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Das Porträt in der Malerei

Die Bildbeispiele lesen sich wie ein who is who der Porträtkunst: Hans Holbeins ‚Kaufmann Georg Gisze', van Dycks ‚Karl I. bei der Jagd', Rubens' ‚Selbstbildnis mit Isabella Brant in der Geißblattlaube', die ‚Madame Récamier' von Jacques-Louis David oder van Goghs ,Armand Roulin', schließlich die geradezu besessenen Selbstbefragungen von Künstlern des zwanzigsten Jahrhunderts: Corinth, Ensor, Schiele, Picasso, Beckmann. ‚Das Porträt in der Malerei': so könnte der Arbeitstitel für eine systematische Darstellung verschiedener Kategorien des Porträts lauten oder für eine Studie zur Bildnistheorie. Andreas Beyer hat aber gerade nicht Belege für eine am Schreibtisch ersonnene entwicklungsgeschichtliche Strukturierung zusammengesucht, sondern umgekehrt zweihundert ‚highlights' der Gattung zum Maßstab für deren künstlerische Möglichkeiten und zu Wegweisern einer chronologischen Darstellung gemacht.

Martina Wehlte |
    Gleichwohl ist daraus kein populistisches Meisterwerke-Buch geworden, sondern eine wissenschaftlich profunde Monographie, die binnen kurzem zum Standardwerk avancieren wird. Dass sie exzellent geschrieben ist und mit der Auswahl und Qualität der meist farbigen, ganzseitigen Abbildungen einen Augenschmaus für jeden Kunstfreund bietet, ist wieder einmal der glücklichen Allianz des Hirmer-Verlages mit einem renommierten Autor zu danken. Andreas Beyer hat eine Professur für Kunstgeschichte in Aachen inne, ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Kunstgeschichte und hat u.a. zur Kunst der italienischen Renaissance und zur deutschen Klassik publiziert.

    Im vorliegenden Band spannt er den zeitlichen Bogen von der Antike bis zur Gegenwart, wobei er ab dem fünfzehnten Jahrhundert, als das Bildnis in den Niederlanden zu erster Blüte gelangte, jedem Saeculum ein Kapitel widmet. Jan van Eycks berühmtes Doppelporträt Giovanni Arnolfinis und seiner Frau von 1434 markiert nicht nur die Loslösung des autonomen Porträts aus dem Funktionszusammenhang des Stifterbildnisses und vom Status einer Assistenzfigur. Es zeigt auch, wie sich Bedeutungsebenen überlappen können - ein Hochzeitsbild als Zeugnis der Liebe und als Dokument eines Rechtsvorgangs, als Standesporträt von offiziellem Charakter, als Erinnerungsbild privatem Zweck dienend.

    Beyer legt an Bildbeispielen verschiedener Epochen dar, dass am Porträt das jeweils gültige Selbstverständnis des Menschen und die künstlerischen Idiome, die man dafür als geeignet empfand, besonders deutlich ablesbar sind. Was macht nun das Wesen des Porträts aus, seinen geistigen Gehalt? Welche inhaltlichen und gestalterischen Konstanten gibt es im Entwicklungsverlauf dieser Gattung? Beyer:

    ... die bedeutendste Konstante ist wohl, dass es bei dem Porträt in der Malerei, aber auch vielleicht in der Skulptur grundsätzlich darum geht, ein Abbild zu schaffen und dieses Abbild gewissermaßen mit zwei Problemen kämpfen muss, nämlich einmal Wirklichkeit abzubilden und das innere Wesen in dem Porträt sichtbar werden zu lassen; der Begriff ‚Porträt' kommt ja von ‚protrahere', herausziehen - also das Nichtsichtbare sichtbar zu machen, Wirklichkeit darzustellen und zugleich - und das ist der Konflikt - natürlich Idealisierung und gegebenenfalls auch Überhöhung anzustreben, also die Figur zu interpretieren. Gelegentlich auch zu nobilitieren und also von der tatsächlichen Erscheinung, dem tatsächlichen Wesen vielleicht auch dann wieder abzusehen.

    Das ist sicher der kleinste gemeinsame Nenner. - Und welches sind die gravierendsten Unterschiede im Verlauf der Entwicklung?

    Das Porträt ist immer auch Gegenstand weiterreichender künstlerischer Anliegen, die sich im Porträt wie in anderen Gattungen, dem Genre, aber auch vielleicht in der Historienmalerei ein Feld suchen, um neu zu experimentieren, ästhetische Erfahrungen, zeitgenössische jeweils zu übersetzen und insofern entspricht das Porträt auch allen anderen Gattungen und ist da gleichberechtigt neben der Historienmalerei im Grunde anzusiedeln.

    Die Ursprünge des Porträts liegen zweifellos in der antiken Plastik, sein Status ist unter Archäologen allerdings strittig. Andreas Beyer geht davon aus, dass es das autonome Porträt in der Antike noch nicht gab. Das belegen sowohl Bildwerke wie die berühmte Marmorbüste des Perikles im British Museum in London - als auch Münzbilder mit dem im Profil gegebenen Herrscherantlitz, in dem politische Topoi festgeschrieben waren. So fällt - vor dem Hintergrund unseres allgegenwärtigen Jugendlichkeitswahns - am antiken Porträt häufig eine schonungslose Wiedergabe des Alters auf. Beyer legt dar, dass dieses Erscheinungsbild durchaus nicht der Wirklichkeit entsprechen sollte, sondern ebenso künstlich erzeugt war, wie heute das jugendliche Ideal in der Reklamewelt. Weisheit und Tugend des Alters symbolisierten politische Vollkommenheit und dienten einer Nobilitierung des Dargestellten, der allenfalls anhand einer Inschrift zu identifizieren ist.

