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Das politische Ringen um den Atomausstieg

Der Atom-GAU von Fukushima hat das globale Verhältnis zur Atomkraft verändert. Am nachhaltigsten wohl die schwarz-gelbe Regierungskoalition. Sie bewegte sich von einer Laufzeitverlängerung zum - geplant - weltweit schnellsten Umstieg auf Erneuerbare: Anatomie einer atomaren Rolle rückwärts.

Von Christel Blanke |
    "Die Geschehnisse in Japan, sie sind ein Einschnitt für die Welt. Wenn schon in einem Land wie Japan mit sehr hohen Sicherheitsstandards nukleare Folgen eines Erdbebens und einer Flutwelle augenscheinlich nicht verhindert werden können, dann kann auch ein Land wie Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen."

    Sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel am 12. März, jenem Tag, den sie als Atomkraftbefürworterin beginnt und als Skeptikerin beendet. Später erzählt sie, als sie die Fernsehberichte über die Explosion im Kernkraftwerk Fukushima gesehen habe, hätte sie den Impuls gehabt, die Entscheidung vom vergangenen Herbst und damit die Sicherheitsstandards in Deutschland noch einmal auf den Prüfstand stellen zu müssen. Damals hatte die Bundesregierung beschlossen, auszusteigen aus dem Atomausstieg. Das schwarz-gelbe Energiekonzept mit den längeren Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke ist damit nach gerade einmal einem halben Jahr überholt. Innerhalb von drei Monaten soll ein neues Konzept her. Die wichtigste Änderung, an der sich alles andere ausrichten muss: Die Laufzeitverlängerung wird zurückgenommen. Und nicht nur das. Nach mehreren langen Sitzungen im Kanzleramt verkündet ein zufriedener Bundesumweltminister Norbert Röttgen am vergangenen Freitag:

    "Bekannterweise werden ja acht Kernkraftwerke, die jetzt auch nicht am Netz sind, auch nicht mehr ans Netz gehen. Dann wird das nächste Kernkraftwerk im Jahre 2015 vom Netz gehen, dann ein weiteres im Jahre 2017, dann ein weiteres im Jahre 2019, drei weitere 2021 und die drei jüngsten im Jahre 2022."

    Die Bundesregierung legt sich auf einen stufenweisen Ausstieg fest. Das hatten Umweltverbände, Oppositionspolitiker, die Ethikkommission und zuletzt alle 16 Bundesländer ausdrücklich verlangt. Ein festes Datum für jeden einzelnen Meiler. Ein paar Tage zuvor wollte die Regierung noch die neun jüngeren Anlagen innerhalb von nur zwölf Monaten - von Dezember 2021 bis Dezember 2022 - abschalten. Ein Hintertürchen, klagten Kritiker. Denn dann würde womöglich wieder die Diskussion aufkommen, ob so viele Atomkraftwerke auf einen Schlag ersetzt werden können.
    Der Atomausstieg ist also besiegelt. Doch damit beginnt ein noch viel größeres Problem. Denn nun muss die Regierung alles daran setzen, den Atomstrom durch erneuerbare Energien zu ersetzen und später auch den größten Teil fossiler Energie aus Kohle oder Gas. Neue Kraftwerke müssen gebaut werden, um den Ökostrom zu erzeugen und Leitungen, um ihn im Land zu verteilen. Bisher ist der Netzausbau viel zu langsam vorangekommen. Speicherkapazitäten müssen entwickelt werden, denn Strom aus Wind und Sonne steht nicht rund um die Uhr zur Verfügung. Diverse Gesetze und Gesetzesnovellen müssen dafür in kurzer Zeit geschrieben werden. Zum beschleunigten Ausbau von Anlagen und Netzen, zur Förderung erneuerbarer Energien, zur Gebäudesanierung, zur Finanzierung und zum Atomausstieg selbst. Am Montag wird das Kabinett das Paket auf den parlamentarischen Weg bringen.

    "Die Grundfrage der Beherrschbarkeit von Gefahren, die ist mit dem heutigen Tag neu gestellt."

    Norbert Röttgen ist der Erste, der es öffentlich ausspricht. Am 12. März, einen Tag nach dem Beben und dem Tsunami in Japan, reagiert die Bundesregierung auf die Atomkatastrophe von Fukushima. Angela Merkel lädt zur Lagebesprechung ins Kanzleramt. Nur wenige Stunden, nachdem zum ersten Mal von der drohenden Kernschmelze die Rede ist, verkündet sie:

    "Ich finde an einem solchen Tag darf man nicht einfach sagen: Unsere Kernkraftwerke sind sicher. Sie sind sicher. Und trotzdem muss man nachfragen, was ist zu lernen aus einem solchen Ereignis."

