24 Jahre sind vergangen, seit das Reich der Mitte erstmals die Olympischen Spiele ausrichtete. Man erinnert sich an das Jahr 2008 als die Zeit des "Zweiten großen Sprungs", der China an die Spitze der Welt katapultierte. Aus Begeisterung hatten damals viele Eltern ihren neugeborenen Mädchen den Namen "Olympia" gegeben.
Auch die Angebetete des Ich-Erzählers Ai Li in Jörg-Uwe Albigs neuem Roman heißt so, eine schöne junge Frau, rätselhaft und unerreichbar. Ai Li ist Filmemacher, er dreht Werbeclips, nachdem er als Eisenstein-Schüler gescheitert ist, denn die Massen interessierten sich nicht für seine aufrüttelnden Filme.
Chinas Hauptstadt schwimmt im Luxus, der Staatskapitalismus hat anscheinend alle ökonomischen und ökologischen Probleme in den eisernen Griff bekommen. Licht und Luft wird angemessen zugeteilt, die Einheimischen leben in einem künstlichen Paradies mit wohldosierten Flecken von Natur.
So gibt es etwa Lindenalleen, in denen Blütenstaub auf die Autos niederregnet. Dort lauern am Straßenrand blasse Elendsgestalten darauf, die Scheiben putzen zu dürfen. Es sind Migranten aus Europa, also Menschen von jenem Kontinent, von dessen großer Geschichte in China nur noch Wenige etwas wissen.
So sieht Jörg-Uwe Albig die Zukunft. Der 1960 in Bremen geborene Autor spielt offenbar gern mit verkehrten Welten. In seinem Roman "Land voller Liebe" ging die Bundesrepublik unter und schloss sich dem sozialistischen Bruderstaat an. In "Berlin Palace" hingegen gibt es keinen Zweifel am Fortbestehen des Kapitalismus. Nur dass er eben in Asien blüht. Die Europäer hingegen müssen erfahren wie es ist, in Schwellenländern zu wohnen – dazu noch in solchen, wo die Schwellen abwärts führen statt aufwärts.
Lustvoll dreht Albig unsere gewohnte Perspektive um: Die Fremden sind in seinem Roman die Deutschen, sie hausen in Slums und pflegen ihre exotischen Rituale: Sie essen Würste in roter Sauce und singen Lieder mit plumpen Rhythmen. Eine animalische Anziehungskraft geht von diesen armen Teufeln aus.
Ai Li zieht es immer wieder in das Abbruchviertel zu jenem Imbiss namens "Berlin Palace". Dass er auch Olympia mitnimmt, erweist sich als Fehler, denn nun erliegt die so Unnahbare plötzlich der Erotik eines ungepflegten blonden Kraftprotzes.
Als Satire ist "Berlin Palace" klug und amüsant, als Roman hingegen zäh und ohne Tiefgang. Das China der Zukunft bleibt eine glitzernde Oberfläche, eine durchsichtige Folie, unter der das vertraute Bild einer europäischen Großstadt hindurchschimmert mit ihrem Gegensatz von edler Mitte und schäbigen Rändern. Von den chinesischen Verhältnissen erfährt man wenig, denn Politik ist kein Thema: Der Chef der Agentur, für die Ai Li arbeitet, hält große Stücke auf Mao, aber nur als Lyriker, als Staatsmann sei er miserabel gewesen.
Auch unter der konfuzianischen Kostümierung der Chinesen des Romans stecken unsere bekannten Zeitgenossen: Karrieristen, dekadente Milliardäre, die sich gern mit alter, auch europäischer, Kultur dekorieren, sowie politisch enttäuschte Kreative und Altachtundsechziger wie der Protagonist Ai Li. Aber warum der von der alten Kultur der Germanen dermaßen fasziniert ist, bleibt ein Rätsel, und dass er ein Parfum namens "Wald" unbedingt mit einem "Hänsel und Gretel"-Clip bewerben will, ja, dass er dies zu seinem existentiellen Anliegen macht, das ist nicht nur seinen Kunden unbegreiflich.
Zum Ende folgen wir Ai Li und Olympia in die chinesischen Bergwälder, wo sie sich verirren wie seine geliebten Märchenfiguren, aber auch dort gelingt es ihm nicht, ihre Liebe zu erringen. Das Mitleid der Leser hält sich in Grenzen: Je länger die Handlung auf der Stelle tritt, umso mehr können sie Olympias gleichgültige Ablehnung nachvollziehen.
