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"Das rote Bauhaus"
Zerplatzte Träume vom Sozialismus

Der Siegeszug des Neuen Bauens und seiner Gestaltungsideen ist zu einem Triumphzug geworden - und endet im Mainstream. Auf Bauhaus kann sich heute jeder Häuslebauer einigen und die Bewegung scheint von allen Seiten beleuchtet. Von wegen: Die Architektin Ursula Muscheler erzählt in ihrem neuen Buch die Geschichte des Scheiterns – ausgerechnet in der Sowjetunion.

Von Fabian Granzeuer | 05.12.2016
    Das Bauhaus-Museum in Weimar. Der Bau soll demnächst zum neuen "Haus der Weimarer Republik" umgewandelt werden.
    Das Bauhaus-Museum in Weimar. (dpa / Martin Schutt)
    Lebensläufe, Seitenwege und Brüche: Was die monographische Architekturgeschichte bereitwillig verschluckt, nimmt die Autorin und Architektin Ursula Muscheler mit ihrem Buch "Das rote Bauhaus" in den Blick. In zehn chronologisch angeordneten Kapiteln hat sie sich abseits des großen Bauhaus-Siegeszuges umgesehen. Was suchten Ernst May, Bruno Taut, Hannes Meyer und 14 weitere Bauhaus-Architekten in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren in der Sowjetunion?
    "Die Auserwählten schätzten sich glücklich, der drohenden Arbeitslosigkeit entfliehen zu können und hofften, von den Bolschewiki mit offenen Armen empfangen zu werden, um endlich die Prinzipien des Neuen Bauens [...] in der Sowjetunion unangefochten und in großem Maßstab umsetzen zu können."
    Traum vom neuen Menschen
    1928 trat der erste Fünfjahresplan in Kraft - die verordnete Industrialisierung, mit anfänglich rasantem wirtschaftlichem Aufstieg. Gigantische staatliche Bauaufträge zeichneten sich ab. Für das Neue Bauen, also das serielle, nicht-repräsentierende und soziale Bauen, schien die Sowjetunion wie gemacht. Die Weimarer Republik hingegen taumelte in der Wirtschaftskrise. Einer der prominenteren Bauhaus-Architekten, der in die Sowjetunion ging, war der Schweizer Hannes Meyer. 1930 war der Sozialist wegen seiner politischen Ausrichtung als Direktor der Bauhaus Kunstschule entlassen worden. In Moskau wollte er als Hochschullehrer seine Karriere fortführen. Ursula Muscheler:
    "Hannes Meyer wurde auch mit offenen Armen in Moskau empfangen. Und er bekam eigentlich alle Möglichkeiten zu wirken. Als er erkannte, dass die Mitarbeit schwierig wurde, hat er sich dann der neuen Entwicklung angepasst, nämlich weg vom Neuen Bauen hin zum neoklassizistischen Bauen - zu dem, was man dann sozialistischen Realismus genannt hat."
    Schon vier Jahre nach seiner Auswanderung sagte er sich vom Ideal des Neuen Bauens los. Als wohl wichtigsten Grund nennt die Autorin im Buch: "Der Wettbewerb für den Sowjetpalast, den der nicht nur historisierende, sondern auch monumentale Entwurf von Boris Iofan gewann, hatte ihm klargemacht, wohin die Reise ging. Wer im ideologischen Getriebe überleben wollte, machte sich am besten unsichtbar [...] oder bekannte sich rückhaltlos und öffentlich zum neuen Parteigeist."
    Ästhetische Anpassungsverpflichtung
    Palastartige Monumentalbauten und reich verzierte Fassaden waren seit Mitte der 1930er Jahre das stalinistische Architekturideal. Stichwort: Zuckerbäckerstil. Der sozialistische Klassizismus hatte mit dem Neuen Bauen nichts zu tun. Jetzt also plante Meyer mit Schnörkeln. Aber auch die ästhetische Anpassungsbereitschaft führte ihn und die Bauhaus-Architekten in der Sowjetunion nicht zum Erfolg. Seit Mitte der 1930er Jahre wurden sie als Ausländer zunehmend ausgegrenzt. Zudem verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion zusehends. Ursula Muscheler kommt zu dem Ergebnis: "Geblieben ist nicht viel, weil sie ja nur wenige Jahre gewirkt haben und sie auch letztlich nicht anerkannt worden sind. Sie wurden auch torpediert, boykottiert von russischen Kollegen, von staatlichen Stellen."
