"Also, Sie sehen: Es geht noch gerade die Treppe hinauf. Hier stehe ich, so davon berauscht, dass dieser wunderbare Saal mich empfängt."
Wohin auch immer er kommt, er wird gefeiert – für das, was er sagt.
"Habt Mut, habt Vertrauen! Die Welt kann aufgebaut werden, sodass man ihr würdig ist!"
Aber er wird auch für das gefeiert, was er ist: eine lebende Botschaft. Stéphane Hessel, der Gestapo-Haft, Folter und Buchenwald überlebt hat, steht für ein Dennoch, für die Hoffnung, dass die Welt ein besserer Ort werden kann: Wenn sich die Menschen empören über die Macht des skrupellosen Finanzkapitals, über den wachsenden Gegensatz von Arm und Reich, könnten sie die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Der Berliner Autor und Übersetzer Manfred Flügge versucht das Phänomen Hessel in seinem Buch "Stéphane Hessel – ein glücklicher Rebell" so zu fassen:
"Seine Leichtfüßigkeit hat etwas vom antiken Götterboten Hermes mit den Flügeln an den Sandalen und am Helm. Aber er hat keine Botschaft, er selber, Stéphane Hessel, verkörpert sie. Sein Leben ist ein Kunstwerk, sein Porträt ist nur als persönliches Kunst-Stück auszumalen, geflochten aus Erinnerungen, Reflexionen, Begegnungen."
Und so nennt Manfred Flügge sein Buch über Hessel zu Recht ein "Porträt" und nicht etwa eine Biografie. Dennoch umfasst das Porträt Hessels gesamtes Leben: Geboren 1917 in Berlin, Jugend in Frankreich, Résistance, Gestapo-Haft, Buchenwald, die Flucht aus dem KZ, Diplomat für Frankreich und die UNO – und nun seine späte Karriere als Autor, Redner und Medienstar. Manfred Flügge ist sicher der intimste Kenner der Hesselschen Familie in Deutschland. Dies hat er mit mehreren Veröffentlichungen in den 90er-Jahren nachgewiesen. Wer diese Bücher, aber auch Hessels Autobiografie "Tanz mit dem Jahrhundert" von 1997 kennt, wird vieles in diesem Porträt bis in Formulierungen hinein sehr ähnlich wiederfinden.
Flügge gibt dem familiären Hintergrund breiten Raum. Er setzt damit den Bezugsrahmen, ohne den Stéphane Hessel nicht erklär- und verstehbar ist. Hessels Vater, ein Flaneur und Schriftsteller, die Mutter eine lebenshungrige Journalistin, der Geliebte der Mutter und Freund des Vaters ein Kunsthändler, Autor und Schürzenjäger. Sie lebten den Roman "Jules et Jim", die Vorlage für Francois Truffauts legendären Film über die deutsch-französische ménage a trois. In diesem Klima, zwischen Künstlern und Lebenskünstlern, wuchs Hessel auf.
"Wenn man das Glück gerne annimmt und wenn man sich als glücklich empfindet und daher das Glück zu sich bringt, dann wird man glücklicher, als wenn man anfängt zu sagen: "Ich habe Pech; mir gelingt nichts." Und das empfinde ich sehr. Natürlich ist meine Mutter daran auch sehr schuldig: Sie hat mich als ein Glückskind empfunden und hat mir das Glück sozusagen in die Wiege gelegt."
Martin Flügge ist ein großer Bewunderer Stéphane Hessels, einiges liest sich jedoch allzu euphorisch und affirmativ – etwa, wenn er Hessel zur mythologischen Lichtgestalt verklärt. Dennoch gelingt es ihm, den späten Ruhm Hessels, der ihn erst 2008, im Alter von 91 Jahren, traf, zu erklären. Wenn es um Hessels harsche Israel-Kritik geht, verlässt auch Flügge das uneingeschränkte Wohlwollen.
"In einer komplexen Situation versucht er es mit einfachen Thesen. Und er steht eindeutig auf der Seite der Palästinenser. In Israel ist er inzwischen beinahe ein "persona non grata", zumal er wiederholt Gaza besucht und sich auch mit den Führern der Hamas getroffen hat. Diese Politik auf eigene Faust, als sei er eine kleine Großmacht, findet jedoch hier ihre Grenzen."
