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"Das Rennen war in Wahrheit die ganze Zeit und immer knapp"

"Dieses Land ist kulturell gespalten in verschiedene Interessen und auch politische Gruppen", beschreibt Thomas Kleine-Brockhoff, Senior Director German Marshall Fund. Die beiden Präsidentschaftskandidaten würden diese Spaltung auf ganz besondere Weise symbolisieren. Entscheidend für den Ausgang der Wahl werde so die Höhe der Wahlbeteiligung sein.

Thomas Kleine-Brockhoff im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Mitgehört hat, auch in Washington, Thomas Kleine-Brockhoff, Senior Director beim German Marshall Fund in Washington. Bei Ihnen ist es jetzt kurz nach elf – guten Abend!

    Thomas Kleine-Brockhoff: Guten Abend!

    Schulz: Herr Kleine-Brockhoff, warum ist das Rennen überhaupt wieder so knapp?

    Kleine-Brockhoff: Das Rennen war in Wahrheit die ganze Zeit und immer knapp. Dieses Land ist kulturell gespalten in verschiedene Interessen und auch politische Gruppen, in Land und Stadt, in Ostküsten und Westküsten einerseits, in das Zentrum andererseits. Ungewöhnlich war, dass Obama so hoch gewonnen hatte 2008. Gewöhnlich ist, dass es so knapp ist.

    Schulz: Sie haben es gerade wieder geschildert: Das Land sei gespalten, sagen Sie. Von einer Zerrissenheit ist auch an vielen Stellen die Rede. Ist das ein Charakteristikum dieses Wahlkampfes gewesen?

    Kleine-Brockhoff: Nein. Das kann man über Jahre, fast schon Jahrzehnte beobachten. Und es wird eigentlich fast immer schlimmer, dass eine quasi Selbstsegregation des Landes stattfindet. Man kann das in Wohngebieten beobachten, man kann das an Shopping-Malls beobachten, dass Shopping-Malls zugerichtet, eingerichtet sind quasi auf demokratische oder republikanische, auf linksliberale oder konservative Käufer, weil die einfach in Wohngebieten wohnen, die praktisch isoliert voneinander sind, dass Menschen nur noch mit ihres gleichen wohnen. Und das ist eine der bedrohlichen Folgen dieser politischen Polarisierung.

    Schulz: Jetzt überlege ich gerade, ob die nächste Frage, die ich mir überlegt hatte, sich damit fast schon erledigt hat. Hat sich Mitt Romney genug von Obama abgesetzt oder ist das dann auch gar nicht das Thema in dieser Wahl?

    Kleine-Brockhoff: Ja, die beiden repräsentieren diese kulturelle Spaltung auf ganz ungewöhnlich deutliche Weise, denn Romney hat eine durchaus andere Philosophie dessen, was der Staat in diesem Land Vereinigte Staaten tun soll, als Obama. Und daran entlang dekliniert sich die Frage, wie man mit der Wirtschaft, wie man mit der Wirtschaftskrise umgehen sollte. Eine zweite große Spaltungslinie sind die kulturellen Fragen von Abtreibung bis schwule Ehe, die Liberalität im Umgang mit gesellschaftspolitischen Fragen.

    Schulz: Aber ist denn klar geworden, wofür Romney überhaupt steht? Er selbst hat ja auch ziemliche Verrenkungen gemacht. Er hat gegen Obamas Gesundheitsreform gewettert, obwohl er ja ein ganz ähnliches Projekt als erster in den Vereinigten Staaten in Massachusetts eingeführt hat, als er Gouverneur war. Ist klar geworden, wer dieser Mitt Romney ist, was er will?

    Kleine-Brockhoff: Mitt Romney, wie jeder Präsidentschaftskandidat, wie auch Obama in seinem Spektrum, muss eine große Koalition schmieden. Größer übrigens als jede Koalition, die jeder deutsche Politiker schmieden muss, denn alle in Deutschland müssen am Ende Koalitionen bilden. Das kann, soll, darf hier gar keiner, hier muss eine Mehrheit produziert werden. Und das bedeutet, dass man in die Mitte rückt, dass man gleichzeitig eine Parteibasis hat, die durchaus nicht in der Mitte ist, sondern am linken oder am rechten Rand verortet ist. Dort ist der Enthusiasmus, dort sind die Aktivisten verortet. Und diesen Spagat muss jeder der beiden Kandidaten absolvieren. Er muss einerseits die Aktivisten zufriedenstellen und andererseits in der Mitte die Wahlen gewinnen. Und das bedeutet, dass man in dem Moment, in dem man im Vorwahlkampf ist, für die eigene Galerie, für die eigene Parteibasis spricht und deshalb radikaler erscheint als am Ende, am Schluss des Wahlkampfs, wo die letzten unentschiedenen Wähler logischerweise in der Mitte zu suchen sind. Und das konnte man an Mitt Romneys Verhalten sehr klar sehen. Eine konservative Partei, die in den letzten Jahren eher konservativer, durch die Tea Party teilweise auch radikaler geworden ist, deren Kandidat musste er im Frühjahr werden. Und das hat sich anders angehört als während der Debatten, wo er in der Mitte Obama schlagen musste.

