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"Das Parlament fühlt sich auf den Schlips getreten"

Der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Horst Eylmann, kann die Kritik aus der Regierungskoalition an Bundespräsident Horst Köhler nicht nachvollziehen. Das Staatsoberhaupt habe bei der Ausfertigung von Gesetzen ein Prüfungsrecht. Wenn Köhler der Überzeugung sei, dass ein Gesetz nicht dem Grundgesetz entspreche, "dann hat er nicht ein Wahlrecht, sondern er muss dann nach seiner Überzeugung handeln und darf das Gesetz nicht ausfertigen".

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Bundespräsident Horst Köhler als größter Kritiker der Bundesregierung, nachdem er kurz hintereinander zwei Gesetze stoppt und ein drittes wo möglich auch noch? Darüber jubelt natürlich die eigentliche Opposition, während die Fraktionsführer der Koalitionsparteien öffentlich und ungewohnt deutlich Kritik üben am Amtsverständnis von Köhler. Der Streit darüber schwelt seit Tagen und bekam heute mit einer weiteren Spekulation neue Nahrung. Wie der jüngste genannte Fall ausgehen wird, das bleibt abzuwarten. Über den schwelenden oder tatsächlichen Grundsatzkonflikt dahinter, um das Amtsverständnis des Bundespräsidenten, möchte ich jetzt sprechen mit Horst Eylmann, ehemaliger christdemokratischer Bundestagsabgeordneter und zum Schluss Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag Herr Eylmann!

    Horst Eylmann: Guten Tag Frau Klein!

    Klein: Ist die Kritik an Köhlers Amtsverständnis nach Ihrem Rechtsverständnis begründet?

    Eylmann: Nein, nicht im Geringsten. Ich kann diese Kritik nur unter Schwierigkeiten nachvollziehen. Diejenigen, die kritisiert haben, die wissen doch sehr genau, dass der Bundespräsident dieses Prüfungsrecht hat und wenn er zu der Überzeugung kommt aufgrund des Rates seiner Verfassungsjuristen, dass das Gesetz nicht dem Grundgesetz entspricht, dann hat er nicht ein Wahlrecht, sondern er muss dann nach seiner Überzeugung handeln und darf das Gesetz nicht ausfertigen.

    Klein: Das heißt er überdehnt nicht die Kompetenzen seines Amtes, aber er legt sie anders aus als seine Vorgänger und genau das darf er auch?

    Eylmann: Das darf er! Dazu ist er sogar verpflichtet. Ich meine die Kritiker sollten doch mal überlegen und sollten mal ermitteln, in wie vielen Fällen das Bundesverfassungsgericht in den letzten 10, 20 oder 30 Jahren Gesetze, die vom Bundestag verabschiedet worden sind, aufgehoben hat in einzelnen Bestimmungen, obwohl diese Gesetze von dem jeweiligen Bundespräsidenten ausgefertigt worden sind.

    Klein: Meinen Sie also, dass in der Vergangenheit die Bundespräsidenten zu vorsichtig waren, also eher Kritik an Köhlers Vorgängern gerechtfertigt wäre?

    Eylmann: Man muss sicherlich vorsichtig sein, wenn man Bundespräsidenten kritisieren will. In einigen Fällen sind sie zumindest an den Rand dessen gegangen, was noch vertretbar war.

    Klein: In welchen Fällen zum Beispiel?

    Eylmann: Das kann ich jetzt auf Anhieb nicht sagen, aber es hat ja Zweifelsfälle gegeben, zum Beispiel dieses Einwanderungsgesetz. Da sind ja erhebliche Zweifel geäußert worden. Dann ist das Gesetz doch ausgefertigt worden und dann hat das Bundesverfassungsgericht es für verfassungswidrig erklärt. Jedenfalls in diesem Fall, in diesen beiden Fällen, in denen der Bundespräsident die Ausfertigung jetzt abgelehnt hat, war die Rechtslage ziemlich eindeutig und ich habe noch von keinem renommierten Verfassungsrechtler in den letzten Tagen gehört, dass er anderer Meinung war.

