Ernst Peter Fischer: Das Schöne und das Biest Ästhetische Momente in der Wissenschaft Piper Verlag, 288 Seiten, 39,80 Mark
John Horgan: An den Grenzen des Wissens Siegeszug und Dilemma der Naturwissenschaften Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt Luchterhand Verlag, 463 Seiten, 48 Mark
Es gibt Phasen, da läuft es einfach: Ideen sprudeln, der Briefkasten quillt über, das Telefon klingelt und klingelt. Dann wieder geht es nirgendwo recht weiter, lustlos erledigt man hier etwas Liegengebliebenes und da etwas lange Aufgeschobenes. Man läuft Gefahr, ins Grübeln zu geraten, und wo ließe sich trefflicher über das Leben sinnieren als in Büchern? Die meisten Neuerscheinungen allerdings sind Sachbücher; nicht Fiktives, sondern Faktisches füllt die Regale, und hier, so sollte man meinen, ist man vor allzuviel Weltschmerz sicher. Besonders die Naturwissenschaften stehen in dem stolzen Ruf, in ihren Aussagen objektiv und unbestechlich zu sein. Fragen der Ästhetik spielen keine Rolle, wo es um mathematische Gleichungen geht.
Um so erstaunlicher ist es, daß in diesem Herbst gleich drei Titel erscheinen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit ästhetischen Fragestellungen im kühlen Reich der Wissenschaft befassen. Und offenbar befindet sich die Forschung gerade in einer jener tristen Phasen der Ratlosigkeit und des Stillstands, die jedem Boom mit bestürzender Zwangsläufigkeit zu folgen scheinen. Die Entwicklung dümpelt lustlos vor sich hin, und in der Flaute verhalten sich die Forscher mit einem Mal ganz menschlich: Sie geraten ins Grübeln.
"Das Schöne und das Biest" nennt der an der Universität Konstanz lehrende Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer etwas gestelzt seine Suche nach den ästhetischen Qualitäten naturwissenschaftlicher Theorien. Das Schöne ist - wie der sächliche Artikel bereits verrät - nicht etwa die liebreizende blonde Prinzessin aus dem berühmten Märchen von Jean Marie Leprince de Beaumont, sondern ein abstraktes Prinzip. Das Biest hingegen ist die Wissenschaft. Sie gilt vielen als verworren, kompliziert und keinesfalls schön. Wie also kommt das eine jemals zum anderen?
Nahezu alle großen Forscher haben den Begriff des Schönen bemüht, wenn es darum ging, zu erklären, welchen Prinzipien sie auf dem Weg zu ihren Theorien gefolgt sind. Das Bohrsche Atommodell ist elegant und die Relativitätstheorie - man glaubt es kaum - verblüffend einfach. Ein einziger Gedanke nur ist jeweils zu verstehen, alles andere ergibt sich wie von selbst. Die Töne einer als harmonisch empfundenen Tonleiter verhalten sich zueinander wie ganze Zahlen, und der durch eine kurze Gleichung festgelegte Goldene Schnitt galt und gilt nicht nur in der Malerei als besonders organisches Verhältnis der Bildhorizontalen zur -vertikalen, sondern findet sich sowohl im Aufbau des Planetensystems wieder als auch beim spiralförmigen Blattstand von Bananenstauden. Ob physikalische Theorie, sinfonisches Werk oder Pflanzenwachstum - überall scheinen einfache Prinzipien Komplexität zu generieren. Ist das Schöne das Einfache?
Ernst Peter Fischer sieht die Wissenschaft in der Krise, weil sie sich zu weit von ihrer - in Wahrheit - ästhetischen Herkunft entfernt hat. Er stellt fest: "Jede Form von Einseitigkeit verbaut uns die Zukunft. Es muß vermehrt zu einem Wechselspiel zwischen den Künsten und den Wissenschaften kommen. ... Die nicht mehr zu übersehende Umweltzerstörung drückt zudem wörtlich aus, daß die Vernunft gerade nicht erreicht hat, was man ihr zutraute ..."
