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Das Rätsel von Rügen

Vor zwei Wochen kam die Meldung aus Afrika, letztes Wochenende aus Italien und Bulgarien. Diesen Mittwoch ist das Virus H5N1 auch in Deutschland entdeckt worden. Mit einer so schnellen Ausbreitung der Vogelgrippe hatten auch die pessimistischsten Wissenschaftler nicht gerechnet und rätseln nun, wie das Virus seinen Weg in die Schwäne gefunden hat. Wildvögel sterben, aber wie groß ist die Gefahr fürs Hausgeflügel und den Menschen?

Mit Beiträgen von Kristin Raabe und Martin Winkelheide, Moderation: Monika Seynsche |
    H5N1: Karriere eines Virus

    Frühjahr 1997 Hongkong: Die Vogelgrippe bricht aus. Der Erreger, H5N1 ist ungewöhnlich aggressiv. Bis November 1997 hat er auch 18 Menschen infiziert, sechs davon sterben. Eine Massenschlachtung von 1,8 Millionen Hühnern, Enten und Gänsen beendet den Ausbruch der Tierseuche.

    Dezember 2003 Südostasien: Das Virus H5N1 ist zurück. Die Vogelgrippe grassiert in Thailand, Vietnam, Südkörea, Japan und Indonesien. Unbestätigten Berichten zufolge ist auch China jetzt schon betroffen.

    Februar 2004 Südostasien: H5N1 hat 35 Menschen infiziert, 24 sterben. Die Notschlachtung von Millionen Hühnern, Enten und Gänsen kann die Ausbreitung der Vogelgrippe nicht verhindern.

    Juli 2004: China räumt erstmals Fälle von Vogelgrippe ein. Der Erreger wird in Zugvögeln nachgewiesen. Auch unter Wildvögeln fordert das Virus seine Opfer. Gegen alle anderen Vogelgrippeviren waren sie bislang immun.

    Dezember 2004: 68 Menschen in Vietnam, Kambodscha und Indonesien sind infiziert: 25 sterben. Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einer Pandemie mit Millionen Toten.

    Juli 2005: Das Virus breitet sich von Fernost nach Russland und Kasachstan aus.

    August 2005: Die Europäische Union verhängt einen Importstop für Geflügel aus Russland und Kasachstan. Er gilt bereits für neun asiatische Staaten.

    September 2005: Hühner, Puten, Enten und Gänse müssen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern in den Ställen bleiben, um eine Übertragung der Vogelgrippe durch Zugvögel zu verhindern.

    Oktober 2005: Die Vogelgrippe hat Europa erreicht. Der Erreger H5N1 kann in Rumänien, im europäischen Teil Russlands und dem asiatischen Teil der Türkei nachgewiesen werden. Außerdem gibt es einen Verdachtsfall in Griechenland. Die Stallpflicht gilt nun bundesweit.

    Dezember 2005: Die Stallpflicht für deutsches Geflügel endet Mitte des Monats. In der Ukraine weisen Experten H5N1 in fünf Orten nach. Rumänen meldet weitere Fälle von Vogelgrippe nahe der bulgarischen Grenze.

    Januar 2006: Zur Bekämpfung der Vogelgrippe fordern die Vereinten Nationen von der Staatengemeinschaft umgerechnet 1,1 Milliarden Euro. In der Türkei werden 14 Menschen wegen Vogelgrippe behandelt. Es gibt mehr als 100 Verdachtsfälle.

    11. Februar 2006: H5N1 hat Italien und Griechenland erreicht. Experten finden das Virus in Schwänen. In tauchen auch in Slowenien, Bulgarien und Österreich infizierte Vögel auf.

    14. Februar 2006: Die Vogelgrippe ist in Deutschland angekommen. H5N1 kann auf der Insel Rügen in zwei infizierten Schwänen nachgewiesen werden.

    17. Februar 2006: Bundes-Verbraucherschutzminister Seehofer ordnet ab sofort die bundesweite Stallpflicht für Geflügel an.

    18. Februar 2006: Frankreich. In der Nähe von Lyon kann das Virus H5N1 in einer Wildente nachgewiesen werden.

    19. Februar 2006: Auf Rügen ist das gefährliche Virus mittlerweile in Dutzenden von toten Vögeln nachgewiesen. Heute soll mit dem Keulen der Geflügelbestände auf der Insel begonnen werden.

    Schutz vor einer Pandemie?
    Über die Schwierigkeiten einen Impfstoff gegen ein unbekanntes Virus zu entwickeln

    Es gibt zwei Möglichkeiten wie aus einem Virus, das auf Vögel spezialisiert ist, ein Virus wird, das eine weltweite Pandemie auslösen könnte.

    Eine Möglichkeit: Das Vogel-Virus passt sich Schritt für Schritt an den neuen Wirt an. Kleine Veränderungen in seinem Erbgut haben zur Folge, dass es leichter in menschliche Zellen hinein gelangt, um sich dort zu vermehren. Die Mutationen sorgen auch dafür, dass es einfacher von Mensch zu Mensch übertragen wird.

    So war das bei der Spanischen Grippe, an der 40 Millionen Menschen starben. Noch kann das H5N1-Virus nur sehr schwer von Mensch zu Mensch weiter gegeben werden. Das könnte sich jederzeit ändern. Denn in Asien ist das Virus in Wildvögeln weit verbreitet. Hausgeflügel und Mensch leben auf engstem Raum zusammen. Je mehr Vogelgrippe-Viren kursieren, je größer also die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich erst Hühner und über die Hühner Menschen sich mit ihnen anstecken - um so wahrscheinlicher wird es.

