„So könnte das künftige Kabinett aussehen“ – unter dieser Überschrift berichtete am 20. November der Nachrichtensender ntv über eine „Ministerliste“. Eine eben solche Liste mit Namen und Ressortzuteilungen kursiere in Berlin und liege ntv vor. Quelle und Wahrheitsgehalt allerdings seien „vollkommen unklar“, heißt es weiter. „Aber da Spekulationen interessant sind, entscheiden wir uns dazu, die Liste hier zu dokumentieren.“
Eine Aussage und Vorgehensweise, die unter Hauptstadtjournalisten zum Teil für Verwunderung und Kritik sorgte. „Entweder habe ich eine Kabinettsliste von Quellen, denen ich vertraue oder eine Liste kursiert“, kommentierte etwa ARD-Hauptstadtkorrespondent Moritz Rödle auf Twitter. Einen Artikel in einem ernstzunehmenden Medium schreibe er aber nur in einem der beiden Fälle, so der Journalist.
Vor einer Veröffentlichung müsse es immer darum gehen, die Quelle genau zu klären, betont Ulrich Deppendorf gegenüber dem Deutschlandfunk. Der ehemalige Studioleiter und Chefredakteur Fernsehen im ARD-Hauptstadtstudio mahnt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit zugespielten Informationen: „Das ist Handwerk, und da kann man sich auch nicht damit herausreden: Hier wird spekuliert.“ So vorzugehen, sei nicht seriös.
„Das Tratschthema des Hauptstadtjournalismus“
Dass während Koalitionsverhandlungen einzelne Namen kursierten, sei nicht ungewöhnlich, stellt Katharina Hamberger vom Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio im Kollegengespräch mit @mediasres fest. Diese Gedankenspiele seien spannend, „aber ich schaue da auch kritisch drauf“, so Hamberger.
„Man muss sich das vorstellen wie das Tratschthema des Hauptstadtjournalismus“, erklärt die Journalistin. Und weil es sich um „viel Spekulation“ handle, müsse man eben auch vorsichtig sein.
Alle Jahre wieder: Durchstechen von angeblichen Kabinettslisten
Ein Problem sei etwa die Überprüfung, „weil ja aus diesen Koalitionsrunden kaum jemand etwas sagt“. Alles werde dort vertrauensvoll behandelt, und so hätten sich die genannten Namen auch „schnell entzaubert“.
"SZ"-Analyse: Lobbyisten sind wohl verantwortlich
„Das Problem mit der Liste ist offensichtlich.“ Zu diesem Schluss kommt die „Süddeutsche Zeitung“ in einer Einordnung. Bei näherem Hinsehen könne das Papier gar nicht aus dem engeren Kreis der Verhandler kommen, halten die Autoren fest und begründen das inhaltlich unter anderem damit, dass einzelne genannte Namen eigentlich gar nicht in Frage für bestimmte Posten kommen würden.
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Am Werk seien „fantasievolle, wenn auch teils gut informierte Kreise“, und zwar, erklärt die "SZ" weiter: „Interessenvertreter von Unternehmen und Verbänden, die im Regierungsviertel den politischen Betrieb beobachten und beeinflussen“. Diese „etwa 6.000 in Berlin arbeitenden Lobbyisten“ müssten sich neu orientieren. Die Verschwiegenheit der Ampel-Verhandler mache das „noch mal komplizierter“.
Deppendorf: Durchstechen kein neues Phänomen
Im Zuge dieser Verhandlungen hätten „in wenigen Fällen konkrete Texte das Licht der Öffentlichkeit erblickt“, heißt es hierzu in einer Analyse der „Tagesschau“. In den letzten Tagen seien sogar gleich „mehrere Listen“ aufgetaucht, und dass diese „aus dem innersten Kern der Verhandlungen stammen“, sei „sehr unwahrscheinlich bis ausgeschlossen“.
Interessierte Gruppen, lancierte und geleakte Informationen – all das sei nicht neu, sagt Ulrich Deppendorf. Dass diese „andere Seite“ so Politik machen wolle, auch das habe es schon immer gegeben. Für den Journalismus gelte deshalb: „Das muss man wissen und das kann man kommentieren, wenn man eine Liste veröffentlicht.“
Denn, das gehöre ebenfalls zur Wahrheit, so Deppendorf: Dokumente aus Verhandlungen zu veröffentlichen, sei nun mal Teil des „normalen Pflichtgeschäfts“ für Journalistinnen und Journalisten. Auch und vor allem in Berlin.