    Zwei Tage später spricht FDP-Chef Guido Westerwelle von einer neuen Risikoanalyse und kann sich auf Nachfrage auch ein Moratorium vorstellen. Damit ist die Nachricht in der Welt: Die Regierung will die erst im vergangenen Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerungen aussetzen.

    "Dieses Moratorium gilt für drei Monate. Über das, was das für die einzelnen Kernkraftwerke bedeutet, sind wir mit den Betreibern im Gespräch. Damit kein Zweifel entsteht: Die Lage nach dem Moratorium wird eine andere sein als die Lage vor dem Moratorium."

    Was das unmittelbar für die einzelnen Kernkraftwerke bedeutet, darauf haben die Betreiber aber keinen Einfluss. Nach einem Treffen mit den Regierungschefs der Länder mit AKW-Standorten - zufällig gehören sie alle der CDU und der CSU an - verkündet die Kanzlerin am 15. März: es wird eine neue Sicherheitsüberprüfung geben:

    "Und zwar dergestalt, dass die Kernkraftwerke, die vor dem Ende des Jahres 1980 in Betrieb gegangen sind, dabei stillgelegt werden für die Zeit des Moratoriums, also außer Betrieb sind für die Zeit des Moratoriums. Und die anderen Kernkraftwerke, die nach Ende 1980 in Betrieb gegangen sind, den Betriebe während der Sicherheitsüberprüfung aufrechterhalten werden können."

    Bund und Länder schaffen Fakten. Nach und nach werden die Betreiber von den Aufsichtsbehörden angewiesen, die betroffenen Meiler vom Netz zu nehmen: Neckarwestheim I und Philippsburg I in Baden-Württemberg, Isar I in Bayern, Biblis A und B in Hessen, Unterweser in Niedersachsen und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Der benachbarte Reaktor Krümmel ist ohnehin nach einer Pannenserie außer Betrieb.

    Rechtlich bewegen sich Bund und Länder auf dünnem Eis. Sie berufen sich auf den Paragrafen 19 Atomgesetz, der eine Abschaltung als vorsorgende Gefahrenabwehr erlaubt. Kritiker sagen, durch die Katastrophe in Japan hat sich die Gefahrenlage in Deutschland nicht verändert. Umweltminister Norbert Röttgen widerspricht:

    "Eine sogenannte abstrakte Gefahr reicht aus, muss ausreichen, weil die denkbaren Schäden ja enorm sein können. Und darum gilt hier ein äußerster Gefahrenmaßstab, also Gefahrenvorsorge, und aus diesem Gesichtspunkt haben wir gehandelt."

    Auch die Kritik am Begriff Moratorium weist Röttgen zurück. Gemeint sei ein Moratorium im politischen, nicht im juristischen Sinn. Trotzdem befürchten einige Länder hohe Schadenersatzforderungen der Betreiber. Und in der Tat: Am 1. April reicht RWE wegen der Abschaltung von Biblis A und B Klage ein. Der Vorstand sei den Aktionären verpflichtet und müsse Vermögensschäden vermeiden. Vorstandschef Jürgen Großmann:

    "Wir brauchen einfach die Wahrung unserer Rechtsposition, dass, wenn ein Schaden eintritt, wir zumindest uns bemühen, formaljuristisch diesen Schaden ausgeglichen zu bekommen."

    Die anderen Konzerne halten sich zunächst zurück. E.ON-Chef Johannes Teyssen hat aber inzwischen angekündigt, gegen die Kernbrennstoffsteuer zu klagen, die trotz der nun wieder kürzeren Laufzeiten erhoben werden soll:

    "Wer keine Brücke will, kann auch keine Brückenmaut nehmen."

    Allen vier Konzernen geht die plötzliche Wende zu schnell. Doch RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall werden dieses Mal nicht gefragt. Im vergangenen Herbst hatten sie bei den entscheidenden Verhandlungen über die Laufzeitverlängerung noch mit am Tisch gesessen. An einem Abend im Kanzleramt wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Der Minister für Reaktorsicherheit, Norbert Röttgen, der aus seiner skeptischen Haltung zu längeren Laufzeiten nie einen Hehl gemacht hatte, war nicht dabei.

