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"Das Problem nicht an der Wurzel gepackt"

Gestern Abend ist der Nukleargipfel in Washington zu Ende gegangen. Jürgen Trittin, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, sagt, die Teilnehmer seien nicht bereit, aus ihren Absichtserklärungen Konsequenzen zu ziehen. Wolle man die Gefahr des illegalen Umgangs mit spaltbarem Material mindern, müsse man aufhören, die Atomtechnologie zu verbreiten.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Der amerikanische und der russische Präsident sind sich einig, kurz vor Mitternacht in Washington. Das Treffen ist ein Erfolg, ein wichtiger Schritt in Sachen internationales Kontrollregime für Nuklearwaffen und für nuklearfähiges Material. Über 40 Staats- und Regierungschefs saßen mit am Konferenztisch, auch China war mit dabei, was per se als positives Signal gewertet wurde. Darüber sprechen wollen wir nun mit Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Er ist nun bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Jürgen Trittin: Guten Morgen.

    Müller: Herr Trittin, ist die Welt wirklich sicherer geworden?

    Trittin: Man hat viele gute Absichtserklärungen gehört, aber das Problem nicht an der Wurzel gepackt, und die dort versammelten sind gleichzeitig nicht bereit, aus diesen Absichtserklärungen Konsequenzen zu ziehen. Wenn man die Gefahr des illegalen Umgangs mit spaltbarem Material mindern will, dann muss man aufhören, zusätzliches Spaltmaterial zu produzieren. Da gibt es die USA, die neue Atomkraftwerke bauen, da gibt es Deutschland, die Laufzeiten verlängern wollen. Und da muss man vor allen Dingen aufhören, diese Technologie weltweit zu verbreiten. Da ist Deutschland seit neuestem ja wieder vorne weg. Wiederaufarbeitungstechnologie, Anreicherungstechnologie, für all das gibt es Exportgarantien, also Steuersubventionen aus Deutschland, und so trägt Deutschland mit dazu bei, die Gefahr, die weltweit als extrem groß identifiziert wurde, zu vergrößern, allen schönen Absichtserklärungen in Washington zum Trotz.

    Müller: Da wird die Kanzlerin aber, wenn sie jetzt zurückkehrt nach Deutschland – sie geht jetzt erst mal nach Kalifornien und will dort Arnold Schwarzenegger treffen, aber irgendwann kommt sie ja zurück -, sehr überrascht sein, dass Sie sagen, es geht ja eigentlich um Atomenergie und Atomkraftwerke.

    Trittin: Sie könnte einfach, wenn sie nach Deutschland zurückkommt, zum Beispiel folgendes tun: sie könnte den Forschungsreaktor in Garching schließen. Das ist der einzige Forschungsreaktor weltweit, der nach wie vor hoch angereichertes Uran produziert. Genau dieses, worauf zum Beispiel Mexiko und Kanada jetzt gesagt haben, sie wollen auf solches Uran verzichten, genau das, was wir dem Iran vorwerfen, dass er zu Forschungszwecken Anreicherungsanlagen betreibt, genau dieses wird in Deutschland bis zu einem Grat getrieben, der weltweit einmalig waffenfähig ist. Das heißt, wer über die Gefahr des nuklearen Terrorismus spricht, aber von der anhaltenden Produktion von Atommüll und nuklearem Material und von dem Export von Nukleartechnologie schweigt, wie es Deutschland tut, der ist schlicht und ergreifend unglaubwürdig, der verhält sich heuchlerisch.

    Müller: Habe ich Sie, Herr Trittin, denn richtig verstanden, wenn Sie sagen, in Garching gibt es eine Sicherheitslücke?

    Trittin: Ich habe nicht von Sicherheitslücke gesprochen; ich hatte einfach darauf hingewiesen, dass Garching der einzige Standort in der Welt ist, wo in einem Nichtverbreitungsstaat nach dem Atomwaffensperrvertrag waffenfähiges Uran angereichert wird, und dass dies eine Quelle für Gefahren ist, das kann man nicht mehr bestreiten. Da waren sich übrigens die Teilnehmer einig. Wir praktizieren das, was jetzt gerade als Erfolg von Washington hochgehalten wird, nämlich den Verzicht zum Beispiel von Mexiko auf den Besitz genau dieses Urans.

    Müller: Dann hätte Barack Obama sich die ganze Schose sparen können?

    Trittin: Ich denke, das war ein Schritt in die richtige Richtung. Man hätte daraus nur Konsequenzen folgen lassen müssen, und eine der Konsequenzen ist schlicht und ergreifend, die Produktion von Spaltmaterial und die Verbreitung dieser Technologie, die grundsätzlich immer für unfriedliche Zwecke nutzbar ist, diese tatsächlich zu beschränken, statt in der alten Logik sich fortzusetzen, wir bauen weiter munter nukleare Anlagen für angeblich zivile Zwecke und wundern uns hinterher über den Iran, über Nordkorea und andere Sicherheitsprobleme.

    Müller: Wenn wir jetzt auch noch weltweit darauf warten, Herr Trittin, dass die Atomenergie gecancelt wird, dann müssen wir, glaube ich, noch lange warten. Reden wir mal über den Aspekt ...

    Trittin: Das glaube ich nicht, weil wenn ich das richtig sehe, werden fast nirgends in der Welt noch nukleare Atomkraftwerke gebaut, außer dort, wo es massive staatliche Subventionen gibt, und diese massiven staatlichen Subventionen haben in der Regel ganz wenig mit Energiepolitik und ganz viel mit sicherheitspolitischen Interessen zu tun.

    Müller: Blicken wir auf den Iran. Es hat wieder einmal, sagen die Kritiker, keine Sanktionen gegeben. Sind Sie für Sanktionen gegen Teheran?

