"Was Europa für uns bedeutet? What does Europa mean to You?"
Europa-Projektwoche am Diaconovici-Tietz-Lyzeum, einem Gymnasium in der rumänischen Industriestadt Resita. Die Kinder beschäftigt heute aber nicht nur Europa: Tags zuvor wurde der Bürgermeister in Handschellen aus dem Rathaus geführt. Der Vorwurf: Korruption.
"Die meisten unserer Schüler haben dafür protestiert, damit der Bürgermeister jetzt von seinem Amt abtritt. Bei uns in Rumänien wurde so eine kleine Revolution gestartet. Und wir sind auf die Straße gegangen und haben protestiert. Und die Verhaftung des Bürgermeisters ist für uns etwas Gutes.")
So die 17jährige Jasmina Amik, die deshalb so gut akzentfrei Deutsch spricht, weil sie eine Weile lang in Hamburg gelebt hat. Das Beispiel zeigt: Der Funke der Proteste nach der Nachtclub-Katastrophe in Bukarest ist auch auf manche Schulen übergesprungen.
"Es ist sehr wichtig, weil: Wir sind die Zukunft dieses Landes. Wir müssen uns engagieren."
Und das Engagement setzt dort an, wo Jasmina Amik den Großteil ihrer Zeit verbringt: In der Schule selbst. Denn gerade im rumänischen Bildungssystem liegt vieles im Argen. -bestätigt Sonia Chwoika, Deutschlehrerin in Resita – und nennt das aus ihrer Sicht größte Problem:
"Durchschnittlich kann man eigentlich sagen, dass ein Lehrer, der am Anfang seiner Karriere eigentlich steht, durchschnittlich das Gehalt der Rumänen verdient, also um 250 Euro, nicht mehr. Und das sich langsam aufstockt, aber sehr, sehr langsam.")
Und das bedeutet: In Rumänien hat der Beruf des Lehrers enorm an Attraktivität verloren.
"Man ist vielleicht schon von Anfang an ein wenig reserviert gegenüber dem Lehrerberuf.")
Wer beispielsweise Chemie, Physik, Informatik oder Deutsch studiert hat, findet in der rumänischen Privatwirtschaft Jobs, die drei bis vier Mal so gut bezahlt sind wie der Schuldienst. Ergebnis: Ein zunehmender Lehrermangel. Doch es fehlt noch an einigem mehr.
"Wir haben keine Bücher. Wir haben jetzt Anfang Dezember. Und wir haben immer noch keine Schulbücher für die dritte Klasse. Und Rumänisch und Mathematik lernen wir auf Arbeitsblättern."
So Anna-Gertrude Hodetz, die in Resita regelmäßig ihren Enkel zur Schule bringt. Wer zudem einen Blick in manche rumänische Klassenzimmer wagt, wähnt sich angesichts der abgewetzten Schulbänke in den Kulissen des Heinz-Rühmann-Klassikers "Die Feuerzangenbowle." Erscheinungsjahr 1944.
"Als Erstes müssten wir an unseren Schulen die Infrastruktur, die Ausstattung modernisieren. Ich war ja schon ein paar Mal in Deutschland. Da gibt es moderne Lehrmittel, interaktive Lernmethoden. Naja, und auch unsere Lehrplänesind längst überholt."
Ergänzt Simona Hochmuth, die im westrumänischen Temeswar seit mehr als zwei Jahrzehnten als Gymnasiallehrerin arbeitet. All diese Defizite haben gravierende Folgen.
"Also viele Familien schicken die jungen Schüler schon ins Ausland. Weil wir in Timisoara sind: Bei uns ist da Wien ganz in der Nähe."
So der in Westrumänien arbeitende Unternehmensberater Valentin Bicu, Vater zweier Töchter. Ihn sorgen nicht nur die Mangelerscheinungen an rumänischen Schulen, sondern auch strukturelle Fehler im Bildungssystem ganz generell.
"Darüber hinaus bekommen die Schulen und auch die Universitäten die Budgets nach Anzahl der Studenten und der Schüler. Und da müssen sie sich absichern, dass sie viele Schüler und Studenten haben." Was zu großen Klassen und schlechten Betreuungsverhältnissen führt.
Dies gelte es, so Valentin Bicu, als Erstes zu ändern. Die Hoffnung darauf ist berechtigt. Seit kurzer Zeit steht mit dem ehemaligen EU-Kommissar Dacian Ciolos ein sogenannter ‚parteiunabhängiger Technokrat' an der Spitze der rumänischen Regierung. Und der habe den Ruf der Straße nach Verbesserungen im Bildungssystem sehr wohl vernommen.
"Das hat nicht nur mit dieser technokratischen Regierung zu tun: Die ganze Gesellschaft hat gelernt und gemerkt, dass es ohne Bildung nichts vorwärts gehen kann.")
Ein erster Schritt ist bereits getan: Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis hat einen Erlass zur Aufstockung der Lehrergehälter um 15 Prozent unterschrieben. Für Gymnasiallehrerin Sonia Chwoika aus Resita ist das "überhaupt ein Schritt, dass man da etwas in Rollen bringt. Auch vielleicht mit kleinen Schritten könnte man gegen später etwas erreichen, das für alle auszahlt und sich lohnt.")