannung erzählerischen Qualitäten vorzieht. Die Wiederbegegnung Liliths mit Noah auf den allerletzten Seiten lohnt allerdings das Durchhalten, denn Marianne Wiggins weiß um die tiefste Qualität der Liebe: die Versöhnung.