    Auch die rot-grüne Bundesregierung hatte damals ihren sogenannten Atomkonsens mit den Konzernen ausgehandelt. Dafür brauchte es allerdings mehr als eine lange Nacht.
    Nach jahrelangem Hin und Her wurde im Juni 2000 eine Vereinbarung getroffen, die erst ein Jahr später, am 11. Juni 2001, von beiden Seiten unterzeichnet wurde. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder:

    "Wir haben ein klares Ende für die Nutzung der Kernenergie festgelegt. Das vereinbarte Verfahren trägt zugleich aber auch den berechtigten Anliegen der wirtschaftlichen Interessen der Energieversorgungsunternehmen Rechnung."

    Trotzdem beugen sich die Konzerne damals nur widerwillig. E.ON-Chef Ulrich Hartmann antwortet:

    "Wir müssen das Ausstiegsziel der Bundesregierung akzeptieren, aber wir stimmen ihm nicht zu."

    Und damit stehen die Betreiber nicht allein. Auch die damaligen Oppositionsparteien CDU, CSU und FDP lehnen die Vereinbarung ab. Erst anderthalb Jahre später verabschiedet der Bundestag mit den Stimmen von SPD und Grünen die Novelle des Atomgesetzes. Von parteiübergreifendem Konsens keine Spur. Friedrich Merz, Chef der Unionsfraktion, kündigt an:

    "Die CDU/CSU wird nach dem nächsten Regierungswechsel diese Entscheidung rückgängig machen. Sie ist nicht unumkehrbar."

    Und so kommt es dann auch. Im Herbst 2010 wird mit den Stimmen der schwarz-gelben Regierungskoalition der Ausstieg aus dem Ausstieg besiegelt.

    "Sie haben ein Protokoll zitiert, von dem der BDI inzwischen erklärt hat, dass meine Ausführungen falsch wiedergegeben worden sind."

    Nur Spott und Häme hat die Opposition Ende März für diesen Satz des damaligen Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle übrig. Nach einem Treffen mit Industrievertretern kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird in einem Protokoll festgehalten:

    "Der Minister wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien."

    Auch wenn Union und FDP es bestreiten: Ein Zusammenhang mit den Wahlen ist nicht von der Hand zu weisen. Baden-Württemberg steht für die CDU auf der Kippe. Nach den Auseinandersetzungen um das Bahnprojekt Stuttgart 21 sieht alles nach einem Regierungswechsel aus. Ein Ende der CDU-Regierungszeit in Stuttgart wäre ein Schlag für die Bundes-CDU und die schwarz-gelbe Regierung in Berlin. Und so reagiert Ministerpräsident Stefan Mappus, bis dahin ein ausgewiesener Atomstrombefürworter, umgehend auf die Ereignisse in Japan:

    "Kernkraftwerke, die nicht den erforderlichen Sicherheitsansprüchen genügen, werden abgeschaltet. Nicht in sieben Jahren, nicht in 15 Jahren, nicht in 20 Jahren, sondern sofort."

    Kurz zuvor hatte der CDU-Mann - am Landesparlament vorbei - dem französischen Energiekonzern EDF dessen Anteile am deutschen Energieriesen EnBW für mehr als viereinhalb Milliarden Euro abgekauft. Die Landesregierung in Stuttgart ist nun Miteigentümer von Atomkraftwerken. Entsprechend groß ist eigentlich Mappus' Interesse an möglichst langen Laufzeiten. Noch im Herbst ist der atomkritische Bundesumweltminister ihm ein Dorn im Auge:

    "Ich erwarte, dass der Kollege Röttgen zurückgepfiffen wird. Und ich sage auch, ich bin nicht mehr bereit, die Eskapaden des Bundesumweltministers zu akzeptieren."

    Mappus Sinneswandel ist nicht einzigartig in der Union im Frühjahr 2011.
    Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer schlägt für einen CSU-Chef völlig neue Töne an:

    "In Isar I dürfen wir jetzt, was die Flugzeugabstürze betrifft, nicht nur nach Wahrscheinlichkeiten gehen, sondern von der Möglichkeit ausgehen eines Flugzeugabsturzes oder Anschlages. Und alles, was möglich ist, muss ausgeschlossen werden."

    Die Wahl in Baden-Württemberg geht für die CDU trotzdem verloren. Neuer Ministerpräsident wird Winfried Kretschmann, ein Grüner. Damit ändern sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Hatte die Bundesregierung ihr Energiekonzept im Herbst noch ohne Beteiligung der Länderkammer auf den Weg gebracht, geht die Kanzlerin nun auf die Ministerpräsidenten zu. Zunächst allerdings nur auf die Unions-Regierungschefs, in deren Länder Atomkraftwerke stehen. Erst nach heftigem Protest trifft sie sich mit Vertretern aller 16 Bundesländer. Die Regierung stößt bei den Ländern auf Widerstand. Sie verlangen einen Stufenplan mit konkreten Daten für die Abschaltung der Atomkraftwerke. Sie wehren sich dagegen, dass der Bund die Planung für den Ausbau der Leitungsnetze an sich ziehen will. Innerhalb weniger Tage haben es die Bundesländer geschafft, parteipolitische Differenzen auszuräumen und mit einer gemeinsamen Position in die Gespräche mit der Kanzlerin zu gehen. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff, CDU, sagt nach einer Sondersitzung der Ministerpräsidenten:

    "Wir haben 16:0 uns auf wesentliche Punkte des Vorgehens verständig."