Interessant sind die Reflexionen über die wiederholten freundschaftlichen Begegnungen des Autors mit Hessel über 30 Jahre hinweg, noch mehr aber der Exkurs auf die heftigen Kontroversen, denen sich Hessel in Frankreich nach Erscheinen von "Empört Euch!" im Jahr 2011 stellen muss. Vor allem jüdische Publizisten wandten sich scharf gegen ihn – sie warfen ihm Einseitigkeit, Narzissmus und "laizistisches Frömmlertum" vor. Merkwürdig knapp belichtet wird Hessels Berufsleben als Diplomat. Den Bestseller "Empört Euch!" unterzieht Flügge einer ausführlichen Kritik. Dies hätte man sich auch für Hessels letztes Buch gewünscht, das ebenfalls gerade in Deutschland erschienen ist. "Wege der Hoffnung", das Hessel gemeinsam mit seinem Freund, dem französischen Philosophen Edgar Morin, geschrieben hat, will nunmehr konkret zeigen, wie die Welt zum Besseren gewandelt werden kann.
"Liebe Mitbürger, wir wollen den verfehlten Kurs einer verblendeten, verhängnisvollen Politik anprangern. Wir wollen einen verheißungsvollen politischen Ausweg aufzeigen. Die Globalisierung ist das Beste und das Schlechteste, das der Menschheit widerfahren konnte. Wenn unser Weltsystem die Geister, die es rief, nicht mehr loswerden kann, wird es zerfallen oder auf eine frühere Stufe zurücksinken."
Die Autoren wiederholen noch einmal die Kritik vom "Empört Euch!": am hemmungslosen Finanzkapitalismus, an Ausbeutung von Mensch und Natur und an einer angeblich unersetzlichen Wachstumsideologie. Dagegen setzen sie die Hoffnung auf Entschleunigung, auf Regionalisierung, auf eine neue Renaissance. Dabei müsse die UNO weit größere Kompetenzen bekommen. Statt auf materiellen Reichtum sollen die Menschen auf Solidarität und Spiritualität vertrauen. Die Landwirtschaft soll wieder bäuerlich, die Bürokratie vermenschlicht, der Konkurrenzdruck vermindert, die Moden abgeschafft, die Dörfer widerbelebt werden. Die Ideen der Autoren für die Wirtschaft reden jedoch Protektionismus, Dirigismus und anderen Vorstellungen das Wort, die eher im 19. als im 21. Jahrhundert wurzeln.
"In Frankreich wären vordringlich die kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern und Anstand und Moral wieder fest im Wirtschaftsleben zu verankern. Die Kleinproduzenten wären nach und nach vom unproduktiven Zwischenhandel zu befreien und bekämen ein Preisniveau garantiert, das sie unabhängig von Schwankungen auf den Rohstoffmärkten macht."
So erscheint Ratlosigkeit im Mantel des Visionären. Man kann das Buch naiv nennen; man kann einwenden, so etwas gehöre auf einen evangelischen Kirchentag. Zu Recht gibt es eine Scheu vor allumfassenden Plänen, die uns eine lichte Zukunft verheißen, denn sie endeten zu oft in Unterdrückung und Massenmord. Dies hieße jedoch, eine Stimme zu unterdrücken, die aus langer Lebenserfahrung heraus zumindest den Versuch unternimmt, eine Vision zu entwerfen, die dem zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen offensichtlich ungeeigneten Kapitalismus eine Alternative gegenüberstellt. Wer sich also über Stéphane Hessel informieren will, ist mit Manfred Flügges Porträt gut beraten; Hessels und Morins "Wege der Hoffnung" sind etwas für Menschen mit Visionen.
Manfred Flügge: Stéphane Hessel – ein glücklicher Rebell. Aufbau Verlag, 271 Seiten, 22,99 Euro
ISBN:978-3-351-02744-5
Stéphane Hessel und Edgar Morin: Wege der Hoffnung.