    Andere Typisierungen lassen sich aus den Erfordernissen religiöser Riten herleiten und sind durch ihre Funktion als Weihgeschenk bestimmt oder als imago clipeata, das ist das Bildnis eines Verstorbenen an der vorderen Sarkophagwand, wie auch als Christoformitas, dh. als Konkretion des Gottesebenbildlichkeits-Gedankens im frühen Christentum, wie er im Schweißtuch der Veronika seine früheste Ausprägung hat.

    Ein am natürlichen Erscheinungsbild orientierter Begriff des Individuellen entstand durchaus schon im Mittelalter, doch zu freieren künstlerischen Lösungen kam es erst später.

    Es entwickelt sich am Beginn der Neuzeit, also mit dem späten vierzehnten Jahrhundert, Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts, dann namentlich auch in den Niederlanden und in den mittel- und nordeuropäischen Gebieten, ein Bewusstsein davon, dass der Mensch um seiner selbst willen abbildungswürdig ist, also losgelöst von Kontexten religiöser Art etwa, wo sich auch dann die Raumfülle, wenn man so will, des Porträts oder des Porträtierten steigert vom Profil zum Dreiviertelporträt bis zur en-face-Ansicht, die dann bald auch zu größeren Formaten führt, die also das Hüftstück oder auch später im sechzehnten Jahrhundert die Ganzfigur entstehen lässt. Das ist Ausdruck eines ganz gewandelten Menschenbildes; man bringt das in Zusammenhang mit dem Nominalismus, also jener an der Wirklichkeit orientierten Empirie, die auch den Menschen in seinem eigenen Recht plötzlich als Gegenstand der Kunst entdeckt.

    Dieser Entwicklungsstrang lässt sich bis ins siebzehnte, achtzehnte Jahrhundert verfolgen, wobei sich innerhalb der Gattung zunehmend deutlicher Untergattungen herausbildeten, etwa das Familienbildnis, das Gruppenbild, das Standes- und das Berufsporträt; das Staatsporträt, das 1702 mit Hyacinthe Rigauds prunkvoller Inszenierung Ludwigs XIV. in dem überlebensgroßen Gemälde des Louvre einen fulminanten Höhepunkt erreichte. Ausgehend von den drei royalistischen Kernsätzen "L'état, c'est moi", "Ceci est mon corps" und "Le portrait de César, c'est César" gelingt es Andreas Beyer, den programmatischen Charakter dieses berühmten Werks allein im kleingedruckten Bildkommentar schlüssig herauszustellen, wie die Bildlegenden übrigens generell für sich lesbar sind. Im fortlaufenden Text wird nicht nur durch eine auf's Wesentliche konzentrierte Formanalyse und eine kenntnisreiche inhaltliche Deutung der komplexe Sinngehalt dargelegt; sondern das repräsentative Bild wird auch als eine Fallstudie für den zwischen den europäischen Höfen - hier dem französischen und dem spanischen - vollzogenen Kunstexport in diplomatischer Mission behandelt. Kunst wird hier als politisches Medium unmittelbar ersichtlich, und das Gemälde, das für die Ausbildung des Typus Staatsporträt folgenreich war, erscheint als exemplarische Lösungsmöglichkeit für eine der Aufgaben des Bildnisses immer eingebettet in den malerischen Diskurs. Es entspricht der Logik dieses Ansatzes, wenn kurz darauf Francois Bouchers verführerisches Boudoirbild eines nackten ruhenden Mädchens folgt, das zu einer Art Bewerbungsbild der künftigen Mätresse König Ludwigs XV. wurde.

    Hoch-Zeiten des Porträts waren - und das ist aus dem jeweiligen soziokulturellen Kontext zu erklären - beispielsweise das siebzehnte Jahrhundert - besonders in den Niederlanden - und, mit einer geradezu inflationären Bildnisproduktion, das neunzehnte Jahrhundert. Damals entbrannte in Frankreich ein Streit darüber, ob man das Porträt, das durch außerkünstlerische Vorgaben stärker reglementiert erschien als andere Bildgattungen, zugunsten der wahren, der künstlerischen Erfindung - inventio - verpflichteten Malerei aus dem Salon verbannen sollte. In der Kunstproduktion unserer Tage spielt das Porträt eher eine untergeordnete Rolle, und Andreas Beyers relativ karge Auswahl von Gemälden aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts - Warhol, Richter, Baselitz, Imi Knoebel - scheint diesen Eindruck zu bestätigen. Gleichwohl sieht er keinen Niedergang des Porträts, der ja im Zeitalter medialer Überflutung nahe läge, vielmehr einen fundamentalen Wandel und einen Bedeutungszuwachs des modernen Porträts seit Picassos Bildnis der Gertrude Stein, nämlich hin zu einer expliziten Interpretation des Menschen.

    Diese Interpretation ist sicher etwas, was die Malerei des Porträts über die Jahrzehnte und auch in der Nachkriegsmalerei immer wieder ausgezeichnet hat. Wenn die Beispiele am Ende spärlich sind, dann weil tatsächlich die Anzahl vielleicht gar nicht so viel geringer ist in der Produktion, aber die Positionen eindeutiger. Also ich glaube, dass sich eben mit dem Fotorealismus eine Position, also Chuck Close, artikuliert, die in vielen anderen Beispielen auch hätte aufgelistet werden müssen, aber die dann nur hätte repetiert erschienen sein können. Das andere ist natürlich, dass eine Position wie die von Baselitz oder auch die der Abstraktion, wie im Falle Imi Knoebels, extreme Positionen benennen, in denen das Porträt heute steht und immer wieder verhandelt wird. Ich glaube die Kunst wird das auch nicht tun: aufhören sich mit dem Bild des Menschen zu beschäftigen, weil sie das erste und nächste Moment seiner selbst ist.