    Zum ersten Mal dabei ist auch der neue, grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Auch er ist zufrieden:

    "Wir haben uns hier auf sehr breitem Plafond geeinigt. Jetzt wird man sehen, was die Kanzlerin dazu sagt."

    Sie beugt sich zumindest mit Blick auf den geforderten Stufenplan. Die Netzplanung bleibt umstritten. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern soll nun Details ausarbeiten. Die Zustimmung der Länder wird im Grunde nicht gebraucht. Alle Gesetze sollen so formuliert werden, dass sie ohne ein Ja des Bundesrates auskommen. Doch Angela Merkel hofft auf die Unterstützung der Länder und auch der Oppositionsparteien. Sie will einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, damit nicht noch eine Wahl wegen des strittigen Themas verloren geht.

    "Diese Ethikkommission wird die Aufgabe haben, Risiken zu bewerten und einzuordnen. Das heißt, sie wird sich auf der einen Seite mit den Fragen der Sicherheit der Kernenergie beschäftigen, aber auf der anderen Seite auch mit der Schlüssigkeit der Frage: Wie kann ich den Ausstieg mit Augenmaß so vollziehen, dass der Übergang ins Zeitalter der erneuerbaren Energien ein praktikabler ist, ein vernünftiger ist."

    Nur wenige Tage nach der Entscheidung für ein Moratorium beauftragt die Bundesregierung die Reaktorsicherheitskommission, die ihr seit Jahrzehnten in kerntechnischen Fragen beiseite steht, alle 17 deutschen Atomkraftwerke noch einmal unter verschärften Anforderungen auf den Prüfstand zu stellen. Und Bundeskanzlerin Merkel ruft ein neues Gremium ins Leben. Die Ethikkommission. Besetzt mit Vertretern aller gesellschaftlich relevanter Gruppen, wie sie sagt. Umweltverbände sind aber nicht dabei. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion, Peter Altmaier, verteidigt die Zusammensetzung des Gremiums gegen Kritik aus der Opposition:

    "Wir haben die Ethikkommission so zusammengesetzt, dass sie überschaubar ist, dass sie arbeitsfähig ist und dass sie imstande ist, eine Debatte zu führen, die in weiten Teilen öffentlich geführt werden wird."

    Aber nicht im Parlament. Die Opposition schäumt, fühlt sich übergangen. Die Diskussion um die künftige Energieversorgung gehöre in den Bundestag, nicht in eine Experten-Kommission. Die SPD beantragt einen Sonderausschuss "Atomausstieg und Energiewende". Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wirbt um die Zustimmung von Union und FDP.

    "Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Sie alle miteinander wirklich der Meinung sind, dass wir über diese existenzielle Frage in diesem Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen und einem Sonderausschuss nicht wirklich vertieft beraten müssen. Warum lassen Sie das eigentlich mit sich machen?"

    Die Frage bleibt unbeantwortet. Fest steht nur: Sie lassen es mit sich machen. Der Antrag scheitert an der schwarz-gelben Mehrheit im Parlament. Bundestagspräsident Norbert Lammert fordert, die Entscheidung über das Energiekonzept nicht nur auf eine Mehrheit der Koalition zu stützen. Der "Wirtschaftswoche" sagt der CDU-Politiker, die Entscheidung zur Laufzeitverlängerung im Herbst ohne Beteiligung der Opposition und des Bundesrates sei auch ein Fall von Hochmut gewesen.

    Dass es ohne die Opposition nicht geht, wenn das künftige Energiekonzept von der gesamten Gesellschaft getragen werden soll, weiß auch die Kanzlerin. Am 9. Mai lädt sie deshalb die Spitzen von SPD, Grünen und Linkspartei ins Kanzleramt ein. Weitere Treffen folgen Ende Mai. Die Kanzlerin stellt ihre Pläne vor. Verhandelt wird nicht.

    "Es ist ein ganz, ganz trauriger Ausgangspunkt, der uns diese Debatte eingetragen hat. Und zweitens guck ich gar nicht so viel zurück und ich hab auch gar nicht das Bedürfnis so viel von Recht haben zu reden."