Ullstein Verlag, 72 Seiten, 9,99 Euro
ISBN: 978-3-550-08006-7
Wohin auch immer er kommt, er wird gefeiert – für das, was er sagt.
"Habt Mut, habt Vertrauen! Die Welt kann aufgebaut werden, sodass man ihr würdig ist!"
Aber er wird auch für das gefeiert, was er ist: eine lebende Botschaft. Stéphane Hessel, der Gestapo-Haft, Folter und Buchenwald überlebt hat, steht für ein Dennoch, für die Hoffnung, dass die Welt ein besserer Ort werden kann: Wenn sich die Menschen empören über die Macht des skrupellosen Finanzkapitals, über den wachsenden Gegensatz von Arm und Reich, könnten sie die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Der Berliner Autor und Übersetzer Manfred Flügge versucht das Phänomen Hessel in seinem Buch "Stéphane Hessel – ein glücklicher Rebell" so zu fassen:
"Seine Leichtfüßigkeit hat etwas vom antiken Götterboten Hermes mit den Flügeln an den Sandalen und am Helm. Aber er hat keine Botschaft, er selber, Stéphane Hessel, verkörpert sie. Sein Leben ist ein Kunstwerk, sein Porträt ist nur als persönliches Kunst-Stück auszumalen, geflochten aus Erinnerungen, Reflexionen, Begegnungen."
Und so nennt Manfred Flügge sein Buch über Hessel zu Recht ein "Porträt" und nicht etwa eine Biografie. Dennoch umfasst das Porträt Hessels gesamtes Leben: Geboren 1917 in Berlin, Jugend in Frankreich, Résistance, Gestapo-Haft, Buchenwald, die Flucht aus dem KZ, Diplomat für Frankreich und die UNO – und nun seine späte Karriere als Autor, Redner und Medienstar. Manfred Flügge ist sicher der intimste Kenner der Hesselschen Familie in Deutschland. Dies hat er mit mehreren Veröffentlichungen in den 90er-Jahren nachgewiesen. Wer diese Bücher, aber auch Hessels Autobiografie "Tanz mit dem Jahrhundert" von 1997 kennt, wird vieles in diesem Porträt bis in Formulierungen hinein sehr ähnlich wiederfinden.
Flügge gibt dem familiären Hintergrund breiten Raum. Er setzt damit den Bezugsrahmen, ohne den Stéphane Hessel nicht erklär- und verstehbar ist. Hessels Vater, ein Flaneur und Schriftsteller, die Mutter eine lebenshungrige Journalistin, der Geliebte der Mutter und Freund des Vaters ein Kunsthändler, Autor und Schürzenjäger. Sie lebten den Roman "Jules et Jim", die Vorlage für Francois Truffauts legendären Film über die deutsch-französische ménage a trois. In diesem Klima, zwischen Künstlern und Lebenskünstlern, wuchs Hessel auf.
"Wenn man das Glück gerne annimmt und wenn man sich als glücklich empfindet und daher das Glück zu sich bringt, dann wird man glücklicher, als wenn man anfängt zu sagen: "Ich habe Pech; mir gelingt nichts." Und das empfinde ich sehr. Natürlich ist meine Mutter daran auch sehr schuldig: Sie hat mich als ein Glückskind empfunden und hat mir das Glück sozusagen in die Wiege gelegt."
Martin Flügge ist ein großer Bewunderer Stéphane Hessels, einiges liest sich jedoch allzu euphorisch und affirmativ – etwa, wenn er Hessel zur mythologischen Lichtgestalt verklärt. Dennoch gelingt es ihm, den späten Ruhm Hessels, der ihn erst 2008, im Alter von 91 Jahren, traf, zu erklären. Wenn es um Hessels harsche Israel-Kritik geht, verlässt auch Flügge das uneingeschränkte Wohlwollen.
"In einer komplexen Situation versucht er es mit einfachen Thesen. Und er steht eindeutig auf der Seite der Palästinenser. In Israel ist er inzwischen beinahe ein "persona non grata", zumal er wiederholt Gaza besucht und sich auch mit den Führern der Hamas getroffen hat. Diese Politik auf eigene Faust, als sei er eine kleine Großmacht, findet jedoch hier ihre Grenzen."