Jörg-Uwe Albig: "Berlin Palace"
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010
224 Seiten, 19,90 Euro
Auch die Angebetete des Ich-Erzählers Ai Li in Jörg-Uwe Albigs neuem Roman heißt so, eine schöne junge Frau, rätselhaft und unerreichbar. Ai Li ist Filmemacher, er dreht Werbeclips, nachdem er als Eisenstein-Schüler gescheitert ist, denn die Massen interessierten sich nicht für seine aufrüttelnden Filme.
Chinas Hauptstadt schwimmt im Luxus, der Staatskapitalismus hat anscheinend alle ökonomischen und ökologischen Probleme in den eisernen Griff bekommen. Licht und Luft wird angemessen zugeteilt, die Einheimischen leben in einem künstlichen Paradies mit wohldosierten Flecken von Natur.
So gibt es etwa Lindenalleen, in denen Blütenstaub auf die Autos niederregnet. Dort lauern am Straßenrand blasse Elendsgestalten darauf, die Scheiben putzen zu dürfen. Es sind Migranten aus Europa, also Menschen von jenem Kontinent, von dessen großer Geschichte in China nur noch Wenige etwas wissen.
So sieht Jörg-Uwe Albig die Zukunft. Der 1960 in Bremen geborene Autor spielt offenbar gern mit verkehrten Welten. In seinem Roman "Land voller Liebe" ging die Bundesrepublik unter und schloss sich dem sozialistischen Bruderstaat an. In "Berlin Palace" hingegen gibt es keinen Zweifel am Fortbestehen des Kapitalismus. Nur dass er eben in Asien blüht. Die Europäer hingegen müssen erfahren wie es ist, in Schwellenländern zu wohnen – dazu noch in solchen, wo die Schwellen abwärts führen statt aufwärts.
Lustvoll dreht Albig unsere gewohnte Perspektive um: Die Fremden sind in seinem Roman die Deutschen, sie hausen in Slums und pflegen ihre exotischen Rituale: Sie essen Würste in roter Sauce und singen Lieder mit plumpen Rhythmen. Eine animalische Anziehungskraft geht von diesen armen Teufeln aus.
Ai Li zieht es immer wieder in das Abbruchviertel zu jenem Imbiss namens "Berlin Palace". Dass er auch Olympia mitnimmt, erweist sich als Fehler, denn nun erliegt die so Unnahbare plötzlich der Erotik eines ungepflegten blonden Kraftprotzes.
Als Satire ist "Berlin Palace" klug und amüsant, als Roman hingegen zäh und ohne Tiefgang. Das China der Zukunft bleibt eine glitzernde Oberfläche, eine durchsichtige Folie, unter der das vertraute Bild einer europäischen Großstadt hindurchschimmert mit ihrem Gegensatz von edler Mitte und schäbigen Rändern. Von den chinesischen Verhältnissen erfährt man wenig, denn Politik ist kein Thema: Der Chef der Agentur, für die Ai Li arbeitet, hält große Stücke auf Mao, aber nur als Lyriker, als Staatsmann sei er miserabel gewesen.
Auch unter der konfuzianischen Kostümierung der Chinesen des Romans stecken unsere bekannten Zeitgenossen: Karrieristen, dekadente Milliardäre, die sich gern mit alter, auch europäischer, Kultur dekorieren, sowie politisch enttäuschte Kreative und Altachtundsechziger wie der Protagonist Ai Li. Aber warum der von der alten Kultur der Germanen dermaßen fasziniert ist, bleibt ein Rätsel, und dass er ein Parfum namens "Wald" unbedingt mit einem "Hänsel und Gretel"-Clip bewerben will, ja, dass er dies zu seinem existentiellen Anliegen macht, das ist nicht nur seinen Kunden unbegreiflich.
Zum Ende folgen wir Ai Li und Olympia in die chinesischen Bergwälder, wo sie sich verirren wie seine geliebten Märchenfiguren, aber auch dort gelingt es ihm nicht, ihre Liebe zu erringen. Das Mitleid der Leser hält sich in Grenzen: Je länger die Handlung auf der Stelle tritt, umso mehr können sie Olympias gleichgültige Ablehnung nachvollziehen.
Jörg-Uwe Albig: "Berlin Palace"
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010
224 Seiten, 19,90 Euro