    Denkbar ist aber auch ein weiteres Szenario für das Entstehen eines neuen Grippe-Virus, das um die Welt geht.

    Ein Mensch könnte sich gleichzeitig mit einem Grippevirus, also dem Influenza-Virus und mit H5N1 anstecken. Die Viren könnten dann genetisches Material untereinander austauschen - entstehen würde ein neues Virus. Gefährlich wie das Vogelgrippe-Virus und so leicht übertragbar wie das Influenza-Virus. Vorstellbar ist auch, dass ein solcher Erreger in Tieren entsteht, beispielsweise in Schweinen.

    Unser Immunsystem könnte uns nicht vor dem neuen Virus schützen. Keiner weiß, wie genau das Pandemievirus aussehen wird. Da es aber vielleicht aus dem Vogelgrippe-Virus H5N1 hervorgeht, testen Forscher heute schon Schutzimpfungen gegen H5N1 an Freiwilligen. Suresh Mittal von der Purdue Universität, West Lafayette.

    " Ein Impfstoff besteht aus Eiweißbruchstücken des Virus. Sie werden hergestellt, dann gereinigt, dann erst können sie als Impfstoff gespritzt werden. In Tests zeigte sich: Wenn Menschen zweimal den Impfstoff erhalten, dann bilden sie ausreichend Abwehrmoleküle gegen das Virus, also Antikörper. Sie sind dann vor einer Ansteckung geschützt. "

    Andere Impfstoff-Konzepte setzen auf eine möglichst starke Immunantwort gegen H5N1. Der Nachteil: für ihre Herstellung dieser Impfstoffe würden Hühnereier in großer Zahl gebraucht.

    " Bei dem zweiten Impfstoff handelt es sich um einen so genannten Lebendimpfstoff. Das heißt: ein wenig krank machendes H5N1-Virus wird in Eiern vermehrt. Dann wird das Virus abgetötet oder inaktiviert. Das ist so wie beim normalen Grippe-Impfstoff. Auch dieser Impfstoff gegen H5N1 ist an Menschen getestet worden, und er scheint sehr gut zu schützen. "

    Die nächste Pandemie wird kommen. Aber wann? Und wie genau wird das Virus aussehen, das sie auslöst? Das weiß keiner. Genau das aber ist das Problem der Impfstoffforscher.

    Grundlage für den Pandemie-Impfstoff ist das Virus, vor dem er schützen soll. Sollte dieses neue Virus tatsächlich aus H5N1 entstehen, müssten die bereits getesteten Impfstoffe verändert werden, damit sie wirklich vor einer Ansteckung schützen.

    Albert Osterhaus von der Universität Rotterdam sieht darin das größte Problem.

    " Solch ein Impfstoff muss zunächst entwickelt und dann hergestellt werden. Das dauert mindestens ein halbes Jahr - wenn nicht ein ganzes. Der Impfstoff wird also zu spät auf den Markt kommen. Und dann gibt es noch ein Problem: Wir wissen, wie wir einen herkömmlichen Influenza-Impfstoff herstellen, den wir jedes Jahr aktualisieren. Wir wissen aber nicht, ob diese Technik sich auch eignet für die Herstellung eines Impfstoffs, der vor einem Virus schützen soll, das zum allerersten Mal in der menschlichen Bevölkerung grassiert. Ich bin da skeptisch. "

    Anthony Fauci von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA sieht im Falle einer Pandemie ein weiteres Problem auf die Welt zukommen.

    " Ob Sie es glauben oder nicht, von dem normalen Grippe-Impfstoff können jedes Jahr so um die 300 Millionen Dosen hergestellt werden. Das lässt sich vielleicht steigern, legen Sie ruhig noch mal ein bis zwei Hundert Millionen Dosen drauf. Aber vergessen Sie nicht: auf unserem Globus leben gut sechs Milliarden Menschen. Sollte die Pandemie kommen, es würde Jahre dauern, eine Impfstoffproduktion aufzubauen, die in der Lage ist, den weltweiten Bedarf zu decken. "

    Das wird sich erst ändern, wenn es Impfstoffe gibt, die schneller als heute hergestellt werden können - ohne, dass zuvor Impfviren aufwändig in Hühnereiern vermehrt werden müssen. Ansätze dazu gibt es, es muss noch bewiesen werden, dass diese Impfstoffe sicher sind.

    Und dann gibt es zahlreiche Forschergruppen, die an ganz neuen Impfstoffen arbeiten. Suresh Mittal von der Purdue Universität etwa hat mit seinen Kollegen eine Impfung entwickelt, die wie eine Gentherapie funktioniert.

    Das Konzept: Umgebaute Schnupfenviren - so genannte Adenoviren schleusen ein Gen des H5N1-Virus in die Zellen ein. Die Zellen beginnen damit, ein Protein des Vogelgrippe-Virus herzustellen, auf das der menschliche Körper reagiert.

    " Das Immunsystem des Menschen wird dieses Eiweiß erkennen. Es wird zum einen Abwehrmoleküle gegen das Virus direkt bilden. Und weil es lernt, infizierte Zellen zu erkennen, wird auch der zelluläre Arm des Immunsystems aktiv werden und infizierte Zellen abtöten. "

    Der neuartige Impfstoff ließe sich einfach und in großen Mengen herstellen. Er schützt vor der Ansteckung mit verschiedenen Virus-Stämmen. Impfprogramme könnten lange vor Ausbruch einer Pandemie starten.

    Aber: An Menschen ist der neue Impfstoff noch nie getestet worden. Bislang schützt er nur Mäuse vor einer Ansteckung mit H5N1.