"Gleicher Lohn! - Blasmusik - Freundschaft! Es ist heute ein ganz besonderes Jahr, denn in nur wenigen Tagen, am 4. Mai, jährt sich die erste freie Gemeinderatswahl in Wien zum 100. Mal "
Für deutsche Ehrengäste aus Gewerkschaft und Sozialdemokratie muss Wien am 1. Mai immer wieder ein herzerwärmender Anblick sein. Noch nach 100 Jahren und trotz der vielen Federn, die die langzeitregierende SPÖ inzwischen lassen musste, strömen da Tausende aus den Bezirken über autofreie Ringe zum historischen Rathaus. Dort, im Ausweichquartier eines einzigen - allerdings geräumigen - Saals erinnert das im Umbau befindliche WienMuseum an die kurze Glanzzeit des Roten Wien, dessen Erfolg bis in die Gegenwart trägt. 1934 ging es im gewaltsamen Ende der Ersten Republik unter, in den 80er Jahren wurde es wieder entdeckt, beforscht und historisiert. Die Gemeindebauten, sichtbares Erbe seines gewaltigen Wohnbauprogramms, sind längst in den Kanon der Wiener Sehenswürdigkeiten integriert: kein Fremdenführer ohne Karl Marx-Hof.
Bezahlbares Wohnen für Arbeiter
Auf extra großen Tafeln oben an den Saalwänden schweben die Fotografien der Arbeiterwohnpaläste leitmotivisch über allem, denn Wohnungsbau und Wohnreform waren das Herzstück des Roten Wien. Sie retteten die besitzlosen Massen aus unvorstellbaren Verhältnissen - während das bürgerliche Lager gegen die Wohnbausteuer wütete, mit der sie finanziert wurden. In Wahrheit war alles halb so wild, behauptet Kurator Michael Schwarz
"Diese Vermögenssteuern, wenn man sie zusammenfassen möchte, sind keineswegs so dramatisch, es hat keinen bürgerlichen Haushalt irgendwie in die Bredouille gebracht."
Aber darauf kam es ja nicht an im Streit der republikweit immer schärfer werdenden Antagonismen von rechts und links. Auch das liberale Bürgertum hatte seine Vorbehalte gegen den Sozialismus, ergriff aber zunehmend Partei für das umfassende Experiment des Roten Wien, das so viele seiner eigenen Lebensreform-Entwürfe realisierte - nur ging es jetzt um proletarisches Selbstbewusstsein und Arbeiterkultur.
Weil das Rote Wien die Dokumentationsmöglichkeiten seiner Zeit zur propagandistischen Selbstdarstellung nutzte, gibt es auch bewegte Bilder zu sehen. Ein Stummfilm zeigt die zu überwindenden Verhältnisse am Beispiel der gehetzten Arbeiterfrau, ein anderer den kommunalen Arzt im modernen Spital bei der Untersuchung einer Lungenkranken. Gefilmt wurden auch die wilden Siedler, die der roten Gemeinde mit ihren Kleinhäusern zunächst verdächtig kleinbürgerlich vorkamen, dann aber gefördert wurden - mit Adolf Loos als Chefarchitekt.
Bäder als kommunale Schmuckstücke
Von der Wiege bis zur Bahre das Arbeiterleben begleiten, darum ging es. Mütterkurse und Reformkindergärten im Gemeindebau. Kindgerechte Schulen - heraus aus dem "pädagogischen Zellengefängnis"! Arbeiterfotografie, Büchereien, Sport, Gesundheitsfürsorge und Hygiene - "Wer sich sein Lebtag nicht gewaschen hat, der kommt zu uns ins Amalienbad". Das Amalienbad am Reumannplatz ist bis heute ein Schmuckstück kommunaler Bautätigkeit, in einer ausgesprochen bäderreichen Stadt, der regelmäßig höchste Lebensqualität attestiert wird - was sie unter den Druck von anlagesuchendem Kapital bringt, während Frustrationen sich am Thema Einwanderung festmachen und Konflikte nähren.
"Viele unserer Ideale sind eigentlich noch relativ nahe dran am Roten Wien, was am stärksten fehlt, ist der Möglichkeitssinn. Was uns am Roten Wien fasziniert, dass in der Frühphase so vieles neu gedacht wird, neu probiert und debattiert wird."
sagt Werner Michael Schwarz und verweist damit auf aktuelle Diskussionen zur gerechten Stadt. Eine davon wird im Katalog geführt, der ein Schwergewicht ist, aber es lohnt sich.
Hygiene und Reformen
Auch wenn die Ausstellung reichlich passend zu den spätestens nächstes Jahr anstehenden Gemeindewahlen herausgekommen ist: Sie ist kein Aufguss früherer Darstellungen, sondern nähert sich Fragen von heute. Ausführlicher als früher kommt die Rolle der Frauen zur Geltung, wird der Antisemitismus in der damaligen Sozialdemokratie behandelt, der Hygiene-Begriff der Reformer im Zeitgeist der Eugenik kritisch beleuchtet oder an die Schicksale vertriebener Gemeindebaubewohner erinnert. Zu sehen ist auch das Titelblatt der rechtsgerichteten Zeitung "Freiheit" mit dem triumphierenden Bericht über das Badezimmer, das ein sozialistischer Stadtrat in seine Gemeindewohnung hatte einbauen lassen. Eklatantere Beispiele linker Verfilzung von damals haben sich aber offenbar nicht gefunden.