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Das Schweigen der Lämmer

Im August 2011 tauchten die ersten Fälle einer mysteriösen Tierseuche auf Höfen in Nordrhein-Westfalen auf. Das Schmallenberg-Virus ist für Menschen und erwachsene Wiederkäuer zwar ungefährlich, für ungeborene Rinder, Schafe und Ziegen kann das Virus aber tödlich sein.

Von Marieke Degen | 25.01.2012
    Am Anfang kam die Seuche noch relativ harmlos daher. Die Kühe gaben weniger Milch, manche hatten Fieber oder Durchfall. Zwei Tierärzten kam das trotzdem irgendwie merkwürdig vor. Immer wieder haben sie Blutproben auf die Insel Riems geschickt, ans Friedrich-Loeffler-Institut, zum Virologen Martin Beer.

    "Wir haben auf verschiedenste Krankheiten getestet, die Blauzungenkrankheit, wir testen immer solche Proben auf Maul- und Klauenseuche, das war negativ zum Glück, wir haben auch verschiedene andere virale Erreger getestet, die das Rind normalerweise befallen, die waren auch alle negativ"

    Die Forscher haben ein paar Blutproben dann genauer untersucht, Blutproben von einem Hof in Schmallenberg. Sie haben nachgeschaut, ob in dem Blut das Erbgut von irgendeinem vielleicht noch unbekannten Virus vorkommt - und sie sind tatsächlich fündig geworden. Das war Ende November.

    "Da war dann schon klar, da hatte ich doch einen etwas erhöhten Puls, weil da war klar, das ist wirklich was vermutlich völlig anderes, völlig exotisches, was wir sehr ernst nehmen müssen."

    Das Schmallenberg-Virus, wie es jetzt heißt, ist eigentlich ein Orthobunyavirus. Es ist eng verwandt mit Viren, die normalerweise in Afrika, Asien und Australien vorkommen – aber nicht in Europa. Es befällt Rinder, Schafe und Ziegen, es wird durch Stechmücken übertragen, wahrscheinlich durch Gnitzen. Die Wiederkäuer infizieren sich in der Mückensaison, im Spätsommer. Die erwachsenen Tiere werden kaum krank.

    "Sind die Tiere aber trächtig, sind sie schwanger und der Fötus ist in einem bestimmten Stadium der Entwicklung, dann kann dieses Virus den Fötus infizieren und führt dann zu Schäden, die Monate später erst sichtbar werden. Das sind schwere Missbildungen im Bereich der Gelenke, Gelenkversteifungen, das ist ein Wasserkopf, das ist eine Skoliose, eine Rückgratverkrümmung, die Tiere sind kaum lebensfähig."

    Im Dezember ist in Holland das erste missgebildete Lamm auf die Welt gekommen, danach die ersten missgebildeten Kälber und Ziegen. In Deutschland sind inzwischen mehr als 40 Betriebe betroffen, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen. Dort ist in manchen Schafherden jedes fünfte Lämmchen missgebildet oder tot. Und das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, sagt Martin Beer.

    "Die Ablammsaison hat in Holland vor Weihnachten begonnen, nähert sich jetzt ihrem Höhepunkt, bei den Kälbern ist die Trächtigkeitsdauer deutlich länger, und deswegen rechnen wir dort, wenn die Muttertiere im August, September, Oktober infiziert worden sind, rechnen wir mit Totgeburten, mit veränderten missgebildeten Kälbern von Februar bis April. Das heißt da könnte die Welle erst noch bevorstehen."

    Das Virus gibt den Forschern noch viele Rätsel auf. Wie es überhaupt nach Europa, nach Nordrhein-Westfalen gekommen ist, weiß keiner. Vielleicht durch Tiertransporte, vielleicht auch über infizierte Mücken. Im Moment kann auch noch keiner vorhersagen, ob und wie schnell sich das Virus ausbreiten wird. Die möglichen Überträger, die Gnitzen gibt es jedenfalls in ganz Europa.

    "Es ist anzunehmen, wenn das Virus jetzt über den Winter kommt und in eine zweite Saison eintritt, dass es zu einer sehr raschen Ausbreitung auch in andere Teile Europas kommt."

    Es gebe nur eine Möglichkeit, die Tiere vor der Seuche zu schützen, sagt Martin Beer: Ein Impfstoff muss her. Die Forscher am Friedrich-loeffler-Institut arbeiten bereits daran. Sie wollen so bald wie möglich einen Impfstoff entwickeln und im Hochsicherheitsstall an Versuchstieren testen.

    "Das, was man bei solchen Viren immer als Erstes testet, sind abgetötete Viruspräparationen mit einem Wirkverstärker, die werden zweimal gegeben, und dann werden die Tiere mit dem Virus belastet, und wenn wir Glück haben, schützt das und dann haben wir die Basis für einen Impfstoff."

    Wann ein geeigneter Impfstoff auf den Markt kommen wird, steht noch in den Sternen.

    "Ich kann nur als Beispiel die Blauzungenkrankheit nehmen, da hat es fast anderthalb Jahre gedauert. Vom Beginn der Arbeiten an dem Impfstoff bis zum letztendlichen Einsatz."

    Die Landwirte und Tierärzte können nur hoffen, dass es diesmal schneller geht.