Interessant sind die Reflexionen über die wiederholten freundschaftlichen Begegnungen des Autors mit Hessel über 30 Jahre hinweg, noch mehr aber der Exkurs auf die heftigen Kontroversen, denen sich Hessel in Frankreich nach Erscheinen von "Empört Euch!" im Jahr 2011 stellen muss. Vor allem jüdische Publizisten wandten sich scharf gegen ihn – sie warfen ihm Einseitigkeit, Narzissmus und "laizistisches Frömmlertum" vor. Merkwürdig knapp belichtet wird Hessels Berufsleben als Diplomat. Den Bestseller "Empört Euch!" unterzieht Flügge einer ausführlichen Kritik. Dies hätte man sich auch für Hessels letztes Buch gewünscht, das ebenfalls gerade in Deutschland erschienen ist. "Wege der Hoffnung", das Hessel gemeinsam mit seinem Freund, dem französischen Philosophen Edgar Morin, geschrieben hat, will nunmehr konkret zeigen, wie die Welt zum Besseren gewandelt werden kann.
"Liebe Mitbürger, wir wollen den verfehlten Kurs einer verblendeten, verhängnisvollen Politik anprangern. Wir wollen einen verheißungsvollen politischen Ausweg aufzeigen. Die Globalisierung ist das Beste und das Schlechteste, das der Menschheit widerfahren konnte. Wenn unser Weltsystem die Geister, die es rief, nicht mehr loswerden kann, wird es zerfallen oder auf eine frühere Stufe zurücksinken."
Die Autoren wiederholen noch einmal die Kritik vom "Empört Euch!": am hemmungslosen Finanzkapitalismus, an Ausbeutung von Mensch und Natur und an einer angeblich unersetzlichen Wachstumsideologie. Dagegen setzen sie die Hoffnung auf Entschleunigung, auf Regionalisierung, auf eine neue Renaissance. Dabei müsse die UNO weit größere Kompetenzen bekommen. Statt auf materiellen Reichtum sollen die Menschen auf Solidarität und Spiritualität vertrauen. Die Landwirtschaft soll wieder bäuerlich, die Bürokratie vermenschlicht, der Konkurrenzdruck vermindert, die Moden abgeschafft, die Dörfer widerbelebt werden. Die Ideen der Autoren für die Wirtschaft reden jedoch Protektionismus, Dirigismus und anderen Vorstellungen das Wort, die eher im 19. als im 21. Jahrhundert wurzeln.
"In Frankreich wären vordringlich die kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern und Anstand und Moral wieder fest im Wirtschaftsleben zu verankern. Die Kleinproduzenten wären nach und nach vom unproduktiven Zwischenhandel zu befreien und bekämen ein Preisniveau garantiert, das sie unabhängig von Schwankungen auf den Rohstoffmärkten macht."
So erscheint Ratlosigkeit im Mantel des Visionären. Man kann das Buch naiv nennen; man kann einwenden, so etwas gehöre auf einen evangelischen Kirchentag. Zu Recht gibt es eine Scheu vor allumfassenden Plänen, die uns eine lichte Zukunft verheißen, denn sie endeten zu oft in Unterdrückung und Massenmord. Dies hieße jedoch, eine Stimme zu unterdrücken, die aus langer Lebenserfahrung heraus zumindest den Versuch unternimmt, eine Vision zu entwerfen, die dem zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen offensichtlich ungeeigneten Kapitalismus eine Alternative gegenüberstellt. Wer sich also über Stéphane Hessel informieren will, ist mit Manfred Flügges Porträt gut beraten; Hessels und Morins "Wege der Hoffnung" sind etwas für Menschen mit Visionen.
Manfred Flügge: Stéphane Hessel – ein glücklicher Rebell. Aufbau Verlag, 271 Seiten, 22,99 Euro
ISBN:978-3-351-02744-5
Stéphane Hessel und Edgar Morin: Wege der Hoffnung.
Ullstein Verlag, 72 Seiten, 9,99 Euro
ISBN: 978-3-550-08006-7