Keine Laienchöre, nur Schauspieler kommen in Volker Löschs neuer Inszenierung vor. Und es gibt auch keine richtigen Shakespeare-Figuren, obwohl das Stück "Das Prinzip Jago" heißt. In ihm kämpfen Menschen von heute um die richtige Haltung zur Welt. Eine Hauptfigur heißt Nick Walter und arbeitet beim Fernsehen. Mit seiner Unzufriedenheit scheint er irgendwie Jagos Welthaltung nahe. So stellt er auf einer von einem geschwungenen Holzsteg bestimmten leeren Bühne seine aggressive Grundhaltung aus:
"Wie ungeheuer sich die Welt vereinfacht, wenn sie auf ihre Zerstörungswürdigkeit geprüft wird. Zerstörung ist das große Band, das alles Bestehende einträchtig umschlingt. Der Anblick von Zerstörtem schafft mir ein Schauspiel tiefster Harmonie."
Othello wird das nicht mehr, erklärt der Schauspieler Stefan Diekmann als Nick. Dabei entpuppt er sich als ein destruktiver Charakter. Wir sehen ihn lustvoll in einer kleinen Essener Fernsehredaktion seine Kollegen manipulieren. Die kämpfen um ihre Karrieren, aber auch um verantwortungsvolle, ehrliche Recherchen. Und darum, gegen die Schnelligkeit der sozialen Medien zu bestehen.
Während der Darsteller des Nick seine Figur als Klischee eines bösen Intriganten gibt: Dazu führt er seinen Körper schleimig aggressiv und mit bösem Dauergrinsen und in Schlangenbewegungen durchs Geschehen. Das macht er virtuos, allerdings mit immer den gleichen recht monotonen Tanzbewegungen.
Arbeit von Fernsehjournalisten
Gelegentlich hört man an diesem über drei Stunden langen Abend auch Zitate von Shakespeare, aber insgesamt liefert die Inszenierung von Volker Lösch weder eine Überschreibung noch eine Aktualisierung von Shakespeares "Othello". Sondern sie beschäftigt sich damit, wie Fernsehjournalisten es in einer unübersichtlich gewordenen Welt schaffen können, diese schnell und wahrhaftig abzubilden.
Angeregt von der amerikanischen Netflix-Serie "House of Cards" haben Volker Lösch, Oliver Schmaering und Ulf Schmidt Monate lang in einem sogenannten Writers Room zusammengearbeitet.
Entstanden ist mit ihrem Nick Walter eine Figur, die die Schwächen einer "neoliberalen Angst-Gesellschaft" und deren Manipulierbarkeit sichtbar macht und zugleich bösartig.
Als sich auf dem Essener Kennedyplatz Flüchtende, einheimische normale Bürger und rechte Protestler zu Tausenden zusammenfinden, gelingt es Nick, gegen die Intention seiner Redaktion, die Sprecherin der Rechten vor der Kamera ihre rechte Klischeegesinnung vortragen zu lassen. Und als er voller Lust die Redaktionsmitglieder mit bösen Intrigen gegeneinander ausspielt, bricht die Redaktion auseinander. Sogar zu Mord und Totschlag kommt es.
"Es wird Zeit, dass ich ein paar Wahrheiten verkünde, um die Welt auf den rechten Weg zu bringen, nicht wahr. Mehr Sendeplatz für mich, Raum schaffen für die Wahrheit, weniger von deren Wahrheit. Seien Sie kühn, blicken Sie der Gefahr ins Auge. Lassen Sie die gefährlichen Vorstellungen in ihren Kopf. Was, wenn die Bösen die Guten, die Guten die Bösen sind. Wenn Hitler ein Weltverbesserer und Stauffenberg ein Terrorist war."
Die Rechten gelangen in die entscheidenden Positionen
Am Schluss finden sich in der neu zusammengesetzten Redaktion die Rechten in den entscheidenden Positionen. Die Inszenierung arbeitet mit unentwegtem Einsatz von Live-Kameras. Das gibt dem Geschehen Farbe und Bewegung auf der Bühne, aber nur selten vermitteln die Kameras neue Informationen. Gezeigt werden auch vorgefertigte Interviews von hoffnungsfrohen Geflüchteten und von "besorgten" Essener Bürgern, deren Angstvisionen absurd wirken.
In welche Schwierigkeiten heute Redaktionen kommen, wenn sie zugleich schnell und korrekt, also erst nach dem Wahrheitsbeweis einer Information, diese öffentlich machen wollen, das vermittelt die Essener Inszenierung sehr genau.
Leider aber überzeugt die Inszenierung schauspielerisch und inszenatorisch nicht immer. Zuweilen wirkt sie arg redundant, dann wieder ist sie von enervierend lärmender Aufgedrehtheit, ohne dabei rechte Spannung zu entwickeln. Dabei besitzen etliche Schauspieler durchaus Präsenz und das Ensemble überzeugt in ruhigeren Szenen durchaus.
Am Schluss erzählt ein türkischer Journalist im Video, wie er in der Türkei erlebte, dass die Pressefreiheit unter Druck und Verbot geriet. Spätestens hier haben wir die didaktische Inszenierung "Das Prinzip Jago" verstanden. Es ist eine Arbeit, die zwar thematisch überzeugt, aber inszenatorisch nicht zu den stärksten von Lösch gehört.
Infos:
Premiere am 1. Oktober im Grillo-Theater Essen
Premiere am 1. Oktober im Grillo-Theater Essen