    Klein: Es geht bei den Fällen, die Sie auch gerade geschildert haben, natürlich auch um die Frage: Wer soll ein Gesetz, was vielleicht nicht verfassungskonform ist, stoppen, der Bundespräsident selbst schon oder Karlsruhe? Die beiden Möglichkeiten gibt es. Das heißt man kann schon in der politischen Bewertung darüber streiten, wer da jetzt zuständig ist.

    Eylmann: Nein! Das kann man eigentlich nicht, weil der Bundespräsident derjenige ist, der schon bei der Ausfertigung prüfen muss, ob dieses Gesetz mit der Verfassung in Übereinstimmung steht. Er muss es prüfen und wenn er zu der Überzeugung kommt, es ist nicht verfassungsgemäß, dann darf er es nicht ausfertigen. Erst an letzter Stelle steht das Bundesverfassungsgericht.

    Klein: Wenn Sie der Meinung sind, dass der gegenwärtige Bundespräsident Horst Köhler sogar ein sorgfältigeres Amtsverständnis hat als vielleicht seine Vorgänger, wie ist dann die Kritik im Moment aus den Koalitionsfraktionen an ihm motiviert?

    Eylmann: Das Parlament fühlt sich auf den Schlips getreten, fühlt sich kritisiert und versucht jetzt, die Schuld auf einen anderen zu schieben. Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass der Rechtsausschuss, der zuständig ist für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit aller Gesetze, eigentlich diese Aufgabe nicht richtig wahrnehmen kann, weil er völlig überlastet ist und weil er auch nicht ein Sekretariat hat mit den erforderlichen Hilfskräften. Wer also jetzt die Sache verbessern will für die Zukunft, der muss den Rechtsausschuss in die Lage versetzen, diese Prüfung der Verfassungsmäßigkeit sorgfältiger als bisher zu machen. Das ist schon eine alte Geschichte. Ich habe im Rechtsausschuss selbst erlebt, dass wir die Prüfung einzelner Gesetze abgelehnt haben. Wir haben uns gar nicht damit befasst, was eigentlich rechtswidrig war, weil wir gesagt haben, wir können nicht innerhalb von 48 Stunden - und so knapp waren die Fristen manchmal - komplizierte Gesetze mit 100 Seiten auf die Verfassungsmäßigkeit prüfen. Insbesondere ging es um Steuergesetze. Es ist so, dass man sich allgemein auf die Verfassungsjuristen im Justizministerium verlässt. Das kann man auch in den meisten Fällen. Es wäre aber viel besser, wenn im Parlament selbst, im Bundestag selbst die Prüfung sorgfältiger erfolgen würde, und dort erfolgt sie eben nicht!

    Klein: Herr Eylmann das heißt für mich unterm Strich oder hört sich ein bisschen danach an, die Kritik an Köhler jetzt soll eigentlich dazu dienen, den Ruf der Bundesregierung herzustellen, von handwerklichen Fehlern abzulenken und auch von Defiziten, die offensichtlich im Parlament vorhanden sind?

    Eylmann: Richtig, richtig! Eigentlich müsste Herr Struck selbst mal - er weiß ja Bescheid, wie die Dinge liegen - zu der Erkenntnis kommen, dass man wohl bei manchen Gesetzen vorsichtiger sein muss. Man muss sorgfältiger prüfen und das hat man eben auch in der Vergangenheit schon nicht getan, weil es einfach nicht möglich war in der kurzen Zeit. Das Bundesverfassungsgericht hätte weniger zu tun, wenn erstens das Parlament sorgfältiger prüfen würde und wenn zweitens dann die nächste Kontrolle der Präsident wäre und an letzter Stelle dann das Bundesverfassungsgericht da wäre. Aber die Versuchung ist ja für das Parlament seit jeher groß gewesen, auch für die Regierung, insbesondere in kniffligen Fragen die Entscheidung einfach dem Bundesverfassungsgericht zuzuschieben.