    Überhaupt setzten die westlichen Bauhaus-Architekten nur wenige Projekte um. Immerhin errichtete die Gruppe um Ernst May 50 einfache Zeilenbauten - im Rahmen des gigantischen Stadtbauprojekts Magnitogorsk im Süd-Ural - trotz gravierendem Material- und Fachkräftemangel. Ursula Muscheler:
    "Mit den Häusern von Magnitogorsk waren eigentlich alle unzufrieden. Die Sowjets, weil sie ihnen zu einfach waren, nicht dem Schönheitsempfinden des sozialistischen Menschen gerecht werdend und May und seinen Leuten waren sie nicht exakt genug gebaut. Denn gerade das Neue Bauen in seiner Schmucklosigkeit und seinen kubischen Ausformungen muss eigentlich bautechnisch exakt gebaut werden, damit es auch zur Wirkung kommt. May und seine Mitarbeiter waren selbst schockiert, als sie gesehen haben, was aus den Häusern in Magnitogorsk geworden war. Äußerlich nicht fertig gestellt. Aber Innen waren sie vor allem total überbelegt, weil ja pro Person nur drei bis fünf Quadratmeter Wohnfläche vorgesehen war. Das hat auch zu einer rasanten Abnutzung der Bausubstanz geführt."
    Zerplatzte Träume vom sachlichen Bauen
    Spätestens mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 waren die Bauhaus-Architekten dann gänzlich unerwünscht. Sie mussten überhastet ausreisen - wenn man sie denn ausreisen ließ. Philipp Tolziner - er gehörte zur Brigade Meyer - wurde ins Lager gesteckt. Hannes Meyer selbst gelang 1936 die Ausreise. Damit begann seine Odyssee, Ursula Muscheler:
    "Das Tragische an der Figur Meyer ist, dass er als Protagonist des Neuen Bauens, das in Deutschland als bolschewistisch verunglimpft wurde, dachte, in der Sowjetunion nun sachlich bauen zu können. Das war nicht der Fall, weil die Entwicklung da zum neoklassizistischen Bauen hinging. In Mexiko konnte er es, aber da war die wirtschaftliche Lage zu schwierig. Zurückgekehrt nach Europa, nach dem Zweiten Weltkrieg, hat das Neue Bauen eigentlich Fuß gefasst - aber im Westen war er als Kommunist eigentlich Persona non grata. Die DDR selbst, in die er politisch gehört hätte, lehnte ihn ab wegen seiner Position als ehemaliger Bauhaus-Direktor. Der saß zwischen allen Stühlen."
    Mit der Geschichte von Hannes Meyer und den anderen Russlandfahrern erdet Ursula Muscheler überhöhte Vorstellungen vom Bauhaus - abseits der Lichtgestalten Gropius und Mies. "Man denkt immer das Bauhaus wäre so ein Institution abgehoben von der Erde oder vom Fußboden gewesen, für sich allein existierend - und solche Institutionen gibt es eben nicht."
    Die Stilgeschichte des Bauhauses ist schon seit langem in Stein gehauen. Wie bewegt waren dagegen die Leben seiner Architekten, wie beweglich ihre Ideale. Wer also ein bisschen Interesse am Bauhaus hat und ein bisschen Empathie für die Verlierer der Geschichte mitbringt, für den wird "Das rote Bauhaus" eine tragikomische Lektüre sein. Wer hingegen das Bauhaus als reines Ideal der Moderne verehrt, der kann hier etwas lernen.
    Ursula Muscheler: "Das rote Bauhaus. Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern"
    Berenberg Verlag, 168 Seiten, 22 Euro.