    Trittin: Ich bin dafür, dass der Iran darauf zurückgeführt wird, dass er sich strikt im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages bewegt. Das hat er lange Zeit nicht getan. Er ist nach wie vor nicht hinreichend zur Kooperation mit der IAEO, also der Atomenergiebehörde in Wien bereit. Den Iran dazu zu bringen, bedarf der Geschlossenheit der Weltgemeinschaft. Da scheint es einen Schritt in die richtige Richtung gegeben zu haben. Ich bin aber ziemlich sicher, dass vieles von dem, was jetzt einige Leute erwarten an Ausmaß an Sanktionen, so nicht stattfinden wird.

    Müller: Sind Sie für Sanktionen?

    Trittin: Ich halte Sanktionen nicht für einen Selbstzweck. Deswegen bin ich dafür, dass der Iran dazu gebracht wird, sich im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages zu verhalten. Wenn dazu Sanktionen der Weltgemeinschaft sinnvoll sind, soll man sie machen. Bisher scheint das Angebot aus Druck und Gegenleistung im Iran nicht so gewesen zu sein, dass es zum Erfolg geführt hätte.

    Müller: Herr Trittin, vielleicht machen wir hier einen thematischen Schnitt. Ein zweiter Aspekt der Sicherheitspolitik beschäftigt derzeit die Gemüter, vor allem ja auch in Berlin. Wieder einmal ist es Afghanistan, der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch, und wir hören mal, was die Kanzlerin in der vergangenen Woche dazu gesagt hat.

    O-Ton Angela Merkel: Unser Einsatz in Afghanistan verlangt von uns Politikern, den Tatsachen ins Auge zu sehen und sie klar zu benennen. Im Völkerrecht nennt man das, was in Afghanistan in weiten Teilen herrscht, einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt. Die meisten Soldatinnen und Soldaten nennen es Bürgerkrieg oder einfach nur Krieg, und ich verstehe das gut.

    Müller: Verstehen Sie das auch gut?

    Trittin: Ja! Aber das ist eher ein Appell an die eigene Adresse von Frau Merkel gewesen. Bis zum Herbst letzten Jahres hat sie so getan, als ginge es in Afghanistan eben nicht um einen bewaffneten Konflikt, sondern darum, dass eine Art bewaffnetes Technisches Hilfswerk dort Brunnen baut. Das heißt, die Realität in Afghanistan ist von der Kanzlerin und dem damaligen Verteidigungsminister systematisch schön geredet worden. Erst die letzten Ereignisse haben gezeigt, dass diese Schönrederei niemandem hilft, vor allen Dingen den Soldatinnen und Soldaten vor Ort nicht.

    Müller: Sigmar Gabriel, SPD-Parteichef, war etwas entsetzt, wie er sich ausgedrückt hat. Er sagt, unter diesen Bedingungen, wenn dort Krieg ist und die Bundesregierung offiziell oder inoffiziell umgangssprachlich, wie Guttenberg sagt, von Krieg spricht, dann hätten wir das Mandat nicht mitgetragen. Hat er da Recht?

    Trittin: Das muss Herr Gabriel entscheiden. Wir haben gesagt, wegen der Defizite beim zivilen Aufbau, wegen der mangelnden Aufbau- und Abzugsperspektive in diesem Mandat hat die Mehrheit meiner Fraktion diesem Mandat nicht zugestimmt. Ich war verwundert, dass die SPD der Regierung an dieser Stelle einen Freifahrtsschein gegeben hat. Nur muss man sich über eines im Klaren sein: Im Völkerrecht gibt es den Begriff "Krieg" überhaupt nicht. Da gibt es eben nur den Begriff des "bewaffneten Konflikts". Insofern ist die Verwendung des Wortes Krieg immer umgangssprachlich und nie völkerrechtlich.

    Müller: Wie haben Sie denn abgestimmt im Bundestag?

    Trittin: Wir haben uns weitgehend enthalten.

    Müller: Ich meine Sie persönlich.

    Trittin: Ich auch! Ich habe mit der Mehrheit meiner Fraktion dieses getan, weil wir der Auffassung sind, es ist richtig, eine bestimmte internationale Präsenz in Afghanistan zu haben. Dazu gehört aber auch eine verbindliche Abzugsperspektive und man kann nicht permanent die Situation dort schön reden und jedes Mal, wenn ein neues Mandat kommt, dieses aufstocken. Das war die grundsätzliche Haltung der großen Mehrheit meiner Fraktion. Die SPD hat sich anders verhalten.

    Müller: Wenn ich Sie also richtig verstanden habe, Herr Trittin, für Sie ändert die Rede vom Krieg nichts an den Tatsachen?

    Trittin: Nein. Wir sind vorher davon ausgegangen, dass es in weiten Teilen Afghanistans oder in bestimmten Teilen Afghanistans, insbesondere um Kundus – in Feisabad und Badakhshan sieht es anders aus – faktisch kriegsähnliche Zustände gibt und dass das Mandat, so wie die USA, wie ISAF und wie übrigens der Sicherheitsrat die Richtlinien für den Einsatz dort festgelegt hat, im Kern diesem entspricht. Die Bundesregierung hat dieses nicht vernünftig umgesetzt. Zu einem solchen Stabilisierungseinsatz in einem Kriegsgebiet gehört eben auch ein sehr viel massiverer Ausbau im Bereich der zivilen Hilfe, ein sehr viel schnellerer und massiverer Ausbau der Polizeihilfe. Diese Defizite haben eine Mehrheit meiner Fraktion bewogen, diesem Mandat nicht zuzustimmen.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Trittin: Danke Ihnen.