Aus einer anderen Richtung nähert sich der englische Astronomieprofessor John D. Barrow dem Thema Naturwissenschaft und Schönheit. Geht es Fischer darum aufzuzeigen, wie der Sinn fürs Ästhetische Naturforscher leiten kann und muß, versucht Barrow in seinem Buch "Der kosmische Schnitt" herauszuarbeiten, wie unser ästhetisches Anschauungsvermögen in den Naturgesetzen wurzelt. Schönheit, so seine These, ergibt sich nicht etwa aus höheren, der Natur übergeordneten oder gar zeitlosen Prinzipien, sondern, einfach ausgedrückt: schön ist, was nützt.
"Unsere hochentwickelten wissenschaftlichen Erkenntnisse", schreibt Barrow, "lassen sich als ein Nebenprodukt sehen, das sich ergab, als die Evolution das Erkennen von Ordnung und Struktur in der Umwelt als vorteilhaft auswies. Damit hängt sicherlich unsere Liebe zur Kunst eng zusammen." Untersuchungen haben gezeigt, daß Kinder und Jugendliche jene Savannenlandschaften als besonders schön empfinden, in denen unsere Vorfahren vor rund vier Millionen Jahren nach Früchten und Wurzeln gesucht haben. Und vor die Wahl gestellt, einfachen geometrischen Formen die drei Primärfarben zuzuordnen, entscheiden sich die meisten für ein gelbes Dreieck, ein rotes Quadrat und einen blauen Kreis, wie bereits Wassily Kandinsky und Paul Klee während eines Bauhaus-Seminares feststellten. Daß sich mit derartigen Resultaten allerdings so komplexe ästhetische Werke wie Gemälde oder Sinfonien verstehen lassen, behauptet auch Barrow nicht. Wie Ernst Peter Fischer hält er ein Umdenken in den Naturwissenschaften für erforderlich, aber er ist optimistisch, was das zukünftige Verhältnis von Kunst und Wissenschaft betrifft: "Hier begegnen sich zwei Wege", stell er abschließend fest.
Weniger hoffnungsfroh in die Zukunft blickt der amerikanische Journalist John Horgan. Von den Anfängen der Naturphilosophie bei den Griechen bis zur modernen Physik oder Genetik zieht sich eine mehr oder weniger kontinuierliche Linie zunehmenden Wissens. In jüngster Zeit allerdings mehren sich die Stimmen, die ein Ende des Booms kommen sehen, und John Horgan ist eine von ihnen. In der Stunde ihres Triumphes taucht am Horizont der Naturwissenschaft eine irritierende Frage auf: Kann es sein, daß die Wissenschaft kurz davor steht, alle Fragen beantwortet zu haben? Ist die Arbeit getan? Gehen der Menschheit die Rätsel aus?
In seinem Buch "An den Grenzen des Wissens" breitet Horgan diese und andere Fragen genüßlich vor seinem Publikum aus. Das Buch hat in den traditionell fortschrittsgläubigen Vereinigten Staaten für einige Aufregung gesorgt. "I do not buy his central thesis of limits and twilights", nörgelte die Rezensentin der New York Times an Horgans Behauptung herum, die wissenschaftliche Revolution fresse nun ihre Kinder. Es ist tatsächlich nicht neu, zu prognostizieren, nichts Substantielles mehr sei zu erforschen. Im Gegenteil: Die Befürchtung, die Wissenschaften hätten ihr Endstadium erreicht, ist selbst eine mit geradezu naturwissenschaftlicher Regelmäßigkeit wiederkehrende These. Auch John Horgan wendet sich auf der Suche nach der Zukunft der Wissenschaften schließlich dem Bereich von Komplexität und Kreativität zu. Im Gegensatz zu Fischer und Barrow macht er sich allerdings nicht viel Hoffnung, die Wissenschaften ließen sich durch eine ästhetische Umorientierung reformieren. Es ist mehr eine Frage der persönlichen Anschauung, welcher der drei Positionen man sich anschließt: der pessimistischen Horgans, der optimistischen Barrows oder den ökologischen Mahnungen Fischers. Ob die Naturwissenschaften also einmal in der Lage sein werden, die Dinge treffend zu beschreiben, bleibt fraglich - für den Stand der Dinge scheinen Bücher nach wie vor recht gut geeignet zu sein, wie die Lektüre der drei Titel zeigt. Und wenn das Einfache die Voraussetzung für das Schöne ist, dann müßte es auch mit der Wissenschaft in Zukunft wieder bergauf gehen: Krisen sind so normal wie der Boom - so einfach ist das.