    Schulz: Wenn wir jetzt auf den Amtsinhaber schauen, auf Barack Obama: Wie erklären Sie sich es, vielleicht auch aus diesem Spagat heraus, dass er im Wahlkampf so gepatzt hat auch mitunter?

    Kleine-Brockhoff: Ja, er hat eigentlich nur einmal gepatzt. Er hat während der ersten Debatte, das aber dafür kräftig. Denn das war der Moment, in dem plötzlich ein Präsident zu sehen war. Und der Mann, der aussah wie der Präsident, war nicht Obama, sondern Romney. Es gibt verschiedene Erklärungsmuster für diese eine große Schwäche Obamas an diesem Abend. Die für mich überzeugendste ist die: Er ist jemand gewesen, der vier Jahre von Beratern umgeben worden ist, die ihm mäßig und manchmal widersprochen haben, ein amerikanischer Präsident eben. Und der plötzlich sich wiederfand in einem Fernsehstudio und einem vorbereiteten Widersacher, der ihm widersprochen hat, der ihm begründet widersprochen hat, der ihn attackiert hat wie wahrscheinlich jahrelang vorher niemand. Und außerdem war Romney jemand, der vorher schwach aussah im Wahlkampf. Und plötzlich hat er Obama überrascht und möglicherweise tödlich verletzt in dieser einen Debatte. Das werden wir dann morgen sehen.

    Schulz: Und jetzt zum Endspurt gab es einen leichten Rückenwind, was die Umfragen betrifft, ohne jetzt ein schiefes Bild produzieren zu wollen, offenbar dank des Wirbelsturms Sandy. Obama konnte sich als Landesvater, als Krisenmanager präsentieren. Wenn er jetzt dank Sandy das Rennen machen würde, wäre das nicht ein Sieg zweiter Klasse?

    Kleine-Brockhoff: Das würde Gerhard Schröder anders sehen, der die Oder-Flut genutzt hat, um seine Wiederwahl, um seine Wahl zu retten. Das würde Helmut Schmidt anders sehen mit der Flut in Hamburg. Also, es ist eine Tradition, dass Regierungschefs und Amtsinhaber einen Bonus haben. In dem Moment, wo das Unerwartete, wo die Naturkatastrophe eintritt und wo sie regieren dürfen, da stehen sie auf der Brücke, dort können sie staatsmännisch wirken. Das hat Obama wunderbar gemacht. Romney war im Schatten und es scheint, als sei das Momentum gebrochen. Aber was nicht gebrochen zu sein scheint, ist der Enthusiasmus der republikanischen Basis. Ob das reicht, genügend Konservative zu mobilisieren. Oder ob es entscheidend sein wird, dass das Momentum gebrochen wird und die, die in der Mitte waren, die also noch überzeugbar waren, in den letzten Tagen womöglich nicht zum Herausforderer, sondern zurück zum Präsidenten, der sich als tauglicher Krisenmanager erwiesen hat, gehen, das ist eben die große, die unklare Frage, die auch die letzten Umfragen nicht werden abschließend klären können, weil sie nicht sagen können, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird. Und das wird alles entscheidend sein.

    Schulz: Das muss ich Sie aber trotzdem jetzt noch fragen zum Ende dieses Interviews, Thomas Kleine-Brockhoff in Washington: Wer wird denn der nächste Präsident der Vereinigten Staaten?

    Kleine-Brockhoff: Bitte, bitte fragen Sie mich das morgen oder noch besser übermorgen wieder. Ich glaube, das kann seriös niemand außer in einer Wette vielleicht beantworten.

    Schulz: ..., wenn wir das Ergebnis dann überhaupt schon kennen. – Einschätzungen waren das aus Washington von Thomas Kleine-Brockhoff, Senior Director beim German Marshall Fund und hier heute im Deutschlandfunk. Danke Ihnen.

    Kleine-Brockhoff: Danke auch. Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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