    Der in den eigenen Reihen so viel gescholtene Bundesumweltminister gibt sich bescheiden, obwohl er durch die erneute Wende in der Energiepolitik nachträglich recht bekommt. Schon Anfang 2010 warnt Norbert Röttgen seine Partei davor, ausgerechnet die in der Bevölkerung unbeliebte Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal zu machen. Röttgen will zwar auch längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke, aber bei Weitem nicht so lange wie andere in der Union. Durchsetzen kann er sich damit nicht. Im Gegenteil: der Minister für Reaktorsicherheit gerät ins Abseits, ist bei wichtigen Gesprächen nicht dabei.

    Nach dem Atomunglück in Japan wendet sich das Blatt. Röttgen wirbt nun auf allen Ebenen erneut für seine Position:

    "Liebe Freunde, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie herzlich hier im Konrad-Adenauer-Haus begrüßen …"

    Auf einer Veranstaltung mit Funktionsträgern aus den Ländern und Kommunen wird trotzdem eines ganz klar: Parteispitze und Basis trennen Welten. "Was ist denn nun eigentlich in Deutschland so anders als vor der Katastrophe in Japan?" wird gefragt. Und: Warum diese Eile? Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU-Kreisvorsitzender im Landkreis Leipzig:

    "Wir haben 2009 Frau Merkel mit der Laufzeitverlängerung in der Wahl durchbekommen. Das war alles nicht selbstverständlich. Wir haben das ganz offen gespielt das Thema und wir wurden gewählt, Frau Merkel wurde gewählt, unsere Regierung. Und wir kriegen in der CDU-Basis diesen Schwenk zurzeit nicht vermittelt."

    Unverständnis herrscht vor allem beim Wirtschaftsflügel der Partei. Hermann Kühnapfel, Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU in Brandenburg, verlangt:

    "Verschieben Sie diese Gesetzgebung."

    Doch an Verschieben denkt die Vorsitzende nicht.

    "Vielleicht ist das jetzt auch einfach mal der Zeitpunkt, wo man sagt: entscheiden, entscheiden, entscheiden, entscheiden."

    Auch die FDP muss in kurzer Zeit Überzeugungen über Bord werfen. Der neue Vorsitzende und Wirtschaftsminister Philipp Rösler verspricht aber seiner Partei und den Wählern, die FDP werde die "Stimme der Vernunft" sein. Rainer Brüderle, Ex-Wirtschaftsminister und frisch gewählter Fraktionschef stößt auf dem Parteitag Mitte Mai ins gleiche Horn:

    "Ja, wir steuern um. Ja, wir erhöhen das Tempo. Aber wir sind die einzige Partei, die den Verstand noch im Kopf hat und die Ehrlichkeit gegenüber der Bevölkerung bewahrt, umsteuern mit Verstand und Ehrlichkei, und nicht wieder die Menschen in Deutschland täuschen."

    Die FDP will die Kernenergie laut Vorstandsbeschluss "so schnell wie möglich, aber nicht schneller als möglich" hinter sich lassen. Doch auch bei den Liberalen ist so manchem das Tempo zu hoch. Holger Ellerbrock aus Nordrhein-Westfalen wirft seiner Partei vor, sich von der emotional geführten Debatte anstecken zu lassen:

    "Die Hysterie, Fukushima mental nach Westeuropa zu übertragen, geht doch völlig fehl. Haben wir Tiefseegräben mit 10.000 Metern Tiefe vor unseren Küsten? Haben wir denn zirkumpazifische Vulkanrücken hier? Haben wir eine Gefahr von Tsunamis hier? Nein!"

    Und trotzdem: Die schwarz-gelbe Koalition steigt aus der Atomenergie. Den Zeitplan kann sie allerdings nicht so einhalten, wie sie es sich vorgestellt hat. Zwar wird das Kabinett am kommenden Montag die notwendigen Gesetze verabschieden. Doch der Weg durch das parlamentarische Verfahren wird länger als geplant. Am 17. Juni sollte der Bundesrat abschließend beraten. Doch die Länder spielen nicht mit. Das gibt auch den Abgeordneten im Parlament, die das von der Regierung geforderte Tempo immer wieder beklagen, mehr Zeit. Am 30. Juni soll der Bundestag über die Energiewende befinden. Der Bundesrat dann am 8. Juli den Schlusspunkt setzen.

    Anmerkung der Onlineredaktion: Unterdessen hat das Bundeskabinett den Ausstieg beschlossen:

    Atomausstieg in trockenen Tüchern - Regelungen sollen noch vor der Sommerpause in Kraft treten