John Horgan: An den Grenzen des Wissens Siegeszug und Dilemma der Naturwissenschaften Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt Luchterhand Verlag, 463 Seiten, 48 Mark
Es gibt Phasen, da läuft es einfach: Ideen sprudeln, der Briefkasten quillt über, das Telefon klingelt und klingelt. Dann wieder geht es nirgendwo recht weiter, lustlos erledigt man hier etwas Liegengebliebenes und da etwas lange Aufgeschobenes. Man läuft Gefahr, ins Grübeln zu geraten, und wo ließe sich trefflicher über das Leben sinnieren als in Büchern? Die meisten Neuerscheinungen allerdings sind Sachbücher; nicht Fiktives, sondern Faktisches füllt die Regale, und hier, so sollte man meinen, ist man vor allzuviel Weltschmerz sicher. Besonders die Naturwissenschaften stehen in dem stolzen Ruf, in ihren Aussagen objektiv und unbestechlich zu sein. Fragen der Ästhetik spielen keine Rolle, wo es um mathematische Gleichungen geht.
Um so erstaunlicher ist es, daß in diesem Herbst gleich drei Titel erscheinen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit ästhetischen Fragestellungen im kühlen Reich der Wissenschaft befassen. Und offenbar befindet sich die Forschung gerade in einer jener tristen Phasen der Ratlosigkeit und des Stillstands, die jedem Boom mit bestürzender Zwangsläufigkeit zu folgen scheinen. Die Entwicklung dümpelt lustlos vor sich hin, und in der Flaute verhalten sich die Forscher mit einem Mal ganz menschlich: Sie geraten ins Grübeln.
"Das Schöne und das Biest" nennt der an der Universität Konstanz lehrende Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer etwas gestelzt seine Suche nach den ästhetischen Qualitäten naturwissenschaftlicher Theorien. Das Schöne ist - wie der sächliche Artikel bereits verrät - nicht etwa die liebreizende blonde Prinzessin aus dem berühmten Märchen von Jean Marie Leprince de Beaumont, sondern ein abstraktes Prinzip. Das Biest hingegen ist die Wissenschaft. Sie gilt vielen als verworren, kompliziert und keinesfalls schön. Wie also kommt das eine jemals zum anderen?
Nahezu alle großen Forscher haben den Begriff des Schönen bemüht, wenn es darum ging, zu erklären, welchen Prinzipien sie auf dem Weg zu ihren Theorien gefolgt sind. Das Bohrsche Atommodell ist elegant und die Relativitätstheorie - man glaubt es kaum - verblüffend einfach. Ein einziger Gedanke nur ist jeweils zu verstehen, alles andere ergibt sich wie von selbst. Die Töne einer als harmonisch empfundenen Tonleiter verhalten sich zueinander wie ganze Zahlen, und der durch eine kurze Gleichung festgelegte Goldene Schnitt galt und gilt nicht nur in der Malerei als besonders organisches Verhältnis der Bildhorizontalen zur -vertikalen, sondern findet sich sowohl im Aufbau des Planetensystems wieder als auch beim spiralförmigen Blattstand von Bananenstauden. Ob physikalische Theorie, sinfonisches Werk oder Pflanzenwachstum - überall scheinen einfache Prinzipien Komplexität zu generieren. Ist das Schöne das Einfache?
Ernst Peter Fischer sieht die Wissenschaft in der Krise, weil sie sich zu weit von ihrer - in Wahrheit - ästhetischen Herkunft entfernt hat. Er stellt fest: "Jede Form von Einseitigkeit verbaut uns die Zukunft. Es muß vermehrt zu einem Wechselspiel zwischen den Künsten und den Wissenschaften kommen. ... Die nicht mehr zu übersehende Umweltzerstörung drückt zudem wörtlich aus, daß die Vernunft gerade nicht erreicht hat, was man ihr zutraute ..."
Aus einer anderen Richtung nähert sich der englische Astronomieprofessor John D. Barrow dem Thema Naturwissenschaft und Schönheit. Geht es Fischer darum aufzuzeigen, wie der Sinn fürs Ästhetische Naturforscher leiten kann und muß, versucht Barrow in seinem Buch "Der kosmische Schnitt" herauszuarbeiten, wie unser ästhetisches Anschauungsvermögen in den Naturgesetzen wurzelt. Schönheit, so seine These, ergibt sich nicht etwa aus höheren, der Natur übergeordneten oder gar zeitlosen Prinzipien, sondern, einfach ausgedrückt: schön ist, was nützt.
"Unsere hochentwickelten wissenschaftlichen Erkenntnisse", schreibt Barrow, "lassen sich als ein Nebenprodukt sehen, das sich ergab, als die Evolution das Erkennen von Ordnung und Struktur in der Umwelt als vorteilhaft auswies. Damit hängt sicherlich unsere Liebe zur Kunst eng zusammen." Untersuchungen haben gezeigt, daß Kinder und Jugendliche jene Savannenlandschaften als besonders schön empfinden, in denen unsere Vorfahren vor rund vier Millionen Jahren nach Früchten und Wurzeln gesucht haben. Und vor die Wahl gestellt, einfachen geometrischen Formen die drei Primärfarben zuzuordnen, entscheiden sich die meisten für ein gelbes Dreieck, ein rotes Quadrat und einen blauen Kreis, wie bereits Wassily Kandinsky und Paul Klee während eines Bauhaus-Seminares feststellten. Daß sich mit derartigen Resultaten allerdings so komplexe ästhetische Werke wie Gemälde oder Sinfonien verstehen lassen, behauptet auch Barrow nicht. Wie Ernst Peter Fischer hält er ein Umdenken in den Naturwissenschaften für erforderlich, aber er ist optimistisch, was das zukünftige Verhältnis von Kunst und Wissenschaft betrifft: "Hier begegnen sich zwei Wege", stell er abschließend fest.
Weniger hoffnungsfroh in die Zukunft blickt der amerikanische Journalist John Horgan. Von den Anfängen der Naturphilosophie bei den Griechen bis zur modernen Physik oder Genetik zieht sich eine mehr oder weniger kontinuierliche Linie zunehmenden Wissens. In jüngster Zeit allerdings mehren sich die Stimmen, die ein Ende des Booms kommen sehen, und John Horgan ist eine von ihnen. In der Stunde ihres Triumphes taucht am Horizont der Naturwissenschaft eine irritierende Frage auf: Kann es sein, daß die Wissenschaft kurz davor steht, alle Fragen beantwortet zu haben? Ist die Arbeit getan? Gehen der Menschheit die Rätsel aus?
In seinem Buch "An den Grenzen des Wissens" breitet Horgan diese und andere Fragen genüßlich vor seinem Publikum aus. Das Buch hat in den traditionell fortschrittsgläubigen Vereinigten Staaten für einige Aufregung gesorgt. "I do not buy his central thesis of limits and twilights", nörgelte die Rezensentin der New York Times an Horgans Behauptung herum, die wissenschaftliche Revolution fresse nun ihre Kinder. Es ist tatsächlich nicht neu, zu prognostizieren, nichts Substantielles mehr sei zu erforschen. Im Gegenteil: Die Befürchtung, die Wissenschaften hätten ihr Endstadium erreicht, ist selbst eine mit geradezu naturwissenschaftlicher Regelmäßigkeit wiederkehrende These. Auch John Horgan wendet sich auf der Suche nach der Zukunft der Wissenschaften schließlich dem Bereich von Komplexität und Kreativität zu. Im Gegensatz zu Fischer und Barrow macht er sich allerdings nicht viel Hoffnung, die Wissenschaften ließen sich durch eine ästhetische Umorientierung reformieren. Es ist mehr eine Frage der persönlichen Anschauung, welcher der drei Positionen man sich anschließt: der pessimistischen Horgans, der optimistischen Barrows oder den ökologischen Mahnungen Fischers. Ob die Naturwissenschaften also einmal in der Lage sein werden, die Dinge treffend zu beschreiben, bleibt fraglich - für den Stand der Dinge scheinen Bücher nach wie vor recht gut geeignet zu sein, wie die Lektüre der drei Titel zeigt. Und wenn das Einfache die Voraussetzung für das Schöne ist, dann müßte es auch mit der Wissenschaft in Zukunft wieder bergauf gehen: Krisen sind so normal wie der Boom - so einfach ist das.